Die Verschwörung des Fiesco zu Genua - Marcus Lobbes verschwört sich mit Schiller, Mannheim protestiert
Der süße Rausch der Macht
von Harald Raab
Mannheim, 24. April 2010. Dass er nach der begeisterten Aufnahme seines Erstlings "Die Räuber" mit seinem zweiten Stück "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua" bei den Mannheimern kein Glück haben konnte, erkannte Schiller klar und unsentimental. Nach der Aufführung der eigenen Mannheimer Fassung von 1784 schrieb er: "Den Fiesco verstand das Publikum nicht. Republikanische Freiheit ist hierzulande ein Schall ohne Bedeutung – in den Adern der Pfälzer fließt kein römisches Blut."
Seit gestern kann man von einer ganz neuen Fiesco-Fassung für Mannheim sprechen. Premiere hatte die eigenwillige Schiller-Produktion von Marcus Lobbe im Nationaltheater. Ergebnis: Verstört das Publikum, spärlich der Applaus, Buhrufe für den Regisseur.
Tribune für das Vogelscheuchen-Volk
Aber diese Irritation gehörte ja wohl zum Regiekonzept. Ein steifleinernes Staatsdrama aus den Lumpen der Theaterklassik zu schütteln, Sehgewohnheiten über den Haufen zu werfen, um so den Weg frei zu machen zur Kernfrage des republikanischen Trauerspiels: Woran scheitern Revolutionen und was wäre die Grundvoraussetzung dafür, dass sie gelingen könnten?
Es gibt kein richtiges Leben im falschen: Diese Adorno-Erkenntnis hatte Schiller schon. Nur wollte der zuerst den Menschen moralisch fit machen, um dann mit den durch das Theater geläuterten Bürgern die Republik der Freien zu schaffen. Fiesco im Fiasko der menschlichen Triebe und Leidenschaften: Das kann nicht gut gehen. Und genau das will Marcus Lobbes am Mannheimer Nationaltheater unter Beweis stellen.
Die große Bühne in der Tapete eines Renaissance-Saals. Viel Volk drängt sich darin. Doch es sind beim näheren Hinsehen nur Kleiderständer, behängt mit Kleidungsstücken bürgerlicher Existenzen von heute. Sie stehen dicht an dicht, ein Vogelscheuchenvolk. Mittendrin ein aus rohen Balken gezimmertes Podest für den Volkstribun, Lautsprecherbatterien an hohen Masten. Davor eine braune Ledercouch, rechts ein Küchentisch und links ein Elektroherd.
Und langsam, ganz langsam schiebt sich nach der ersten Hälfte des Stücks die hintere Kulissenwand nach vorn. Die Figurenattrappen und das ganze Inventar purzeln über den Bühnenrand und landen krachend im Zuschauerraum. Kongenial diese Bühnenidee von Christoph Ernst. Die Revolution frisst ihre Kinder.
Den Theatermechanismus entblößen
Erklärungsbedarf am Anfang. Nur vier Protagonisten haben auf der Couch Platz genommen: Albernd weihen Thorsten Danner, Reinhard Mahlberg, Ragna Pittol und Klaus Rodewald das verdutzte Publikum ein, dass sie gewillt sind, das 20-Personen-Stück allein zu stemmen. Da Rodewald der Fiesco-Part exklusiv vorbehalten ist, müssen sich die anderen im fliegenden Wechsel der Charaktere so schnell üben, dass die Zuschauer stellenweise ihre liebe Not haben mitzukommen. Besonders wenn mal Dialoge mit sich selbst geführt werden. Personalnot am Theater und die Notwendigkeit einer Low-Budget-Produktion mögen Gründe dafür sein. Marcus Lobbes macht daraus eine Tugend und entblößt damit den hergebrachten Theatermechanismus.
Theater im Theater wird dekuvriert: Streckenweise ist so etwas wie episches Theater geboten, um die wirklichen Motive in diesem Mix aus Kabale und Liebe um so deutlicher werden zu lassen. Das Hemd des eigenen Interesses ist den Herren Revolutionären und den Frauen an ihrer Seite allemal wichtiger als der stolz zur Schau getragene Rock des öffentlichen Wohls. Jener begehrt des anderen Weib, dieser will seine Schuldner los werden, wieder ein anderer will seine Rachegelüste befriedigen. Und die Damen sind nur auf ihr kleines Glück am häuslichen Herd aus – und auf Exklusivität im Bett.
Schillernder, undurchsichtiger Fiesco
Ganz vorne weg geht es freilich um den süßen Rausch der Macht. Wen das Schicksal besonders am Wickel hat, der will wie Fiesco alles auf einmal und muss den Widerstreit der Gefühle und Größenphantasien in der eigenen Brust austragen. Klaus Rodewald gibt dem Undurchsichtigen, dem Schillernden dieses Charakters facettenreich Ausdruck. Er ist der Drahtzieher, der sich in seinem eigenen Netz der Manipulation verheddert, seine Geliebte bloßstellt und seine eigene Frau aus Versehen meuchelt. Er verliert alles, weil er alles usurpieren will.
