Du mit Deinem Radarstrahl

2. Juli 2022. Schäkern, Flirten, Balzen und dann ab in die Kiste: Dem Aushandlungsprozess zwischen zwei nähegesinnten Menschen widmet René Pollesch sein neustes Stück. Titelgerecht mit Aliens und Sci-Fi-Trash-Talk. Premiere ist am Deutschen Theater Berlin – ein Prä-Corona-Arrangement des mittlerweile nebenan an der Volksbühne als Intendant waltenden Regisseurs.

Von Stephanie Drees

René Polleschs "Liebe, einfach außerirdisch" © Luna Zscharnt

2. Juli 2022. Dem Genderthema haftet ja hartnäckig der Ruf an, dass nur Menschen sich mit ihm beschäftigen, die von Haus aus recht humorlos sind und irgendwie vieles Zwischenmenschliche zu ernst nehmen. Eine Entzauberung des Zwischenraums sei das, des Schäkerns und Flirtens und Balzens und Röhrens, kurz, der Entscheidungsfindung, bevor es gemeinsam in die Kiste geht, bevor nach Darlegung der nackten Tatsachen entschieden werden kann: geht ab hier Hand in Hand weiter. Oder eben zurück ins dunkle Tinder-Labyrinth.

Um den Sahnebart gegangen

Wer sich in seinem Leben mit diesen Dingen schon mal näher beschäftigt hat, der weiß: Es gibt weniges, das auf seine bemüht-ersthafte Weise inhärent und unfreiwillig lustiger ist als das, was wir mitunter tun, um Nähe zu erlangen. Folgerichtig ist einer der größten Lacher an diesem Abend, als Sophie Rois und Trystan Pütter auf einer Liege sitzen, die Sahnetörtchen ins Spiel kommen, sie ausführlich ausgestellt und genossen werden, und, Sie ahnen es: Bald schon landet die Gabel auch im Mund des Gegenübers, Törtchen ins und ums Mündchen, alles ganz im Sinne der Freudschen präkoitalen Fütterung. Bis zum Eskalationspunkt der Leidenschaft, bis Trystan Pütter als Dr. Albright Sophie Rois, diesem freundlichen, aber ungestümen Alien, den ganzen Sahnebart mittels Messer aus dem Gesicht rasiert. Das ist tatsächlich ziemlich lustig, trotz all der abgegessenen Metaphorik. Oder vielleicht auch grade ihretwegen.

Liebe ausserirdisch 2 DavidBaltzer uZwei herzig prä-koitale Sahnemäulchen: Sophie Rois und Trystan Pütter © David Baltzer

René Pollesch, der als Intendant der Berliner Volksbühne in der jüngsten Zeit massiv in der Kritik stand, das Haus ohne klare künstlerische Idee und vielleicht auch zu nonchalant zu führen, konnte sich auch für seine "Nebenjobs" wie diesen am DT viel anhören. Doch die Verabredungen waren vor der Covid-Ära getroffen worden. Und Sophie Rois ist eben noch bis zum Ende dieser Spielzeit fest am DT. Demnächst wird sie zurück an die Volksbühne wechseln. Der Laune für diesen Abend hat der ganze Trubel nicht geschadet. Zumindest soll es so aussehen.

Dieses Trio könnte auch dem Papst ein Doppelbett verkaufen

Gut, es nützt ja nichts, gesagt sei es also jetzt schon: So lustig René Pollesch, dieser Master der Loops rund um gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, mitunter auch ist, so oberflächenglänzend und manchmal auch dunkeltief seine Texte schillern (die ja eigentlich einen großen, wahrscheinlich nie endenden Text bilden, eine Art Diskurs-Bewusstseinsstrom samt Neurosen-gesäumtem Ufer ) – ohne die Fertigkeiten von Rois, Pütter und Yang, die mit ihrer Kunst halt auch dem Papst ein Doppelbett verkaufen könnten, liefe an diesem Abend nicht viel. Und darum dreht's sich in Wahrheit auch, es ist, in Kürze, ein Abend für die Schauspieler:innen. Die hier aufdrehen können und müssen, Aufgang, Abgang, Slow-Motion-Moves auf der Drehbühne (Rois verfolgt das Objekt der Begierde Prütter, Yang verfolgt als beflissene Assistentin from Outer Space den Alien Rois). Zudem, ganz wichtig: viel Sci-Fi-Trash-Talk, reingebeamt aus der Popkultur der 1960er-, 70er- und 80er-Jahre. Ein bisschen Raumschiff Orion, ein bisschen Enterprise, ein bisschen "Mork vom Ork". Und, natürlich für die Übergänge: Musik. Rock 'n‘ Roll, Melodien für Millionen.

