Schande - Luk Perceval stellt an den Münchner Kammerspielen weiße Schuld vor schwarzer Kulisse aus
Zwischen farbigen Schaufensterpuppen
von Sabine Leucht
München, 20. Dezember 2013. Da haben wir es wieder: das Schauobjekt. Gerade hat man in München das Problem diskutiert, das Schauspieler mit anderer Hautfarbe oder vermeintlich sichtbarer fremder Herkunft mit dem Theater haben (oder das Theater mit ihrem klischeebefreiten Einsatz), da kommt Luk Perceval in die Stadt und castet derer drei, damit sie in seiner kaum dramatisierten Version von J. M. Coetzees Roman "Schande" die Schwarzen spielen: Die Nutte, die sich der liebeskomplikationsüberdrüssige Kommunikationswissenschaftler David Lurie einmal wöchentlich zur Triebabfuhr leistet, den Vergewaltiger, der Luries Tochter Lucy auf ihrer Farm überfällt – und den Nachbarn Petrus, der Lucy den Schutzraum der Ehe anbietet für das Land, das die weiße Frau mit einer Hundepension, ein wenig Landwirtschaft und großer Bereitschaft zur Demut zu ihrer Zuflucht machen wollte.
Schuld-und-Sühne-Variation
Lorna Ishema, Aaron Amoatey und Felix Burleson sind keine schlechten Schauspieler, aber an den Münchner Kammerspielen dazu verdammt, in gebrochenem Englisch die "Fremden", den "Boy" oder das willige Mädchen zu spielen. Burleson, der Darsteller des Petrus, stammt original aus Percevals vier Jahre alter "Schande"-Inszenierung mit der Toneelgroep Amsterdam. Ebenso wie offenbar das Gros der farbigen Schaufensterpuppen, die nun auch in München wieder die Kulisse geben für die Schuld- und Sühne-Variation des Literaturnobelpreisträgers aus Südafrika: Große, kleine, junge, alte, Männlein und Weiblein in luftig bunten Freizeitklamotten, aber mit ernsten Gesichtern frontal zum Zuschauerraum hin ausgerichtet.
Recycling eigener Ideen darf es in einem Künstlerleben durchaus geben. Und der Belgier ist ein apartheidkritischer Kenner der südafrikanischen Verhältnisse. Doch die auf den ersten Blick faszinierende Front der Puppen, aus der die Schauspieler manchmal wie aus dem Nichts heraustreten, hinterlässt ein ungutes Gefühl: Die einst unterdrückte und danach noch immer arme und gewaltbereite Mehrheit eines Landes dient nur als Staffage, als leblose oder in ein Klischee gepresste exotische Kulisse für die Geschichte derer, um die es hier eigentlich geht: Und die sind weiß.
Weiß wie Lurie, der nach der herzlosen Affäre mit einer Studentin ein Schuldeingeständnis verweigert. Weiß wie Lucy, die als einzige Weiße in einer ländlichen Gemeinschaft zu überleben versucht und dafür bereit ist, noch für die Sünden aller anderen mitzubüßen.
Masochistisches Gewissen
Schon das Buch, für das Coetzee 1999 den Booker Prize bekam, nervt bisweilen mit seinen Geschlechterstereotypen, seiner manchmal aufdringlichen (christlichen) Symbolik und dem Dauerappell an das schlechte Gewissen des weißen Mannes. Aber es ist durchweg spannend zu lesen. Umso erstaunlicher deshalb, wie sehr sich die zwei Stunden in die Länge ziehen, in denen Stephan Bissmeier und Brigitte Hobmeier durch den Figurenpark huschen wie durch ein Labyrinth oder rampennah umeinander schleichen.
Auf den "in Schande" gefallenen Professor und seine geschändete Tochter, die sich selbst in ihrer vermuteten sexuellen Präferenz vom Vater zu befreien versucht, ist der Abend zugeschnitten. Und während Hobmeier vor allem Lucies Lachern gerne ein paar Schnörkel zu viel verleiht, ist der zwischen Arroganz und Schluffigkeit mäandernde Bissmeier die Idealbesetzung für den eingebildeten Intellektuellen, der – an seiner Ukulele herumzupfend – von neuem Glanz als Kammeropernkomponist träumt. Ein packender Erzähler aber ist Bissmeier nicht. Den bräuchte der Text jedoch dringend, der in der leicht umgestellten gekürzten Fassung von Josse De Pauw sehr episch bleibt.
