Der Kater bleibt

25. Februar 2024. Mit "Bad Roads" und "Green Corridors" hat Natalka Vorozhbyt zentrale Stücke zum Kriegsgeschehen in der Ukraine vorgelegt. Ihr neuestes Werk "Non-existent" erforscht die Lage der Ukrainer:innen im Exil. Eine bittere Komödie.

Von Gerhard Preußer

"Non-existent" von Natalka Vorozhbyt am Schauspiel Essen © Nils Heck

25. Februar 2024. Wenn Existieren gleich Wahrgenommenwerden ist, dann ändert sich der Existenzstatus der aus der Ukraine geflüchteten Menschen durch diese Inszenierung. Sie sind nicht nur da, man sieht sie auch. Und gleich doppelt: repräsentiert und real, im Original und im Abbild. Jedenfalls nicht mehr "Non-existent".

Drei Frauen im deutschen Exil

Natalka Vorozhbyt hat für das Schauspiel Essen ein Stück über die Unsichtbaren geschrieben, über die unauffällig zwischen uns lebenden Ukrainer:innen. Die Thematik ist ihr nicht neu. Sie hat bereits 2017 mit ihrem in London uraufgeführten und in Deutschland nachgespielten Stück Bad Roads auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine aufmerksam gemacht, als er noch auf den Donbass beschränkt war. Und auch in ihrem in München uraufgeführten Stück Green Corridors geht es um Fluchterfahrungen. Es ist ihr eigenes Thema. Sie ist 2022 mit Mutter und Tochter aus der Ukraine geflohen und wieder zurückgekehrt und pendelt seitdem zwischen Ukraine und Westeuropa.

Alle wollen zurück, in die Heimat. Drei Frauen sind es, Großmutter, Mutter, Tochter, die im Mittelpunkt stehen. Die deutschen Probleme (Wohngeld ja oder nein, Bezahlkarte ja oder nein, Finanzierung der Kosten der Kommunen usw.) kommen dabei nicht vor. Nur am Rande werden die rechten und linken deutschen Scheinargumente verspottet (Waffenlieferungen verlängern den Krieg, Sanktion schaden unserer Wirtschaft usw.).

Drei Generationen Ukrainerinnen am Tisch in der Fremde in Deutschland: Sabine Osthoff (Orysja), Ines Krug (Marija) und Beritan Balcı (Daryna) © Nils Heck

Die drei Ukrainerinnen leben hier gut, nur, sie sind nicht zu Hause, befürchten, immer etwas falsch zu machen, verstehen die Sprache nicht. In einer Szene wird Kanzler Scholz als Gott karikiert, der sich in der Aufzählung der an die Ukraine gelieferten Waffen verheddert, aber sich für den Wunsch der Exilanten nach Rückkehr für unzuständig erklärt.

Die Großmutter trifft im Park auf einen Mann, der mit ihr sprechen will. Aber sie versteht ihn nicht, er spricht eine seltsam unverständliche, fremde Sprache. Um ihn loszuwerden, antwortet sie in einem ebenso seltsamen Dumpfdeutsch, das in der deutschsprachigen Inszenierung ihren Versuch, sich im Ukrainischen der deutschen Satzmelodie zu bedienen, wiedergeben soll. Ein sicherer Lacher, der aber passt, weil die Zuschauer:innen so lachend die ihnen fremde Perspektive übernehmen müssen.

Leichte Szenen

"Leichte Szenen vor dem Hintergrund des Krieges" nennt die Autorin ihr Stück im Untertitel. Krieg und Exil sind aber keine leichten Themen. Die Inszenierung von Andreas Merz-Raykov in der kleine Spielstätte Casa des Essener Schauspiels muss alle Mechanismen der Komödie bedienen – und das tut sie zur Freude von Publikum und Darsteller:innen auch hemmungslos. Aber sie darf den Ernst der Lage auch nicht verulken.

