Behüter der Jungfrauen

4. November 2023. Er ist der Inbegriff des aus der Zeit gefallenen Recken: Don Quijote, der Kämpfer gegen Windmühlen, den die Moderne überrollt. In Mannheim zeigt Friederike Drews ihn in einer Neufassung von Jakob Nolte inmitten der heutigen Transformationskonflikte.

Von Steffen Becker

"Don Quichote" von Jakob Nolte nach Cervantes © Felix Grünschloß

4. November 2023. "Wisst Ihr etwa nicht, dass jeder Vergleich, ob Verstand gegen Verstand, Schönheit gegen Schönheit oder Herkunft gegen Herkunft, immer hinkt und hässlich ist", fragt Don Quijote in distinguierter Pose zu Beginn im Nationaltheater Mannheim.

Seine Knäppin Sancho (oder Knäpp*in? Knäppchen? – im Stück rätselt sie über ihre Selbstbezeichnung) würde gerne mehr darüber wissen. Ihr fällt etwa auf, dass es doch ein ungeheurer Zufall sei, dass diese ganzen Heere, über die ihr Herr fantasiert, ausschließlich aus Männern bestehen. Seine Antwort: "Gut, wenn man seinen Blick darauf derart verkrampft, klar, dann fallen einem diese Dinge eben auf."

Ein Mann der alten Schule

Er ist eben doch ein Mann der alten Schule, dieser Don Quijote, auch in der Neufassung von Jakob Nolte. Die kappt alle Nebenstränge und Nebenfiguren und konzentriert sich ganz auf das Verhältnis von Herr und Diener(in). In Mannheim ist das eher eines von Old und New Generation. Don Quijote ist der alte weiße Mann, der sich in eine romantisierte gute alte Zeit hineinfantasiert. Der Archetyp des Transformationsverweigerers.

Ungleiche Abenteurer: Annemarie Brüntjen als Sancho Pansa und Matthias Breitenbach als Don Quichote © Felix Grünschloß

So wie die Bühne auf jede Einordnung verzichtet (roter Vorhang, ein paar Kisten) so vermeidet Regisseurin Friederike Drews offenkundige Anspielungen auf aktuelle Kulturkriege. Die muss man sich dazu denken, wenn Don Quijote darüber spricht, dass früher Frauen durch Feld und Flur gehen konnten, "mutterseelenallein und ohne Furcht, dass fremde Frechheit oder geile Gier sie belästigen" – wohingegen man heute Ritter wie ihn brauche, die die Jungfrauen behüten. Dass der Ritterstand sein Lebenselixier ist, dass er auf das imaginäre Unrecht angewiesen ist, das er bekämpft: populistische Projektion in a nutshell.

Ritter von der komischen Gestalt

Der Don Quijote von Regisseurin Drews und Schauspieler Matthias Breitenbach ist dennoch – bei allem Slapstick, der der Inszenierung innewohnt – keine Lachnummer. Breitenbach macht aus ihm eine tragische, aber sympathische Figur. Er sucht sein Glück vergeblich, an einem Ort, den es nicht mehr gibt. Beziehungsweise in einer klar sortierten Parallel-Welt, wobei selbst die dann nicht so unkompliziert ist wie erträumt (augenzwinkernd inszeniert als umständliche, mehrere Anläufe benötigende Ritterschlag-Zeremonie).

Die darin wohnende Komik paart Breitenbach mit der Würde des verarmten Landadels. Sein Don Quijote ist für einen Kämpfer gegen Windmühlen ein erstaunlich ruhiger Zeitgenosse. Der Witz seiner Figur speist sich aus seiner relativen Unbeweglichkeit. In der Uniform eines Hotelpagen verharrt er in theatralischer Pose, das Kinn nach vorne gereckt, die Momente dehnend – offenkundig überfordert mit der Realität wie auch mit der Ritterrolle, in der er ihr zu entfliehen gedenkt.

Sancho Pansa als treibende Kraft

Treibende Kraft in der Neubearbeitung des Stoffes und auf der Mannheimer Bühne ist Annemarie Brüntjen als Sancho Pansa. Offenkundig als Drummerin mit (imaginären) Sticks, die Don Quijote den Rhythmus vorgibt. Und inhaltlich, indem sie das Versprechen in den Mittelpunkt stellt, als Lohn für ihre Dienste ein Eiland zur Regentschaft zu erhalten. Wo Don Quijote zurück will zur alten Ordnung, will sie die Grenzen sprengen, die jemandem aus dem einfachen Volke gesetzt sind – zumal einer Frau.