Erschöpfte Phantasie
Mit der Verhandlung von Luries Schicksal vor dem akademischen Tribunal, in dem die Schicksalswächter allesamt im Zuschauerraum verteilte Frauen sind, beginnt Percevals Inszenierung. So schaut man praktisch zunächst als Richter auf die Bühne. Den Rest der Zeit schaut die Bühne mit hellen Augen in dunklen Gesichtern zurück. Vielleicht auch sie anklagend, aber in jedem Fall ernst. Und damit scheint Percevals szenische Phantasie für diesmal schon erschöpft.
Während Steve Jacobs' Verfilmung des Stoffes (mit John Malkovich in der Hauptrolle) das von Lucies Freundin Bev mit viel Herz betriebene Einschläfern streunender Hunde schmerzhaft ausschlachtet, gerade weil es in der Geschichte eine besondere Mensch-Hund-Beziehung gibt, erfährt man hier von dieser Beziehung erst, als es schon fast zu spät ist. Und die einzige Szene, die einem ein wenig ans Herz greift, ist das Versenken der Ukulele im Hundeleichensack: Der Traum von einem höheren Leben ist somit auch für Lurie gestorben.
Schande
nach J. M. Coetzee
Dramatisierung von Josse De Pauw
Regie: Luk Perceval, Bühne: Katrin Brack, Kostüme: Ilse Vandenbussche, Pascale Martin, Licht: Mark Van Denesse, Dramaturgie: Jeroen Versteele.
Mit: Aaron Amoatey, Marc Benjamin, Stephan Bissmeier, Felix Burleson, Barbara Dussler, Brigitte Hobmeier, Lorna Ishema, Angelika Krautzberger, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.muenchner-kammerspiele.de
Mehr zu Coetzees Schande? Für die Wiener Festwochen 2012 adaptierte Kornél Mundruczó den Roman.
Einen "starken, im besten Sinne aufklärerischen Theaterabend" hat Christopher Schmidt von der Süddeutschen Zeitung (23.12.2013) in den Kammerspielen erlebt. Die Besetzung der durch den Professor Lurie verführten Studentin mit einer weißen Schauspielerin unterlaufe die noch in der Steve-Jacobs-Verfilmung dargebotene "sehr vordergründige und bequeme Lesart, derzufolge der spätere Überfall schwarzer Jugendlicher auf die Farm von Lucy, der Tochter des Professors, als Umkehrgeschichte zu deuten ist: Sündenfall und Nemesis." Perceval habe den Roman "genau" gelesen. "Zeichenhaft" sei seine "Inszenierung, deren Textfluten Bissmeier mit mürber Nonchalance teilt, sparsame Akzente setzend".
Für Wolfgang Höbel von Spiegel Online (23.12.2013) ist es "reichlich mühsam, zwei Stunden lang zwischen leeren Schaufensterpuppenvisagen nach ein paar (oft großartigen) lebendigen Schauspielern Ausschau zu halten." Perceval beschränke sich "auf eine schöne, strenge Kunstübung: ein Gerichtskammerspiel, in dem nur die Beweisaufnahme zählt, weil es ein finales Urteil kaum je geben kann. Zentrales Thema der Verhandlung ist die Frage, warum wir in einer Welt leben müssen, in der eine "systematische Grausamkeit", so der Schriftsteller Coetzee, die Grundbedingung allen Lebens ist."
Perceval sei es "gelungen, den Stil des Südafrikaners in die Sprache des Theaters zu übersetzen" und dabei "einiges von der Substanz dieses Buchs auf der Bühne" zu entfalten, schreibt Michael Schleicher im Münchner Merkur (23.12.2013). "Freilich, der Abend braucht etwas (zu viel) Zeit, um in die Spur zu kommen. Gerade dem Auftakt, als es um Luries Verfehlungen an der Universität geht, hätte eine Straffung gutgetan. (....) Im Gegensatz zu den Themen sind Inszenierung wie auch Roman beinahe provozierend unaufgeregt. Zurückgenommen wird auf der Bühne agiert, die Konzentration des Publikums somit ganz auf den Subtext gelenkt."
Gabrielle Lorenz widmet sich in ihrer Kritik für die Abendzeitung (23.12.2013) vor allem den "bravourösen Darstellern" dieser "sehr epischen Inszenierung": Stephan Bissmeier zeige "die intellektuelle Überheblichkeit" von Coetzees Literaturprofessor "leise und unaufgeregt", behalte "auch als Erzähler den ruhigen Ton, der die Inszenierung bestimmt." Felix Burleson sei "hochpräsent", Aaron Amoatey lege "einen grausig-furiosen Wutausbruch hin", und Brigitte Hobmeiers Lucy sei "anfangs eine verspielte, kindliche Tochter", die dann zur "tränenfeuchten Büßerin" werde.
