Geteilt - Deutsches Theater Göttingen
Damals auf der Firmenfeier
von Jan Fischer
Göttingen, 30. November 2019. Es ist diese Geschichte, die man aus viel zu vielen Tweets kennt, eine #metoo-Geschichte. Und der Satz, der am härtesten trifft, ist dieser: "Gesetzt ist: Eine Vergewaltigung ist geschehen." Niemand, weder Vergewaltiger noch Vergewaltigte, bestreitet das. Eine Firmenfeier, beide sind betrunken, beide sind befreundet, sie verschüttet ein Getränk auf seinem Hemd, er zieht es aus, sie aus lustig-betrunkener Solidarität ihre Bluse auch, er vergewaltigt sie.
In Maria Milisavljevics "Geteilt" geht es um das danach: Er, zwar von Schuldgefühlen geplagt, findet schnell wieder in seinen Alltag zurück, mit Firma, Kindern und einer Frau, die ihm entweder verzeiht oder für den Seelen- und Familienfrieden beschließt, alles einfach zu ignorieren. Ihr bröckelt das Leben weg. Sie verliert ihre Arbeit, ihre Freunde, wird stigmatisiert. Als sie die Vergewaltigung öffentlich macht, findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt: "Was macht die sich so wichtig?", ruft der Chor. "Hat die den Arsch offen?"
Metaphorisch durchwuchert
Der Text von Maria Milisavljevic, eine Auftragsarbeit für das Deutsche Theater Göttingen, ist metaphorisch durchwuchert, schiebt den Themenkomplex auf eine lyrisch-abstrakte Ebene. Der tote Vater der Vergewaltigten kann da als Ratgeber genauso auftauchen wie der personifizierte Paragraph 177 StGB oder auch gleich die Autorin als Figur, die sich Gedanken macht, wie sie alles beschreiben und bebildern könnte.
Das Bühnenbild (von Lukas Kötz) besteht hauptsächlich aus einem Betonlaufsteg, der auf einem Fünfeck aus rotem Teppich steht. Ein Schlagzeug steht in einem der drei Publikumsräume, die um den Laufsteg verteilt sind. Die Darsteller und Darstellerinnen setzen sich immer wieder auf Stühlen ums Publikum, agieren sowohl auf und vor dem Laufsteg wie auch in den Stuhlreihen.
Von Zeit zu Zeit werden über dem Laufsteg, auf einem gigantischen Lamellenvorhang, Liedsequenzen aus alten Filmen eingespielt, I don't care, beispielsweise, gesungen von Judy Garland aus dem 1949er Film "Damals im Sommer". Das Ensemble switcht sich derweil durch Rollen: Sie, Er, seine Frau, ihre Freundinnen, diverse Chöre, diverse Tempo- und Lautstärkenwechsel auch. Mal bläst Sweet Dreams durch den Raum und alle tanzen verrenkt dazu, mal spiralt sich der Text in Wiederholungsvarianten langsam um sein Thema herum.
Urknall und Zerstreuung
Leider findet das alles nicht so richtig zusammen, geht "Geteilt" doch recht schnell die Puste aus. Da ist einmal der lyrisch-poetisch angelegte Text, der sich in Wiederholungen, Metabewegungen und Wortspielen gefällt, und letztendlich eine Szenencollage dabei herausbekommt, der der Stil, die überbordenden Spielereien, viel von der Wucht nehmen, die sie haben könnte. Da ist die Inszenierung von Moritz Beichl, die mit ihren schnellen Wechseln, den Chören, dem Schlagzeug, den Filmen, dem Stroboskop, einer ersten Szene, in der die Schauspieler – als sie selbst – sich mit Desinfektionsflüssigkeit die Hände waschen, der Spielwut des Textes nichts entgegen-, sondern eine eigene Spielwut daraufsetzt.
So entstehen viele, disparate Teilchen, die mit der – nie gezeigten, nur erzählten – Vergewaltigung als Urknall immer weiter voneinander weg fliegen, um letztendlich in einer Art postmodernen Entropie zu versanden. Was gerade bei diesem Thema schmerzt. Denn diese Geschichten müssen erzählt werden und zwar so lange, bis Zweifler und Relativierer endlich aufhören, an den Geschichten zu zweifeln und sie zu relativieren, so lange, bis Vergewaltiger konsequenter betraft werden und Vergewaltigte nicht mehr beschuldigt.
Geteilt
von Maria Milisavljevic
Regie: Moritz Beichl, Bühne und Kostüme: Lukas Kötz, Dramaturgie: Verena von Waldow.
Mit: Angelika Fornell, Marius Ahrendt, Rebecca Klingenberg, Gabriel von Berlepsch, Felicitas Madl.
Premiere am 30. November 2019
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.dt-goettingen.de
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