Don Quijote 2 Felix GruenschlossDer Ritter und sein Narr: Matthias Breitenbach als Don Quichote mit Annemarie Brüntjen als Sancho Pansa im Hintergrund © Felix Grünschloß

Zugleich zeichnet Regisseurin Drews sie als Vertreterin einer Gen Z, die den Traum vom Fulltime-Job einer Eilands-Verteidigung nach einem kurzen Praktikum rasch wieder begräbt. Annemarie Brüntjen startet dabei als kecke Nervensäge, die Don Quijote grimassierend umwuselt und provoziert. Artet der Beginn des ungleichen Paarlaufs anfangs noch in Klamauk aus (gemeinsame Kotzorgie in eine Kühlbox – warum???), biegen Inszenierung und auch Brüntjen bald in ruhigeres Fahrwasser.

Ihr Pansa entwickelt echtes Interesse an Don Quijote, aus dem Herumalbern wird das Herantasten an eine ernste Gemeinschaft. "Du bist mein Freund, oder?", fragt Quijote Sancho am Ende – der Vorhang ist schon zusammengekracht, alle Illusionen liegen in Trümmern. Der lange, melancholische Blick, mit dem Brüntjen die Frage beantwortet, ihr anrührender Abschied und Abgang aus der gemeinsamen Reise geben dem Abend die emotionale Tiefe, ihn nicht so schnell zu vergessen.

Don Quijote
von Jakob Nolte nach Miguel de Cervantes Saavedra
Nach der Übersetzung von Susanne Lange
Regie: Friederike Drews, Bühne & Kostüme: Ev Benzing, Dramaturgie: Dominika Široká, Kunst & Vermittlung: Ronja Gerlach.
Mit: Annemarie Brüntjen, Matthias Breitenbach.
Premiere am 3. November 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Stunden, keine Pause

www.nationaltheater-mannheim.de

Kritikenrundschau

"Die erfundenen und erzählten Geschichten werden zwar auf sympathische und amüsanteWeise vermittelt, ergeben aber keinen tieferen Sinn," schreibt Alfred Huber vom Mannheimer Morgen (6.11.2023). Immerhin begegne man bei Friederike Drews zwei seltsamen Gestalten, "die ihre Worte einfühlsam abwägen, um auf unterschiedliche Weise die Realität zu bewerten. Obwohl sie vermutlich ahnen, dass Wirklichkeit und Sprache längst auseinander gefallen sind." Dass der Romantext von Cervantes in dieser rigoros gekürzten Fassung erheblich Federn lassen musste, ist für den Kritiker naheliegend. "Und vielleicht ist das der Grund, weshalb die Inszenierung von Friederike Drews oft mehr dem harmlosen Regie-Einfall vertraut als einer konsequenten Bündelung inhaltlicher Motive." Die beiden Schauspieler*innen werden dagegen hoch gelobt. 

Von einem "von Fantasie und Leichtigkeit getragenen Schauspielerabend" spricht Dietrich Wappler in Die Rheinpfalz (6.11.2023). "Hier ist alles nur verrücktes Kopfkino, und Sancho Panza, der tollpatschige Knappe, der im Roman seinem, von alten Ritteridealen besessenen Herrn gottergeben folgt, wird ein Partner auf Augenhöhe, der das Spiel durchschaut, aber viel zu viel Spaß daran hat, um den Schwindel auffliegen zu lassen." Friederike Drews löse die beiden Figuren gänzlich aus dem Kontext der Romanvorlage, "macht sie zu arglosen Angestellten in einer Welt, die alle ihre Ideale verloren hat." Was hier zählt, ist aus Sicht des Kritikers "der Spaß am Spiel. Und den kosten diese beiden wunderbaren Schauspieler weidlich aus."

Friederike Drews und Jakob Nolte gelingt aus Sicht von Volker Oesterreich von der Rhein-Neckar-Zeitung (6.11.2023), aus “Don Quijote“ einen Abend zu machen, "der in seinen besten Szenen Beckett’sches Niveau erreicht." Dialog und Spiel sind hier aus seiner Sicht alles, "an Ausstattung bedarf es nur wenig." Und Annemarie Brüntjen (Sancho Panza) und Matthias Breitenbach (Don Quijote) haben "Wumms".

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