Eine Frau im Gefängnis ihrer Bilder

3. Dezember 2023. Anna Bergmann inszeniert Joyce Carol Oates' Roman über Marilyn Monroe. Man würde einen feministischen Blick auf den Mythos Marilyn erwarten – und bekommt das Gegenteil. 

Von Eva Marburg

"Miss Golden Dreams" © Thorsten Wulff

3. Dezember 2023. Beginnen wir doch mit einer Gegenfrage: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an "Marilyn Monroe" denken? Vielleicht wissen Sie, dass sie in einem Waisenhaus aufgewachsen ist, obwohl sie keine Waise war, später in verschiedenen Pflegefamilien, wo sie auch sexuell mißbraucht wurde. Sie war einmal mit einem Baseballspieler verheiratet, Joe di Maggio, der aus Eifersucht auch zu Hause gerne drauf losprügelte. Danach folgte die Ehe mit dem berühmten Autor Arthur Miller. Vielleicht wissen Sie auch etwas von Marilyns Kinderwunsch, mindestens einer Zwangsabtreibung und mehreren Fehlgeburten. Dann ihre Affären, zuletzt mit dem damaligen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und seinem Bruder Bobby Kennedy. Ihr lange Zeit unaufgeklärter mysteriöser Tod: Suizid, Unfall mit Tabletten und Alkohol oder doch Auftragsmord?

Ein Mythos mit endlosen Fortschreibungen

Vielleicht kommen Ihnen aber auch gar keine privaten Details in den Sinn, sondern eher ihre Filme und die Bilder, die sie hervorgebracht haben: "Blondinen bevorzugt", "Das verflixte siebente Jahr", "Wie angelt man sich einen Millionär" und natürlich der Kultfilm "Manche mögen‘s heiß", ihr größter Erfolg. Vielleicht haben Sie auch mal das Foto gesehen, auf dem Marilyn "Ulysses" von James Joyce liest und das mittlerweile in vielen Buchläden als Postkarte zu haben ist. 

Marilyn Monroes Leben anhand dieser Schlaglichter erzählt, ist zum Mythos geworden, zu einer Geschichte, die jeder irgendwie kennt oder zu kennen glaubt. Die Fortschreibungen sind endlos und kennen manchmal in ihrer gewaltvollen Aneignung keine Grenzen, zuletzt in dem unerträglichen und abstoßenden Film "Blond" auf Netflix, der ebenfalls auf dem Roman von Joyce Carol Oates beruht. Hier hat es sich ein männlicher Regisseur nicht nehmen lassen, eine Kameraeinstellung wirklich und wahrhaftig in die Vagina von Marilyn hinein zu platzieren: damit hat die voyeuristische Ausschlachtung ihres Lebens und die regelrecht nekrophile Obsession mit ihrem Körper ihren vorläufig misogynsten Höhepunkt erreicht. 

Marilyn, einmal mehr auf der Flucht © Thorsten Wulff

Warum das alles? Nun, weil man einer Theaterinszenierung, die den Titel "Miss Golden Dreams. Eine Geschichte über Marilyn Monroe" trägt, erstmal unterstellen würde, dass sie sich diesen schon zu oft wiederholten Klischees, den Stereotypen und Oberflächlichkeiten entgegenstellt. Dass sie den Versuch unternimmt, hier mehr zu entdecken als das, was ein zur Popkultur erstarrtes Leben an losen Assoziationen eben so aufwirft. Auf rätselhafte und unerklärliche Weise jedoch geschieht genau das in der Inszenierung von Anna Bergmann nicht.

Ein Leben, freigegeben zum Missbrauch

Das komplett schwarze Bühnenbild gleicht einem überdimensionierten Mausoleum. Schwarze große Quader rahmen die breite Showtreppe ein, auf der die fünf verschiedenen Marilyns hinauf- und hinabstöckeln. Projiziert an die Wände der restlichen schwarzen Würfellandschaft werden historische Filmaufnahmen, Filmplakate oder Nahaufnahmen der Marilyns, die häufig von einem Kameramann auf der Bühne gefilmt werden, bedrängt in ihren Momenten der Verzweiflung. Ein Soundteppich aus klimperndem Klavier, unheilvollen Engelsstimmen und Originaltönen von Marilyn – "When I see a man, I say, there’s a daddy" – untermalt diesen Abend, der das Leben seiner Protagonistin anscheinend als das Medienspektakel zeigen möchte, das es ja auch war. Doch damit entsteht ein ethisches Problem: Ein Spektakel dient der Unterhaltung, und so muss hier einmal mehr das Schicksal von Marilyn Monroe für ein stereotypes Entertainmentformat herhalten. Ihr Leben, zum Missbrauch für immer freigegeben. 

