Was ihr wollt - Andreas Kriegenburg widmet Shakespeare in Dresden einen halben Gedanken und eine Ramschregie
Mein Krampf
von Dirk Pilz
Dresden, 8. Februar 2014. Oh wir Bejammernswerten. Wir sind alle gleichermaßen Menschen, gottlob. Aber wir sind auch alle gleichgeschaltet. Denken gleich, fühlen gleich, lieben gleich, sehnen gleich. Das macht der Kapitalismus, der neoliberale, für den es uns nur als gleiche Konsumenten und gleiche hamsterradelnde Selbstverwirklicher gibt. Und er macht zudem, dass wir derlei als Glück, als Erfüllung womöglich, erleben. Wahrlich, wir sind zu bedauern, bejammernswert.
Das aber, liebe Menschen, lässt sich kurieren, predigt dieses Theater an diesem denkwürdig deprimierenden Dresdner Abend. Denn hier endlich, glaubt das Theater, werden wir aus unserem vorbewussten Schlummer gerissen, hier werden wir wieder, was uns als Menschen würdig macht: ein Wunder jeder in seiner Eigenart, nicht gleichgeschaltet, sondern gleich wertvoll.
Hallo Theater!, für wie doof und naiv und ahnungslos hältst du uns eigentlich, ernsthaft zu glauben, uns damit eine Neuigkeit zu verkünden? Hallo?!
Im Verblödungszusammenhang
Am Dresdner Staatsschauspiel wird Shakespeares Komödie "Was ihr wollt" gespielt. Ein herrlich verwinkeltes Stück, in dem lang, sehr lang und sehr komisch, das richtige Leben im falschen versucht wird. In dem sich verkleidet und verliebt wird, immer richtig, aber immer in die falschen, und am Ende geht es doch gut aus, was freilich bös gemeint ist. In dem Menschen in einen Strudel geraten, der das Scheinen und das Sein so ineinander verzwirbelt, dass es ist, als kreise alles um eine gefährlich leere Mitte. Es bedarf großer Anstrengungen, dieses Stück kaputt zu inszenieren. Dass es schal und stumpf wirkt, verkrampft, verkopft.
Auch das ist in Dresden gelungen. Denn dieser Abend nimmt die Komödie nicht einfach von ihrer tragischen Seite, auch nicht nur von der albernen oder doofen oder schaumschlagenden, er zwingt sie in die Belehrungsecke. Es ist ja nicht bloß so, dass wir aus dem neoliberalen Verblödungszusammenhang gerissen, es ist vor allem so, dass wir vorgeführt werden sollen. Als Gleichschaltungsidioten. Als neoliberalisierte Blödlinge, die über alle Witzelchen vornehmlich unter der berühmten Stammtischkante lachen. Die sich für Individuen halten und Uniformierte sind. Die allenfalls noch wert sind, bejammert zu werden. Vielleicht ist das so, man muss mit allem rechnen.
Im Bunker
Aber. Erstens ist diese Gegenwartsdiagnose falsch, weil grob und grobschlächtig. Wir sind nicht gleichgeschaltet, sondern leben unter gleichgeschalteten Verhältnissen, die uns dialektischerweise gerade zu Unterschiedlichen, Vereinzelten machen. Diesen Unterschied kann man, zum Beispiel, bei Shakespeare studieren; und es gibt niemand, der ihn bislang seiner Breite und Länge nach durchdrungen hätte, was übrigens wahrscheinlich einer der Gründe ist, warum des Denkens und Spielens und Shakespeare-Aufführens bis dato kein Ende ist. Und wenn es doch wäre, wie uns diese Inszenierung glauben machen will, ist dieser Gedanke offenkundig nicht theaterabendfüllend.
Nach zehn Minuten schaut man das erste Mal auf die Uhr, dann ins Programmheft: Es folgen noch zweihundert. Und sie werden nicht anders.