Erschreckend realistisch der finale Dialog mit Leonore, seiner Gattin, die ihn vom Griff zur Alleinherrschaft abhalten will. Regisseur Lobbes lässt diese Szene als brutale Vergewaltigung animalisch ausagieren. Ragna Pitoll hastet ansonsten zwischen Tisch und Küchenherd hin und her, schnippelt Gemüse und schiebt Backformen in die Röhre. Klare Konturen gibt sie den drei großen Frauenrollen, dem eifersüchtigen Weibchen Leonore, der stolz-herrischen Julia und der geschändeten Braut Berta.
Das menschliche Maß
Thorsten Danner wuselt als abgefeimter Schurke in der Rolle des Mohren und des skrupellosen Prinzen Gianettino durch das zunehmende Chaos auf der immer enger werdenden Bühne. Reinhard Mahlbergs Verrina, der Revolutionär mit moralischem Anspruch, ist der einfach gestrickte Soldatentyp, der schließlich Fiesco ins Wasser werfen muss, um den nächsten Tyrannen zu verhindern.
Das auf Entzauberung des Heldenmythos zielende Regiekonzept mit seinen ironischen Brechungen und szenischen Irritationen mag nicht jedermanns Sache sein. Eines aber leistet Marcus Lobbes mit seinen Darstellern am Mannheimer Nationaltheater ganz ohne Frage: Die sonst so leicht gestelzt daherkommende Schiller'sche Sprache ist in ein menschliches Maß transponiert, das man selten so natürlich – und das heißt auch verständlich und ohne Pathos – geboten bekommt.
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
ein republikanisches Trauerspiel von Friedrich Schiller
Inszenierung: Marcus Lobbes, Bühne und Kostüme: Christoph Ernst, Dramaturgie: Stefanie Gottfried.
Mit: Thorsten Danner, Reinhard Mahlberg, Ragna Pitoll, Klaus Rodewald.
www.nationaltheater-mannheim.de
Der Regisseur und Bühnenbildner Marcus Lobbes, 1966 geboren, inszenierte im Februar 2010 am Schauspielhaus Wuppertal Shakespeares König Lear. Am Theater Freiburg brachte er im Dezember 2009 Marc Beckers Fußballszenen Wir im Finale heraus. In Freiburg entstand auch Lobbes' Uraufführung von Felicia Zellers Kaspar Häuser Meer, die 2008 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert war und schließlich den Publikumspreis gewann.
Ausgebürstete Emotionen
Es klinge spannend, was Marcus Lobbes laut Vorgespräch und Prograhmmheft mit Schillers "Verschwörung des Fiesco" in Mannheim vorgehabt habe, schreibt Ralf-Carl Langhals im Mannheimer Morgen (26.4.2010): Lobbes wolle nämlich "hinter die komplexe politische Folie des Stückes blicken und nach ähnlich empfindlichen Situationen in der deutschen Geschichte suchen." Eingelöst werde das allerdings nicht. Lobbes halte vielmehr "den Zuschauer bewusst dumm, und selbst profunde Textkenntnis hilft an diesem Abend nichts. Emotionen hat die Regie den Mimen ausgebürstet, Schillers Pathos wird ironisiert, was Reiz hätte haben können, wäre es nicht – einfallslos plump – meckernd verhöhnt worden. Ebenso wenig abendfüllend wie das Abspulen des giftigen Charmes der Macht ist ein fahrendes Bühnenbild, dem Bürger, Jubelperser oder 'Wir sind das Volk'-Figurinen als gesichtslose Vogelscheuchen vorgelagert sind, um gemeinsam mit Mobiliar und Küchengerät handlungstragend von der Rampe zu rumpeln." Es bleibe so "von den Tugenden zeitgenössischen Theaters nur Zumutung übrig".
In der Rhein-Neckar-Zeitung (26.04.2010) aus Heidelberg schreibt Monika Frank: Marcus Lobbes' Inszenierung von "Fiesco" könne nur als "offene Brüskierung des Publikums gewertet werden". Keine "ernsthafte Auseinandersetzung mit machtpolitischen Fragen", keine Differenzierung der Figuren, keine Unterschiede zwischen den Parteien, alles bloß "eine Sorte von Heuchlern, die das Gemeinwohl im Mund führen und ihren Eigennutz im Sinn haben", die Handlung bleibt für Uneingeweihte im Dunkeln. Selbst "Aktion wird nur spärlich geboten". Nur die Kulisse von Christoph Ernst sei "bombastisch". Man dürfe "Fiesco" für "unerträglich kolportagehaft halten", bloß: warum "lässt man dann aber nicht einfach die Finger davon?"
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Ferner stimme ich einigen anderen hier zu: die Herren Lobbes und Raab haben verstanden, der Rest kann doof nach Hause gehen. Ich glaube es ist letztlich die Arroganz, die diese Produktion - wie auch die Kritik - ausstrahlt, die viele Besucher auf die Palme brachte. Meine Frau und ich, beide durchaus Freunde anderer Sichtweisen auf "Klassiker", haben nach "Romeo und Julia" und dem jetzigen Fiesko-Fiasko einfach nur beschlossen, künftig daheim zu bleiben, wenn der Name Lobbes auf dem Spielplan steht. Ab einem gewissen Punkt bleibt einem eben nur, mit den Füßen abzustimmen. Er interessiert sich nicht für Schiller und wir uns nicht für ihn.