"Die Kraft eines Bildes, die Präsenz eines Schauspielers und das Verstörungspotenzial eines Romans: Luk Perceval hat daraus großes Theater gemacht." So resümiert Sven Ricklefs für "Kultur heute" auf Deutschlandfunk (21.12.2013). Die "eindringliche Theatralisierung" des Coetzees-Roman sei vor allem ein Abend des Schauspielers Stephan Bissmeier. "Es ist, als habe sich Regisseur Luk Perceval, dessen herausfordernde Inszenierungen durchaus auch einmal aggressiv daherkommen können, diesmal ganz auf diesen leisen und stillen Schauspieler eingelassen und seinen tastenden und zögernden Duktus zum Rhythmus des Abends gemacht."
Für Christoph Leibold von "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (20.12.2013) ist es kein "Abend, der sofort flammende Begeisterung entfacht. Wohl aber einer, der durch Reibung Funken schlägt." Die Inszenierung "ist von einer Art abgeklärten Ruhe, durchwirkt von seltenen, dann aber umso heftigeren Ausbrüchen." Sie gehe einem "in ihrer unspektakulären, nie reißerischen, fast spröden Eigenart sehr nahe".
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Großer Stoff, leider lethargisch umgesetzt. Zuviel Stereotypen, zuviel Phlegma, zu starr. Stephan Bissmeier kann als David Lurie in seinem unerschöpflichen Narzissmus hier und da glänzen. Brigitte Hobmeier kann anfangs noch als Freigeist sympathisch das Stück beleben. Diese Diskrepanz zwischen David Lurie, der nur flieht, aber nichts an seinem Leben ändert und der Tochter, die sich allem stellt und dadurch bedingungslos und in manischer Erniedrigung die nötigen Umstände akzeptiert. Das hätte man wahnsinniger und kompromissloser darstellen müssen. Schmerz und Leid ob des zentralen Schicksalschlags verliefen sich im Zynismus und Sarkasmus Bissmeiers. Hobmeier war zu blass, um hier kompensieren zu können. Der politische Charakter der Romanvorlage wurde völlig verpasst. Obwohl die Zeit kurz nach der Apartheid und nun Mandelas Tod der Bühne die nötige Komplexität hätte geben können. So dümpelt das Ganze so vor sich hin. Luk Percevals leidenschaftsloser Versuch wurde dementsprechend mit mauen Applaus bedacht, weil auch den Letzten kein Funke ansprang.
— hier: Münchner Kammerspiele.
ja sie haben ja recht natürlich ist es wie sie sagen der grosse Unterschied liegt nur darin dass in einem Stück deutsche Figuren auch Gegenspieler haben woraus sich meistens ein diverses Bild von hellhäutigen Menschen abbildet. Man hat den Bösen aber ihm gegenüber auch den Guten. Herrgott wo bei solchen Stücken wie oben die wie sie sagen "postmigrantischen" Guten? Geht es nicht im Grunde vorallem auch um den Streit dass es eben keine deutschen oder migrantischen Rollen gibt? Sollte nicht jeder alles spielen können? Zumal tatsächlich ein grossteil der Rollen nicht deutsche sind. Bei Shakespeare nicht und bei anderen auch nicht sie werden nur dazu gemacht.
da haben sie nicht Unrrecht. Aber ein "Wozeck" von einem Postmigranten gespielt, macht den Mord an "Marie" auch nicht nachvollziehbarer. Und so wie sie argumentieren, könnte Diversität nur dann erreicht werden, wenn diesem Woyzeck positive postmigrantische Besetzungen gegenüberstünden, was zur Folge hätte, dass man fast alle Rollen mit Postmigranten besetzen müsste, womit man wiederum eine neue Verkürzung der Diversität erzielen würde.
Zudem, betrachten sie doch die Plakate des Gorkis, ein Klischee oder Versatzstücke von Klischees nebeneinanander, nur eben "beglaubigt" durch ein "postmigrantisches" Theater.
