Draußen vor der Tür - Staatstheater Saarbrücken
Besser arm dran als Arm ab
14. Januar 2024. Mit seinem Dessauer "Hamlet" war Regisseur Philipp Preuss 2023 beim Berliner Theatertreffen. Jetzt zeigt er in Saarbrücken Borcherts Kriegsheimkehrerdrama "Draußen vor der Tür". Und kokettiert erneut mit der Endlosigkeit.
Von Martin Thomas Pesl
14. Januar 2024. Na, das könnte ja ganz nett werden. Im Orchestergraben sitzen die Musiker:innen an ihren Instrumenten, feierlich gekleidet. Als der Eiserne hochgeht, gibt er einen weiteren Vorhang frei, in dem gleichen Lachsrosa, in dem das Saarländische Staatstheater außen angeleuchtet wird. Bloß besteht die Band aus Schaufensterpuppen (auf dem Klavier liegt ein loser Arm). Die sieben echten Menschen hingegen, die nun in pastellfarbener Ballkluft die Bühne betreten, nehmen einander an den Händen und verbeugen sich. Mit seinem endlos geloopten "Hamlet" fuhr Philipp Preuss zum Theatertreffen 2023. Seine neueste Inszenierung beginnt mit einem Ende. Das Publikum, wiewohl ratlos, klatscht.
Der Aufschrei einer ganzen Generation
Denn nett soll das hier natürlich nicht werden. Wolfgang Borcherts Nachkriegsklassiker "Draußen vor der Tür" ist ein einziger allegorischer Albtraum des Soldaten Beckmann, der aus der russischen Kriegsgefangenschaft nach Hamburg zurückkehrt. Seine Frau hat einen Neuen, sein Kind ist tot, und er leidet an posttraumatischer Belastungsstörung, wie wir heute sagen würden. Deutschland aber gibt sich froh, denn der Krieg ist ja vorbei.
Wenn Gott und Tod kommentieren, wie Beckmann in die Elbe steigt, um sich umzubringen, wandert der Text dieses Vorspiels bei Philipp Preuss großteils in die Übertitel, während Raimund Widra und Jan Hutter in Stepptanzschuhen ein flottes Duett hinlegen.
Dann erst tritt der Hauptdarsteller nach vorn. Das steife Bein des Kriegsversehrten spielt Michi Wischniowiski mit, die Gasmaskenbrille bleibt der Imagination überlassen. Aus einem Eimer besudelt er sich selbst mit Schlamm. Viel an diesem Abend wird Wischniowiski an der Rampe stehen und Beckmanns kurze, sich oft Stakkato-artig wiederholenden Sätze senden, bitter und anklagend, groß und präsent. Im Alleingang verkörpert dieser Schauspieler den "Aufschrei einer ganzen Generation", als der "Draußen vor der Tür" in seiner Entstehungszeit galt.
Der Kriegsheimkehrer als Kabarettnummer
Für die Hörspielfassung seines eilig aufgeschriebenen Stationendramas hatte der erst 26-jährige Borchert viel Lob geerntet. Einen Tag vor der Uraufführung des Theaterstücks 1947 starb er. Der Krieg hatte ihn krank gemacht. Davor wollte er auf die Bühne. Auch Beckmann erscheint das kurz wie eine gute Idee. Als er seinen Vorgesetzten (Fabian Gröver) mit seinem Trauma konfrontiert, verlacht der ihn als ideale Kabarettnummer. Und Beckmann nimmt ihn beim Wort! Plötzlich wirkt er ganz gelöst, tanzt und spricht im Gleichtakt mit dem stets beinschwunggewillten Restensemble (und den projizierten Atombombenvideos) und grunzt ein gräulich groteskes Lied. Doch dem Direktor (Sébastien Jacobi) ist das "zu sehr Plakat". Erkenntnis aus dieser eindrücklichsten Szene des Abends: Leid zu Kunst verarbeiten, ist auch nicht immer die Lösung.
Natürlich tut Preuss erst recht genau das, und zwar ziemlich gut. Aus dem Albtraum macht er einen "normalen" Traum, wo sich Bekanntes vermischt, Menschen mit Stimmen anderer sprechen, manches unsinnig, anderes auf eigene Art logisch ist. Den kraftvollen, klaren, oft aber kunstlosen Klagen Beckmanns begegnet er mit ebenso kraftvollen und klaren, ihre handwerkliche Finesse aber niemals verhehlenden Bildern. Er zieht gewissermaßen den nackten Worten etwas Schönes an, hauptsächlich mithilfe von Live-Video.
Bekenntnis zur Kunst
Live-Kamerafrau Konny Keller zoomt ganz an die Figuren heran, denen Beckmann begegnet, etwa an Frau Kramer, die gespenstische Nachmieterin von Beckmanns Nazi-Eltern (Verena Bukal), die hämisch deren Suizid kommentiert. Indem Vorhänge, auf die die Gesichter projiziert werden, auf- und zu-, hoch- und runtergehen, erhalten die 2D-Bilder (nicht nur buchstäblich) eine neue Tiefe. Nimmt Beckmann die Brille ab, werden sie unscharf. Spricht ein Kollege zu den Lippenbewegungen eines ihn zu sich einladenden Mädchens (Lea Ostrovskiy), ist klar: Ihr Mann ist nach Hause gekommen.
Das ist einfach, effektiv und lässt keine Zweifel, dass die große Bühne der richtige Ort für diesen Abend ist. Es ist auch: ein Bekenntnis zur Kunst, wo sich in unserer Gegenwart manche eher den Aufschrei erwartet hätten. Am Ende, am wirklichen Ende, steht sowieso kein Ausrufe-, sondern ein Fragezeichen (im Text sind es sogar drei): "Gibt denn keiner, keiner Antwort???", spricht das Ensemble im Chor den Text des vielleicht schon in der Elbe ertrunkenen Beckmann. Preuss lässt nun nicht das Licht ausmachen, er kokettiert wieder mit der Endlosigkeit. Bereit, ewig so zu verharren, starren die Spieler:innen ins Saarbrückener Publikum. Das aber schaltet schnell und applaudiert. Hat es ja anfangs schon geübt.
Draußen vor der Tür
von Wolfgang Borchert
Inszenierung: Philipp Preuss, Bühne: Ramallah Sara Aubrecht, Kostüme: Eva Karobath, Musik: David Rimsky-Korsakow, Video: Konny Keller, Licht: Björn Schöck, Dramaturgie: Simone Kranz.
Mit: Verena Bukal, Fabian Gröver, Jan Hutter, Sébastien Jacobi, Konny Keller (Live-Kamera), Lea Ostrovskiy, Raimund Widra, Michi Wischniowski.
Premiere am 13. Januar 2024 im Saarländischen Staatstheater Saarbrücken
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.staatstheater.saarland
Kritikenrundschau
"Wenn man sich denn berühren lassen wollte, erlebte man ein emotionales Purgatorium", schwärmt Cathrin Elss-Seringhaus in der Saarbrücker Zeitung (15.1.24, €). Philipp Preuss schaffe "eine verstörend surreale Atmosphäre, die uns hineinschleudert in einen Fiebertraum", sein Instrument seien dabei "Verzerrungen, Zersplitterung, Überblendung, Vielstimmigkeit, Multi-Perspektivismus." Der Regisseur sei nach seiner Theatertreffen-Einladung mit "Hamlet" im vergangenen Jahr mit großen Vorschuss-Lorbeeren in Saarbrücken erschienen, "und jede einzelne" davon, so das Fazit der Kritikerin, "hatte er verdient".
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