Der Eisvogel - Am Potsdamer Hans Otto Theater bringt Stefan Otteni den Debütroman von Uwe Tellkamp zur Uraufführung
Geweihte unter Geweihen
von Sophie Diesselhorst
Potsdam, 28. September 2012. Schwarz glänzt der Bühnenboden. Könnte glatt sein. Die Schauspieler bewegen sich aber mit Sicherheit auf ihm. Gefallen wird nicht in Stefan Ottenis Inszenierung von Uwe Tellkamps 2005 erschienenem Debütroman "Der Eisvogel". Höchstens ganz am Ende, aber wie Mauritz seinem Freund Wiggo da aus den Armen rutscht, das hat nichts mit dem Boden zu tun, denn einen Moment vorher hat Wiggo Mauritz erschossen.
Schmerzhaftes Sich-Erinnern
Alles in "Der Eisvogel" drängt in die Rückblende. Denn der Protagonist und die meiste Zeit auch Ich-Erzähler Wiggo Ritter ist mit Beginn des Buches weitestgehend außer Gefecht gesetzt. Auf den tödlichen Schuss auf Mauritz folgte eine Feuersbrunst, durch die hindurch Wiggo sich und Manuela, seine Geliebte und Mauritz' Schwester, nur knapp retten konnte. Was zu Schuss und Feuer geführt hat, das lässt Mauritz auf dem Krankenbett Revue passieren. Er spricht dabei manchmal einen Herrn Verteidiger an, der ihn vielleicht dazu aufgefordert hat, den Tathergang zu schildern. Immer wieder driftet er ab ins Selbstgespräch, in ein oft schmerzhaft redundantes Sich-Erinnern auf der Suche nach – was eigentlich?
Nach der Erlösung von seinem Vaterkomplex und damit von sich selbst – so suggeriert es die Inszenierung von Stefan Otteni, die Tellkamps Text aus der Ich-Erzählung löst (Wiggos Monolog ist im Roman durchsprengselt mit Aussagen von Verwandten und Freunden). Sie verleiht Wiggos Perspektive Autorität, indem seine Erinnerungen und Gedankenschleifen für bare Münze genommen und grob chronologisch geordnet von einem Ensemble mit klaren Figurenzuweisungen ausgespielt werden.
Alexander Finkenwirth legt seinen Wiggo als hochsensiblen jungen Mann im Anzug an, in dem es unkontrolliert brodelt, was bei seiner Umwelt als Charisma ankommt, zumal er auch noch ganz gut aussieht. Seine Existenzängste, die Tellkamps Text mehr als alles andere an seinem Protagonisten eindringlich macht, nimmt man diesem Wiggo nicht so recht ab. Was nicht unbedingt an Alexander Finkenwirth liegen dürfte, sondern eher am Regiekonzept und an der Spielfassung von Ute Scharfenberg, die Tellkamps überbordenden Text angenehm entschnörkelt haben und eben vor allem Wert auf die nach außen gerichtete Frage gelegt haben: Was ist da eigentlich passiert?
Rechtsrevolutionärer Terror
Wiggo hat Philosophie studiert und sich einer Karriere in der Bank seines Vaters verweigert. Was Vater nicht versteht. Um Sohnemanns Ego zu stärken, führt er ihm eine seiner Assistentinnen als Geliebte zu. Wiggo geht dem auf den Leim, und der endgültige Abschied von der Welt seines Vaters fällt ihm umso leichter, nachdem er sich der demütigenden Situation bewusst geworden ist. Wegen einer Auseinandersetzung mit seinem Professor verliert er außerdem seine Anstellung an der Universität und schlägt sich fortan mit einem Hilfsjob durch. In dieser Situation trifft er auf Mauritz und seine Schwester Manuela, die ihn in die Kreise der "Organisation Wiedergeburt" einführen. Als Anführer dieser Vereinigung will Mauritz (dessen Eltern von einer Terrororganisation entführt und getötet worden sind) Angst und Schrecken in der (post)demokratischen Gesellschaft säen, um den Weg für eine neue Ordnung zu bahnen, deren Strukturen sowohl bei Tellkamp als auch bei Otteni nebulös bleiben – klar ist nur, dass sie auf konservativem Gedankengut fußen. Auf den zornigen Philosophen Wiggo setzt Mauritz als Chefideologen.
Denn das Wort Terror schreckt seine Financiers aus Wirtschaft, Politik und Klerus dann doch allzu sehr; sie reagieren unsouverän, als er sie auf dem Landsitz seiner Großtante zusammenruft, um ihnen seine Strategie zu offenbaren. Unter einem mit Jagdtrophäen geschmückten Kronleuchter sitzen sie, Geweihte unter Geweihen. Und Wiggo versagt, weil er sich in Manuela verliebt.
Auf ungefährlichem Terrain
Manuela, die in Uwe Tellkamps Text eine starke Spielmacherin ist, wird in Franziska Melzers Darstellung auf ein blondbezopftes Mädchen mit großen Grübchen reduziert und ein bisschen Grips, mit dem es nicht wirklich etwas anfangen kann. Ein Mädchen, das vor seinem großen Bruder kuscht und im Table-Dance für die alten Säcke der "Organisation Wiedergeburt" Erfüllung findet. Das führt dazu, dass die Eskalation der Dreiecksgeschichte Wiggo-Mauritz-Manuela in Potsdam lahm gerät. Obwohl Wolfgang Vogler Mauritz zu einer beängstigenden Figur, in ihrer Unberechenbarkeit stets an der Grenze zum Irren, gemacht hat. Der Mord an Mauritz, den Wiggo begeht, um Manuela vor einer Laune ihres Bruders zu retten, schockt dann doch nicht.
Die politische Dimension des Stoffs klang sowieso nur leise mit. In Stefan Ottenis Inszenierung befindet sich das Publikum auf ungefährlichem Terrain, so scheingefährlich dunkel der Bühnenboden auch spiegeln und vielleicht den einen oder die andere einen Moment lang einen "Nationalsozialistischen Untergrund" assoziieren lassen mag. Es ist ein Theater, das wohl fest darauf vertraut, dass man geborgen besser denken kann als ausgesetzt wie zum Beispiel Wiggo oder Mauritz. Das macht es über drei Stunden lang unterhaltsam – birgt aber auch die Möglichkeit, dass man schnell vergisst.
Der Eisvogel (UA)
Nach dem Roman von Uwe Tellkamp, Bühnenfassung: Ute Scharfenberg
Regie: Stefan Otteni, Bühne und Kostüme: Anne Neusser, Musik: Christian Deichstetter, Choreografie: Marita Erxleben.
Mit: Alexander Finkenwirth, Wolfgang Vogler, Franziska Melzer, Bernd Geiling, Marianna Linden, Peter Pagel, Elzemarieke de Vos, Dennis Herrmann, Rita Feldmeier, Raphael Rubino, Jon-Kaare Koppe, Philipp Mauritz, Christian Deichstetter (Klavier).
