Der Auftrag - 25 Jahre nach dem Wendeherbst entdeckt das Theater Plauen-Zwickau Heiner Müllers Revolutionsstück wieder
Epigonen einer Revolution
von Michael Bartsch
Plauen, 2. Oktober 2014. Es geht deftig los auf der Kleinen Bühne neben dem Plauener Stadttheater. Der Bildschirm fängt ein, wie drei einsame Demonstranten mit Plakaten "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" auf der Straße von drei leichten Damen weggefangen werden. Unmittelbar darauf sieht man alle sechs Akteure live bei schwülem Licht in einem Etablissement wieder, das mindestens eine GoGo-Bar vorstellt. Aha, das ist also der berühmte "Auftrag" Heiner Müllers von 1979, inszeniert im postrevolutionären Zeitalter. Erst im Lauf der knapp eineinhalb Stunden wird die Sinnfälligkeit dieses Einstiegs, ja der immer wiederkehrenden Laszivität der drei Frauengestalten klarer. Seit der paradiesischen Sündenfall-Geschichte gilt das Weib als verhängnisvolle Verführerin, und auch hier steht es synonym für den verlockenden Verrat, für die Abkehr von der Idee, für den Triumph des Gewöhnlichen. Eifersucht auf die "Hure Revolution" beherrscht diese Frauen, die ihrerseits die Männer zu beherrschen suchen.
Der großen Idee indessen hängen auch bei Müller die Männer an, und es sind die zunächst verbindenden, wenn auch labilen Ideale der französischen Revolution. Drei völlig verschiedene Männer, der Sohn eines Sklavenhalters, ein Bauer und ein schwarzer Knecht, sind im Auftrag des Revolutionskonvents unterwegs. Inspiriert von Anna Seghers und einer eigenen Reise nach Mittelamerika lässt sie Heiner Müller in das karibische Jamaika reisen, wo sie einen Sklavenaufstand anzetteln sollen. Einmal, um die Revolution zu exportieren, zum anderen, um den Briten nebenbei ihre Kolonie abzuluchsen. Inzwischen aber hat es in Frankreich den 18. Brumaire gegeben, das Jahr 1799 bringt das Ende des Direktoriums und den Aufstieg Napoleons zum Ersten Konsul. Die drei Emissäre stehen mit einem Auftrag ohne Auftraggeber da.
Der Zwang, wieder "Ich" sagen zu müssen
Aus dieser Konstellation konstruiert der 1995 verstorbene Dramatiker einen Exkurs über Revolutionszyklen, wenn man so will über die dialektische Negation der Negation, über eine "Welt, die wird was sie war: Eine Heimat für Herren und Sklaven". Und über den Zwang, wieder "Ich" sagen zu müssen, wenn die kollektive Einigungskraft erloschen ist. Roland May, heute Intendant des Kulturraumtheaters Zwickau-Plauen, hat als junger Mann 1980 bei der zweiten DDR-Aufführung in Karl-Marx-Stadt selber den Bauern Galloudec gespielt. Ja, räumt er ein, es sei schon eine schlitzohrige Idee gewesen, diesen Müller im Jubeljahr 25 nach der großen nichtsozialistischen Oktoberrevolution 1989 wieder auszugraben. Auch damals kam ein Auftrag abhanden, der vielen Anhängern, aber auch Mitläufern des Ancien Regime eine bis heute kaum bewältigte Selbstorientierung abverlangt. Und was seither aus dem Auftrag der Gestaltung einer neuen Gesellschaft geworden ist, mag jeder selbst beurteilen.
Heiner Müller hat auf postdramatische Weise komponiert, wie wir heute sagen würden. Collage, Montage, die autobiografisch geprägte "Erste Liebe" eingeschoben, ein Monolog im Fahrstuhl, bei dem der Auftrag einer Vorsprache beim "Chef" ebenfalls abhanden kommt. Roland May folgt dem in seiner Inszenierung und verbindet berichtende, erzählende konventionelle Passagen mit surrealen, symbolträchtigen Einwürfen bei sparsamem Einsatz von Videotechnik. Für die Ausflüge ins Allegorische und Groteske hat Luisa Lange, seit der vorigen Spielzeit Ausstattungsleiterin am Theater, eine Bühne auf die Bühne gebaut, einen einfachen Guckkastenrahmen. Geschickter Lichteinsatz bis hin zu Stroboskop und Schwarzlichteffekten verstärkt die Wirkung.