Dann darf man das? Ist das der Weisheit letzter Schluss?
to find on:
http://www.protontheatre.hu
(Ergänzung der Redaktion: Hier gibt es dazu eine Nachtkritik: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6939:szegyen-schande-fuer-die-wiener-festwochen-adaptiert-kornel-mundruczo-adaptiert-den-roman-von-jm-coetzee-&catid=127:wiener-festwochen&Itemid=40)
natürlich haben sie recht inbezug auf "wozeck" wie sie schreiben. Aber genauso wenig macht es einen unterschied ob es ein migrant spielt. Nur das darf er nicht im hiesigen Theaterbetrieb weil man meint damit eine Aussage zu treffen die vom Stück wegführt und genau hier liegt das Problem.
Jede Kultur hat das Recht sich mit den Werken seines nationalen Gedächtnisses auf sich selber bezogen auseinanderzusetzen, ohne das andere Kulturen gleich einen Rassismus darin erkennen, den sie beklagen. Ich erwarte auch nicht von einem traditionellen bulgarischen Frauenchor, dass er japanische Sängerinnen und balinesische Homosexuelle aufnimmt, um zu belegen, dass er nicht rassistisch und nationalistisch ist.
Sobald verschiedene Kulturen sichtbar auf der Bühne nebeneinander agieren, geht es auch immer darum, in was für einem Verhältnis sie zueinander stehen. Niemand kann und sollte das ausblenden wollen. Besetzen sie einen „Woyzeck“ mit einem türkischen Postmigranten und er tötete „Marie“, welche von einer „biodeutschen“ Schauspielerin gespielt würde, wäre dies ein Statement. Besetzten sie „Marie“ mit einer türkischen Migrantin, wäre dies ebenso ein Statement. Nichts und niemand kann uns von diesem Problem befreien. In Besetzungen werden Verhältnisse ausgedrückt.
Will man heutige Verhältnisse beschreiben, benötigt man heutige Stoffe, den Büchner schrieb in eine andere historische Situation hinein, in der es Migration in der heutigen Form noch nicht gab.
Ich hinterfragte schon einmal, warum so viele Darsteller am Gorki in den Achtzigern geboren wurden. Soziologen nennen dies eine Kohorte, die sich unter einem historischen Aspekt zusammenfindet. Der Aspekt hier ist das Postmigrantische, dass einem Zeitraum, weit hinter der deutschen Klassik zuzuschreiben ist.. Diese Kohorte am Gorki definiert sich aber ebenso auch im Lateinischen, als „umfriedeter Raum“, in dem sich alle einig sind. Oder auch römisch, als Untereinheit einer Legion, die alle inhaltlich im Gleichklang marschieren.
Betrachtet man allein das Frauenbild der Plakate, kann man eine Heroisierung der postmigrantischen Frau ablesen, die einmal als Variante der französischen Marianne frei nach Delacroix auftritt oder aber auch als Boxerin, wie eine weibliche Stallone Figur. Allein die einzige „biodeutsche“ Darstellerin sitzt da in einer Caravaggio Pose, ein wenig pummelig im Partykleid und von Kirschflecken bekleckert, schaut sie desorientiert, hedonistisch vor sich hin. Man könnte hierin einen latenten Rassismus entdecken. Klischees sind es alle Male. Auch hierin drückt sich aus, in was für einem Verhältnis „Postmigranten“ und „Bio-Deutsche“ zu einander an diesem Haus stehen sollen.
Dort werden eindeutige Botschaften nach außen gesandt, dass es sich hier um ein Zielgruppen orientiertes Projekt handelt, dass positiv von der selben Gruppe getragen wird, die es gern erreichen möchte.
Zu dem, es kann nicht die Rede davon sein, der Postmigrant dürfe nicht „Woyzeck“ spielen. Wer sollte ihm das denn verbieten? - Und so ist es auch in dieser Kritik zu Perceval. Der Schuldige ist leicht gefunden, der weiße, männliche Regisseur, er macht alle „Schwarzen“ zu Vergewaltigern, Dieben und Kriminellen. Nein. Die Darsteller tragen auch eine Eigenverantwortung.
Es werden hier in der Kritik lediglich von einer Kritikerin gängige postmoderne Klischees bemüht.
Der weiße Mann hat sie als „postkolonialer“ Alleinentscheider in diese Position gezwungen, deshalb muss er dringend von der heroischen Postmigrantin abgelöst werden, dies ist eine der unausgesprochene Botschaften, wenn man auf die gesamte Debatte schaut. Dabei ist Perceval ebenso Migrant wie Simons. Was man lieber unterschlägt. Er, der sich offen gegen Apartheid wendet, ist nicht in der Lage dazu dies zum Ausdruck zu bringen, weil er nicht der richtigen Kohorte angehört und die falschen Eigenschaften in sich trägt, eben weiß und männlich.