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.hansottotheater.de
Volker Trauth schreibt auf der Webseite von Deutschlandradio Kultur (28.9.2012), bei Tellkamps Eisvogel handele es sich um den Roman einer "geplanten und missglückten Revolution von Rechts" und um "die Geschichte einer geistigen Verführung". Deutlicher als im Roman seien in der Bühnenbearbeitung von Ute Scharfenberg die Konfliktpartner zu erkennen. Theatralische Steigerungen gebe es jede Menge. "Martialische Gestalten robben, foltern und marschieren in einer Übungsstunde der Wehrsportgruppe von Mauritz", und das gemeinsame "inbrünstige Singen des Deutschlandlieds" beende die Tagung der "Bewegung Wiedergeburt". Der Theatralisierung seien jedoch Grenzen gesetzt. Viele Textpassagen hätten zu wenig "situatives Potenzial". Herausragende sei Alexander Finkenwirth als Wiggo, der in den besten Momenten der Inszenierung das "auseinander laufende Geschehen" zusammenzuhalten vermöge. Insgesamt eine "engagierte Arbeit", die "jedoch nicht beweisen kann, dass dieser Roman nach weiteren Umsetzungen auf der Bühne schreit".
"Wer bereit ist, sich mit den Gefahren eines elitären Rechtsterrorismus auseinanderzusetzen, kommt beim 'Eisvogel' voll auf seine Kosten", schreibt Frank Dietschreit in der Märkischen Allgemeinen Zeitung (1.10.2012). Die Hauptfigur will sich aus dem Milieu des Banker-Vaters lösen, herausfinden, was die Welt im Innersten zusammenhält und schlittere voller Enttäuschung in gehobene rechtskonservative Kreise. "Die Bühne ist, bis auf einige urdeutsch-gemütliche Hirschgeweihe, weit und offen, die Schauspieler wechseln in Windeseile Rollen und Kostüme. Ort, Zeit und Raum fließen übergangslos ineinander." Die Textfassung sei genauso klar und entlarvend wie die Inszenierung. Zu Recht gab es heftigen Applaus.
In der uninspirierten und angestrengten Inszenierung von Stefan Otteni sieht Tellkamps papierene Gemengelage leider entsprechend aus, findet dagegen Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (1.10.2012). "Otteni nämlich übernimmt, vermutlich aus Bequemlichkeit, völlig den Blickwinkel des Autors." Er schildere nichts über die Figuren im Kontext ihrer literarischen Gestaltung hinaus. "All die Phantasie, die sich zwischen Leser und Text entfalten kann, wird hier zugunsten einer monoperspektivischen Aufführung doktrinär ausgeschlossen." Im Bühnenbild sei im Hintergrund "Wovor hast du Angst" in Versalien an eine Wand geschrieben, "und das möchte man sehr gern vom Regisseur wissen, der sich hinter dem diffizilen Romankonstrukt versteckt hat und lieber den darin thematisierten Elitekult des Faschismus ästhetisiert, als dazu mit den Mitteln des Theaters Position zu beziehen."
Christian Rakow in der Berliner Zeitung (4.10.2012) ordnet die Potsdamer Inszenierung in eine Reihe aktueller Demokratiebefragungen in Literatur und Theater. Man habe Uwe Tellkamp schon beim Erscheinen seines Buches 2005 politische Romantik vorgeworfen. Insofern treffe Stefan Ottenis Uraufführung den Geist der Vorlage sehr gut. Auch Otteni führe seine Figuren nicht vor, sondern lasse sie in aller Ernsthaftigkeit das "Hohelied der Geistesaristokratie" predigen. Und spätestens wenn im Hans Otto Theater die Nationalhymne erklinge und ein Teil der Zuschauer leise mitsinge, wisse man, dass die Absicht, ein kontroverses Diskussionsklima zu schaffen, allemal gelungen sei. Ute Scharfenbergs klug dramatisierte Spielfassung konzentriert sich auf die Psychologie des Terroristen. Und diese Vereinfachung der komplizierten Tellkamp'schen Erzählkonstruktion wirke sich entlarvend aus: Es qualme gewaltig, "aber ein Geist will nicht erstehen".
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Der Abend ist natürlich streitbar und das ist auch gut so.
Verwunderlich zunächst auch , dass man ausgerechnet den Eisvogel auf die Bühne hievt, da der ja nun angesichts der doch etwas platten Figuren wirklich nicht zu Tellkamps besten Werken zählt. Aber: Dass man man die Ermüdung der Menschen gegenüber der Politik und der Demokratie an sich zum Thema macht, die Verführungskraft rechten Denkens sichtbar macht und so sagt: "überlasst das Feld nicht den Falschen", ist lobenswert und toll.
Davon abgesehen gibt es auch feine schauspielerische Leistungen zu beobachten...
was Sie da quatschen geht auf keine Kuhhaut: Wenn Sie DEM Abend nicht ansehen, wo er sich positioniert, dann ist Ihnen nicht zu helfen: Ich war in der Premiere auch erstaunt, daß die Potsdamer mit Szenenapplaus auf die Nationalhymne reagieren, aber endlich geht jemand diese Themen an, daß die Demokratie selbst unter den Demokraten abgewirtschaftet hat. Das ist besser, als zum x-ten Mal Ibsens "Volksfeind" wieder aufzuwärmen Und daß man "die Bösen" am verführerischsten darstellt und mit den besten Schauspielern besetzt, um den Zuschauer zu locken, das ist schon seit Schillers "Räubern" so. Aber muß man jetzt den Regisseur, oder den so überzeugend spielenden Wolfgang Vogler nötigen, sich von dem Gezeigten als Künstler zu distanzieren? Das ist doch albern!
das Geniale an Tellkamps Gedankenspiel im Eisvogel besteht eben darin, daß er jede Anklänge an Hitler meidet und die rechtskonservativen Figuren dort weder antisemitisch noch rassistisch sein läßt: Im Gegnteil, es findet sich dort eine Passage, in der die Hauptfigur eine Gruppe Skinheads in der S-Bahn regelrecht hinrichtet, weil sie eine türkische Frau bedrohen. Und man selbst erwischt sich in der Aufführung dabei, bei vielem, was die Rechten sagen, zustimmend zu nicken.
Genau das meine ich doch auch. Heute wird natürlich keiner mehr plump Hitler zitieren, wenn er auf der rechten Überholspur fährt und mit seinen Aussagen punkten will. Aber es lässt sich vieles darauf zurückführen, wenn man die Texte kennt und keine Scheu hat sich damit auseinander zu setzen. Gut zitiert ist halb gewonnen. Es ist alles irgendwo schon mal gesagt worden. Man muss es nur in einen aktuellen Kontext stellen, um die Massen zu verunsichern oder zu manipulieren. Literatur und Theater kann die Möglichkeit nutzen, die Menschen auch mal unkommentiert mit diesen Aussagen zu konfrontieren. Danach muss dann das eigene kritische Nachdenken beginnen.
was hansdampf da schreibt kann ich nicht nachvollziehen.