Die fünf Darstellerinnen spielen die verschiedenen Marilyns in ihren unterschiedlichen Lebensabschnitten – und die sind, man mag es kaum glauben, natürlich durch die jeweiligen Männer definiert. Offenbar gibt es für das Leben einer Frau keine anderen biografischen Kategorien. Das ist auch der Vorlage geschuldet, dem Roman "Blond" von Joyce Carol Oates, auf dessen frauenfeindliche Erzählstruktur vonseiten feministischer Literaturkritik im Übrigen auch schon hingewiesen wurde. Doch es hält einen doch niemand davon ab, das dramaturgisch kritisch zu reflektieren. 

Es gibt also eine Marilyn mit ihrem schmierigen, Whiskey trinkenden Entdecker; eine mit dem prügelnden Joe di Maggio; eine mit dem Schauspiellehrer Lee Strasberg im Fettanzug samt dran baumelndem Penis; eine mit dem Schriftstellerehemann Arthur Miller an der Schreibmaschine und eine mit John F. Kennedy am Telefon. Die Männerrollen übernehmen im rein weiblichen Cast ebenfalls die Schauspielerinnen und überzeichnen sie teilweise bis zur Persiflage. Doch die Marilyns versuchen, obwohl das natürlich niemals geht, das Original zu kopieren (oder genauer gesagt, das medial kreierte Bild eines vermeintlichen Originals) und sprechen und agieren so, wie es dieses Bild nun mal vorgibt: trinkend, Tabletten schluckend, unsicher, zittrig, mit hoher Stimme, verzweifelt – an einer Stelle heißt es: "zu Tode verängstigt". 

Schrecklicher Vexierspiegel

Im Musicalformat werden die berühmten Lieder aufgefahren: "I wanna be loved by you". Das tanzchoreografisch kopierte "Diamonds are a girls best friends" mündet in Madonnas "Material Girl", das auch schon eine Kopie des Songs war. Auch der männliche Blick unter das weiße Kleid, das von der Luft aus einem U-Bahnschacht hochgeweht wird – heute als "Upskirting" ausdrücklich als Mißbrauchsform bekannt – wird hier reproduziert und in Szene gesetzt, als zwanghafter Teil des Mythos. Warum? 

MissGoldenDreams1 1200 Thorsten Wulff uFünf Marilyns singen, tanzen, schreiben den Mythos fort © Thorsten Wulff

So schaut man an diesem anstrengenden Theaterabend wie in einen schrecklichen Vexierspiegel, der auf ewig bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Frauenbilder produziert. Es scheint, als gebe es aus diesem Abgrund popkultureller Bildproduktion so gar kein Entrinnen, als wäre es wirklich nicht möglich, hinter die tausendste Kopie zu schauen. Es tut weh, die Künstlichkeit und Hermetik, die diese zur Schau gestellten Bilder ausstrahlen, aushalten zu müssen. Es tut weh, Frauen im Gefängnis ihrer Bilder zu sehen. Es tut weh, dass das kein Theaterabend ist, der Marilyn Monroe als Frau und Mensch ernst nimmt. 

Was stattdessen interessant gewesen wäre

Ich hätte gern gewusst, was sie über "Ulysses" denkt. Ich hätte gern gewusst, wie der gedankliche Austausch zwischen ihr und Arthur Miller war, von dem er spät noch schwärmte. Ich hätte gern mehr über ihre Haltung zu Rassismus erfahren, als sie sich auf dem Höhepunkt von rassistischen Ausschreitungen in den USA demonstrativ mit Ella Fitzgerald zeigte. Was sie über Kommunismus dachte, über ihre pazifistische Haltung angesichts der nuklearen Bedrohung – was hier ins Lächerliche gezogen wird. Ich hätte gern gewusst, welcher Mensch das war, von der Zeitzeug*innen sagten, sie sei eine sehr kluge Frau gewesen. Das, oder lasst sie doch einfach endlich in Ruhe. 

Miss Golden Dreams. Eine Geschichte über Marilyn Monroe
von Joyce Carol Oates
Deutsch von Angela Heuse
Regie: Anna Bergmann, Bühne: Volker Hintermeier, Kostüme: Cedric Mpaka, Puppenbau: Judith Mähler, Musik: Johannes Hofmann, Video: Andreas Deinert, Licht: Aljoscha Glodde, Choreografie: Andrea Olivia Rodriguez, Dramaturgie: Anna Haas.
Mit: Julia Giesbert, Lucie Emons, Frida Österberg, Anne Müller, Sina Kießling, Sarah Sandeh, Live Cam: Andreas Deinert, Benjamin Breitkopf
Premiere am 2. Dezember 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.badisches-staatstheater.de

 

Kritikenrundschau

Es gelinge der Inszenierung "bravourös", die "Ambivalenzen zwischen der öffentlichen Kunstfigur und einer schwer depressiven Frau zu dokumentieren", schreibt Björn Hayer in der taz (4.12.23). Dass Anna Bergmann "sich vor allem auf das Opfer Monroe einschießt, mögen manche, die in dem Star eine Rebellin sehen, kritisieren", so der Kritiker. Aber der Regisseurin gehe es "um weitaus mehr als um diese eine Diva", der Abend verstehe sich "zum einen als Reflexion einer unbarmherzigen, geradezu pornografischen Mediengesellschaft, zum anderen als Anklage der Harvey-Weinstein-Branche in L. A.". Fazit: "Bergmann zeigt sich als Dirigentin der Emotionen, die Triumph und Niedergang einer der magischsten Leinwandstars auf ergreifende Weise verdichten."