Da hat sich der Bühnenbildner Andreas Kriegenburg also einen Bunker auf die Bühne gestellt, mit Gitterfenstern rechts, Säulen aus dem Himmel zwischendurch und ovalförmigen Austritt hinten, auf dass der Regisseur Andreas Kriegenburg eine Lehrstunde abhalte. Es treten auf, ja genau: Uniformierte. In Rot. Schwarze Stiefel, schmissige Hackenzusammenschlager. Orsino, der Herzog in Shakespeares Fantasieland Illyrien: hier der verbunkerte Führersmann mit hitlerischem Akzent. Viola, die als Mann verkleidete Schiffbrüchige, die Gräfin Olivia, Sir Toby und Sir Andrew: Bunkerbeistellvolk, gleichgesinnt, gleichgemacht. Nur Malvolio, Olivias Diener und Intrigenopfer, ist ein Anderssein erlaubt: streng linksgescheitelt, straff beschlipst. Er darf am Ende Rache schwören. Ändert auch nichts.
Wir sind also unter der Fuchtel einer Diktatur. Nein nein, wir sind nicht nur bei den Nazis, und nein, auch nicht nur im Staatssozialismus, sondern vor allem und ganz besonders im neoliberalistischen Hier und Heute. Man hört es nicht bloß an den eingespielten Songs, von Nancy Sinatra ("My Baby shot me down") bis zu den Monkeys ("I'm a believer"), sondern sieht es an den publikumsanbiedernden Ausbrüchen ("Hallo Dresden!") und zaunpfahlkräftigen Winks ("Was ist das eigentlich für ein Frauenbild, das ich hier spiele?"). Herrje!
Am Schreibtisch
So hat es sich dieser Abend in seiner Inszenierungswelt gemütlich gemacht: oben die Regie, unten das Volk, hier der durchblickerhafte Belehrer, dort die vernebelten Schülerlein. Dass von diesem arroganzgestählten Regiesockel aus die Menschen drunten einzig als ununterscheidbare Wesen erscheinen: logisch. Der Sockel als Weltbetrachtungsort macht alles und alle gleich. Das Publikum kann so gesehen nichts als ein Etwas sein, das als stumpfe Masse vorgeführt wird. Als Mitmacher am großen Gleichen. Deshalb auch die derben Späße, das ballermannmäßige Besoffentun, das Busengegrabsche, die Blödelsketchnummern.
Kann natürlich sein, dass unsereins zu verkrampft und verkopft ist, um sich an der krachledernen Komik dieses Abends zu erfreuen, ich will es nicht ausschließen. Aber wenn sie auf der Bühne penibel auswendig gelernte Silbenstolperer vorführen, um von "Mein Kampf!" zu "Mein Krampf!" oder von "Vegetarier" zu "Weg Arier!" zu gelangen, wenn sie "a propos" sagen und dabei auf den Popo starren – meine Güte. Selbst wenn die Witze Shakespeare entnommen sind, sie rohrkrepieren vor lauter Aufdringlichkeit. Es wird gespielt, als kennte das Leben und Lieben nur eine Ton-, Sprech- und Stimmungslage, allenfalls anderthalb.
Und nach der Pause, im letzten Drittel, klappern die Szenchen derart, dass die dünnsten Regiehandwerksstrohhalme herhalten müssen, um das Desaster zu bemänteln: "Ich hab das Dings verloren, na, den Faden, den roten." Ja, nur gab es nicht viel zu verlieren.
So ist das: ein halber Gedanke, erwachsen aus oberflächlichster Gegenwartsbeschau, räumt zwar die "Schangse" (Dresden! Sächsisch!) ein, allerlei Ramschregieeinfälle auf die Bühne zu würfeln, macht aber keine Inszenierung. Sondern einen Szenenschlussverkauf. Sonja Beißwenger als Olivia hat einzelne Momente gedanklicher und spielerischer Freiheit, sonst jedoch sind Figuren zu erdulden, die wirken, als wären sie zur Komik abkommandiert worden. Nichts entsteht aus dem Spiel, alle sind sie hier Schreibtischtäter. Bejammernswert.
