Macbeth - Stephan Kimmig inszeniert Shakespeares blutiges Drama als Psychokammerspiel
Massaker unter vereinsamten Karrieristen
von Erna Cuesta
Wien, 19. Dezember 2008. Die Anatomie des Bösen: kaum jemand hat sie so theatralisch, derb, so tiefgründig aber auch lustvoll ergründet wie Shakespeare. Das Verbrechen, es liegt in der Natur des Menschen. Mord und nicht nur einer, sondern jeder, der aus der Spirale von Gewalt und Macht heraus gerechtfertigt scheint, ist in den Stücken Shakespeares nachvollziehbar. Moralische Skrupel gibt es wohl, auch den rettenden Wahnsinn oder die Mitschuld, aber keine Absolution, nach der die vielen Shakespearschen Figuren suchen. Und schon sind wir mittendrin, im Hause des Macbeth und seiner Lady.
Im Wiener Akademietheater sucht man das schottische Mittelalter, die weissagenden Hexen und die Kronen vergeblich. Die Blutspuren sind da, aber ziehen sich durch die Seelen der Figuren. Die Bühne ist leer: ein düsterer Raum, eigentlich ein Glaskäfig, in dem einsame Karrieristen einander begegnen. Da steht sie dann plötzlich, Lady Macbeth im kessen Business-Kostümchen, sinnierend, wartend, die Wände abtastend. Bis ihr Macbeth aus dem Nichts erscheint.
Lady in schwimmendem Plastikfauteuil
Sie fallen übereinander her, da ist das erste Mordkomplott, ganz ohne Worte, schon geschmiedet. Schwarzblende. Man sieht wieder Lady Macbeth dastehen, nun Joghurt essend. Hinter ihr Macbeth mit blutverschmierten Armen, die Dolche noch in den Händen. Denn es wird nicht lange gefackelt, wenn es um die Macht geht. Auf dem Weg nach oben muss eben der eine oder andere aus dem Weg geräumt werden, zu Shakespeares Zeiten ebenso wie in den Machtzentralen heutiger Großstadtcowboys.
Der Regisseur Stephan Kimmig hat sich entschieden. Zwar erzählt er noch die Geschichte von Macbeth und seinem Königsmord, samt der weiteren Verbrechen, die diese erste Gräueltat nach sich zieht. Aber er folgt dabei nicht ganz der Vorlage Shakespeares. Er blickt zwar, wie das Stück es will, in die Abgründe der Seelen, in Scham und Schuld, Lust und Angst. Aber das Traumpaar des Grauens scheint ausgewechselt. So ist es nicht mehr die vermeintlich eiserne Lady, die schlussendlich dem Wahn anheim fällt, sondern Macbeth selbst. Wird schließlich auch nicht der mordende König gefällt, sondern seine Lady.
Selten ist eine Aufführung so leise, so karg, so reduziert. Fast endlos lang sitzt die Lady in ihrem schwimmenden Plastikfauteuil auf einem Bühnensee und sehnt das Verderben herbei. Die Zeit scheint still zu stehen, wenn Macbeth, von den Geistern seines schlechten Gewissens, die er rief, geplagt, unaufhörlich murmelnd sich reinzuwaschen sucht. Kimmig scheut da keinen Minimalismus. Kaum Musik, keine Effekte, keine Geschwindigkeit, kaum Requisiten. Bilder, Stimmung, Beklemmung getragen von zwei Schauspielern, die als Herrscherpaar auf einander zurückgeworfen scheinen. Mit sich alleine und gegen den Rest der Welt, bis zum bitteren Ende.
Malcolm-Obama
Einige wenige Randfiguren, doch nur die notwendigsten, stellt Kimmig dem Macbeth-Paar in seinem Psycho-Kammerspiel zur Seite. Mit wenigen Ausnahmen greift er, wenn dann die Gerechtigkeit über das Böse gesiegt hat, zu Modischem und zeitgeistigen Statements. So tritt der Rächer und rechtmäßige Thronfolger Malcolm mit einer zündenden "Obama"–Rede zur neuen Nation an und schließt das blutige Kapitel.
