Der ganz reale Horror

27. September 2023. Die Heimsuchung der Doris Bither zählt unter Anhänger*innen des Paranormalen zu den bekanntesten Poltergeist-Fällen. Regisseurin Yana Thönnes hat hinter den Grusel geblickt und erzählt die Geschichte einer vergewaltigten Frau, der niemand Glauben schenken wollte. Herausgekommen ist ein Kunstwerk ganz eigener Art.

Von Simone Kaempf

"In Memory of Doris Bither" an der Berliner Schaubühne © Philip Frowein

27. September 2023. "This place is evil" steht groß auf dem Programmheft, deutlich sichtbar, auch ohne es zu entfalten. Der Satz verpufft erst einmal, denn so rosa und Barbie-like ist der verglaste Bungalow, der sich breit über die Bühne zieht, dass man nichts Böses ahnen mag. Lachsfarbener Veloursteppich bis ins Bad, rosa Vorhänge, zartrosa Tapeten, rosa mit feinen Mustern links, wo das Kinderzimmer angedeutet ist. Eine scheinbar heile Welt mit Luxus-Appeal, die doch zum Tatort wird an diesem Abend, den Regisseurin Yana Thönnes "In Memory of Doris Bither" betitelt hat. 

Erst heimgesucht, dann auch noch ausgebeutet

Die reale Doris Bither lebte Anfang der 1970er in Los Angeles. Ihr damaliges Wohnhaus steht bis heute. Dort wurde Doris Bither 1974 von einer Art Poltergeist bedrängt und vergewaltigt. Das jedenfalls gab sie an. Der Fall sorgte für gewaltiges Aufsehen und hat bis heute einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Parapsychologen untersuchen das Haus mehrmals, machten Aufnahmen, die tatsächlich seltsame Lichterscheinungen zeigten. Doch die Vergewaltigung glaubten auch sie ihr nicht. Bithers Geschichte war Grundlage für einen Roman, der 1982 unter dem Titel "The Entity" verfilmt wurde – ohne dass sie ein Copyright erhielt oder an den Einnahmen beteiligt war.

Wie mit Doris Bither umgegangen wurde, das führt vom ersten Satz motivisch durch den Abend, der unterschiedliche fiktive Figuren sprechen lässt: die jetzt erwachsene Kinder-Darstellerin aus der Verfilmung (gespielt von Ruth Rosenfeld), ein Sohn Bithers (Heinrich Horwitz), die damalige Nachbarin (Kate Strong). "40 Jahre ist es jetzt her", holen sie mehrmals wie ritualisiert aus und erzählen die Geschichte in Sprüngen, Fragmenten und Erinnerungsdetails. Wie die Nachbarin, die immer die Rückseite des Hauses sehen konnte und sich erinnert, wie sie stets versuchte, Bither nachzumachen. Der Sohn erinnert sich, wie alle Mitschüler die Mutter für eine Celebrity hielten.

Frauenschreie aus dem Nebenraum

Erinnerungs-Schnipsel fügen sich in Lücken und in Wiederholungen zusammen, so wie es auch kein realistisches Spiel gibt, sondern eher Bewegungs-Rituale. Heinrich Horwitz presst immer wieder einen großen roten Teddybär an sich und vertraut ihm Sätze an, die der Mutter gelten. Kate Strong, im flauschigen blauen Hausmantel, sucht mit unruhigem Blick Wände und Decken ab, lauscht wie ferngesteuert an den Tapeten als könnten die Wände doch sprechen. Ruth Rosenfeld streicht immer wieder über den Teppich und verwischt nach und nach die akuraten Staubsauger-Spuren.

Habt ihr das auch gehört...? Heinrich Horwitz, Ruth Rosenfeld, Kate Strong © Philip Frowein

Wo soviel von Parapsychologie in der Geschichte steckt, müssen wohl die Lichter flackern. Die Elektrik surrt, Frauenschreie ertönen aus dem Nebenraum, aber das ist wohl dosiert und fast unterkühlt inszeniert, frei von falschen Emotionen und jenseits eines Mystery-Grusels. Viel beklemmender wirkt, wie Thönnes die Frauenfiguren fast wie in einer Zeitschleife im Bungalow hält. Als gebe es kein Entrinnen aus der Geschichte, die hier die einer vergewaltigten Frau wird, der nicht geglaubt wird. Das ist der eigentliche Kern.

Ist es passiert, ist es nicht passiert?

Kompakt ist dieser Abend, die Bühnensituation ähnelt eher einer Installation. Durch große Fensterscheiben schaut man von den Sitzen ins minimalistische Bungalow-Innere. Bizarr ist das streckenweise schon. Der emotionale und erzählerische Wendepunkt folgt dann umso stärker. Wieder sitzt Ruth Rosenfeld auf dem Teppich, streicht mit ihren Händen über das Velours, als wische sie auf den alten Spuren. "Ist es passiert, ist es nicht passiert?", fragt auch sie.