Liebe ausserirdisch 2 LunaZscharnt uDem Slapstick zugeneigtes Trio des intergalaktischen intercourse: Kotbong Yang, Sophie Rois, Trystan Pütter © Luna Zscharnt

In "Liebe, einfach außerirdisch" geht’s halt nicht um Hollywood, sondern um "Westwood", dieser Ortsname prangt in großen Lettern auf dem riesigen Turm, der die Bühne im wahrsten Sinne schmückt. Zwei der Buchstaben segeln kurz nach Beginn der Vorstellung gleich runter, und, sollte das keine Absicht gewesen sein: trotzdem super. Der Turm ist das vierte, stumme Epizentrum dieses Abends und wir sehen ihn abwechselnd von zwei Seiten: da ist sein Inneres, ein Gerüst, durchzogen von einer Wendeltreppe. Dann, um 180 Grad gedreht, der Blick auf die vertäfelte Seite, auf der Blitze aus vielen kleinen Lichtern prangen. Die Blitze leuchten immer mal wieder, wenn Gewitter draußen und in den Herzen herrscht. Sieht dann super aus. Auf das Phallische des Turms wird im Laufe des Abends ganz in Über-Ich-Pollesch-Figuren-Reflexionsschleife noch eingängig hingewiesen, denn die über weite Strecken handlungstreibende Frage ist: Wie kam es zum interspezifischen Sex zwischen Rois’ Alien und dem menschlichen Wissenschaftler Dr. Albright (Trystan Pütter), der mit seinem mächtigen Radarstrahl die Klystron-Energie unterschätzt und mehr oder weniger aus Versehen die Atmosphäre der beiden Alien-Besucher:innen (jaja, die Sache mit dem Geschlecht ist ja nun aus galaktischer Sicht nicht so einfach) penetriert hat.

Meta-Boulevard für Schauspiel-Stars

Und dann ist da der Slapstick des Trio intercourse. Rois steht auf der Erdenbühne im roten Glitzerkleid und mit roten Stiefeln. Yang, im Sixties-Kostüm, verkörpert die neue Putzfrau von Albright, "recherchiert" aber eigentlich mit Rois zur irdischen Frauenfrage. (Ergebnis: mangelhaft). Viel wird in den eineinhalb Stunden nun über Sprach- und Verhaltenscodes zur Anbahnung des irdischen Knick-Knacks gesprochen, Kaffee spielt dabei eine riesige Rolle, ab und an denkt man auch über DVD-Abende nach. Pütter, der scheinbar mühelos und immens bewegungsintelligent jedes Männlichkeitsklischee auf links drehen kann, strippt im Videoeinspieler in Bauarbeiter-Montur für Rois. Sie kriegt dabei einen Autoreifen um den Hals gekegelt, was die Erregung aber nicht schmälert (gut, vielleicht war es auch die Axt, die zwischen Pütters Beinen rieb).

Liebe ausserirdisch 1 DavidBaltzer uKörperkomik par excellence © David Baltzer

Sophie Rois. Was soll man sagen: Hach! Sie ist für diesen Abend so sehr Rois wie sie eben sein kann, sie intoniert, sie moduliert, sie massakriert die Sätze. Sie schaut in einen Handspiegel, sie erkennt sich selbst. Sie tritt an die Rampe. "Mein Selbstbewusstsein hängt nicht davon ab, was andere von mir denken, sondern davon, wie ich aussehe!" Tja: Das ist es wohl, was eine kluge Außerirdische nach einigen Stunden als Frau auf diesem Planeten so als Empowerment-Lebensweisheit mitnimmt. Und die Theater-Feedback-Schleife im Saal läuft heiß.

Ein bisschen Ohnsorg-Mash-up im Hamburger Dialekt zwischen Dr. Albright und seiner hochintelligenten "Putzfrau" versorgt das Ganze noch mit Theater-Reminiszenzen, denn: René Pollesch, dem ja schon immer nachgesagt wurde, dass er Boulevard für die Intellektuellen mache (was eine hohe Kunst sein muss), hat hier erstaunlichen Spaß an der – für seine Verhältnisse – geschlossenen Erzählung. Vielleicht hat Pollesch die Boulevard-Komödie für sich entdeckt. Einer seiner großen Abende ist das nicht. Eher eine Fingerübung. Aber, sei’s drum: Es ist Saisonende, Sommer, ein Auswärtsspiel, Futter für die Fans. Und ein Fest für Sophie Rois.

 

Liebe, einfach außerirdisch
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne: Barbara Steiner, Kostüme: Tabea Braun,Video: Roman Kuskowski, Dramaturgie: Bernd Isele, Licht: Matthias Vogel.
Mit: Trystan Pütter, Sophie Rois, Kotbong Yang.
Uraufführung am 1. Juli 2022
Dauer: 1 Stunde, 30 Minuten, keine Pause

www.deutschestheater.de

Kritikenrundschau

"Eitel“ und "hochärgerlich" fand Peter Claus von Deutschlandfunk Kultur (1.7.2022) den Abend. "Es führt zu nichts. Ich weiß nicht, was das soll." Der Kritiker habe keinerlei Auseinandersetzung mit der Welt oder der Kunst entdecken können. "Ich hatte das unangenehme Gefühl, da sind Künstlerinnen und Künstler, die sich für so wichtig halten, dass sie denken, es sei ganz egal, was sie machen." Auch die Performance von Sophie Rois empfand er als "arg dünn".