Die einigenden Geschäfte
Die jungen, teils erst seit dieser Spielzeit ins Ensemble gekommenen Spieler müssen sich mit dem "Auftrag" einem heute wenig geläufigen Auftrag stellen. Denn der Intendant lässt sie die Flächentexte Müllers brechtisch, agitatorisch und teils chorisch sprechen. Frontal an der Rampe positioniert, das Publikum starr fixierend, knattern die Wortsalven: "Der Tod ist die Maske der Revolution. Die Revolution ist die Maske des Todes."
Das klappt mit erstaunlich synchroner Sprechkultur. Anja Schreiber, Helene Aderhold und Else Hennig wechseln häufig das Kostüm und die Charaktere zwischen Hosenrollen und dominanten Frauen. Jens Hollwedel als intellektuell-zynischer Debuisson und Matthias Wagner als der charismatische Sasportas steigern sich zu einem Duell der Hauptfiguren, während Timon Schleheck eher in bäuerlicher Einfalt daherkommt. Besonders bei den langen Monologen des Schlussteils sind die Männer allerdings oft zum Zuhören verurteilt und wissen manchmal nicht, wie sie diese Verlegenheit gestisch kompensieren sollen.
In Plauen wird ein plausibler Heiner Müller vermittelt, der fern einer Lehrmeinung Raum für persönliche Assoziationen lässt. Die heimliche Sehnsucht nach Unterwerfung, die Erkenntnis "Was die Menschheit eint, sind die Geschäfte" klingen am Schluss heutig und fatalistisch. Aber der zumindest von Galloudec und Sasportas empfundene Auftrag zum immerwährenden Aufstand kommt als finaler Imperativ ebenso unmissverständlich herüber. Völker, hört die Signale!
Der Auftrag
von Heiner Müller
Regie: Roland May, Bühne/Kostüme: Luisa Lange, Video: Charon_tC, Dramaturgie: Maxi Ratzkowski.
Mit: Jens Hollwedel, Matthias Wagner, Timon Schleheck, Anja Schreiber, Helene Aderhold, Else Hennig, Roland May.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.theater-plauen-zwickau.de
Kritikenrundschau
Über "sehenswertes Theater" und "große Spielfreude" berichtet Ingo Eckardt im Vogtlandanzeiger (6.10.2014). Roland May streue in seine Inszenierung "sanfte Zwischentöne, die an die Wendezeit erinnern", ein. Einen "Anklang an moderne Regietheater-Trends" bietet er, wenn er den monologischen Erzähltext vom Mann im Aufzug mit "chorhaft dreistimmig rezitierten Einfügungen" von drei Damen umsetze. Gegen Ende wirke das Mittel des "gemeinsamen und ziemlich langen Rezitierens" überstrapaziert. Für einen "Publikumsrenner" sei dieses (teilweise "surrealistisch" inszenierte) Stück "in seiner Handlungsform" wohl "zu kompliziert". Doch: "Für Freunde modernen Regietheaters, die Geschichten weiterdenken und Charaktere zu entschlüsseln suchen", halte dieser Abend "ein theatrales Vexierspiel mit einem hohen Unterhaltunsfaktor" bereit.
"Mit Wucht, temporeich, wort- und bildgewaltig" habe May diesen Müller inszeniert, schreibt Lutz Kirchner in der Freien Presse (6.10.2014). Das Revolutionsdrama mache klar, "was bleibt, wenn die erste Euphorie, in der Zukunft möglich scheint, abgeebbt ist". Das Schauspielerteam wischte "hohle Versprechungen heutiger Konsumgesellschaften" vom Tisch. Der Kritiker beobachtete "eindringliche Szenen" und ein Publikum, dem das Stück 25 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR "unter die Haut ging".
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Der DDR-Patriotismus ist nicht meins, aber was Müller hier möglicherweise herausstellen will, ist die Tatsache, dass westliche Rezensenten die Welt immer schon aus ihrer eigenen, westlichen Perspektive sehen (können). Ihm geht es dagegen um das Bewusstsein, dass der Frieden in den Metropolen mit den Kriegen in der Dritten Welt erkauft ist: "Ich glaube, daß die ganze kapitalistische Wertskala sich unglaublich relativiert im Blick auf die Dritte Welt. Es gibt ja auch die Dritte Welt schon in der ersten. Die Aushöhlung der westdeutschen Gesellschaft durch die Gastarbeiter, die ohne die gar nicht mehr existieren kann. Sie arbeitet natürlich mit dieser modernen Sklavenhalterei an ihrer eigenen Dekadenz."