Was aber die Eigenschaften der „richtigen Kohorte“ seien sollen, sollte man dringend kritisch untersuchen.
das, was Sie so hier und da so schreiben (in diesem Falle unter 5.), erscheint mir bei oberflächlicher kritischer Betrachtung, so (...), es läßt mich physisch nicht ruhen.
Sind für Sie jetzt tatsächlich alle Menschen dieser Welt, die (bzw. deren Eltern oder Großeltern) nicht vor 1949 in Deutschland geboren wurden, "Migranten"?
Wie kommen Sie darauf, die Vergewaltiger in Indien als "Migranten" zu bezeichnen? Oder haben Sie Informationen über den Geburtsort der Vergewaltiger, über deren Staatsbürgerschaft und über deren Vorfahren, über deren Wanderverhalten, die sonst niemandem bekannt sind?
Wie kommen Sie darauf, daß die Protagonisten des Senders Radio-Télévision Libre des Mille Collines in Kigali "Migranten" waren? In erster Linie waren die (später extremistischen) Hutu eine soziale und keine ethnische Gruppe, die schon seit ewigen Zeiten auf dem Gebiet der heutigen Staaten Burundi und Ruanda lebten und leben. Und da sie seit Jahrhunderten vornehmlich Landwirte waren, sind sie, denke ich, eher wenig "gewandert".
Der einzige Mitarbeiter die Propagandasenders, der nicht in Ruanda geboren und aufgewachsen ist, war der italienisch-belgische Georges Henri Yvon Joseph Ruggiu. Vielleicht meinen Sie ja auch ihn, wenn sie 'mal eben so in die Welt werfen: " Migranten können Mörder und Verbrecher sein, ..."
Sicher, niemand könnte Sie, Herr Baucks, zwingen, etwas Sinnvolles zum Thema zu schreiben - nur bitte verlangen Sie dann nicht, daß man sie Ernst nimmt ...
(...) die Inuit, oder wie sagen Eskimos kennen eine solche Form des Militarismus, wie wir ihn im Woyzeck vorfinden nicht.
Mit Verlaub Herr Baucks, Sie scheinen grundsätzlich "Kultur" mit rassifizierter Identität gleichzusetzen. Es geht hier nicht um die Darstellung irgendwelcher "anderer Kulturen", wobei ja inzwischen auch Ihnen klar sein sollte, dass auch "Kultur" nichts Statisches oder klar Abgrenzbares ist. Schwarze Menschen und Menschen of Color (und diese Begriffe existieren gerade deutlich zu machen, dass dies nichts mit Kultur, sondern mit Rassifizierung zu tun hat) gibt es in Deutschland schon seit Jahrhunderten und sie haben das, was sie scheinbar als deutsche (weiße) Kultur wahrnehmen nachdrücklich mitgeprägt. Auch der Begriff "Postmigrant" versucht diese Idee von der "Reinheit" und Authentizität einer weißer, deutschen Identität aufzulösen. Scheinbar haben Sie das nicht verstanden. Vielleicht können sie es sich nicht vorstellen, dass es in Deutschland Deutsche gibt, die nicht weiß sind und sich kulturell von anderen weißen Deutschen überhaupt nicht unterscheiden. Und das schon ziemlich lange. Abgesehen von dieser Tatsache, gab es in Deutschland auch schon immer Subkulturen, die von der weißen christlichen Mehrheitskultur (falls es eine solche gibt) abweichen und dennoch Deutschland historisch und gegenwärtig zu dem machen, was es heute ist.
Es ist natürlich immer einfach, sich einzelne Stückbeispiele herauszupicken, in denen eine Umkehr von durch Schwarze oder Weiße besetzte Rollen keinen Sinn ergeben würde oder für das Publikum verwirrend wäre (auch wenn ich davon ausgehe, dass gute Regisseure auch das als Herausforderung, nicht als Problem annehmen würden). Darum geht es aber auch nicht, denn dies ändert nichts an der Tatsache, dass das Gros der im Deutschsprachigen Raum inszenierten Stücke Stücke sind, in denen die Haut- Haar- oder Augenfarbe der Darsteller_innen überhaupt keine Rolle spielen würde und die trotzdem immer nur mit weißen (nicht zwangsläufig deutschen, denn solange jemand weiß ist scheinen die "Kultur" und Nationalität ja plötlich keine Rolle mehr zu spielen) Schauspieler_innen besetzt.