Die zwölfte Nacht oder Was ihr wollt
von William Shakespeare, neu übersetzt von Frank-Patrick Steckel
Regie und Bühne: Andreas Kriegenburg, Kostüm: Marion Münch, Musik: Thomas Mahn, Dramaturgie: Robert Koall.
Mit: Christian Erdmann, Duran Özer, Mathias Bleier, Yohanna Schwertfeger, Christian Clauß, Thomas Eisen, Sonja Beißwenger, Anna-Katharina Muck, Holger Hübner, Benjamin Pauquet, Philipp Lux, Matthias Luckey, Nele Rosetz.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.staatsschauspiel-dresden.de
"Alles schon gesagt zum Thema, dachte sich vielleicht (…) der Regisseur, also ziehen wir es mal ins Lächerliche und schauen, was übrig bleibt", vermutet Johanna Lemke in der Sächsischen Zeitung (10.2.2014). Andreas Kriegenburg greife "tiefer und tiefer in die Kiste der Albernheiten. Nicht alles, was er herausholt, glänzt." Doch immerhin zeige das Theater seine Fähigkeit, sich "ganz hervorragend selbst auf die Schippe zu nehmen". Habe man aber "einmal die Intention verstanden", werde man "kaum bei jedem weiteren Witz aus dem Häuschen fahren". "Kleine, böse Momente" gebe es ziemlich selten, es bleibe "ein unterhaltsamer Abend".
Es herrsche "der Zustand allgemeiner ästhetischer Nötigung durch die Optik der Naziuniform", schreibt Tomas Petzold in den Dresdner Neuesten Nachrichten (10.2.2014). Was entstehe bzw. offensichtlich wahrgenommen werde, sei, "neben einer besonderen Art von Durchsichtigkeit, vor allem schrille Maskerade, Event, Pop. Ja gewiss, das Theater darf sich solche Geschmacklosigkeit erlauben, doch zu welchem Zweck?" Bis zur letzten Konsequenz treibe Kriegenburg "das dramaturgische Konzept der ätzenden, aber oberflächlich erheiternden Agonie einer nichtsnutzigen, erstarrten, brutalisierten Gesellschaft. Was gegenüber dem Stück doch recht problematische" erscheine. Am Ende gesteht Petzold, "für den Moment jeder Lust am Theater beraubt zu sein", weil er sich "aus Gründen der politischen Korrektheit bzw. Fairness genötigt" sehe, "noch so nahe liegendes Weiterdenken zu beschränken und die eigene Fantasie weitgehend auszuschalten."
Im Gespräch auf MDR-Figaro (9.2.2014) räumt Stefan Petraschwesky, dass die Regie "keine Möglichkeit für einen platten Witz" auslasse. "Im Grunde genommen wird die Inszenierung immer peinlicher. Das geht so weit, dass ich mich als Zuschauer manchmal richtig fremdschäme." Aber genau das sei "hier das Programm – eine dramaturgische kluge Idee, die strapaziert und überstrapaziert wird, um damit die Botschaft zu landen." Die Frage der Inszenierung laute: "Was wollt ihr denn? Ihr da unten im Publikum. Wonach sehnt ihr euch, woran leidet ihr. Wir hier oben servieren euch Trash vor einer Wand, vor der auch Menschen erschossen worden sind. Merkt ihr das eigentlich noch? Empört Euch das noch?" Für Petraschewsky ist "dieser Inszenierungsansatz in all seiner Grundsätzlichkeit, aber auch konkreten Ausformung gut aufgegangen – schlüssig bis in die Figuren."