Die Helden des Abends: die unvergleichliche, als Gast heimkehrende Österreicherin Birgit Minichmayr. Ein theatralischer Vulkan, hochsensibel mit unendlichem Detailreichtum. Die kleinste Geste hat nachhaltige Wirkung, spricht Bände. Und dazu Dietmar König. Nomen ist Omen. Ein edler Mime, ganz in sich versunken, herzerwärmend vielschichtig. Ein Paar, dass sich in seiner Ungleichheit perfekt ergänzt: das Sittenbild einer Gesellschaft abgibt, deren Individuen in ihrer verbissenen Zielorientiertheit vereinsamt sind.
Dort wo Regisseur Kimmig seine Schauspieler und Shakespeare sprechen lässt, sich auf das Wesentliche, den Menschen verlässt, ist der Abend groß. Aber es war auch eine Premiere mit Pannen. Die Technik und somit Großteil des Klangraums versagte, worunter Spannung und Gesamtkonzept sehr litten. Das Wiener Premierenpublikum hat seinen Unmut am Ende laut kund getan und Stephan Kimmig mit Buh's bedacht.
Macbeth
von William Shakespeare
Regie: Stephan Kimmig, Bühne: Martin Zehetgruber, Kostüme: Katharina Kownatzki. Mit:Dietmar König, Birgit Minichmayr, Martin Reinke, Markus Meyer, Markus Hering.
www.burgtheater.at
Mehr lesen zu Stephan Kimmig: Im November 2008 inszenierte er im Hamburger Thalia Theater Ödön von Horváths Kasimir und Karoline. Und im Mai 2008 gab es am Burgtheater schon mal Shakespeare: Kimmigs siebenstündigen Abend Rosenkriege, für den er die beiden Königsdramen Heinrich IV. und Richard III. miteinander verschmolzen hatte.
Kritikenrundschau
Ronald Pohl vom Standard
(22.12) sieht in dem von Stephan Kimmig am Akademietheater Wien
inszenierten "Macbeth" eine "aus den gedankenvollsten
Shakespeare-Versen öde herausgepresste Schwund- und Plumpform eines
Königsdramas", die "gar niemals die Chance besaß, zu verfinstertem
Leben zu erwachen". In "knappen Stellskizzen" würden "die
Staatsgeschäfte der Cowboys [Macbeth trägt in der Aufführung einen
Cowboy-Hut] im gemächlichsten Tempo exekutiert". Auch die aktuellen
Anspielungen seien entbehrlich: "Der Streber Malcolm (Markus Meyer)
hält eine Obama-Rede. Man faltet strenggläubig die Hände zum Gebet.
Politik, so lehrt es der Abschluss des Shakespeare-Zyklus, ist billige
Verschubware." Am Ende spüre man "grässliche Ermattung auf allen
Seiten", Shakespeares Tragödie sei "endgültig zum Sanierungsfall
geworden".
Mit Shakespeares "Macbeth" müsse man behutsam umgehen, meint Norbert Mayer in der Presse
(22.12.) – Stephan Kimmig aber verplätschere den Text, "wahrscheinlich
in bester Absicht. Er möchte verdeutlichen, was ohnehin offensichtlich
ist, er modernisiert, was zeitlos ist. Diese Überinterpretation, so
intelligent sie gemeint sein mag, schadet dem Ganzen." Größte Schwäche
des Abends sei es, ihn "die längste Zeit in Finsternis" spielen zu
lassen: weil "in dieser omnipräsenten Finsternis die Protagonisten
Dietmar König und Birgit Minichmayr eine sensible Familienaufstellung
vollführen müssen, wird der Abend sehr rasch zum Schnarchen
langweilig". Zudem sei der Text "viel zu drastisch gekürzt, auf den
größten Effekt hin zugeschnitten hat. Nur die Filetstücke aus den
großen Monologen werden vorgetragen, ohne die nötigen Töne dazwischen,
als befinde man sich in einer Readers-Digest-Shakespeare-Show."
"So dürr und bleich, so sanft einlullend ward dies Nachtstück bisher wohl noch nie gezeigt", schreibt Ulrich Weinzierl in der Welt
(22.12.). Aber: "Schlanke Aufführungen mögen elegant wirken, bis aufs
Gerippe abgemagerte bieten einen jämmerlichen Anblick. Zumal dann, wenn
die Knochen irgendwie verrutscht scheinen." Dass am Ende der
Inszenierung Macbeth und seine Lady die Rollen tauschen, erkläre der
Regisseur Kimmig so: "Lady Macbeth als Primadonna des Bösen
vorzuführen, sei eine "sexistische" Verzerrung. Unter hin und wieder
törichten Äußerungen von Theatermachern ist diese eine der dümmsten."
