Die Nibelungen - Staatstheater Nürnberg
Die Ritter der Kokosnuss reisen in den Ruin
20. November 2022. Wo Witzfiguren wanken und abdanken: Armin Petras zerlegt den deutschen Helden-Mythos und schickt Hebbels "Nibelungen" in Nürnberg auf eine groteske und packende Reise in den Untergang.
Von Christian Muggenthaler
20. November 2022. Reisegruppe Nibelungen – bitte nach Ausgang 13: So eine Durchsage könnte man sich schon vorstellen nach der Pause, wenn die Schar der Nibelungen in abenteuerlichen Gewändern auf einer reichlich abgewetzten Flughafen-Stuhlreihe auf das Weitergehen der Reise in den Untergang warten. Von diesem Untergang wissen sie noch nichts, also lümmeln sie da so herum wie die Ritter der Kokosnuss: Hagen gerüstet wie vor dem Kreuzzug durch die Augsburger Puppenkiste, Gunther wie ein Byzantiner mit offenbaren Darmproblemen, Giselher sitzt im Smoking zwischendurch in einem Koffer voller Spielsachen, der Spielmann ist geschmückt mit einem bizarren, billigen Flügelhelm (Kostüme: Annette Riedel).
Auf großer Europatour
Armin Petras' "Nibelungen" am Staatstheater Nürnberg starten touristisch; das war auch im ersten Teil des Abends schon so. Da erlebte man die Burgunder-Schar auf einem gemütlichen Trip nach Island. Kriemhild verschwand in die Sauna, und Gunther brachte von dort auf Siegfrieds Betreiben Brunhild mit zurück nach Worms. Das ging relativ ratzfatz, diese Nürnberger Version macht hier und da große Abkürzungen durch Friedrich Hebbels Text, vor allem die zweimalige üble Überwältigung der Brunhild bleibt ausgeblendet – man weiß genug, wenn man erkennt, wie Bosheit und Betrug in dieser Männerwelt bis auf kurze Anwandlungen zubeißenden Gewissens hier völlig zur Normalität gehören.
Beide Ausflugsanfänge der weniger grässlich rasenden, stattdessen mehr fröhlich reisenden Ritterschaft führen zugleich erst einmal in mal sanft ironischen, mal komödiantischen Umgang mit der Vorlage, ist doch die ganze Geschichte eigentlich aberwitzig genug. Man fragt sich ja eh, was das eigentlich für eine Nation ist, die sich diese ganze Lügerei und Morderei allen Ernstes längerfristig zum Identität stiftenden Epos erwählt hatte – die Inszenierung fragt dies durch die ironische Haltung deutlich mit. Jedenfalls reihen sich jede Menge hübsche, heitere Inszenierungsdetails aneinander, etwa wenn Siegfrieds Tarnkappe schlicht eine fauchende Nebelmaschine ist oder nach der Pause die ganze Bagage am Flughafen sehr ausgiebig und sehr komisch mit Fastfood kämpft.
Drastischer Sturz in die Tragödie
Aber Vorsicht: Aus dieser zweimaligen Witzhöhe knallt die Sache dann auch zwei Mal um so drastischer auf den Boden der Tragödie. Ganz am Schluss, bei diesem nicht enden wollenden Blutbad, das in Nürnberg stark eingekürzt ist, steht die Schauspielgruppe halbnackt und sich im Zeitlupentempo einsauend im rieselnden Regen, der aus Fetzen herabtropft, die man zusammen mit ihnen auf der Hebebühne hochfahren sieht: Hier hat denn auch das Bühnenbild (von Julian Marbach) seinen großen Auftritt; die Fetzen sind eine Art Riesen-Skulptur, die unheimliche Assoziationen an Häute nach der Schlachterei hervorrufen. Ansonsten hatte sich die Bühne aus eher einfachen Utensilien zusammengesetzt: Schaumstoffmatten, Plastikstühlen, Seilen, die sich dann als Schicksalsband entpuppten.