@Hansdampf: Sie finden der Niedergang der Demokratie ist kein Theaterabend wert? Lieber Hansdampf, was dann? Was schlagen Sie vor? Der Roman und noch stärker die Aufführung riskieren, einen gedankenlastigen Abend, aber WAS da gedacht und auf der Bühne ausgesprochen wird, das hat Sprengkraft. Habe selten so gespannt zugehört im Theater.
Sie könne sich gar nicht vorstellen, wie abgefuckt ich solche Kommentare empfinde. Sie hätten sich doch an der Meese Debatte beteiligen können. Aber dazzu fehlt ihnen etwas.
Wenn Sie Beweise für die "korrekte" Gesinnung der Beteiligten brauchen, um Ihre Ängste zu beruhigen, dann wären Sie mal zur Diskussion am Wochendende gegangen, da konnte man eindrucksvoll sehen, was für ein glühender Demokrat Otteni zB ist. Aber finden Sie wirklich, daß es darauf ankommt? Wären die Schauspieler nicht automatisch schlechter, wenn sie ich politisch korrekt weigerten, sich in ihre Figuren einzufühlen? Und dümmer sowieso?
damit haben sie sich zumindest ins aus gestellt.
mit diesem abend zeigt das theater einmal mehr, mit welch wenigen mitteln man den kleingeist einiger zuschauer herausfordern und entlarven kann, wie wenig es braucht, um das scheinbar so aufgeklärte bürgertum dazu zu bewegen, die nationalhymne mitzusingen und zu applaudieren danach...schon sehr entlarvend und bedenklich...nach dcen thesen, die vorher verkündet werden im stück...man sieht, es braucht nur den richtigen führer und schon singen, marschieren und klatschen welche mit...
So einfach ist es nicht: Sie haben mich völlig mißverstanden: Ich plädiere ja gerade für eigenständiges Denken. Aber trotzdem gehört Haltung auf die Bühne, statt flirten mit rechten Thesen. Und wenn Sie mir Kleingeist unterstellen, stellen vielmehr SIE sich ins Aus, so unfair wie sie diskutieren.
Die Mitarbeiter des Hans Otto Theaters als rechts zu bezeichnen ist ja wohl eine Frechheit, man muss doch im Theater auch Problemthemen ansprechen können.. und am Ende ist der von rechts verführte junge Mann am Ende und verzweifelter als vorher.. Also finde ich keineswegs, dass die rechten Gesinnungen verherrlicht wurden ganz im Gegenteil!!
Ein wahnsinnig toller Theaterabend!!
Dem kann ich nur zustimmen: Schon lange nicht mehr so relevantes Theater gesehen: Vieles, was in der Gesellschaft gärt wird hier ausgesprochen: Bravo!
dass ich mich nicht mit dem Abend auseinandergesetzt habe, ist jetzt IHRE Unterstellung. Mindestens die drei langen Stunden habe ich mich mit ihm auseinandergesetzt, schon zu lang. Ich bin mit meiner Forderung nach Haltung nicht alleine: Auch z.B. die Kritikerin der FAZ beschreibt wie gefährlich es ist in diesen Zeiten einfach mit rechts zu flirten und dazu Bach und Schumann zu spielen.
subtil und/oder es ist ihr zu banal. Wahrscheinlich kann Sie es einfach besser !.
Danke, daß Sie das auch so sehen. Nicht das Theater ist in Gefahr in Potsdam durch zu wenig Haltung, sondern die Gesellschaft dort - und anderswo in Brandenburg - durch Gleichgültigkeit gegenüber der Demokratie bei gleichzeitiger Blindheit, den inzwischen wirklich massiven Rechten gegenüber. Das aufzuzeigen ist ein Verdienst der Inszenierung.
ich finde, Sie übertreiben maßlos. Wenn unsere Demokratie gefährdet ist, dann von den Zersetzern von links und der unglaublichen Gleichgültigkeit aus der Mitte der Gesellschaft. Wenn es einen Breivik nicht gäbe, müßten ihn die Regierungen erfinden, so gut funktioniert er im Ablenken von den wirklichen Problemen. Selbst im Theater funktioniert es: Sein "Manifest" wird verlesen und alle diskutieren: Lasst euch nicht irreführen!
ist ihr wahrnehmung wirklich so verkürzt?
das kann man so nicht stehen lassen.
milo rau mit dem breivik text und eben auch der eisvogel zeigen ganz klar wie sehr rechtes, faschistoides Denken salonfähig geworden ist, dass leute wie sarrazin, roland koch, stoiber nicht weit von entfernt sind.
Wir waren sehr beeindruckt von der emotionalen Spannung, die sich durch das Spiel der Schauspieler hergestellt hat.
auch finde, weiß ich nicht, was ich jetzt beängstigender finden
soll, die inhaltliche Ebene aus dem Stück heraus oder die Rückschlüsse aus dem Schwarz und Weiß der Pro- und Contra-Eisvogel-
Fraktionen. Ich fand den Abend ungemein bemüht und angestrengt,
die sogenannte Terrorzelle zB. so klischiert und abziehbildhaft,
böse Zungen müßten von einer "Verharmlosung" und einer großen Naivität künden, wie man sich so eine Organisation vorstellt, noch dazu, daß man sich den Übergang eines Post-George-Kreises zur Terrorzelle überhaupt so einbilden kann - mit der NSU hat das nichts zu tun, die allgemeinen Statements zur politischen Großwetterlage so auf dem Aktualisierungsstand der "Lindenstraße", daß ich ihn eigentlich für ziemlich belanglos halten würde, gäbe es nicht die Zweifel von meinem Eingangssatz her. Der immer aufrechte Philosophiestudent, der seinen Abschluß macht, um dann seinem Professor die Leviten zu lesen; und eine Doktorarbeit, die sein Programm doch enthält und seinen Professor aus allen Wolken fallen läßt, wo sie noch einmal verbalisiert wird, überhaupt: Philosophieabsolventen, die einen Knick in der Optik bekommen, wenn sie plötzlich arbeitslos sein sollten: Menno, daß die wenigsten von "uns" (gut, ich habe abgebrochen) nicht als Philosophen werden arbeiten können, war den meisten von uns ein offenes Geheimnis. Tellkamp skizziert im Beiheft den "Terroristen":
Wiggo ist bis zum Schluß eigentlich keiner und wird von den Ereignissen überrannt- sein "Mord" ist mehr ein Unfall , bis zu letzt kann er naiv fragen "Würdest Du töten", aber Wiggos Biographie wird durch die Inszenierung klammheimlich Kaltmeister untergejubelt, von dessen Unterdrückungsgeschichte wir doch eigentlich nichts erfahren: die Aufteilung "des" Terroristen auf zwei Charaktere, die eigentlich aber mehr nebeneinander herlaufen als wirklich einander beeinflussen, ist hier völlig rätselhaft :
die Reize der Schwester Kaltmeister sollen das wohl überbrücken. Armer Philosoph ! Ein regelrechter Schatz, diese Inszenierung, von
"Rate das erst-, zweit- oder drittbekannteste Zitat des Prominenten XYZ": "Mit freiem Volke ..., Philosohen haben die Welt nur unterschiedlich ..., magst Du meine Füße, meine Fesseln, meine Beine, meinen Po"- mit anderen Worten von Schiller über Marx bis zur "Verachtung" Godards - es ist ja auch verlockend, Frau de Voß
hier mal die Sätze Brigitte Bardots in den Mund zu legen, nein,
als so furchtbar Mutiges, irgendetwas zum NSU-Komplex Beisteuerndes vermag ich dem nicht abzugewinnen: umso merkwürdiger weiterhin dieser "Sturm im Wasserglas" von Links und Abermalslinks zu dieser Sache..
