Große Worte, billige Tricks

20. März 2022. Das Schicksal des Hellsehers Hanussen, der mit den Nationalsozialisten paktierte und sich tödlich verrechnete, ist mehrfach verfilmt worden. Dass es auch ein Theaterstück von Stefan Heym darüber gibt, kam erst kürzlich ans Licht: eine Uraufführung mit 81-jähriger Verspätung. 

Von Verena Großkreutz

"Der große Hanussen" in der Regie von Klaus Hemmerle an der Württembergischen Landesbühne Esslingen © Patrick Pfeiffer

20. März 2022. Er gilt als ein grandioser Bluffer, Blender, great Pretender: Erik Jan Hanussen alias Hermann Chajm Steinschneider, in den 1920er-Jahren internationaler Star des Berliner Varietés. Sein Arbeitsschwerpunkt: spiritistische Séancen und Hellsehereien. Er besaß sogar eigene Zeitungen. In denen bejubelte er den Aufstieg der Nazis. Mit seinen Voraussagen politischer Ereignisse war er stets Stadtgespräch – Orakeleien, die er seinen guten Verbindungen zur SA verdankte: Er verlieh Geld und erfuhr im Gegenzug Interna aus den Kreisen der NSDAP. Trotz seiner jüdischen Herkunft fühlte sich Hanussen sicher. Eine tödliche Fehleinschätzung. Am 24. März 1933 wurde er von einem SA-Kommando festgenommen und erschossen.

Zufallsfund aus der Schublade

Das Schicksal dieses tragisch verblendeten Blenders wurde mehrfach verfilmt, unter anderem 1988 von István Szabó in "Hanussen" mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle. Dass auch ein Theaterstück über Hanussen existiert – verfasst ausgerechnet vom großen Romancier Stefan Heym –, kam erst vor kurzem durch Zufall ans Licht. Der Germanist Christoph Grube entdeckte es im Stefan-Heym-Archiv der Cambridger Universität und legte es seinem Bruder Marcus Grube – Co-Intendant Friedrich Schirmers an der Württembergischen Landesbühne Esslingen – ans Herz. Dort wurde es jetzt mit 81-jähriger Verspätung uraufgeführt. Denn Heym hat sein einziges Theaterstück "The Great Hanussen" 1941 im Exil in New York geschrieben. Es verschwand danach in der Schublade.

Hanussen 1Warten auf die hypnotische Wirkung: Das Esslinger Ensemble lauscht dem vermeintlichen Hellseher Hanussen im Bühnenbild von Frank Chamier © Patrick Pfeiffer

In Klaus Hemmerles Inszenierung ist vom Glamour und der hypnotischen Wirkung des Star-Wahrsagers nichts zu spüren. Stattdessen die große Einsamkeit: Marcus Michalski, ein charismatischer Mann mit weicher Stimme, spielt Hanussen als einen leicht melancholischen, eher introvertierten, auf jeden Fall aber nur bedingt mit magischen Wirkungen spielenden Charakter. Eitel, ja, das ist sein Hanussen. Schaut ständig in den Spiegel und dreht auf dem Absatz schnelle, leichte Pirouetten. Ein "Verführer", als der er im Programmheft mit Hitler parallelisiert wird, agiert anders. Die "bedingungslose Liebe", die er von seiner Geliebten, der selbstbewussten, couragierten Schauspielerin Franziska Merten (Nathalie Imboden), einfordert, bekommt er ohnehin nicht. Weil sie sein Blendertum durchschaut: "Du findest immer die größten Worte für die billigsten Tricks." "Freunde" nennt er naiv jene, die ihn am Ende verraten werden – etwa den SA-Führer Wolf-Heinrich Graf von Helldorf, seinen wichtigsten Schuldner und Informanten. Und durch die Szenen schleicht immer wieder ein Journalist als Chronist der Zustände. Heyms alter Ego?

Bühnenbild mit Irritationen

Vom Größenwahn, der den echten Hanussen angetrieben haben mag, liegt in Esslingen nichts in der Luft. Hängt aber auch mit dem Text zusammen, der sich aus eher banalen Dialogen zusammensetzt. Das Geschehen plätschert so vor sich hin, ohne eine erkennbare Spannungskurve zu entwickeln. Und vielleicht will man ja auch gar nicht so unbedingt authentisch wirken. Das karge Bühnenbild von Frank Chamier zumindest arbeitet mit Irritationen. Hier stimmt etwas nicht: alle Möbel in leichter Schräglage, auch der Schreibtisch, den der jüdische Zeitungschefredakteur räumen muss für den Gestapo-Chef. Sehr wirkungsvoll sind die Soundcollagen aus heutiger und damaliger Musik, die die schnellen Szenenwechsel überbrücken: Vorbildlich eingesetzte Bühnenmusik.