Doch "derlei Unfug wäre zu verkraften, hätte das Ensemble die geringste
Chance, dagegen anzuspielen. Hat es nicht. … Die allgemein gestattete
Spielfreude erinnert an Tee bei Madame Tussauds." Und so hofft
Weinzierl, dass Stephan Kimmig "Glück bei den Frauen" habe, "mit
Shakespeare hat er keins".
Als "zähes Kammerspiel der Intrige" verreißt Paul Jandl in der Neuen Zürcher Zeitung
(23.12.) die Inszenierung. Der
Text sei großzügig gekürzt, und müsse jetzt in einem "heimeligen
Glaspalast hergesagt werden". Auch für Jandl sieht Macbeths Schloss
sieht nicht nach Macht-, sondern nach Konzernzentrale aus.
Das Finstere von Shakespeares Tragödie sei bei Stephan Kimmig
allerdings "nur eine
Frage der Beleuchtung". Alle paar Minuten gehe das Licht aus und werde
wieder angeknipst. "Die Dunkelmänner stehen im Regen schwarzer
Perlenschnüre, und die Hexen halten sich Neonröhren vors Gesicht".
Kimmigs "elektrifiziertem Grusel" fehlen aus Jandls Sicht jedoch "die
Energien des Gefühls".
Aha, Schottland gleich Amerika, stellt Karin Cerny für die Süddeutsche Zeitung
(23.12.) fest, demzufolge kehrten Macbeth
und Banquo also siegreich aus
Nahost zurück. Nach einem dermaßen konkreten Einstieg stellt sich ihr
dann aber auch die
Frage: "Wie sehr wird das Stück unter der neuen Lesart knirschen und
krachen? Aber auch: Wie kommt man von der vergröbernden und
vergrößernden Karikatur zum Kammerspiel, das der intime Raum des Wiener
Akademietheaters nahelegt?" Kimmig wechselt für ihren Geschmack dann
auch "ziemlich unvermittelt" in die Psychostudie. Dabei fehlt
ihr aber meist der "stringent kühle Ton", der aus ihrer Sicht für
dieses Format notwendig ist. Über lange Strecken sieht sie stattdessen
einen
sattsam bekannten, durchaus altmodischen "Shakespeare-Sound"
dominieren, den Kimmig
zwar runterdimme und mit atmosphärischer Musik unterlege, aber
insgesamt trotzdem
zu wenig Schärfe verleihen würde.
Mit einigem Mißmut bespricht auch Martin Lhotzky in der Frankfurter
Allgemeinen Zeitung (23.12.) die Inszenierung: "Alle Schotten tragen Anzüge mit
Schlaghosen und goldene Cowboyhüte, manche auchpassende Stiefel." Von
Anfang an kann Lhotzky sich des Eindrucks nicht erwehren, "dass die
genau wissen, was kommen wird, und deswegen unglaublich lustlos
spielen". Auch das amerikanisierte Schottland findet er höchst
unoriginell und die Bühne schaut für ihn mitunter aus, wie eine Parkhausgarage, "fehlen nur noch Mafiosi mit Maschinenpistolen oder ein FBI-Informant
im Schatten mit glimmender Zigarette". Auch für die anderen
Interpretations- und Aktualisierungsansätze des Abends, mit dem
Burgtheater-Intendant Klaus Bachler Kimmig nun den "vollmundig so
genannten" 'Kontinent Shakespeare' abschließen lasse, hat Lhotzky nur ein Achselzucken übrig.
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nachtkritikvorschau
Nun muss man Goschs Macbeth ja nicht mögen - er war auch eine ziemliche Zumutung - aber modische Mätzchen wie Kimmig hatte er nicht nötig. Und was er zu Machismo, zu den Hexenfiguren und zu der seltsamen Brutalität des Stückes zu sagen hatte, war dennoch ganz von heute.
Ob man den Abend allerdings noch mit Shakespeare untertiteln sollte, darüber ist sicher zu diskutieren.
Und dem Publikum im fast ausverkauften Haus hat es eindeutig als Gesamtwerk gefallen!