Sie scheinen ja viel ins Theater zu gehen, aber wenn Sie den Abend mit Zitate-Raten verbracht haben, ist Ihnen vielleicht das Schlaumeier-Gucken wichtiger als dem Hauptstrang zu folgen. Habe den Abend jetzt zum zweiten Mal gesehen und halte es für ein großes Mißverständnis, wenn einem das Klischeehafte in den Wortmeldungen der Terrorgruppe als Mangel des Autors oder der Regie angelastet wird, weil der Regisseur nach solchen Ergüssen doch regelmäßig Figuren selbst sagen läßt, wie stammtischhaft etwas formuliert war. Es scheint also um etwas anderes zu gehen, vielleicht ja, daß die Leute trotzdem auf so platte Argumentation hereinfallen, was ja, siehe Sarazin, auch stimmt.
Auch ist es ein (philosophischer?) Kurzschluß, zu denken, Tellkamp würde hier die NSU thematisieren wollen. Das macht den Abend ja so erschreckend, daß er im Gegenteil verdeutlicht, wie weit das Gedankengut in der Mitte und der sog. Elite der Gesellschaft angekommen ist, auf dem Bundespresseball, sozusagen. Also nehmen Sie bitte Ihre eigenen Verkürzungen und Scheuklappen nicht für die der Potsdamer Akteure.
1. Nein, das Zitate-Raten war weder mein Anliegen noch ist es meine hauptsächliche Beschäftigung beim Zusehen und Zuhören gewesen, ein
solches anzustrengen; auch deutete ich schon an, daß ich/man da nicht lange raten mußte.
2. Es gibt auch "Schlaumeierinszenierungen", die einen durchaus
lohnenden Stoff in derlei Zitatenreigen geradezu ersticken;
diese ist nahe dran, aber das ist nicht mein Haupteinwand gegen
sie gewesen.
3. Es ist tatsächlich schlaumeierhaft und inszenatorisch geradezu
unendlich ermüdend, wenn Figuren das von Ihnen Gesagte sogleich
wieder als "stammtischhaft" relativieren und/oder zurücknehmen.
4. Kommen solche Selbstzurücknahmen häufiger vor, ensteht eher der
Eindruck einer Krücke, derer sich der Inszenierende immer dann
bedient, wenn er nicht weiter weiß (das machen auch andere
und bekanntere Regisseure nur allzuoft: siehe , wenn Sie Zeit
haben, den Thalia-"Platonow" in dieser Spielzeit !).So auch mein
Eindruck bei dieser Inszenierung.
5. Nein, ich halte den "Eisvogel" für kein Stück zur aktuellen NSU-
Problematik, und mache demzufolge auch Herrn Tellkamp nicht den
Vorwurf, hier das Thema verfehlt zu haben; das würde meinen
Einwand mißverstehen.
6. Daß es zu diesem Mißverständnis aber leicht kommen kann, laste
ich der Inszenierung an, welche nämlich -sensationalistisch im An-
satz- den Tellkamp-Roman in die Richtung "Terrorismus" bürstet.
Dies geschieht sowohl bei solchen Anspielungen wie "Schreddern",
zu dem das Publikum verschwörerisch-wissend zu großen Teilen
lachte als auch qua Voraussendung des Terrorismus-Interviews
im Stückheft.
7. Sie gehen auf meinen Haupteinwand zur Splittung der "Terroristen-Figur" garnicht erst ein; ich finde allerdings gut, daß wir zumindestens die gleiche Szene für die stärkste der Inszenierung zu halten scheinen (die U-Bahn-Szene).
8. Kurzschlüsse zu dieser Inszenierung kamen haufenweise vor, ich nenne nur die Verwirrung bei manchem Kritiker bezüglich des Mitsingens der Nationalhymne. Diese Szene hatte eigentlich so überhaupt nichts Verführerisches, ich finde, daß hätte entweder bei der Premiere auffallen müssen oder es war bei der Premiere deutlich anders als gestern.
9. Tut mir leid, wenn wenigstens Grundzüge einer rechten Politik entwickelt worden wären (wo sehen Sie Sarrazin ??), ruhig, sachlich, gespenstisch, und wenn wenigstens diese Klischee-Gruppe
als irgendwie verschworener Haufen sichtbar geworden wäre (gemeinsame Leiche im Keller ? - viele "Proben" erst machen so eine Gruppe, diese aber wird bei der kleinsten Unstimmigkeit erschüttert, ja : gesprengt, ein lächerliches Häufchen, das kaum etwas mit wirklichen "Zusammenkünften" gemein haben dürfte und also keinen Mehrwert abwirft (wie ich mir soetwas vorstellen kann/soll)), dann hätte ich den Reiz der Veranstaltung (samt Streit um sie) verstehen können.
10. So aber, wie die Inszenierung ist, läßt sie einfach eine Litanei von mehr oder weniger Mißständen aufzählen und anprangern (Szenenapplaus für den Mainstream aus dieser Aufzählung), die noch keineswegs rechts ist (!), tut aber fast schon so, als sei das schon der Schlüssel der Rechten; aus jeder Lektüre der Schönhubereien der Vergangenheit (und da kann man sich sogar auf Westdeutschland beschränken, denn bei der Europawahl 1989 gingen 6 Sitze aus der BRD an Schönhuber, Schlee und Konsorten), aus jeder aufmerksamen Lektüre eines rechten "Blattes" gewinnen Sie mehr Erkenntnisse als durch diesen Abend, der beinahe die Hoheit über den Stammtischdiskurs über obige Mißstände versucht zu gewinnen, so wie er rüberkommt.
