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Grünflächenamt Berlin entzieht Aktionskünstlern Tigerkäfig-Genehmigung
Zu provokant für eine Informationsveranstaltung
21. Juni 2016. Das Bezirksamt von Berlin-Mitte hat dem Zentrum für Politische Schönheit die Sondernutzungserlaubnis für den Vorplatz des Maxim Gorki Theaters entzogen und die Aktionskünstler dazu aufgefordert, den im Rahmen ihrer (mit dem Gorki Theater koproduzierten) Aktion "Flüchtlinge fressen" dort befindlichen Tigerkäfig abzubauen. Das meldet u.a. der rbb und zitiert den Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes Harald Büttner mit den Worten, die Gruppe habe ihre Aktion unter falschen gesetzlichen Rahmenbedingungen angemeldet.
"Bei uns beantragt wurde eine Informationsveranstaltung 'Geschichte des Grundgesetzes seit dem römischen Reich bis heute' – die wurde genehmigt", so Büttner zum rbb. Doch nach seiner Einschätzung handele es sich "mitnichten" um eine solche Informationsveranstaltung, sondern um eine "bewusste politische Provokation". Das Berliner Straßengesetz sehe politische Agitation im öffentlichen Raum nicht vor, die Veranstaltung hätte beim Polizeipräsidenten angemeldet werden müssen als Demonstration oder Versammlung.
In Reaktion auf die Meldung twittert das Zentrum für politische Schönheit:
Unsere Reaktion auf den Genehmigungsentzug: Amtsleiter hat sehr krudes Verständnis von Informationen. Informationen können provozieren!
— political beauty (@politicalbeauty) 21. Juni 2016
Am Nachmittag kündigten die Aktionskünstler – ebenfalls per Twitter – an, der Aufforderung des Grünflächenamts nicht folgen zu wollen: "Wir werden FLÜCHTLINGE FRESSEN nicht abbauen. Arena wird nicht fallen!" Eine Pressemitteilung des Gorki Theaters stellt klar, dass noch keine Verfügung des Straßen- und Grünflächenamts beim Maxim Gorki Theater eingetroffen sei– "und anders als für Medienvertreter ist der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts für das Maxim Gorki Theater nicht erreichbar". Das Maxim Gorki Theater werde mit den gebotenen rechtlichen Mitteln gegen eine mögliche Verfügung vorgehen. Einstweilen bleibe die Arena mit den Tigern stehen.
22. Juni 2016. Update: Am Mittwoch teilte das Maxim Gorki Theater mit, dass just der Bescheid vom Straßen- und Grünflächenamt zugestellt wurde, in dem das Amt die Sondernutzungsgenehmigung für die Arena vor dem Gorki widerruft und den sofortigen Vollzug des Abbaus anordnet. "Das Gorki legt gegen diesen Bescheid Widerspruch ein", heißt es in der Pressemitteilung. "Die täglichen Veranstaltungen vor der Arena finden deshalb wie angekündigt statt."
Das Maxim Gorki Theater will an mehreren Stellen gegen den Bescheid vorgehen. Man werde beim Straßen- und Grünflächenamt gegen die Begründung der Anordnung Widerspruch einlegen, da es sich – wie angemeldet – um ein Theaterprojekt handele und der neue Titel Flüchtlinge Fressen vom Zentrum für Politische Schönheit in den Bereich der Kunstfreiheit falle. "Auch eine politisch provozierende Theaterinszenierung ist Kunst und durch unser Grundgesetz geschützt." Das Maxim Gorki Theater halte deswegen die Anordnung des sofortigen Vollzugs für ungerechtfertigt und werde gleichzeitig beim Verwaltungsgericht gegen diesen Passus Klage einreichen.
(rbb / @politicalbeauty / Twitter / Maxim Gorki Theater / sd / sik)
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Das ist doch auf jeden Fall vielversprechender als die ursprünglich geplante Aufführung mit dem Fressen. Bei der hatte man doch schon im Vorfeld so ein Gefühl, dass da irgendwer indisponiert sein würde, der Tiger oder der Flüchtling, und die Vorstellung deshalb ausfallen würde und die Karten zwar für den Liederabend, der als Ersatz gespielt wird, ihre Gültigkeit behalten hätten, aber für einen Liederabend hätte man sich doch niemals Karten in der ersten Reihe geleistetund wäre insofern angeschmiert gewesen.
Mich irritieren zwei Aspekte an der Debatte:
1. Viele der entschiedenen Kritiker*innen sind nicht bereit, die Darbietung als Inszenierung zu lesen. Dabei brauchten sie diese damit noch nicht als "echtes/ernstes/richtiges" Theater anerkennen, schon lange nicht als gutes, hätte aber die Möglichkeit, klarer zwischen fiktionalem und nonfiktionalem Sprechen zu unterscheiden - und bräuchten keinen Ritualmord wittern (vermutet auf Bühnen sonst auch selten jemand und man darf das Stück trotzdem widerwärtig finden, auspfeifen und gehen).
2. Der blaue Vogel zwitscherte es zwar, trotzdem ist mir kein Artikel untergekommen, der zum realpolitischen parlamentarischen Hintergrund recherchiert: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/087/1808701.pdf Könnte man nicht da weiter fragen und eine etwas tigerfernere Nachricht und vielleicht etwas Verständnis gewinnen zur Interpretation?
Und mit Steuergeldern wird auch noch viel schlimmerer Mist finanziert, lieber Stefan. Rüstungsgeschäfte, zum Beispiel, muss ich eigentlich nicht extra erwähnen, oder? Weiss jedes Kind, was für Summen dafür ausgegeben werden.
