Presseschau vom 31. Mai 2011 – Der Freitag sucht nach den Tränen im Theater

Glotzt nicht so unromantisch!

Glotzt nicht so unromantisch!

31. Mai 2011. Früher war alles besser? So ganz will das Ekkehart Krippendorff nicht unterschreiben, aber am heutigen Theater vermisst er doch vehement eines: Tränen. In dem Essay "Abgeschaltete Gefühle" in der Wochenzeitung Freitag von morgen schreibt er: "Das deutsche Theater hat sich in den vergangenen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten (das gehört auch in die Behauptung der nicht genauen Feststellbarkeit) systematisch die Emotionen ausgetrieben und damit eine entsprechende Publikumserwartung und -haltung."

Anders in der Oper: Da sorgt schon die Musik im Zweifelsfall für Erschütterung und Rührung. Aber im Sprechtheater? Wo ist Aristoles' sittlich wohltuende Reinigung und Erleichterung hin? "Die letzte Zeit, in der das (deutsche) Theater noch mit Engagement und Leidenschaft betrieben und so von seinen 'Konsumenten' rezipiert wurde, in der es knisterte in den Zuschauerräumen, in der für die oben auf der Bühne und die unten im Parkett etwas auf dem Spiele stand und man nicht nur den Schauspielern und Regisseuren applaudierte, sondern auch alten Stücken, die etwas über uns selbst zu sagen versuchten und wir uns dessen ahnungsvoll bewusst waren, war die Zeit der Wende: Im Osten vielleicht mehr als im Westen, aber doch in der deutschen Stadt- und Staatstheaterlandschaft insgesamt."

Gefährlich, dass diese Relevanz-Zeiten nun vorbei seien, gerade in Zeiten seiner zunehmend versuchten Abwicklung. Krippendorff will kein "Theater der Tränen, der Sentimentalität und der Rührseligkeit" wiederhaben. Er will daran erinnern, dass "auch und nicht zuletzt die Erkenntnis, die 'Aufklärung' im weitesten auch politischen Sinne, die geistig-ethische Bildung, die Schärfung der moralischen Urteilskraft und die Sensibilisierung für Unrecht und Ungerechtigkeit in dieser Welt sich zum geringsten Teil über verbale Argumente vollziehen, sondern mit größerer Effektivität und Tiefenwirkung auf dem Felde der Ästhetik, welches eben auch die Sprache der Dichtung, der Literatur und damit auch des Dramas, also des Theaters ist."

Sein Plädoyer will Krippendorff allerdings nicht als konservative Romantik verstanden wissen: "Das Theater ist viel zu wichtig, um einerseits dem Markt, also der populär-billigen 'Nachfrage', oder andererseits der subventionierten leidenschaftslosen Routine überlassen zu werden. Immerhin sind die aktuellen Verteidigungsanstrengungen der deutschen Stadttheater-Kultur durch Bürgerinitiativen ein ermutigendes Zeichen, dass noch Glut unter der Asche glimmt."

(geka)

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