11. Verführung durch Sprache, Strategien der propagandistischen
Fähren ins Bewußtsein: das wäre es gewesen. Stattdessen wurde
auch noch "Terrorismus" thematisch aufgesattelt; weniger wäre
mehr gewesen und hätte dann vielleicht die atmosphätische und
auch lyrisch-bildliche Dichte der "Turm"-Inszenierung erreicht.
1. Es ist tatsächlich geradezu unendlich ermüdend, wenn unkonventionelle Inszenierungen nur noch von Leuten kommentiert werden, die nichts als eine Litanei von Mißständen aufzählen und anprangern, statt sich am Abend mal auf was Neues einzulassen (Szenenapplaus).
2. Es gibt nur jeweils eine richtige Art ein Stück anzusehen und deshalb finde ich auch, es hätte spätestens jedem bei der Premiere auffallen müssen, daß diese und jene Szene eigentlich so überhaupt nichts Verführerisches hatte.
3. Wer seine Beiträge professoral durchnummeriert hat immer recht.
Der Hund war auch toll.
Lieber Philosoph, Sie also glauben ernsthaft, daß in der Szene mit der Nationalhymne jemand (von dem "Kampftrupp" abgesehen) verführt gewesen sein könnte mitzusingen ?
Natürlich hat jeder seine Sicht von so einer Inszenierung, und ich habe mich auf die jeweils neue Erfahrung positiver Kritiken (ich weiß, daß es mehrere gibt) ebenso eingelassen wie auf die erste Bühnenadaption des Romanes und die -ebenfalls gibt es mehrere- negativ gehalteneren Kritiken, dennoch habe ich versucht, meine Meinung zur Inszenierung darzustellen und -womöglich- argumentativ zu stützen. Zudem habe ich bereits im Vorfeld der Inszenierung das, was ich vom Konzept her vorentworfen gefunden habe, gegen die, nennen wir sie so, Zensurfraktion verteidigt; von diesen Worten habe ich nichts zurückzunehmen.
Wer seine Beiträge professoral durchnummeriert, hat leider nicht immer recht, aber Ihre Version, nach der wir es dann beide haben, gefällt mir letztlich ganz gut. Ich habe eigentlich durchnummeriert, um mich ein wenig zu disziplinieren, nur kurz in Punkten zu antworten (ich neige leider zu Abschweifungen und Klammern).
Der Hund ist übrigens ein Weimaraner (Vorstehhund) in der kurzhaarigen Version. lg aus Hamburg
Ich muß mich doch noch einmal äußern: A. Zarthäusers ausführliche Thesen tun so analytisch und objektiv - da hat "Philosoph" wirklich recht - und sind, wenn man das Buch kennt, nichts als subjektiv hingehunzte Meinungen und aus Text und Aufführung nicht belegbare Anschuldigungen.
Zum Beispiel, die seltsame Behauptung, die Inszenierung würde Wiggos Biographie der von Kaltmeister unterjubeln. Das tut die Aufführung gar nicht. Wenn ich mich recht erinnere ist Kaltmeister über seine Biografie genauso wortkarg wie im Buch, nur daß seine Eltern bei einem Terroranschlag ums Leben kamen, erwähnt er.
Auch daß die Inszenierung schlaumeierlich tut: Wo? Wann? Daß eine Romanadaption auf dem Theater Motive und Figuren verkürzt, ist doch normal.
Die Hinwendung vom George-Kreis zur Gewalt ist übrigends schon im Roman überraschend - vielleicht sollten Sie den doch mal lesen, bevor Sie so auf die Inszenierung eindreschen.
Aber auch Ihre anderen Behauptungen ärgern mich sehr, der ich den Abend sehr gelungen finde: Ein Roman, der vor allem von Rechtsterrorismus handelt, kann man in der Aufführung gar nicht "auf Terrorismus bürsten". Was ist denn Ihrer Meinung sonst das Thema des Buches wenn nicht Terrorismus?
Der Terror-Text im Programmheft. Ich habe ihn erst nach dem ersten Besuch der Aufführung gelesen - er ist gar keine Voraussetzung um den Abend zu verstehen.
Die Grundzüge des rechten Denkens, sie werden sehr wohl entwickelt in der Grundsatzrede von Kaltmeister nach der Pause ( übrigens auch "ruhig, sachlich gespenstisch", wie Sie ja fordern, toll gespielt von Herrn Vogler).
Das ist übigens auch die Verbindung zu Sarrazin, die ich meinte: Die demokratiefeindlichen Kräfte im Stück bedienen sich der Politikmüdigkeit des Mainstreams, benutzen die Kritik, auf die sich alle einigen können, um sie dann mit nach rechts mitzunehmen, wie Sarrazin in seinen Schriften, wie zB die NPD bei ihrem Europa-Bashing. Da genau holt einem das Stück ab. Das was Sie "Stammtisch" nennen, ist meiner Meinung nach beabsichigt, daß der Zuschauer mitnickt - oder applaudiert - um später, wenn die Hauptfigur sich radikalisiert, dann ein Gewissensproblem zu bekommen. Mir ist das so gegangen beim ersten Mal, daß man mich sozusagen genauso verführt hat wie die Hauptfigur, und ich fands genial.
Das scheint mir ihr Hauptproblem zu sein: Sie saßen in einem Abend, den das Publikum augenscheinlich mochte, Sie aber nicht, und jetzt wettern Sie gegen den "Mainstream" und versuchen sich "objektive" Listen herbeizuschreiben, warum er so schlecht ist. So wie Sie sich auch verraten im Punkt der Nationalhymne. "Jedem hätte bei der Premiere auffallen müssen, daß die Szene so nichts Verführerisches hatte" - können Sie sich nicht einfach vorstellen, daß sie für Andere was verführerisches HAT? Oder, daß der von Ihnen scheinbar so verachtete Mainstream einfach Szenenapplaus gibt, weil der Schauspieler Alexander Finkenwirth seine Szene mit der Liste der Probleme so brilliant spielt?
Und: Lesen Sie den Roman - dann hören Sie vielleicht auf, den Potsdamern anzulasten, was schon bei Tellkamp streitbar ist. Da war ja selbst die FAZ fairer. Grüße.
