Entschleunigung im Liebesnest

11. Juni 2023. Medea und ihr Mann Jason: Schon im antiken griechischen Mythos eine Beziehung, die heute wohl das Label "Es ist kompliziert" tragen würde. Jaz Woodcock-Stewart, Preisträgerin des "Fast-Forward"-Regiefestivals 2021, macht aus dem Stoff eine Studie über die sich zersetzende Liebe im Beziehungs-Alltag.

Von Michael Bartsch

„Jason Medea Medley“ von Jaz Woodcock-Stewart am Staatsschauspiel Dresden © Sebastian Hoppe

11. Juni 2023. Größer kann man kaum einsteigen als mit dem antiken Sagenstoff von Jason und Medea. Reflexartig stellt sich in Dresden die Erinnerung an eine faszinierende "Notlösung" des Staatsschauspiels während der ersten Coronawelle vor fast genau drei Jahren ein. Um den Hygienevorschriften zu genügen, wurde aller Viertelstunden nur ein Zuschauer eingelassen, und auf einem Parcours von acht Stationen wurde ihm interaktiv einer der berühmten Medea-Monologe von Christa Wolf eins zu eins dargeboten.

Im Beziehungsgeplänkel

Die zähe Kost nun im Kleinen Haus fiel nicht nur kleiner aus, sie hätte auch mit "Hanna Paul Medley" oder mit sonst einem Namenspärchen betitelt werden können. Allzu durchschnittlich und leidenschaftslos zieht und zieht sich das Beziehungsgeplänkel. Ja es ist sogar hinderlich, sich mit dem griechischen Mythos noch einmal etwas vertrauter gemacht zu haben. Erst zehn Minuten vor Schluss kommt unverhofft doch noch ein Hauch von Geschichte und Dramatik auf, als Medea des Landes verwiesen wird. Dieses Verdikt aber könnte weit nach Jason höchstens Theseus ausgesprochen haben, ein weiteres Moment der Verwirrung angesichts der im Ankündigungstext geweckten Erwartungen.

Die ließen nämlich Analogien zum Anlass dieser Inszenierung vermuten. 2021 gewann die Britin Jaz Woodcock-Stewart wohlbegründet den Jurypreis des in Dresden stattfindenden Festivals "Fast Forward" für junge Regie in Europa. Als Belohnung winkte wie üblich eine Inszenierung am Dresdner Staatsschauspiel. Civilisation war damals in Hellerau eine fast wortlose, nur von drei Tänzern unterstützte weitgehende Ein-Frau-Performance. Die Protagonistin bewältigt eine Verlustsituation durch Flucht in Banalitäten, Rituale, in das heute wohlfeile Angebot an Second-Hand-Leben.

Jason1 Sebastian Hoppe uVersuch über die Liebe in den heimischen Wänden © Sebastian Hoppe

Die bis zum Überdruss gewohnte Vorführung des Gewöhnlichen, die scheinbare Zusammenhanglosigkeit, die gen Tempo Null gehende Entschleunigung erlebt man nun auch in ihrem Jason-Medea-Versuch. Aber anders als vor eineinhalb Jahren kommt keine Gesamtstimmung, keine verbindende und verbindliche Atmosphäre auf. Auch ein vorgebildetes und aufgeschlossenes Publikum möchte manchmal über eine steile Brücke geleitet werden, die zu den jenseitigen Ufern des Schattenreiches genialer Regie führt.

Zeitlose Requisiten eines Beziehungsalltags

Die scheint zunächst für sich einzunehmen. Mag die Raumvariante zwei des Kleinen Hauses mit dem Spiel- und Publikumsraum Bühne erst nur eine kahle Szene bieten, so werden die Requisiten doch einfallsreich bei den Bühnenarbeitern bestellt. Schränkchen, Matratzen, ein runder Mini-Portikus, Kissen, ein Auto- und ein Kindersitz, Bildschirm, Joystick und so weiter. David Kosel, designierter Jung-Jason, wie man vermuten kann, muss damit hantieren und ihm gestellte Aufgaben erraten, deren Erfüllung er mittels quittierender Beifallsintensität näherkommt. Bemüht versucht eine Schriftzeile eine Verbindung dieses Spiels zum Originalstoff herzustellen. Damit sind schon einmal zwanzig Vorstellungsminuten absolviert.