Der auf die Dresdener Bühne gebaute Bunker banne "schon mal einen großen Teil der Kitschgefahr und könnte Kriegenburgs Unternehmen eine zynische Schärfe geben", meint Anke Dürr auf Spiegel online (9.2.2014). Aber schnell sei klar: "Man muss diese Diktatur nicht so ernst nehmen." Es werde "viel über die Bühne getorkelt und auch sonst wenig ausgelassen, was zum vermeintlich komischen Standardrepertoire gehört: vom Sprachfehler bis zum Dialekt (wieso sprechen alle immer wieder norddeutsch?), vom Wortspiel bis zur Publikumsanimation. Einige Darsteller stoßen dabei früher an ihre Grenzen als andere, aber keiner wird rechtzeitig gestoppt – eine alte Kriegenburg-Schwäche." Und nach der Pause werde "aus lustig dann endgültig albern, die Darsteller sind nur noch Kinder der Klamotte."
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Halten zu Gnaden, aber den Gedanken hatte ich auch grad beim Lesen.
Ich habe die Komik als Selbstironie empfunden, und der Abend bestand ja bei weitem nicht nur aus Witzchen, was die Kritik schlicht unterschlägt. Warum kein Wort zum Narren?
Dass nach der Pause die Luft raus war, ist allerdings zu bestätigen.
Danke, dass die Kritik bessere Worte findet, als ich, aber es war einfach nur schlecht. Schlechte Witze, ein Ensemble, das Texte monoton auswendiggelernt aufsagt, schreiende Schauspieler, ...und ständig die dummen (rhetorischen) Fragen ans Publikum, warum man diesen Quatsch überhaupt so macht auf der Bühne. Im Stück lautet die gängige Meinung, das läge wohl am ursprünglichen Text....ich sage: Nicht mal Will hätte über diesen platten, sinnlosen Mist lachen können.
Zu "Ketchup und Mayonaise" und an Herrn Steckel: Ich spreche nicht über eine nnicht-gesehene Inszenierung, sondern stelle Vermutungen an, die andere wiederum zum Nachdenken bringen mögen/können. Ich versuchte lediglich eine Deutung dessen, was ich auf den Szenenfotos sehe, was ich in meinen bisheigen 55 gesehenen Kriegenburg-Inszenierungen als Inszenierungsmotive erfahren und wiederkehrend erkennen konnte. Ich habe doch Fragen und Auseinandersetzungen mittels meines Kommentars zur Verfügung und zum Austausch freigestellt, oder?! Ich wollte keine allgemeingültige Inszenierungs-Interpretation oder Kriegenburg-Lobpreisung verfassen - bitte auch da keine Voreingenommenheit oder Unterstellung walten lassen! Dass Shakespeares (Wort-)Gags in "Was ihr wollt" (gewollt?) seicht sind, ist doch durch genaues Lesen des Originaltextes und der diverser Übersetzungen ersichtlich, oder nicht?! Ich finde, dazu muss man nicht unbedingt Literatur- oder Regiewissenschaften studiert haben. Herr Steckel: Wie übersetzten Sie denn die Wortgags in "Was ihr wollt", besonders die Scharmützel zw. Sir Toby und Sir Andrew? - poetisch, eloquent oder wie? Ich hoffe, Sie fühlen sich als Übersetzer da nicht "auf den Schlips" getreten! In diversen "Was ihr wollt"-Aufführungen und Übersetzungen waren die Wortgags immer (gut!) flach und blödelnd, und somit dem Original entsprechend. Was Shakespeare damit bewirken wollte, kann auch ich nur vermuten - vielleicht auch damals schon eine Gesellschafts- oder Publikumskritik??? Für weitere ernsthafte (!) Fragen, die zum Austausch (!) gestellt werden, bin ich dankbar und bereit.
Ich hoffe, ich kann mir die Dresdener "WAs ihr wollt"-Inszenierung irgendwann ansehen...
wenn einem das lachen im hals stecken bleiben soll, muß man vorher zumindest mal gelacht haben.
Ich möchte auf folgendes hinaus: Jeder Mensch identifiziert gefühlsmäßig, subjektiv. Und doch bewertet er zu gleicher Zeit politisch und quasi objektiv im Hinblick auf die Gesellschaft. Wenn mich zum Beispiel eine primitive Situation stört, dann sieht meine Intelligenz gleich mit zu und kommentiert bzw. philosophiert über das Dargestellte. Wie geht es Ihnen da so, ausser Allgemeinplätze zu formulieren?
