Die Ministerin - Landestheater Schleswig-Holstein
Dreckiger Job
24. September 2023. "Spiegel"-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit, auch bekannt als Roman-Autor, hat ein Theaterstück geschrieben: "Die Ministerin" will eine scharfe Politsatire sein, bedient aber recht wohlfeil Vorurteile gegen "die da oben". Regisseur Moritz Nikolaus Koch macht daraus aber doch noch einen alles in allem sehenswerten Abend.
Von Falk Schreiber
24. September 2023. Politik wird nicht mehr an der Theke gemacht. "Bier, Schnäpschen, Katzenfutter … Gibt's hier bald nicht mehr", singt der Kioskbesitzer (Dennis Habermehl) den "Späti-Blues". Sein Laden im Regierungsviertel wird bald dichtgemacht, die Mieten steigen ins Unermessliche, und die neue Nachbarschaft fragt nach Kram, den er nicht führt: Pinot Grigio für mehr als fünf Euro, veganes Tierfutter, sowas. Aber noch ist der Späti-Mann da, also kann er auch die Handlung musikalisch kommentieren, als Art Ein-Mann-Chor mit E-Gitarre, Loopbox, Zeitschriften und Alkoholika. Und er kann Dirk Kurbjuweits "Die Ministerin" am Landestheater Schleswig-Holstein so ein wenig theatrales Fleisch auf die Rippen schneidern.
Kurbjuweit, im Hauptberuf "Spiegel"-Chefredakteur, hat in seinem ersten Theaterstück am Beispiel des Kiosks klug beobachtet, wie Politik und Boom Berlin verändert haben, wie Kiezstrukturen geschleift werden und Gewissheiten sich auflösen. Ansonsten erweist sich "Die Ministerin" freilich als Politsatire, in der der Berliner Politikbetrieb nichts am Hut hat mit ideologischen Fragen und noch weniger mit der Lösung von Sachthemen. Stattdessen geht es allen Beteiligten ausschließlich darum, Macht zu erlangen: Die Fraktionsvorsitzende (Karin Winkler) konkurriert mit der Innenministerin (Neele Frederika Maak) um die Kanzlerinnenschaft, die Demoskopin (Lucie Oldenburger) zieht Strippen, der Staatssekretär (Tomás Ignacio Heise) gefällt sich als Womanizer und versucht mehr oder weniger erfolglos, seine rechtsradikale Vergangenheit vergessen zu machen.
Spiel um die Macht
Am Ende lösen sich alle Intrigen auf, die Politikerinnen sind zurück bei ihren Familien. Neuer Innenminister wird der Präsident des Verfassungsschutzes (René Rollin), und die Demoskopin bescheinigt ihm, dass ihm noch mehr zuzutrauen wäre. Ein dreckiges Geschäft. Und eine für einen Starjournalisten ziemlich naive Sicht auf die Politik. Man kann in "Die Ministerin" an keiner Stelle sagen, in welcher Partei die Beteiligten sind, weil sie keinen einzigen politischen Inhalt vertreten.
Irgendwie fragt man sich da schon, ob Kurbjuweit tatsächlich das Berlin des Jahres 2023 vor Augen hat. Tatsächlich hat man aktuell doch eher den Eindruck, dass die Mehrzahl der Politiker:innen getrieben wirkt von Sachzwängen, dass keine:r mehr wirklich Lust auf die Verantwortung hat, die der Job mit sich bringt. Gut, bei Friedrich Merz darf man schon annehmen, dass der tatsächlich nur aus Eitelkeit Kanzler werden möchte. Ansonsten bedient "Die Ministerin" ein bisschen zu bequem das wohlfeile Vorurteil, dass "die da oben" doch eigentlich durch die Bank charakterlose Gestalten seien.
Eitelkeiten und viele Abgründe
Moritz Nikolaus Koch macht allerdings in seiner Uraufführungsinszenierung das Beste aus dieser Vorlage: Er hat mit Belén Montoliús Bühne eine Spielwiese, auf der sich kluge szenische Lösungen konstruieren lassen, mit einer kalten Machtarchitektur aus Würfelkammern hinter Lamellen, in denen sich die (teils extrem kurzen) Szenen per Schlaglicht durchspielen lassen. Und als Kontrast dazu gibt es den an den Rand gedrängten, schraddeligen Späti, auf dessen Dach Habermehl den Blues heulen lässt.
Vor allem aber hat Koch auch ein Ensemble zur Verfügung, das Kurbjuweits Stanzen mit Leben erfüllt: Die Politikerinnen sind bei Winkler und Maak kalte Strateginnen, deren mühsame Selbstbeherrschung innere Verwerfungen nach sich zieht. Rollin ist als Verfassungsschützer ein hintersinniger Technokrat mit komödiantischen Spitzen. Und nicht zuletzt sind die beiden zentralen Männerrollen vielschichtiger als im Stück entworfen: Heises Staatssekretär kann kaum gehen angesichts seiner Eitelkeit, und Reiner Schleberger verleiht dem Mann der Innenministerin Abgründe, die sich Auswege in schwarzer Komik suchen.
Adoptivsohn aus Tansania
Dass die Vorlage schließlich noch den Kioskbesitzer in die Handlung integriert, ist dann ein weiterer Schlenker, der dem Stück nicht gut tut. Der Spätimann hat nämlich einen Adoptivsohn aus Tansania (und dass Steven Ricardo Scholz die Vierte Wand durchbricht, um dem Publikum zu erklären, weswegen die Inszenierung hier auf Blackfacing verzichtet, ist gar nicht ungeschickt gemacht), dessen Freundin (Annika Utzelmann) als Journalistin die Intrigen aufdeckt – das überfrachtet das Geschehen heillos.
Zumal es dann auch noch einen Bruder gibt, der auf seiner Flucht nach Deutschland von ägyptischen Beduinen gefoltert wird, um vom ohnehin gebeutelten Späti 30000 Euro zu erpressen … Hier hätten dem mit zweieinhalb Stunden recht langen Abend ein paar beherzte Kürzungen gutgetan. Was man dem Theater aber tatsächlich hoch anrechnen darf: dass es mit einer klugen Inszenierung und herausragenden Schauspieler:innen eine diskutable Vorlage in einen alles in allem sehenswerten Abend verwandelt hat.
Die Ministerin
von Dirk Kurbjuweit
Uraufführung
Regie: Moritz Nikolaus Koch, Bühne und Kostüme: Belén Montoliú, Musik: Dennis Habermehl, Dramaturgie: Finja Jens.
Mit: Neele Frederike Maak, Reiner Schleberger, Tomás Ignacio Heise, Karin Winkler, Lucie Oldenburger, Annika Utzelmann, Steven Ricardo Scholz, Dennis Habermehl, René Rollin (alternierend mit Vincent Wojdacki), Lea Aumann, Ali Al-Jburi.
Premier am 23. September 2023 am Stadttheater Rendsburg
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.sh-landestheater.de
Kritikenrundschau
"Kurbjuweit garniert die von Moritz Nikolaus Koch mit dem Schwung revueartiger Elemente inszenierte Geschichte mit allen denkbaren Aufreger-Themen, deren ernste Aufbereitung aufkommende Leichtigkeit schnell hinwegfegt", schreibt Sabine Christiani in den Kieler Nachrichten (25.9.2023). "Weniger wäre mehr gewesen."
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