Dann kommen sogar schlüssige Bilder. Das Vierer-Personarium scheint sich in eine Doppel-Paarkonstellation zu teilen. Aus den Gegenständen baut sich das frischverliebte Paar ein Liebesnest. Es wirkt wie eine Rekonstruktion der Erinnerungen eines parallel erscheinenden verbrauchten Paares, mit dessen Material sozusagen die nächste Generation schon belastet ist.

Dann verlieben sie sich neu

Das Bild versteht man, aber es hält nicht lange vor. Ohne dass irgendein Entfremdungsprozess angedeutet worden wäre, muss es plötzlich gekracht haben zwischen den beiden jungen Leuten. Bloß nicht an Jasons Machtambitionen in Korinth denken – so etwas kommt in den besten Familien vor. Jedenfalls werden diese Requisiten bei einer weitere zwanzig Minuten schluckenden Gütertrennung geteilt.

Nach einem Product Placement von Kellog's Frosties verlieben sich dann Jason und Medea plötzlich neu. Dann, eine halbe Stunde vor Schluss, tritt endlich das groß angekündigte Streichquartett sogar live in Erscheinung, in Dresden durchaus profilierte Musiker. So, wie Woodcock offenbar der Sprecherziehung ihrer Spieler in diesem relativ kleinen Bühnenraum misstraut, muss auch das Streichquartett über Mikros abgetastet werden und hinterlässt sogar beim hervorragenden Primgeiger Alexander Bersutsky schrille Eindrücke.

Jason2 Sebastian Hoppe uMachtambitionen im Paaralltag © Sebastian Hoppe

Assoziationslos kommt schließlich eine ebenso anrührende wie groteske Szene aus dem Beziehungsalltag, als sie schmust und er sich kaum von seinem Streetfigther-PC-Spiel lösen kann. Die Streicher aber bieten vor allem eine Tonkulisse für ein unbeabsichtigt komisches Finale. Aus dem Schnürboden schwebt eine seltsame Pappmaché-Skulptur ein, die in einer bestimmten Position einem hockenden Monster ähnelt. Eine vermutete Medea schmiegt sich an dieses an, verschwindet am Ende sogar darin, und alles ist so elegisch-tragisch-rührend.

Hat man im ewigen Messen am Ewig-Weiblichen schon weit deftiger erlebt, sagt man sich als beziehungsgestählter älterer Herr. Und im alten Mythos ging es ums Leben und nicht um solchen cool-unterkühlten Beziehungsknatsch. Vielleicht sogar um eine rachsüchtige erste Feministin Medea. Ziemlich unberührt verlässt man diese Sitzfleischprobe.

 

Jason Medea Medley
Von Jaz Woodcock-Stewart
Regie und Konzept: Jaz Woodcock-Stewart, Bühne und Kostüme: Rosie Elnile, Musik: Anna Clock, Dramaturgie: Katrin Schmitz.
Mit: Kriemhild Hamann, Oda Pretzschner, Sven Hönig, David Kosel, Streichquartett: Alexander Bersutsky, Karina Müller, Diana Bikbaev, Katrin Meingast.
Uraufführung am 10. Juni 2023
Dauer: 2 Stunden 30 Minten, eine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de


Kritikenrundschau

"Ein ambivalenter Abend in mehrfacher Hinsicht", schreibt Friederike Partzsch in den Dresdner Neueste Nachrichten (19.6.2023). Geräumt wird viel bei der Uraufführung. "Gegenstand für Gegenstand geht mit dem immer gleichen Fragespiel durch die Hände der beiden, die gerade das Goldene Vlies erbeutet haben: 'Gefällt dir das so?' Es wird immer ähnlich geantwortet: 'Ja, das ist schön.'" So türme sich das Leben des Paares in der Mitte der Bühne auf. "Aus der mythischen Vorlage bedient sich Regisseurin Jaz Woodcock Stewart wie aus einem Steinbruch. Passendes nimmt sie heraus, akzentuiert es neu und setzt es ungewöhnlich zusammen." Am eindrücklichsten bleibe das verrätselte Schlussbild: "Minutenlang und wortlos nähert sich Medea einem riesigen grauen, sich drehenden Objekt auf der Mitte der Bühne."

 

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