Wie aber kommt "genius loci" jetzt auf den Begriff des "Ritualmords"? Was ist das überhaupt? Ein religiöses Menschenopfer? Oh je, die Fundi-Christen und/oder Satanisten mal wieder. Wem helfen denn bitte Menschenopfer. Die helfen noch nicht mal den Tieren, ihr Hardcoreveganer. Na, danke. Nur noch traurig.
Und genau, über die Tiger regt euch mal nicht auf, die leben im Zoo nämlich tatsächlich auch nicht anders als im Käfig vorm Gorki. Lasst sie doch lieber gleich da, wo ihr sogenannter "natürlicher Lebensraum" ist. Und dieser "natürliche Lebensraum", der gilt eben nur für Tiere. Menschen können überall auf der ganzen Welt leben.
Man müsste also dankbar sein, wenn diese Aktion abgebaut würde, so oder so. Wenn man es als Inszenierung liest, dann eben als eine sehr schlechte, denn es gibt keine römischen Gladiatorenspiele mit Flüchtlingen. Das ist eine naive Vergröberung der Wirklichkeit, geradezu kindlich. Die Aktion ist nicht auf der Höhe des Diskurses.
Wenn dies das Ergebnis langer Vorbereitung ist, dann ist der Geist des Hauses von Hoffnungslosigkeit umflort. Das Thema braucht nicht noch mehr Aufmerksamkeit. Es braucht eine qualitativ hochstehende Aufmerksamkeit, die das Gorki offensichtlich nicht leisten kann. Ich schäme mich für die Schauspieler, die ich ansonsten sehr schätze. Sie sollten die Ersten sein, die dem Schabernack ein Ende setzen. Man spürt doch das man in einer perversen Zirkusnummer verbraten wird.
Sollte es also zum Äußersten kommen, dann würde sich - und damit sind wir wieder bei dem Politikum - auch der Berliner Senat der Beihilfe zum planmäßig vorbereiteten Ritualmord schuldig machen. Nicht einmal mit dem Hinweis auf die Respektierung der künstlerischen Freiheit könnte er sich noch aus der Affäre ziehen. Denn Mord ist etwas anderes als Satire. Teil einer künstlerischen Aktion konnte er allenfalls in den Augen eines Nero und Seinesgleichen sein."
http://www.achgut.com/artikel/das_grosse_fressen_berlin_auf_dem_weg_in_die_spaetroemische_dekadenz
Und er scheint mir nicht der einzige zu sein, der ungebrochen von Mord spricht. Das kenne ich sonst nicht, wenn in einer theatralen Inszenierung eine Schauspielerin mit ihrem Tod droht.
andersherum, die Schaulust, die dort vom Gorki produziert wird, ist eine bloße Unterstellung. Ich kenne die Zuschauergruppe am Theater nicht, die solche Fütterung bräuchte. Es ist eine reine Projektion der Macher auf ihr Publikum. Die Ursache für diese Projektion liegt alleine in den Veranstaltern. Sie sind auf der Suche nach einem fiktiven Publikum, dass sie, wenn überhaupt, nur bei den Rechten finden sollten.
"Schade – Scheiße, kann schon mal passier'n,
dass man sein Herz an den Falschen verliert.
Schade – Scheiße, und vielleicht fatal...
Schade – Scheiße, aber normal."
(Funny van Dannen)
Na, und was mache ich mit diesen Fotos von den einzelnen Flüchtlingen bzw. Flüchtlingsfamilien, auf denen immer auch eine Deutschlandfahne und Gauck drauf zu sehen ist? Da spiegele ich mich als Betrachter also erstmal im Deutschen und dann noch deutschen Staatspräsidenten. Parlament ist voll egal. Und dann soll ich auch noch spenden. Ich, als gute Deutsche. Nee. Oder, ja, wer wird da eigentlich angesprochen? Geht's da jetzt hauptsächlich um den solventen Deutschen, der Geld spendet und meint, damit schon genug getan zu haben? Sollte man nicht eher danach fragen, ob es für die Menschen in/aus Syrien hilfreicher wäre, wenn dort gar kein Krieg geführt würde, sie also in ihrer Heimat bleiben könnten? Das wäre ja noch lange nicht pro AfD, die immer wieder von Warmherzigkeit schwafelt und im selben Moment dann aber selbst auch nur Selbstverteidigung bzw. das sich zur Wehr setzen fordert (wo kann man diesen Quatsch eigentlich nachlesen?). Sowas destabilisiert Regionen natürlich noch mehr, politisch gewollt und mit voller Absicht.
Ausserdem wirkt die Aktion so, als warteten alle darauf, dass endlich mal was passiert. Alle warten auf die Schockwirkung, die dann eintreten soll, wenn ein Tiger einen Flüchtling frisst. Wachen dann alle auf oder schlafen sie nicht im nächsten Moment doch wieder ein?
Und was heisst eigentlich "Familienzusammenführung"? Ist das nicht ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert? Was ist mit der lesbischen Syrerin mit akademischer Ausbildung, die (noch) keine Familie gegründet hat, das aber vielleicht in Berlin gern tun würde, wenn sie denn mit dem Flugzeug ausreisen könnte? Was ist mit dem ledigen Bauarbeiter? Ist einer von beiden (für Deutschland) mehr Wert? Wer darf also kommen? Ich möchte das nicht entscheiden, denn ich bin nicht Deutschland. Aber könnte ich eigentlich per Volksentscheid eine Gesetzesänderung bewirken? Oder würde das genau so nach hinten losgehen wie diese Aktion, siehe auch die Volksentscheide in der Schweiz.
Und gerade?
Schaue ich mir den Humanistischen Holzhammer an und spüre, wie kurz meine Augen zum Himmel empor schauen, während meine Schultern zucken.
Hoffentlich kommen wieder andere Zeiten....