Bächlein plätschern, Blut rinnt
Die Bühnenerzählung des Klassikerstoffs pulsiert dreieinhalb Stunden lang elegant dahin; Licht (von Frank Laubenheimer) und Musik (von Philipp Weber) tun das Ihrige zum Puls dazu. Auch die Soundkulisse ist wichtig: Das Plätschern des Bächleins, an dem Siegfried ermordet wird, wird zum Dauerton des Vorwurfs und in besagtem Tröpfeln hernach wieder aufgenommen. In solchen Tönen lässt sich die ineinander verschraubte Handlungsmotivik tatsächlich hören – wie das Rauschen der Blutbahn und das Tropfen des Bluts. Die Motivlage für das Ende ist genau so verschraubt: Mit dem im Siegfriedsmord endenden Zwist der Königinnen um Status und Ehre wird die Inszenierung ein erstes Mal düster und tragisch; Julia Bartolome als Brunhild und Sabine Waibel als Kriemhild erarbeiten sich spielend die ganze Größe dieser Frauen, die hier deutlich mehr werden als die bloßen Handlungskatapulte, als die Hebbel sie instrumentalisiert hat. Beide entwickeln diese Größe aus der Haltung, die sie dem Schicksal gegenüber einnehmen.
Während mit Hagen (Stephanie Leue), Siegfried (Felix Mühlen), Gunther (Raphael Rubino) und all den anderen immer ganz leicht verwackelten Gestalten aus der Nibelungenwelt in Nürnberg dauerhaft ein Spiel der Distanz getrieben wird: Diese alle sind oft sogar grotesk anmutende Bestandteile einer überpersönlichen Daseinsmaschinerie, zu denen sie die Mechanik von Königtum, Krieg und Gewalt gemacht hat – das wird in Nürnberg von jeder und jedem Einzelnen großartig gespielt. Man kann Charakteren beim Verlust ihres Charakters zuschauen. Hier ist denn auch ein Bezug zur Gegenwart schnell hergestellt: Wer sich erst einmal in ein falsches System hineininstrumentalisieren lässt, ist immer mit dabei, auch wenn es falscher und falscher wird.
Die Nibelungen
von Friedrich Hebbel
Regie: Armin Petras, Bühne: Julian Marbach, Kostüme: Annette Riedel, Musik: Philipp Weber, Licht: Frank Laubenheimer, Dramaturgie: Brigitte Ostermann, Eva Bode.
Mit: Stephanie Leue, Felix Mühlen, Raphael Rubino, Aydın Aydın, Tjark Bernau, Julia Bartolome, Sabine Waibel, Yascha Finn Nolting, Paul Knak, Emma Kappl.
Premiere am 19. November 2022
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.staatstheater-nuernberg.de
Kritikenrundschau
"Hebbels schön geschriebenes 'Nationaldrama' steht weiterhin erstaunlich oft auf den Spielplänen. Freilich denkt dabei fast jeder Regisseur den Ballast der Geschichte mit, den das Stück mit sich herumschleppt. Entsprechend 'kritisch' wird es aufbereitet, zergliedert, mit Ironie versalzen, dekonstruiert", schreibt Herbert Heinzelmann von den Nürnberger Nachrichten (21.11.2022). "Sinn? Danach sucht man zunehmend in der Inszenierung von Armin Petras. Sie dekonstruiert ein Werk, das derzeit im weltanschaulichen Diskurs gar keine Rolle spielt, ohne eine Konstruktion (also Sinnstiftung) dagegen zu halten."
Wenn Armin Petras "Die Nibelungen" inszeniere, so Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (7.12.2022), dann sei "von vornherein klar, dass es den Helden an den Kragen geht". Petras' Inszenierung sei "überbordend voll (...) mit lustigen Einfällen". Es gehe "sehr witzig zu, mitunter auch krachend albern", jedoch - und "so toll das alles ist" - habe der Abend ein "Manko", es fehle ihm an "Fallhöhe". Petras lasse "Hebbels Verse unmissverständlich laut brüllen, er erzählt das Riesenstück", aber er "stellt es auch aus", so der Kritiker.
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