Schoiße nochmal!

von Christian Baron

Jena, 10. Juli 2014. So durchgeknallt, wie Benjamin Mährlein die Titelfigur darbietet, hätte sich wohl auch der Autor seinen Protagonisten vorgestellt: Vater Ubu, 1896 von Alfred Jarry entworfen als zutiefst vulgärer Fettsack, der alle negativen Eigenschaften in sich vereint, die einem Menschen nur zugeschrieben werden können. Benjamin Mährlein ist kaum zu erkennen in einem überdimensionierten Fatsuit, mit langen, fettigen Haaren. Sein begeistertes Spiel trägt Moritz Schöneckers Inszenierung von der ersten Minute an, in der er sich, noch Hauptmann der Dragoner und militärischer Berater von König Wenzeslas, mit irrem Blick von Mutter Ubu (Johanna Berger) überreden lässt, den amtierenden König zu massakrieren, um sich selbst auf den Thron zu putschen.

Was nun rasant in Gang kommt, ist eine bunte Demonstration komödiantischer Finessen. Jarrys in das Stück montierte Shakespeare-Parodien vermengt Schönecker mit exaltiertem Monty-Python-Slapstick und absurden Revuenummern à la Helge Schneider zu einem substanziell machtkritischen Mix. Mithilfe krasser Überzeichnung der Figuren und der Verweigerung einer chronologischen Erzählung zielt er auf die eigentlich profane Erkenntnis: Wir sind Ubu! Nachdem der grobe Unhold sich zu royalen Ehren gemetzelt hat, erliegt er sogleich dem betörenden Glanz der Macht; frisst und säuft, raubt und mordet mehr denn je und stellt sein dämliches Volk mit funkelnden Goldstücken und fettigen Fleischspießen ruhig.

Auf Baumarkt-Brettern, die die normale Welt bedeuten
Es ist diese barbarische Regentschaft des Tyrannen, die den besten Teil des Abends bildet, weil sich die Jenaer hier in Jarrys Sinne wahrlich etwas zutrauen. Ständig in Gefahr, das absurde Spiel zu übertreiben, lässt man Ubu triumphal zu Michael Jacksons "Bad" den Moonwalk tanzen; im Größenwahn darf er in guter alter Nazi-Analogie rote Fahnen aufziehen, in deren Mitte sich ein weißer Kreis mit großem "U" befindet. Nacheinander lässt man den neuen König die alten Zöpfe des Adels, der Justiz und der Finanzbeamten eiskalt abschneiden, derweil der verjagte Königssohn Bourgelas (Simon Harlan) seine auf der Flucht verstorbene Mutter Rosamunde (Matthias Zera) grotesk mit Elton Johns schmalzigem "Candle in the Wind" besingen darf.

Ubu 560 xUbu (Benjamin Mährlein) lässt sich feiern © Joachim Dette

So ulken, wehklagen und brüllen sie wild herum auf der großflächigen Bühne, die aufgrund ihres hohen Holzanteils nach Baumarkt riecht, also nach Inbegriff des Stinknormalen. Ständig passiert etwas Abgedrehtes, und doch schwebt der Gedanke immer mit, dass hier ewig aktuelle Zustände persifliert werden: Ja, gesellschaftliche Macht erringen in aller Regel nicht die edlen Wesen, sondern jene "Lumpensäcke", die sich zur Aufrechterhaltung des Verblendungszusammenhangs sogar ihre eigene Sprache kreieren; dabei vielleicht "Schoiße" statt "Scheiße" sagen, im Grunde aber doch nix anderes als solche verzapfen.

Stürmisches Schauspiel
Wie der selbstgefällige Ubu entpuppt sich auch Otto Normalverbraucher meist als feiges Würstchen, wenn es drauf ankommt. Als der abtrünnige Hauptmann Bordure (Mathias Znidarec) und sein konspiratives Gefolge unter lustigen Jazz-Klängen den unentwegt Wodka schlürfenden russischen Zaren (Lena Vogt) erfolgreich um Hilfe ersuchen, schrumpft der zuvor grausam sadistische Ubu zum wehleidigen Jammerlappen, der sich über die Ostsee aus dem Staub macht und anderswo ein neues Finanzregime aufzubauen trachtet. Auch hier lacht der Kleinbürger über sich selbst, der als Jobcenter-Mitarbeiter oder Hilfspolizist gerne Macht über Schwächere demonstriert, sich bei der Konfrontation mit vermeintlich Stärkeren aber gerne wegduckt.

Zwar sind allerlei sarkastische Anspielungen auf Reales in dieser Aufführung enthalten, – von den an der Seite Ubus hoffnungsvoll Partisanenlieder spielenden Widerstandskämpfern gegen König Wenzeslas (Yves Wüthrich) bis hin zur Lokalisierung des vernichtenden russischen Sieges über Ubu ausgerechnet in der Ukraine – doch bleibt Schöneckers Inszenierung im Grunde ein stürmisches Schauspiel, das jegliche historische Festlegbarkeit (Hauptschauplatz ist Polen, das Ende des 19. Jahrhunderts auf Landkarten gar nicht mehr verzeichnet war) durch eine märchenhafte Kostümierung ebenso eliminiert wie durch die vielen mutigen Querverweise. Schoiße nochmal, welch ein Spektakel!

König Ubu
nach Alfred Jarry
Regie: Moritz Schönecker, Dramaturgie: Friederike Weidner, Kostüme und Bühne: Veronika Bleffert und Benjamin Schönecker, Komposition: Joachim Schönecker, Musik: Carsten Daerr, Kay Kalytta, Joachim Schönecker.
Mit: Johanna Berger, Simon Harlan, Benjamin Mährlein, Lena Vogt, Yves Wüthrich, Matthias Zera, Mathias Znidarec sowie zahlreichen Statisten aus Jena und Umgebung.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.theaterhaus-jena.de

Kommentare  
König Ubu, Jena: Einspruch
Ein Widerspruch steckt in dieser Rezension von Christian Baron. Ich stolperte zunächst über den tatsächlich allzu pauschalen und platten Satz "Wir sind Ubu!". Welchen Baron am Ende doch noch etwas genauer differenziert. Denn "wir" sind eben doch nicht Ubu: "Ja, gesellschaftliche Macht erringen in aller Regel nicht die edlen Wesen, sondern jene 'Lumpensäcke', die sich zur Aufrechterhaltung des Verblendungszusammenhangs sogar ihre eigene Sprache kreieren; dabei vielleicht 'Schoiße' statt 'Scheiße' sagen, im Grunde aber doch nix anderes als solche verzapfen." Nein, "wir" sind nicht Ubu, wenn dann ich und ich und ich und ich. Und ausserdem geht es doch vor allem darum, dass wer das Geld hat und/oder Recht setzen darf, auch am meisten davon profitiert. DAS ist Machtgier. Und DAS steht auch nicht jedem offen.
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