Wie sie dann den ganzen exemplarischen Aufklärungsversuch schildert, ist ganz stark. Die immer wiederkehrenden Fragen der Polizisten nach dem Täter. Wie er aussah? Wie er sich genähert hat? Besondere Merkmale? Hat er Gegenstände benutzt? Dann der Gang zur Untersuchung ins Krankenhaus. "Versuch nicht, Stärke zu zeigen. Das bringt hier nichts." Mit Glück ist der Arzt eine Frau. Der Arzt wird nach blauen Flecken suchen und nach Sperma. "But this is not how my story works", bricht Rosenfeld schließlich ihre Erzählung ab. Einerseits sachlich, aber doch mit Tiefe, Sensibilität und filmreifen Dauerlächeln agiert sie – bloß kein leidendes Opfer sein –, und formt ein ganz eigenes, allgemeingültiges Drama, das sich vom speziellen Fall Doris Bither ablöst.

Wie Yana Thönnes die bizarre Geschichte mit zarten Anleihen an Mystery, der Erzählung über sexualisierte Gewalt und den sich wiederholenden Geschlechts-Stereotypen zusammenbringt, gelingt als konzentriertes Kunststück. Als Auftakt der Spielzeit an der Berliner Schaubühne ist das nicht die große raumfüllende Arbeit, die man erwartet – die folgt vermutlich eher mit Falk Richter, der nach Jahren am Gorki im November wieder hier inszeniert, und mit Jette Steckels erster Schaubühnen-Inszenierung – aber doch eine kleine Überraschung.

 

In Memory of Doris Bither
Uraufführung
von Yana Thönnes
Regie: Yana Thönnes, Bühne und Kostüme: Katharina Pia Schütz, Musik: Ville Haimala, Dramaturgie: Elisa Leroy/Martín Valdés-Stauber.
Mit: Heinrich Horwitz, Ruth Rosenfeld, Kate Strong.
Premiere am 26. September 2023
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.schaubuehne.de

Kritikenrundschau

"Es sind nur 70 Minuten, aber der Horror des Stillstands arbeitet mit der Ewigkeit zusammen," schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (28.9.2023). Der ausweglose Zustand des Plots werde "mit erbarmungsloser formaler Strenge vermittelt, die den Zuschauer in den Schmerz der Langeweile zwingt und ihn straft."

"Eine grausame, bedrückende und großartige Inszenierung," schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (28.9.2023). "Während andere Berliner Theater mit dröhnendem Kunstgewerbe im XXL-Format in die Spielzeit starten, macht die coole Schaubühne genau das Gegenteil: Ihre Premiere zum Saisonauftakt ist ein enorm dichter, kluger 70-Minuten-Abend auf der kleinen Studio-Bühne." 

Für Barbara Behrendt vom RBB (27.9.2023) geht das Experimentieren mit Doris Bithers Geschichte in der Schaubühne nicht an allen Stellen auf. "Doch die junge Regisseurin hat mit ihrer ersten Arbeit an der Schaubühne eine formal starke Arbeit vorgelegt, die sich mit der wichtigen Frage beschäftigt, wie sexueller Missbrauch erinnert, verarbeitet und von außen instrumentalisiert wird."

Kommentare  
Doris Bither, Berlin: Geschichte zurückgeben
Über den Fall Doris Bither erschien Anfang der 1980er Jahre ein typisches Exploitation-B-Movie: „The Entity – Es gibt kein Entrinnen vor dem Unsichtbaren“ lautete der reißerische Verleih-Titel. Nach Augenzeugen-Berichten handelt es sich um einen Mix aus Slasher-, Horror- und Mystery-Film, der ein Fest für Genre-Fans, aber außerhalb dieser Kreise heute weitgehend vergessen ist.

Yana Thönnes hat sich vorgenommen, Doris Bither ihre Geschichte zurückzugeben. Sie habe das „Copyright“ daran verloren, lautet ein zentraler Satz auf dem schmalen Ankündigungszettel.

In einem mit Übertiteln versehenen Sprach-Mix aus Deutsch und Englisch wird anfangs mehr gesprochen als performt. Als sich dies ändert, werden häufig Klischees produziert und in Schleifen wiederholt: Horwitz als Kind mit riesigem Teddy, Rosenfeld mit gespreizten Beinen an ihrer Strumpfhose nestelnd, Kate Strong geistert zombiehaft durch die rosa ausgestatteten Zimmer des Glaskasten-Bungalows von Katharina Pia Schütz oder alle drei traumatisiert und mit offenem Mund sich am Boden wälzend. Das Hintergrundrauschen bildet der monotone, nervenzehrende Suspense-Score des Finnen Ville Halmala.

Die Auseinandersetzung mit einer Vergewaltigung und die Frage, ob die anschließenden Prozeduren und Befragungen alles nicht nur schlimmer machen, da sie das Opfer ein zweites Mal zum Objekt machen, hat auch Édouard Louis in seinem von autobiographischen Erfahrungen geprägten Roman "Im Herzen der Gewalt" verhandelt. Intendant Thomas Ostermeier machte 2018 ein paar Meter weiter in den großen Sälen der Schaubühne die vielschichtigere Arbeit, die weiter im Repertoire ist.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2023/09/27/in-memory-of-doris-bither-schaubuehne-kritik/
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