Werter Herr Lange, ehrlich, so geht es nicht; Sie arbeiten hier mit Unterstellungen noch und nöcher. Ich versuche angeblich, hier objektive Listen herbeizuschreiben (warum ich die Punkte als Punkte aufführe, habe ich geschrieben, aber das interessiert Sie nicht, Sie versuchen mich nahezu zu zwingen, diesen Abend zu mögen, und Ihre Argumente dafür sind für mich immernoch nicht überzeugend), nur weil ich hier versuche, meine andere Auffassung des Abends zu umreißen: Anstatt sich zu freuen, daß sich hier jemand ernsthaft und mit Herzen dabei versucht, sich öffentlich mit diesem Abend auseinanderzusetzen, so daß Konträres hier überhaupt zur Sprache kommen kann, sprechen Sie von "verhunzt" und schieben nach, ich hätte ein Problem damit, wenn ein überwiegender Teil des Publikums einen Abend goutiert. Ich kann Ihnen versichern, daß Sie sich da gehörig in mir täuschen. Es ist doch durchaus weiterführend, wenn wir auf die Differenzen und auch die Nicht-Differenzen (ich habe mich im Vorfeld mit dem Roman beschäftigt, gebe aber zu, ihn nicht vollständig gelesen zu haben) von Roman und Romanadaption zu sprechen kommen. Wenn beispielsweise schon die Hinwendung des "George-"-Kreises zur Gewalt im Roman -das beispielsweise habe ich in einer SPIEGEL-KRITIK zum Roman bereits gelesen- eher überraschend, wo nicht befremdlich und untermotiviert ist, stellt sich immernoch die Frage, warum man in einer Inszenierung, in der man notwendigerweise so viele Dinge verkürzen muß, ausgerechnet dieses Detail stehenläßt und damit inszenatorisch notwendig verstärkt bzw. überhöht. Genau dieser Vorwurf ist Otteni zuweilen ja auch von der Kritik gemacht worden, sich in derlei Details gerade nicht von Tellkamp abzusetzen, so daß Teile der Inszenierung einen anbindungslosen, disparaten
Charakter haben. Dieser Meinung schließe ich mich an. Was sagt das über mein Verhältnis zum sonstigen Publikum ? Nichts. Klar, Herr Finkenwerth macht seine Sache bei der Aufzählung wirklich gut (woher haben Sie, daß ich die ganze Sache in Bausch und Bogen niederwettern will ?, es gibt wahrlich ganz andere Abende, im Gegenteil, gerade die Qualität, die ich in Potsdam schon erlebt habe, konnte sich hier nicht vollends, aber freilich gelegentlich, entfalten), nur bleibt dann andererseits in der Tat auch ziemlich ununterscheidbar, ob er Szenenapplaus für das "Technische" bekommt und/oder für die Liste, die er vorträgt. Nun gut, ich erlebte es so, daß beides der Fall war. Aber, in der Kaltmeister-Analogszene zu dieser "Litanei" (aus Allgemeinplätzen, die ich alle Nase lang in irgendwelchen Inszenierungen um die Ohren gehauen bekomme, vielleicht nicht zu unrecht, weil ja an der Schilderung der "Mißstände" durchaus etwas dran ist) erlebte ich das durchaus ganz anders, und ich schätze es schon so ein, daß hier die meisten halt nicht versucht waren, erneut zu klatschen beziehungsweise dann bei der "Nationalhymne" mitzusingen, und insofern sagen mir die Publikumsreaktionen auch ziemlich wenig über Verführbarkeit im Allgemeinen der politischen Großwetterlage oder im Speziellen bestimmter und vertiefter Einzelaspekte. Ich hätte es begrüßt, wäre dann tatsächlich mehr zB. von der EURO-Skepsis und von Sarraziniaden gekommen, stattdessen mußten sich die diversen Redner immer wieder selbst und gegenseitig zurücknehmen. Am ehesten scheint da die These durch, daß die Agonie der Mehrheit sich ganz ähnlich auch als Agonie der Radikalen spiegelt. Wer dann weiter zum Durchdringen der Gewalt fortschreitet, wird vermutlich vor dem Gewaltpotential aus der "Mitte" der Gesellschaft mehr erschrecken als über ein solches aus derlei müden Zirkeln, und wenn Sie mit all jenen Unterstellungen über meine Motive daherkommen, scheint es mir so, ein recht ordentliches Beispiel für diesen "Jack-Wolfskin-Konformismus" gerade am eigenen Leibe zu erfahren, was mich schon kaum noch ärgert, weil es leider so alltäglich ist, sich irgendwann damit auf Lebbares hin einrichten zu müssen. Ich schrieb auch, daß ich den Komplex "Verführbarkeit durch Sprache" wesentlicher fand (siehe Ihr kleiner Dialog mit Stefan) als eine Zuspitzung des Terrorismus-Themas. Meine Formulierung "auf Terrorismus bürsten" ist diesbezüglich recht unglücklich, das stimmt, weil das ja tatsächlich im Roman so angelegt ist.
Was ich meinte, war, daß die Sache nach Maßgabe jenes Terroristen-Profils (das Sie für unerheblich halten) aus dem Stückheft auf eine bestimmte Art, sich dem Terrorismus zu nähern, zugespitzt wurde, die für meine Begriffe (!) schlicht nicht schlüssig ist, und da kommt dann jene Verlagerung von Wiggo auf Kaltmeister, die ich so sehe, ins Spiel (vielleicht sollte man den "neuen" Gedanken erwägen, A und B hier ineins zu denken wie bei Kierkegaard ...). Ich werde den Roman die Tage noch einmal in Gänze lesen , und ich stehe (Ihnen) gerne für eine weitere Sichtung von Roman und Inszenierungsgeschehen rund herum zur Verfügung- aber, ich bitte Sie, sorry, ohne jene offenen und distanzlosen Feindseligkeiten. Ihr AZ
Gefährlich ist es, wenn hier ein Kommentator eine "Agonie der Radikalen" in Deutschland erkennen will. Die Rechten sind nicht in Agonie, sie sind so aktiv wie nie und nützen "die Agonie der Mehrheit" um weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Wir quatschen, sie handeln.
Bitte lesen Sie das nicht anders, als ich es geschrieben habe. Ich schrieb davon, daß nach Anlage der Inszenierung mir diese These
durchscheint, ob ich sie nun für richtig halte oder nicht. Für so einen "George"-Zirkel trifft es schon irgendwie zu, finde ich, und deshalb sehe ich mitunter auch das Problem einer "Verwässerung" oder "Verharmlosung", mindestens einer ziemlichen Undeutlichkeit
betreffs des realen "rechten Randes". Auch sprechen "wir" oftmals von "Agonie" und spielen damit nur die Bilanzen unseres realen Handelns (!) runter. Die Rückkehr deutscher Soldaten auf allerlei Kriegsschauplätzen, wenn das kein Handeln ist ! Und: mitten aus der Gesellschaft. Ähnlich wie "unsere" Agonie sich zu diesem Krieger-Faktum verhält, verhält sich, denke ich, die "Wertkonservativen"-Agonie zu den rechten Terrorgruppen.
Gleichzeitig herrscht ganz allgemein der Zug vor, vollendete Tatsachen zu schaffen, und sei es "nur" beim Einparken oder sonstwo im öffentlichen Verkehr; auch hierbei droht der Begriff "Agonie" die alltäglichen Idiotien hierzulande eher zu verniedlichen. Der Film "Muxmäuschenstill" zB. war ja gerade so großartig meineserachtens , weil er auf sehr humorvolle Weise diese Verhaltensmiß-
stände en passant erfaßte, indem eine radikale Abwehrreaktion darauf (Muxens Gesellschaft) ironisiert wurde.