Einen Abend, "an dem sich alle Beteiligten schon fast demonstrativ unbeschwert zeigen“, sah Patrick Wildermann für den Tagesspiegel (2.7.2022). Gute Laune, besonders wenn es "slapstickmäßig heiß zur Sache" geht, hat der Kritiker erlebt. "Die Inszenierung vermixt Science- Fiction-Zitate von 'Mork vom Ork' bis 'Zurück in die Zukunft' zu einer 90-Minuten-Sause, die vielleicht nicht die Höhen einer Pollesch-Hinrichs-Kooperation wie 'Glauben an die Möglich der völligen Erneuerung der Welt' erreicht, die womöglich eher ein ökonomisches Projekt ist, als eines, das von immerwährender Theaterbegeisterung getragen wird. Aber Spaß macht 'Liebe, einfach außerirdisch' allemal."

"Ein kleines Tortenstück, das bestens hineinpasst in die 'Konditorei' (Frank Castorf) an der Schumannstraße", sah Doris Meierhenrich von der Berliner Zeitung (3.7.22). Sophie Rois' "Liebe zum Volkstheater kommt hier wunderbar auf Tour und bleibt doch immer genau, wobei die herrlichste Szene zwischen ihr, Pütter und einem Stück Torte stattfindet", schreibt die Kritikerin und bilanziert: "Muss man selbst sehen."

Diese Pollesch-Premiere am Deutschen Theater Berlin sei "gleichzeitig ein wunderbares Gute-Laune-Geschenk und eine Zumutung", schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (3.7.22). Ersteres, "weil Pollesch so lässig wie in seinen besten Zeiten" auf seine Schauspieler:innen und Mittel vertraue, um eine veritable "Bühnenparty zu zünden", so der Kritiker. "Ein echtes Ärgernis" sei die Inszenierung deshalb, weil sie am Deutschen Theater stattfindet – während Pollesch an einem anderen Haus Intendant ist: "Angesichts der durchaus unerfreulichen Bilanz seiner ersten Volksbühnen-Saison stellt sich die Frage: Hat der gute Mann nichts Besseres zu tun, als seinem Theater in der gleichen Stadt Konkurrenz zu machen?", fragt der Kritiker rhetorisch.

"René Pollesch erweist sich wieder einmal als praktischer Meister der angewandten Theorien, der aus allem, was Herz und Hirn hat, mitreißend gescheites Theater zaubern kann", urteilt Irene Bazinger in der FAZ (4.7.22). Das "witzig-geistreiche Trio infernal", so die Kritikerin über die drei Darstellenden, "will uns mit auf einen grandiosen Ausflug hinaus in den Weltraum nehmen – und lässt uns dabei trotzdem lachend im Theatersessel bleiben. Und klatschen vor Glück".

"Obwohl die Sprache des Textes wie gewohnt witzig und clever ist, fehlt es etwas an Handlung und Tiefgang. Gerade weil man sich für die Idee, dass niemand so richtig weiß, was Sex ist, und alle es irgendwie machen, etwas mehr Raum für Entwicklung gewünscht hätte", schreibt Charlotte Szász auf nd-aktuell.de (5.7.2022). Sie resümiert: "Das Stück liefert einen sehr unterhaltsamen Abend, vor allem wegen Sophie Rois, der aber im Schnitt eher unbefriedigend denn erkenntnisreich ist."

Kommentare  
Liebe außerirdisch, Berlin: Streckenweise unterhaltsam
Statt Diskursschnipseln aus Soziologie, Queer und Gender Studies orientiert sich der 80minütige Abend diesmal vor allem an der SciFi-Komödie „Meine Stiefmutter ist ein Alien“ (1988) mit Dan Aykroyd und Kim Basinger, der 90er Jahre-Sitcom „Hinterm Mond gleich links“, älteren Texten des vor ein, zwei Jahrzehnten angesagten Pop-Philosophen Slavoj Žižek sowie Heidi Kabels Ohnsorg-Schwank „Tratsch im Treppenhaus“ (1960), auf den Kotbong Yang parodistisch anspielt.

Streckenweise ist der Abend durchaus unterhaltsam, Sophie Rois sorgt mit einigen Running Gags für Lacher: wenn sie nicht gerade als verkrampfte Alien auf der Suche nach Sex über die Szenerie tigert, sorgt sie sich rührend um die Menschen im 2. Rang, die zu wenig sehen können.

Leider ist der Abend aber auch um 20 Minuten zu lang und oft zu albern. Als sommerlicher Spielzeit-Ausklang und Gegengewicht zum nölenden Kriegs- und Corona-Lamento von Fabian Hinrichs in „Geht es dir gut?“ bietet diese Rois-Abschieds-Sause einige Momente zum Schmunzeln, aber ein großer Wurf ist der verqualmte Abend nicht.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2022/07/01/liebe-einfach-ausserirdisch-deutsches-theater-berlin-kritik/
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