 

Kommentare  
Miss Golden Dreams, Karlsruhe: Zu verlockend
...wahrscheinlich ist es zu verlockend für Schauspielerinnen, einmal unreflektiert in die Rolle der Monroe schlüpfen zu können. Vor Publikum versteht sich. - Es gibt auch andere Werke von Oates, die man interpretieren wollen könnte. Solche, die von ihr für die Bühne vorgesehen waren/sind und nicht als reflektierende Erzählung. Hätte sie diesen Stoff für die Bühne vorgesehen, hätte sie ja ein Stück daraus gemacht. Insofern stellt sich die Frage, ob das nicht ein doppelter Missbrauch gleich von zwei Frauen sein könnte? Und zwar durch Frauen.
Miss Golden Dreams, Karlsruhe: Theaterstück
@KunstundFreiheit: Die Autorin hat aber ein Theaterstück daraus gemacht, und zwar „Miss Golden Dreams“ - das Stück, dass jetzt in Karlsruhe zur Aufführung kam. Das scheint allerdings auch Eva Marburg untergegangen zu sein. Ein bisschen mehr Recherche wäre zu erwarten, vor allem dann, wenn man sich einen ganz anderen Abend wünscht als den Joyce geschrieben hat…
Miss Golden Dreams, Karlsruhe: Nicht unreflektiert
Es reicht eine schnelle Wikipedia „Recherche“, um herauszufinden, dass Miss Golden Dreams ein Bühnenstück von Joyce Carol Oats ist.

Auch die Annahme, die Spielerinnen würden sich unreflektiert die Rolle der Marilyn anziehen, kann nur daraus resultieren, dass der Abend nicht gesehen wurde. Was für eine Unverschämtheit!
Miss Golden Dreams, Karlsruhe: Inhaltlich leer
Ich glaube, die Schauspielerinnen haben damit gar nichts zu tun. Das ist die Aufgabe der Regie und der Dramaturgie, sich zu überlegen, welcher Inhalt stattfinden soll. Das ist das Problem des Abends, er ist inhaltlich leer und reproduziert alles, wogegen sich eine zeitgenössische Lesart von MM richten sollte.
Miss Golden Dreams, Karlsruhe: Anderer Ansicht
Ich kann diese Abendbeschreibung Eva Marburgs nicht nachvollziehen: Für mich hat Anna Bergmann sehr feministisch inszeniert, das thematisiert und konterkariert, was heute zu beobachten ist und nicht nur in den Dekaden der Marilyn. Mir scheint, dass der Autorin jegliche Auseinandersetzung mit Marilyn Monroe zuwider ist. Mir wurden sehr widersprüchliche, verschiedene und spannende Marilyns von den Schauspielerinnen geboten und keine Versuche von Kopien, wie Marburg sie wahrgenommen hat. Das Zitieren und Neuinterpretieren ikonischer Bilder als erneuten Missbrauch und zu bezeichnen, entspringt allein der Abneigung gegen das Thema, denn als Dummchen, wie Marburg Marilyn erlebt haben will, weil sie die Haltung Marilyns zu James Joyce, Kommunismus, nuklearer Bedrohung und zum Rassismus oder ergänzender Gedankenaustausch mit dem Mann Arthur Miller vermisst, habe ich keine der Marilyns erlebt.
Passender erschien mir die Kritik in der SZ von Ebgert Tholl, die ich mit anhänge.
"Das Ergebnis ist auch ein radikaler Gegenentwurf zur Verfilmung des Romans. [...] Auch bei Bergmann ist Monroe ein Opfer. Aber kein naives Stück Fleisch, sondern das Opfer eines sexistischen Systems, einer Filmbranche, in der Frauen schön sein und ansonsten die Klappe halten sollen …"

Da ich Tholls Artikel nur auszugsweise zitiere und seine Begeisterung von der schauspielerischen Leistung nicht eingefügt habe, empfehle ich Eva Marburg seine Kritik zur Lektüre.

https://www.sueddeutsche.de/kultur/miss-golden-dreams-staatstheater-karlsruhe-marilyn-monroe-joyce-carol-oates-anna-bergmann-1.6314669?reduced=true


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Liebe Frau Werner,

das Urheberrecht erlaubt uns lediglich Zitate von eingeschränkter Länge auf dieser Seite. Wir haben Ihr Zitat des Artikels aus der SZ daher gekürzt. Aber es kann ja jede*r auf den Link klicken.

Herzliche Grüße aus der Redaktion!
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