Ein Stück, in dem, wie in "Schande" Schwarze Menschen nur als schweigendes Bühnenbild, als Sexworkers oder als Kriminielle vorkommen – und das in einem Kontext indem die Mehrheit der Menschen Schwarz ist – kann kaum als apartheidskritisch oder gar anti- oder nicht rassistisch gelesen werden. Dazu bräuchte man schon sehr viel Fantasie.
Es ist nur ein weiteres von vielen vorangegangenen Beispielen, die zeigen, welch eine Wüste die deutschsprachige Theaterlandschaft für Schwarze Schauspieler_innen ist...
haben Sie Schande gelesen? Wissen Sie worum es geht in dem Roman? Es geht, glaube ich, um die Perspektive eines nicht immer sympathischen Egozentrikers auf eine für ihn unverständliche Umwelt. Er wird sich seiner Verstrickung auch als Weißer im Apartheidsstaat nur bruchstückhaft bewußt und kommt mit der Inkommensurabilität von Gewalt nicht zurande. Auch weil ihm angemessene Wahrnehmungsfähigkeiten fehlen. Will man jetzt als Theater/Regisseur dem Stoff erst ein Mal nur adäquat auf die Bühne stellen und sich dem vorgegebenen Material in einem hohen Maß anvertrauen, dann kommt die Möglichkeit einer szenischen affirmative action wohl nicht in Betracht. Dann wird die Problematik der Hauptfigur u.U. im Bühnenbild vergrößert, so dass die Zuschauer mit der dezidiert weißen Hauptfigur eine Erfahrung machen können. Wie könnte man ein problematisches Verhältnis zu Menschen anderer Hautfarbe sinnfälliger erkennbar machen, als durch das Bild von "Staffagemenschen".
Ästehtische Zeichensysteme scheinen sehr schwer decodierbar zu sein, wenn man gesellschaftspolitische Eindeutigkeiten auf einer Bühne sucht.
das gebetsmühlenartige wiederholen der immer gleichen Vorwürfe, ohne näheren Beleg, gehört zu einer politischen Debatte. Und hier liegt der Kern des Problems. Es wird versucht ein politisches Konzept auf der künstlerischen Ebene 1 zu 1 umzusetzen. Und das führt zu erheblichen Kollisionen.
Da werden Behauptungen gehandelt, die so einfach nicht stimmen. Es ist eben nicht egal, ob ein Eskimo oder ein Sänger oder ein Postmigrant oder ein weißer, deutscher Schauspieler den Woyzeck spielt. Das habe ich zunächst in dem Kommentar „Kohorte“ hinreichend begründet. Auch sehe ich den Kulturbegriff nicht durchgehend „Rassifiziert“, wie sie meinen. Sondern ich begrüße Integration nur bei Beibehaltung der eigenen Kultur und ihren Eigenheiten. Eine vollständige Assimilation und die scheinbar komplette Gleichsetzung aller Unterschiede ist mir fremd. Jeder hat für mich das Recht seine kulturellen Eigenheiten beizubehalten, ohne dafür ausgegrenzt zu werden.
Dies gilt auch für „Deutsche“ und dieser Vorgang ist nicht rassistisch.
Ständig werden in dieser Debatte konstruierte Argumente bemüht. Eines davon ist, das so genannte „deutsche“ Schauspieler in Shakespeare Rollen oder bei Moliere oder Goldoni auch Dänen, Franzosen oder Italiener spielten. Aber ich kennen kaum ein deutsche Hamlet Inszenierung, in der jemand ernsthaft versuchte einen Dänen zu spielen. August Diehl bezieht sich nicht auf Dänemark, und auch Lars Eidinger spielt den Tartuffe nicht als Franzosen. Nicht einmal Nurkan Erpulat lässt in russischen Stücken Postmigranten Russen spielen. Er beugt den „Kirschgarten“ in seinem konzeptionellen Sinne und unterschlägt dabei, dass es sich bei dem Konflikt in dem Stück um russische Migranten handelt, die ebenso, wie er, der genaugenommen kein Postmigrant ist (in Ankara 1974 geboren, in Izmir studiert, erst mit 24 Jahren nach Berlin gezogen), hier in Berlin leben.
Warum besetzt Erpulat eigentlich keine russischen Migranten aus Berlin in einem russischen Stück von Cechov?! Er verfolgt genauso wenig ernsthaft ein multikulturelles Konzept, wie viele andere Stadttheaterregisseure auch. Er löst seine Versprechen nur gegen über seiner eigenen Community ein.