Sie verallgemeinern meinen Kommentar zu sehr und legen mich falsch aus, und werten mich u.a. als "platt-kommentierend" (Verweis auf Putins Systemausübung) ab. Kann sein, dass mein Kommentar sprunghaft und schwer zu lesen ist; andere haben mich verstanden ohne die Inszenierung gesehen zu haben.
Lesen Sie bitte meinen Kommentar trotz der zugegebener Maßen großen Masse an unterschiedlichen Themen nochmals genauer, stellen Sie sich selbst Fragen und beantworten Sie diese für sich.
Meine Frage an mich selbst und FÜR Sie: WAs ist denn das Uniformierte im Stück/in der Inszenierung und wo liegt die Verbindung? Was ist Illyrien? Was ist das heutige Illyrien? Wer befindet sich/herrscht darin? Wie agieren die Figuren? Warum durchschaut fast keine Figur im Stück (ausser vielleicht der Narr Feste?) die (für das Publikum offensichtliche) Maskerade? Wie stehe ich zu der brutalen Bestrafungsszene an "Mavolio" im STÜCK? Warum ist es ein (laut Rezensionen) "schwuler Russe", der in der Inszenierung gefoltert wird, während vorn die (?echte Liebes-)Zusammenführung von Liebespaaren verläuft? Warum dieses Ausreizen von inszenierter Flachheit? Was verstört/stört mich an einer Inszenierung und warum tut es dieses evetl. so maasiv?
Alle diese Fragen hoffe ich mesitens durch den Besuch der jeweiligen Inszeniereung beantwortet zu bekommen.
Bisher ging es mir um die andreren Rezensionen und deren ungenauen Inszenierungs-Foto-Auslegungen, denn einiges finde ich ist durch die Szenenfotos schon sprechend genug...
Illyrien ist eine Region im Westen der Balkanhalbinsel. Dazu könnte passen, dass im Kosovo und den anderen Balkanstaaten ein Auseinanderklaffen zwischen fortschrittlichem Recht (ein explizites Verbot sexueller Diskriminierung in der von westlichen Experten geschriebenen Verfassung) und patriarchaler Gesellschaft zu beobachten ist. Ob all das aber nicht längst über Shakespeares Stück hinausgeht bzw. vom Thema her eigentlich gar nicht drinsteckt, das ist eine andere Frage. Auf mich wirken die Fotos platt. (Fast) Alle Männer sehen aus wie Krieger, was wohl eher der traditionellen, sprich: heterosexuell normierten, Männlichkeitsdefinition entspricht.