Das, was Wilhelm Reich noch "emotionale Pest" nannte, greift aus der Mitte der Gesellschaft um sich, Opfer davon bleiben ungezählt und bevölkern den "Markt der Sinnstiftungszirkel" und womöglich "geschlossene Einrichtungen", ein Markt, der ungeheuer boomt -wie ich sah, in Potsdam keineswegs am wenigsten- und gegen den die Opfer der rechten Gewalt zahlenmäßig zu verschwinden drohen. Ja, und das ist eine reale Drohung und Gefahr, und das ist einer der Gründe, warum ich der generellen Entscheidung, diesen Roman auf die Bühne zu bringen, positiv gegenüber eingestellt war und bleibe und mit einer, ja, Vorfreude nach Potsdam fuhr (die sich nicht ganz einlöste und bei der es fraglich bleibt, ob diese einlösbar wäre; immerhin aber kann ich bei meinen Anmerkungen unmöglich unterschlagen, daß da ein Reiz von der "Eisvogel"-Diskussion auf mich ausging, die nicht plötzlich etwas ganz Anderes sein kann; im übrigen hatte das seinerzeit noch den Vorlauf im "Immernoch-Sturm"-Thread (Nürnberger Inszenierung von Otteni), wo im übrigen die Handke-Versuche (siehe neuen Handke-Thread) auch eine Rolle spielten (mir fällt gerade auf, daß ich heute noch mal "Das weiße Band" von Michael Haneke sah, was auch dort zur Sprache kam; ich konnte dem Film beim zweiten Sehen tatsächlich auch mehr abgewinnen als beim ersten, aber das ginge zu weit, das jetzt zu erläutern : mit Inszenierungen kann das natürlich ganz ähnlich gehen)). Ob die Rechten aktiv wie nie sind (siehe die Wahlerfolge der REP, DVU , NPD noch zu BRD-Zeiten und zu den jeweils zweiten Landtagswahlen in den neuen Bundesländern) , ist für mich noch fraglich, aber die Aktivitäten sind allemal brutaler und häßlicher
geworden- daran gibt es nicht viel zu deuteln.
Herr Zarthäuser,
ich will Ihnen jetzt doch antworten: Ich BIN froh über die offene Diskussion, die hier zustandekomt, aber genauso bin ich entsetzt über das pauschale Verwerfen dieses komplizierten Abends. Was Sie in Ihren letzten Beiträgen schreiben, klingt schon um einiges differenzierter - so kann eine Diskussion beginnen. Ich bin sehr gespannt über ihre Leseerkenntnisse, wenn Sie den Tellkamp noch mal zur Hand nehmen. Ich bin der Meinung, daß Otteni und die Potsdamer das Material sogar besser gemacht haben - das Spekulative und Reißerische des Romans gedimmt, das Unheimliche durch die Musik und die Jagdtrophäen verstärkt, usw. Freue mich auf die weitere Diskussion. Grüße.
Das legt das Stück in Potsdam natürlich nicht nahe !
Ob es das Letzte ist, aus "Protest" NPD, DVU , REP und Konsorten zu wählen,
aus "Bequemlichkeit und Konformismus" eine der "etablierten" Parteien oder aus
"Protest, Bequemlichkeit und wiederum Konformismus (der Art "Politik ist ein schmutziges Geschäft") garnicht, ist für meine Begriffe ein weites Feld. Filme, Romane, Romanadaptionen und Filmadaptionen wie "Die fetten Jahre sind vorbei" oder "Der Eisvogel" werfen einen kritischen Blick auf "Alternativen", auf Formen der außerparlamentarischen Opposition gewaltgeprägter Artung, die in vollständige Desaster münden. Nein, es kann keine Rede davon sein, daß hier der Parlamentarismus entsorgt werden soll; es regiert vielmehr die Sorge um einen solchen, wenn er es nicht mehr vermag, Spannungen in der Gesellschaft wahrzunehmen, zu "integrieren" , zu kanalisieren..
Mit Ihrer Wahlstimme können Sie doch auch deutlich machen, dass es Ihnen wirklich um die Demokratie als Volkssouveränität und nicht als von Europa ausgehender Markenname geht, mit welchem die Begriffe "Frieden, Gerechtigkeit und vor allem Demokratie" nur verkauft werden.
glauben Sie wirklich, daß man in Deutschland mit Wahlen etwas bewirken kann? Sind nicht die Parteien meistens schon längst von Wirtschaftsbossen gelenkt, wie es die Aufführung in Potsdam ja auch nahelegt? Vieles von dem, was im Stück an der Demokratie kritisiert wird stimmt ja. Ich finde, da sind Sie naiv.
ich habe das Stück nicht gesehen. Aber wenn so viele Kommentare die antidemokratiche Richtung des Abends kritisieren, muß ja was dran sein. Selbst wenn es das Stück nicht zitierfähig nahe legt, es ist schon eine Sauerei, wenn man es so verstehen kann.
Sie haben schon recht. Aber ist wählen gehn, wenn es eine Farce ist, nicht Heuchelei? Beruhigt man da nicht sich und die Politiker, tut so, als würde die Demokratie funktionieren, und dabei ist es nur noch die Hülle ? Ich glaube, es ist schon so, wie der Herr Kaltmeier im Stück sagt: "Die Demokraie ist müde. Die Menschen sind müde." Aber den Sturm, den Schock, den er herbeiführen will den will ja auch keiner. Oder wollen Sie den?
Den Sturm hält ja eh keiner aus, den wirklichen. Nur ein paar wenige,
die Radikalen, zu denen zählen wir nicht.
Und vor allem, Demokratie ist ja eben gerade keine leere Hülle, die von verschiedenen politischen Akteuren benutzt werden kann - auch Hitler kam ja, durch mehr oder weniger freie, demokratische Wahlen an die Macht. Nein, es geht vor allem darum, dass in diese leere Hülle nach Rosa Luxemburg ein "Klassenvorurteil" eingeschrieben ist. Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden. Gleichgeschaltetes Denken dagegen ist schon Diktatur.
Was Sie über gleichgeschaltetes Denken schreiben, stimmt. Ich habe mir jetzt erst die ganze Diskussion zu diesem Stück durchgelesen und da wundere ich mich gewaltig. Wer da in seinen Beiträgen Arbeitsverbote für den Regisseur fordert - das ist Gleichschaltung im Denken. Nur: Ist Tellkamp mit seinen sprechenden Namen rechts? Oder beschreibt er rechte Figuren lediglich?