Perceval besetzt wenigstens „Farbige“ in „farbigen“ Rollen. Erpulat bezieht sich allein auf seine eigene Herkunft im „Kirschgarten“. - Und nicht einmal Shakespeare hat wirklich erwartet, dass, wenn eines seiner Stücke in Verona spielte, alle Schauspieler nun Italiener spielen würden, kann man annehmen. Es war eine Travestie, einerseits um sich vor politischen Angriffen zu schützen, anderseits, um den Stücken einen exotischen Reiz zu geben.
Es gäbe für die Idee des „postmigrantischen Theaters“ andere Konzepte. In Rumänien gab und gibt es an Theatern, an denen ich arbeitete, eine rumänische, eine deutsche und eine ungarische Abteilung, in denen in der eigenen Sprache gespielt wurde. Nur einige Postmigranten beherrschen die Sprache ihrer Eltern gar nicht mehr, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Sie kommt für sie als Spielsprache nicht in Frage. Bei bisher mehr als sieben Premieren gab es kein türkisches Stück, und schon gar nicht in türkischer Sprache am Gorki. Warum nicht?! Diese Frage sollte man mal beantworten, bevor man unreflektiert Konzepte aus Berlin nach München und anderswo zwangsverordnet.
türkische Ensembles gab es alles schon z.b. an der Schaubühne in Berlin. Sie waren im Schatten des grossen Hauses, stark unterfinanziert und nicht mehr als eine Randerscheinung. Warum sollten Menschen deren Eltern eine Migrationserfahrung erlebt haben denn hier in Deutschland zwingend z.B. türkisches Theater verlangen? Sie wollen doch die Kultur auch in deutscher Sprache erleben genauso wie sie deutsch in ihrem alltag erleben. Zu fragen warum gibt es keine türkischen Stücke zeugt doch wieder von....naja. Jedenfalls sind Stücke und Theatern in anderen Sprachen wie auch in ihrem Beispiel in Rumänien bestenfalls eine Ausrede damit sich die deutsche Institution nicht aufbrechen muss.
es reicht jetzt mal. Weder bin ich Rassist, noch "deutschtümmele" ich, wie an anderer Stelle behauptet wurde. Wer sagt ihnen, dass ich "die" Kultur in "deutsch" erleben möchte. Vielleicht gehe ich ja viel lieber im Ausland ins Theater. Dieses ständige verdächtig machen, durch "naja´s" ist erbärmlich. Und Erpulat sollte in Berlin russische Stücke mit russischen Migranten besetzen, weil es hier einen multikulturellen Effekt hätte. Das heißt nicht, dass man grundsätzlich Stücke weltweit nach der Herkunft ihrer Autoren besetzen sollte. Wer hat das behauptet?
Nüchterne Sachlichkeit würde ihnen gut stehen Frau Kleinze.
Das scheint hier nicht der richtige Thread zu sein, aber ich bitte die Redaktion - ebenso wir bei oben genannten Adressaten-, mir einen kleinen Ausflug zu gestatten, der sich nicht auf das hier besprochene Stück bezieht.
Ich weiss nicht, warum Sie jede kleine Gelegenheit, die sich Ihnen bietet, scheinbar zwanghaft dazu benützen müssen, das deutsch-nationale Kulturgedächtnis vor der Bedrohung durch postmigrantische Theaterschaffende zu beschützen. Angeführt vom dunkel düsteren Gorki-Theater mit Oberhexe Shermin Langhoff an der Front.
Spass beiseite, statt sich das Ensemble genauer anzuschauen und festzustellen, dass von 17 SchauspielerInnen 8 nicht in den achtziger Jahren geboren worden sind, verzapfen Sie hier Ihren Kohorten-Unsinn. Und was ist mit all den SchauspielerInnen, die Sie nicht postmigrantisch bezeichnen würden respektive biodeutsch? Sind Beykirch, Wonka, Wodianka, Reinecke, Brandes, Brusis, Wollin, Porath etc. bloss schmückendes Beiwerk?
Sie schreiben haarsträubende Thesen hierhin und lassen keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass sie die kulturelle Integration von nicht deutschstämmigen Menschen nur unter der Auflage akzeptieren, wenn sie sich vom deutschen Kanon fernhielten und sich um "ihre" Themen kümmerten.
(...)
Schauen sie sich die Uniformität der Schauspielerphotos an, dann verstehen sie vielleicht was ich mit "Kohorte" meine, ein Begriff den ich zunächst soziologisch anwende, und der, wie sie selber bemerken auf eine Mehrheit der Darsteller exakt zu trifft, und, den das Haus, innerhalb der Imagekampagne auch versucht auf die Gesamtheit des Ensembles zu übertragen.