Ich habe gestern nochmals das Stück in der Übersetzung von Angela Schanelec gelesen und hatte doch große Probleme damit, im Stück eine textlich belegbare "Faschismus-Regime"-Parallele zu finden. Auf jeden Fall hagelt es in den "Sir Toby"- und "Sir Andrew"-Szenen äußerst brutale Gewaltfantasien und -worte gegenüber Mavolio: (Szene 10) "Aufhängen", "Abknallen", "Erschlagen", "Blenden", "Und so ein Mensch darf leben?!", (Szene 14) Sir Toby: "Komm, wir stecken ihn (Mavolio) in ein dunkles Zimmer und ketten ihn an (...) Wir haben also Vorwand, ihn so lange fertig zu machen, bis uns der Spaß vergeht, und wenn er dann schlapp macht, lassen wir Gnade vor Recht ergehen. Dann bringen wir die Sache vor Gericht und du bekommst einen großen Auftritt als Unschädlichmacherin von Wahnsinnigen." Und das in einer Liebes-"Komödie"???!!! Wen das kalt lässt............ "Es ist was faul im 'Staate' Illyrien..." :-) Mich interessiert Frank-Patrick Steckels Übersetzung dieser Passagen und der Shakespeare-Originaltext. Ich kann jedermanns Irritation und Empörung über die Kriegenburg-Inszenierung nur zu gut verstehen; man hätte schon allein die "Nazi"-Ästhetik der Kostüme partout nicht erwartet (mich eingeschlossen; ich war sehr erschreckt). Und ich hoffe, dass das Regie- und Schauspielerteam GENAU weiß, was es da aufführt, und dass es sowohl handwerklich als auch interpretatorisch gelungen ist... Ihren Satz "Wenn nicht auch so ersichtlich ist, wie Kriegenburg zu etwas kommt bzw. was er überhaupt will, dann ist diese Inszenierung gescheitert. So einfach ist das." finde ich betrüblich-stimmend als Argument/Beweis für eine gescheiterte Inszenierung zu "einfach", zu "schnell herangezogen", zu "eng". Ich finde, nur weil etwas intellektuell nicht ersichtlich ist, muss es noch lange nicht gescheitert sein. THEATER IST IN ERSTER LINIE "SPIEL", nicht Intellekt od. eine (Literatur-)Wissenschaft (wobei die Arbeit von Dramaturgen bereichernde Assoziations-Geschichtsfakten-Kontext-Hilfen liefert)!!! THEATER IST KEIN "MUSEUM" (zeitgemäße Kostüm-Schau)!!! Kriegenburg sagt, es geht ihm immer darum, ein SINNLICHES (nicht in erster Linie intellektuelles) Ereignis/Erinnern beim Publikum auszulösen und er verlangt Bereitschaft zum Assoziieren, Fantasieren, Austauschen und (sozial-politischen) Anteilnehmen. Mich interessiert, wie Sie (und andere, die das hier lesen) die Aufführung/(bestimmt) Szenen emotional erlebten - ausser "wütend, empört, irritiert". Ich vermute, dass die FORM der Inszenierung (Spielweise, Humor, Dynamik, Kostüm, Bühne, Musik) ganz stark den INHALT des Stücks oder der Kriegenburg'schen Auslegung bestimmt... Kriegenburg ist ja ein Inhalt-durch-Form-Regisseur, sehr nahe am "durch-Komik-erträglich/(über)deutlich-machend". Ansonsten schreiben Sie doch einfach den Dresdener Intendanten/Dramaturgen etc. mit Ihren (noch) unlösbaren Fragen an. Ernst gemeinten "Guten Erfolg!". Ich plädiere für die Auseinandersetzung der Inszenierung-Aussage gegenüber des "Hier und Heute"-Aufführens!!!
@Mark S.: Antwort kommt noch
@ Nachtkritik: warum nehmt ihr hier eigentlich grade nur negative Stichworte den Abend betreffend aus den Kommentaren als Überschriften?
http://artgenossen.tv/allgemein/was-ihr-wollt-regie-andreas-kriegenburg.html
http://www.mdr.de/kultur/audio776168_zc-15948bad_zs-86171fdd.html
1) "In der Logik der Komödie wird aus gespielter Liebe notwendigerweise echte Liebe. (wirklich?!, glaub ich ja gar nicht!). Denn das, was zählt, ist hier, nach ihrem materialistischen Prinzip immer die objektive Erscheinung, und nicht etwa die Meinung der Subjekte. Und die objektive Erscheinung - das, was andere sehen oder sehen könnten - wird in der Folge für die Komödienhelden selbst zwingend. Dieser Zwang gehört zu den heitersten Effekten von atomarem Geschubse in der Komödie."
(Robert Pfaller)
2) "Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings soviel wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht wenigstens einmal im Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen - der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat den Wanst ständig in Schußhöhe."
(André Breton)
Solange das alles im Bereich der Kunst verbleibt, okay. Ansonsten gilt: Was du nicht willst, das man dir tu. Punkt Punkt Punkt. Büßen oder mitfühlen. Eine sowohl ethische als auch ästhetische Frage.