Ich glaube, Demokratie ist schon lange eine leere Hülle und die Leute hier regen sich über das Stück in Potsdam so auf, weil es ihnen das so deutlich zeigt.
"mittlerweile"?
Hat nicht auch Hitler eine "sozialistische deutsche Arbeiterpartei" geführt?
1) NSDAP = Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) war eine in der Weimarer Republik entstandene politische Partei, deren Programm beziehungsweise Ideologie (der Nationalsozialismus) von radikalem Antisemitismus und Nationalismus sowie der Ablehnung von Demokratie und Marxismus bestimmt war.
2) SAPD/SAP = Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD, häufig auch Sozialistische Arbeiterpartei, SAP genannt) war eine linkssozialistische, marxistische Partei, welche von 1931 bis 1945 bestand und eine wichtige Rolle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus spielte.
ich glaube nicht, dass das die Frage der Inszenierung ist. Ich glaube der Tellkamp und vielleicht noch mehr Herr Otteni wollten über Elite reden: Die, die Schumann hören, Hölderlin noch auswendig können - wieso sehnen die sich nach Kampf gegen die Demokratie ?
während ihr noch an der Interpretation des Eisvogels in Potsdam noch herumdeutelt, arbeiten andere schon längst an der abschaffung des Parlamentarismus. Ich weiß nicht, ob Otteni mit seiner Fassung dazu gehört. Tellkamp gehört sicher dazu: Lest den Roman!
bekannter noch ist:
ich weiß dass ich nichts weiß
von sokrates
Lieber philosoph !
Wenn Uwe Tellkamp sicher dazu gehört, dann erläutern Sie das doch bitte ein wenig anhand des Romanes, für viele LeserInnen sicherlich ein Kandidat für die feuilletonistische Enthüllungs-Sensation des Jahres -und das schon so früh im Januar-. Ja, erläutern Sie - mit oder ohne Hilfe der Frauen..
es ist nicht so schwer, das Erläutern: In seinem Roman sind Tellkamp die Passagen besonders gelungen, in denen die Kaltmeister-Crew die Demokratie brilliant in Stücke reißt, und die Stellen besonders schwach, in denen er sie scheinbar verteidigt. Mehr isses nicht. Oder sehen Sie das anders?
Uwe Tellkamp hat einen Roman geschrieben. Der Antrieb dazu war gewiß, so eine Kaltmeister-Crew (wie Sie es nennen) möglichst ernsthaft zu schildern, zu stärken.
Die Fallhöhe zur eigenen Gesinnung mag da aber eher den künstlerischen Reiz, den Bogen spannen, mit dem man nach allerlei schießen kann. Dostojewskij sind zB. in "Die Dämonen" oder "Die Brüder Karamasow" die, nennen wir sie einmal so, die "antichristlichen" Positionen auch leichter, bewegender, ideenreicher von der Hand gegangen als all die Aljoscha-Gebete, Gruschenka-Zwiebeln und Schatow-Vetröstungen auf einen noch kommenden Glauben. Aber das macht Dostojewskij ganz sicher nicht zum Stawrogin. Wie vielen Krimis gelingt der Plot: Tatvorbereitung, Zwischenspiele, Tat, irreversible Folgen, und wie simpel, abfallend in der Spannung und künstlerischen Durchdringung geraten dann die jeweiligen End- und Restszenarien ! Wenn Sie schreiben würden: "Ich bedauere, daß es bei Uwe Tellkamp zu starken Angriffen und schwachen Verteidigungen der Demokratie kommt, so könnte der Anschein entstehen, die Sache der parlamentarischen Demokratie wäre (für Tellkamp und darüberhinaus) obsolet.", dann würde das schon ein wenig anders klingen. Die Demokratie sollte mit starken Gegnern rechnen meineserachtens, und ich denke, daß es hier Uwe Tellkamp und auch Otteni, der doch wahrlich kein Rechter ist, mehr um Schonungslosigkeit geht, einer solchen "Rechnung" in die Augen zu schauen; ähnlich geht es mit "Die Fetten Jahre sind vorbei", dem Baumgartner-Film, darin sehe ich ein sowohl lohnendes als verdienstvolles Unternehmen. Wenn Sie und ich davon ausgehen, daß da die Verteidigung ein wenig Unterstützung verdient, sollten wir uns eher dran machen, dies umzusetzen, denn offenbar halten wir beide den Parlamentarismus hierzulande noch keineswegs für obsolet, anstatt Künstlern eine rechte Gesinnung zu unterstellen, die uns nicht in bessere Verhältnisse hineinlügen.
diese unterkomplexe, altbackene, schauspielerisch schwache ästhetische art theater zu machen mit einem heiklen, wichtigen thema sorgt m.e. für all diese mißverständnisse in diesem thread.
den hotlern ist einfach der stoffliche zugriff verrutscht. hans otto dreht sich im grab...
hans otto wurde von den nazis 1933 ermordet. sie können er also nicht sein und werden kaum so heißen. ich wollte hans otto in schutz nehmen, verteidigen gegen diese besagte inszenierung am theater seines andenkens -
sorry, meine kinder kommen grad aus der schule, geht gleich weiter...
dass sie sich seinen namen anmaßen, finde ich stillos. aber genau solche stillistische fahrlässigkeit, gedankliche unschärfe, theatrale diffusheit, ist mein problem mit besagter inszenierung.
feuer mit benzin löschen zu wollen, ist gemeingefährlich und eher unklug.
meine kinder würde ich nicht in einen solchen theaterabend lassen, da wird braunen dummheiten viel zu lange, viel zu sehr, viel zu unreflektiert die bühne überlassen, dass das eben zu verwirrung und mißverständnissen führt, und wie ich eben finde künstlerisch schwach.
aber um nicht solch einen fehler wie die hotler, auch zu machen verabschiede ich mich jetzt aus diesem thread, der einer inszenierung, die m.e. gar nicht der rede wert ist und schnell vergessen werden sollte,soviel aufmerksamkeit widmet...
dafür, daß Sie den Abend so furchtbar und unwichtig zugleich fanden,regen Sie sich aber mit zemlich viel Energie auf...
Ich nenne mich Hans Otto, weil auch jede anne mal schnell ohne zu denken hinschreiben kann "Hans Otto würde sich im Grabe umdrehen". Da liegt die größere gedankliche Unschärfe wohl bei Ihnen, denn Hans Otto hätte sich über ein so waches politisches Theater wie das in Potsdam sicher gefreut.
Und seine Kinder nicht in Theaterstücke zu lassen, weil da jemand "braune dummheiten" auf der Bühne sagt - oweia. Dürfen die dann auch nicht in "Macbeth"? Da wird auch stundenlang Mördern die Bühne überlassen, relativ unreflektiert, weil Shakespeare sich vor platten Moralzuteilungen immer gehütet hat.
Machen Sie Ihren Kindern gesundes Essen und gehen vielleicht dann lieber ins Kino.