DER GROSSE HANUSSEN (UA)Stefan Heym In der Übersetzung von Stephan WetzelRegie: Klaus Hemmerle | BÜHNE und KOSTÜME: Frank ChamierPREMIERE am 19.03.2022 an der Württembergischen Landesbühne EsslingenReservierte Scharfsicht statt blinder Liebe: Hanussen (Marcus Michalski) mit seiner Angebeteten (Nathalie Imboden), die das Blendertum durchschaut © Patrick Pfeiffer

Im Zentrum des Stücks steht ein Mythos: Hanussen soll in einer privaten Séance den am nächsten Tag dann tatsächlich stattfindenden Reichstagsbrand vorhergesagt haben. Ob da was dran ist oder nicht – es wurde so kolportiert. Was dann wiederum jenen als Beweis diente, die davon überzeugt waren, dass der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 von den Nazis selbst inszeniert worden war – weil Hanussen ja immer nur weissagen konnte, was ihm vorher von der SA ins Ohr geflüstert worden war. Ist längst überholt, diese Meinung. Der Reichstagsbrand soll ja tatsächlich die Tat eines Einzelnen, Marinus van der Lubbe, gewesen sein, und diese Brandstiftung wurde dann von den Nazis zielgerichtet zur hemmungslos gewalttätigen Verfolgung von Regimegegnern, vor allem Kommunisten, genutzt.

Interessantes Zeitdokument

Als Zeitdokument von 1941 ist Heyms Hanussen-Stück hochinteressant. Ein junger Exilant, selbst Jude, der die furchtbaren Entwicklungen in seinem Heimatland aus der Ferne beobachten muss, nicht einschreiten kann, wünscht sich, dass jemand die Wahrheit über die Ereignisse in diesem Land schreibt und Stellung bezieht. Und er tut es selbst. Freilich in einer Fremdsprache. Die Ermordung Hanussens war politisch bedingt, glaubt er. "Der große Hanussen": Das ist Material, das man mit anderem kreuzen sollte – etwa mit Heyms eigener Geschichte. Das könnte ein richtig guter Theaterabend werden!

 

Der große Hanussen
von Stefan Heym
In der Übersetzung von Stephan Wetzel
Regie: Klaus Hemmerle, Bühne & Kostüme: Frank Chamier, Dramaturgie: Guido Huller, Musik: Felix Jeiter.
Mit: Daniel Großkämper, Achim Hall, Gesine Hannemann, Nathalie Imboden, Benjamin Janssen, Felix Jeiter, Markus Michalik, Marcus Michalski, Thomas Müller-Brandes, Martin Theuer.
Premiere am 19. März 2022
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.wlb-esslingen.de

 

Kritikenrundschau

"Manches in der Übersetzung Stephan Wetzels klingt schroff, hölzern. Kantig gezeichnete Figuren haben das Ensemble gefordert. Hemmerles Regie wird dem Stoff auch deshalb gerecht, weil er die Schauspieler individuelle Zugänge finden lässt", schreibt Elisabeth Maier in der Esslinger Zeitung (22.3.2022). Er versuche erst gar nicht, die dramaturgischen Schwächen von Heyms Text zu vertuschen. Vieles wirke konstruiert, montiert, zu ausschweifend. "Dennoch gelingt dem Ensemble das großartige Porträt einer Epoche, der die Menschlichkeit abhanden gekommen ist."

 

Kommentare  
Hanussen, Esslingen: Kritik unangemessen
Ich habe die Uraufführung des Stoffes gestern auch erlebt, komme aber zu einem ganz anderen Ergebnis als die Kritikerin. Ein toller Stoff, präzise gespielt und hochaktuell. Den Kommentar “Das könnte ein richtig guter Theaterabend werden!” finde ich daher völlig unangemessen, denn es war ein richtig guter Theaterabend! Die Kritik von Frau Grosskreuz ist mir persönlich da einfach zu besserwisserisch. Bravo WLB!
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