Drei echte Ukrainerinnen sind als Statistinnen mit auf der Bühne. Manchmal verdoppeln sie stumm eine Szene, mal singen sie mit, mal sitzen sie nur am Rand und schneiden Gemüse. Das ist natürlich ein schlichtes Mittel: Achtung Realität! Es gibt solche Menschen wirklich! Aber wenn am 24. Februar 2024 eine junge Frau auf der Bühne erzählt, wie sie den Angriff Russlands vor genau zwei Jahren erlebt hat, packt einen doch der Schrecken.

Komödie mit Abgründen

Verherrlicht wird hier auch die Ukraine nicht. Orysias Mann Walik (Philipp Noack) ist in der Ukraine zurückgeblieben und spielt seiner Tochter Daryna (Beritan Blacı) bei Videoanrufen vor, er sei Soldat an der Front, dabei sitzt er in Kyjiw in der Wohnung und versteckt sich vor der Einberufung zum Militär. Orysia (Sabine Osthoff) will aus der Ferne die Renovierung ihrer Kyjiwer Wohnung während des Krieges organisieren, Marija (Ines Krug) dagegen muss erfahren, dass ihre Datsche bei der Sprengung des Dnjepr-Staudamms überflutet wurde. Daryna fantasiert sich als stolze ukrainische Kämpferin in Folterszenen mit russischen Offizieren hinein. Widersprüche überall. Zur Leichtigkeit der Komödie kommt die Vielschichtigkeit der Aktualität.

non existent 1 c nils heckTraumatisiert und postdramatisiert: Jan Pröhl als Kater © Nils Heck

Am meisten aber leidet der ukrainische Kater im Exil. Sprechende Tiere sind in jeder Komödie der Knaller. Jan Pröhl kostet seine Rolle voll aus. Er jammert uns seine "postdramatische" Belastungsstörung vor, beichtet, dass er bei einer aus dem Ruder gelaufenen politischen Diskussion seinem Gastgeber das Ohr zerkratzt hat, preist uns die deutsche Katzennahrung an und feiert sich selbst, als er, nachdem er sich heiser geschrien hat, nun doch wieder ein mattes "Mau" hervorbringen kann.

Doch dann läuft er davon. Frei nach Goethes "Tasso": "Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, war da ein Kater, zu sagen, was wir leiden“. Und das ist auch der Schluss. Mitten im Raketenbeschuss lieben sich die in die Ukraine zurückgekehrte Orysja und Malik in ihrer Wohnung. Und weil auch das Ende der Welt voll Hoffnung sein muss, kommt der Kater zurück und maunzt sein leises "Mau".

 

Non-existent
Uraufführung
von Natalka Vorozhbyt
Deutsch von Lydia Nagel
Regie: Andreas Merz-Raykov, Bühne und Kostüme: Veronika Bleffert, Dramaturgie: Margrit Sengebusch.
Mit: Ines Krug, Sabine Osthoff, Beritan Balcı, Philipp Noack, Jan Pröhl, Lene Dax und Statistinnen: Oksana Zhuk, Mariia Apostolova, Lidiia Hontariuk.
Premiere am 24. Februar 2024
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause

www.theater-essen.de


Kritikenrundschau

Natalka Vorozhbyts Stück zeige Menschen, die der Krieg in einen zukunftslos erscheinenden Zwischenzustand katapultiert hat, so Martina Schürmann in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (26.2.2024). Die drei starken Frauen kämpfen mit dem Exil. "Die große Politik, das Für und Wider von Waffenlieferungen, Fragen der Flüchtlingsintegration, dringen nur manchmal durch." Regisseur Andreas Merz-Raykov gelinge es, die Fäden und Figuren auf der sparsam eingerichteten Bühne zu einem dichten Szenengeflecht zu verbinden.

Der Abend erzähle "vom Heimatverlust und davon, wie das Leben im Exil weitergeht und doch stillsteht", schreibt Jerrit Schloßer im Freitag (26.2.2024). Momente der Heiterkeit würden immer wieder eingeholt von der bitteren Realität des Krieges. Merz-Raykovs Inszenierung setze auf Nahbarkeit, Realismus mit unauffälligen Kostümen, Sirenen und Raketeneinschlagsgeräuschen. "Diese Szenen brennen sich aufgrund ihrer verstörenden, echten Elemente ein."

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