Shakespeares Schädel in Fausts Faust - Bernd Liepold-Mosser inszeniert am Theater Regensburg die Uraufführung eines Shakespeare-Mash-Ups von Werner Fritsch
Shakespeares Figuren den Frieden beibringen
von Andreas Thamm
Regensburg, 18. November 2016. Ein schillernder Mantel, eine silberne Hose, Plateauschuhe, langes Haar: Nein, der hier vor den Lamettavorhang stakst, ist nicht David Bowies Wiedergänger, Ziggy Stardust. Das ist, trotz 80s-Glam-Erscheinung, eine Figur, die 1611 zum ersten Mal eine Bühne betreten hat: Prospero. Aber Shakespeares "Sturm" ist das hier trotzdem nicht. "Metamorphosen von Metamorphosen. Metamorphosen der Metamorphosen Ovids in Shakespeares Schädel", kündigt Prospero an. Er ist der Meister dieser seltsamen Zeremonie.
Postmoderner Hagelsturm
Shakespeares Schädel erscheint auch gleich, mit Körper dazu, deutlich dezenter gekleidet. Dazu ein Mann mit Brille, das ist Faust und dezidiert gleichzeitig auch "der Autor", also: Werner Fritsch, dessen Stück "Shakespeares Schädel in Fausts Faust" zumindest schon mal einen tollen Titel hat.
Vom Rest zu erzählen, fällt schwer. Fritsch und Regisseur Bernd Liepold-Mosser haben ein exzentrisches Impressions-Gewitter gebaut, einen Shakespeare-Mash-Up, der die Reihe der Fausts weiterschreibt, einen postmodernen Pop-Hagelsturm, der Aristoteles, Shylock und Hitler zusammenschraubt und dabei eigentlich nur eines will: ein bisschen Frieden.
Die Welt ist genauso schlecht wie vor 400 Jahren
Es ist der 3. Mai 2016. Der Todestag des größten Dichters aller Zeiten jährt sich zum 400. Mal. Auf dem Friedhof erheben sich die Lieblinge aus Shakespeares Stücken, noch immer im Kostüm, aus ihren Gräbern, um dem Schädel des Meisters zu huldigen, ein bisschen an ihm zu nagen und ihn am Ende in den Hexenkessel zu werfen. Und Faust bzw. der Autor ist auch da, muss da sein – schließlich ist das alles sein Traum.
Es sind Geister, die sich hier versammelt haben, und Geister sind immer auch Unerlöste. Die Veranstaltung ist daher kein friedliches Beisammensein: Die Verzweiflung ist immer noch groß, die Apokalypse schwingt in jedem Wort, Gott und Teufel werden beschworen, die beiden Macbeths sind nicht weniger wahnsinnig geworden in 400 Jahren: "Nur Finsternis saug ich aus diesen Brüsten!", klagt der König. Die Welt ist schlecht geblieben.
Im nächsten Moment stehen Stalin, Hitler und Mao auf der Bühne. Letzterer: "Ich bin der Massendichtel und –möldel." Unter Mars und Diskokugel singen sie "Sierra Madre", bekannt geworden durch die Zillertaler Schürzenjäger. Das ist schon ziemlich schön.
Zehn Prozent Shakespeare
Spätestens jetzt aber muss man als Zuschauer den Absprung schaffen. Werner Fritsch hat eines dieser Stücke geschrieben – und Liepold-Mosser es entsprechend inszeniert – das dann funktioniert, wenn man vor seiner Logik kapituliert. Und das ist nun mal eine Traumlogik. Das Schauspiel ist übertheatral, der Soundtrack von Naked-Lunch-Mastermind Fuzzmann immer wieder technoid-hämmernd, die Sprache anachronistisch und überfrachtet mit antiker, altägyptischer, christlicher, astrologischer Symbolik. Etwa zehn Prozent des Texts, das verriet der Autor im Vorfeld, seien "original Shakespeare". Aber wer sich auf dieses Rätselraten ernsthaft einlassen will, verdirbt sich selbst den Rausch.
Die clipartige Struktur des Stücks lädt zum Ein- und Ausklinken. In schneller Abfolge servieren die Shakespeare-Figuren ihr Leid, ihr Sehnen, ihre Abgründe. Caliban im Hosenanzug hungert nach dem Schädel seines Schöpfers, Shylock dürstet nach Rache an Antonio, Faust krümmt sich auf dem nassen Bühnenboden und schwärmt vom Flug mit sexy Hexen. Hamlet und Ophelia wollen im Gummiboot nach Island, und Shakespeare selbst fühlt sich ganz heimgesucht von all den guten und bösen Geistern. Alle tanzen einen Robo-Dance.
Traum erlaubt Naivität
Es gibt ein Leitmotiv, zum Glück, das all das zusammenhält: die Dialektik von Mars und Venus. Bei Shakespeare stand noch alles im Zeichen des Mars, Faust aber bzw. der Autor Fritsch, sucht "nach dem Paradies". Und will die Welt ins "goldene Zeitalter" der Venus überführen. Der Traum erlaubt nämlich nicht nur die magisch-surreale Nicht-Logik, sondern auch die Naivität des Träumers. Der Autor fühlt sich "beflügelt von der Sehnsucht", er wälzt sich in seiner Utopie, das ganze Stück wird zu einem Manifest für einen poetischen Pazifismus und wider die "Hydra Krieg, Hass, Terror".
Die Sehnsucht scheint sich zu erfüllen. Shylock und Antonio wollen im Mondenschein tanzen und zur Religion des jeweils anderen konvertieren. Und dann schwebt Venus selbst auf einem Neonleuchten-Gestänge über der Szenerie. Dennoch "liegt der Geruch von Leichen in der Luft, Leichen ohne Kopf." Und grad als sich ein narrativer Sinn einzuschleichend drohte, fragt man sich erneut: Worüber sprichst du eigentlich gerade, Venus, Caliban, Sophokles, Faust?
Shakespeares Schädel in Fausts Faust
von Werner Fritsch
Uraufführung
Regie: Bernd Liepold-Mosser, Bühne und Kostüme: Karla Fehlenberg, Dramaturgie: Stephanie Junge.
Mit: Gunnar Blume, Jacob Keller, Frerfk Brockmeyer, Thomas Birnstiel, Franziska Sörensen, Andine Pfrepper, Michael Haake, Patrick O. Beck, Susanne Berckhemer, Silke Heise.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.theater-regensburg.de
Als "dionysische Feier zum 400. Todestag Shakespeares", die einer Fußwaschung gleichkommt, beschreibt Peter Geiger in der Mittelbayerischen Zeitung (21.11.2016) den Abend und verneigt sich besonders vor der Sprachkunst Werner Fritschs. "Und die kommt in dieser rund 90-minütigen Premieren-Inszenierung von Regisseur Bernd Liepold-Mosser aufs Wunderbarste zur Geltung. Das liegt auch daran, weil sich das neunköpfige Schauspieler-Ensemble drauf einlässt, auf dieses fein gesponnene Wortgewebe, das tief in Originalzitaten wurzelt, aber daraus stets hydrenhaft Neues erwachsen lässt. Die Schauspieler sind's, die aus dieser alchemistischen Utopie das Sprachgold herausschmelzen".
"Fritschs Stück ist kein Vexierspiel für Intellektuelle", schreibt Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (23.11.2016). "Hier wäre geboten, einen auratischen Raum, Begegnungen der Shakespeare-Figuren in aller Offenheit, aber mit viel Glitzer zu schaffen." Heraus kommt aber ehe eine "Germanisten-Party mit viel Disco-Flow". Eine "viel zu brave Inszenierung".
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