Kritik ist nicht dämonisch, wie sie es darzustellen versuchen. Den Begriff des "deutsch nationalen Kulturgedächtnis" habe ich so nie benutzt. Wohl aber hat eine jede Nation Kunstwerke, die zum nationalen Gedächtnis gehören und daran ist nichts verwerfliches.
Hören sie auf mit ihren handgestrickten (...) Bildern zu agieren und steigen sie ernsthaft, fern jeder Fanatik in die Debatte ein.
Der Stil des Gorki Theaters ist eben ein Stil, nicht mehr, nicht weniger. Auch daraus dem Theater einen Strick zu drehen zeugt doch vielmehr von einer Paranoia. Ihre Beschreibung des Kirschgartenplakats schlägt dem Fass den Boden aus. Man könnte latenten Rassismus ( gegenüber Deutschen) vermuten, weil die einzig biodeutsche Schauspielerin - im Übrigen stimmt die Aussage nicht- desorientiert ins Leere guckt, statt wie andere Mitgliederinnen des Ensembles auf völlig anderen Postern als Boxerin oder Hasenjägerin dargestellt wird. Absurd und grotesk und letztlich eben paranoid ist das. Vielleicht ist es einen Gedanken wert, dass hier vor allem die Frauen hervorgehoben werden, nicht bloss Migranten. Es gibt genau ein einziges Theater im deutschsprachigen Raum, dass relativ offensiv den Gedanken von Heimat, Herkunft, Diversität etc aufgreift und dies vor allem auch im Ensemble widerspiegelt und sie haben nichts besseres zu tun, als vom ersten Moment an draufzuschlagen und nach Argumenten gegen ein solch überfälliges Modell zu fahnden. Das ist leider im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich einfältig.
Dabei schrieb ich lediglich: " Man könnte hierin einen latenten Rassismus entdecken."
Bin ich "man"? Dieser Satz war genau auf solche Leute wie sie zugeschnitten, Marc, von denen ich weiß, wie sie ticken. Diese Menschen, die auf der Suche sind nach Verdachtsmomenten.
Man könnte, ich tue das nicht. Für mich fällt das alles in die Gnade des "Als ob". Es ist o.K., weil es Theater ist, ebenso in Ordung, wie die puppenhafte Darstellung von "Farbigen" in der Perceval Inszenierung, deren Sinn "herrmann" hier so schlüssig beschrieben hat.
Nochmals vielen Dank, dass sie meine Provokation angenommen haben, spiegelt sie doch lediglich ihr Verhalten bei der Spurensuche nach Verdächtigen.
Ein frohes Fest und einen guten Rutsch.
Ihr
martin baucks
Um es auf den Punkt der Punkte zu bringen: mir ist es scheissegal, wer was ist, woher er kommt,wenn sie/er auf der Bühne was sind und mir klar ist, woher sie/er kommen.
Weihnachtliche Grüße!
Jedoch ist es eben möglich beides zu tun, man kann durchaus ein sehr ausdiffernziertes Welt- und Menschenbild in sich tragen, voller Diversitäten und trotzdem dem Begriff "Nation" nicht feindlich gegenüberstehen.
"Scheissegal" ist mir erst einmal gar nichts, und ich finde eine solche Wortwahl offenbahrend, eben eine Selbstauskunft, die auf heftige Weise klar stellen will, dass sie auf wiedersprechende Argumente nicht eingehen muss, weil sie die richtige Wahrheit besitzt, und diese Wahrheit wird dann als sakrosant verhandelt, deshalb reagieren sie so gereizt auf Kritik. Und das ist schon etwas arm. Auf Besetzungsproblematiken wollen sie nicht eingehen, weil sie ja dieses Komplett-Egal-Gefühl haben. Diese Formel für alles ist aber leider zu simpel, um die Diversität abzubilden, von der sie wünschen, dass sie sichtbar wird. Da fehlen zu viele Faktoren in ihrer "Weltformel", die relevant sind, und die versucht habe zu bennnen, und die sie nicht würdigen wollen, weil sie ihren schlichten Zugriff stören. Schade.
Das war jetzt mein letzter Post zum Thema. Sie haben äußerst klar Ihre seltsame Postion untermauert, da dreht sich das jetzt alles im Kreis.
"Schande" ist ein schönes Stück Literatur, aber nunmehr auch ein unterirdisches Regie-Black-Facing-Theater Gewürge.
vielleicht wäre aber genau das immerhin ein erster Schritt in Richtung Diversität!