Atlas streikt - Vorarlberger Landestheater
Ausschließlich lauter
24. September 2024. Es braucht wirksame Rezepte, um sich heute noch am Roman "Atlas Shrugged" von Ayn Rand zu reiben. Niklas Ritter wagt die Auseinandersetzung mit der Vordenkerin des unregulierten Kapitalismus in Bregenz.
Von Christa Dietrich
24. September 2023. "Ich bin, also werde ich denken", lautet der letzte Satz der mit "Atlas streikt" betitelten Bühnenfassung nach dem Roman "Altas Shrugged" von Ayn Rand. Kurz flackert ein agitatorischer Impuls auf, der gleich wieder zur reinen Feststellung abflacht. Bietet der Satz doch viel weniger Deutungsmöglichkeiten als das stichwortgebende "Cogito ergo sum" von René Descartes. Einige Protagonisten haben sich damit vor das Mikro gestellt und ans Publikum gewendet. Es sind jene Produzenten, die im Amerika der 1950er Jahre angesichts von Marktregularien in den Streik getreten sind. Wenn sie sich selbst ernst nehmen, dürfte der Ausstand nicht lange dauern.
Gute gegen schlechte Kapitalisten
Doch hier ist das Stück zu Ende, das Niklas Ritter für das Vorarlberger Landestheater erstellt hat. Nach Die heilige Johanna der Schlachthöfe von Bertolt Brecht und Elisabeth Hauptmann, mit dem Intendantin Stephanie Gräve die letzte Spielzeit eröffnet hatte, war auch jetzt kein gemilderter Blick auf jene zu erwarten, die im Geld schwimmen.
In ihrem 1957 erschienenen, in der deutschen Übersetzung etwa 1400 Seiten umfassenden Roman (deutsche Titel, je nach Übersetzung: "Atlas wirft die Welt ab", "Wer ist John Galt?", "Der Streik", "Der freie Mensch") fragt die russisch us-amerikanischen Autorin und Philosophin Ayn Rand (1905–1982) danach, was passiert, wenn die Personen fehlen, die Entwicklungen vorantreiben. Diese Leistungsträger verschwinden spurlos, die Wirtschaft stockt. Rand gilt als Vordenkerin eines unregulierten Kapitalismus – und stellt in ihrem Roman die guten, lauteren Kapitalisten denjenigen gegenüber, die korrupt und mit der Politik verbandelt sind. Ein Stoff, der offenbar immer noch fasziniert. 2020 inszenierte ihn Nicolas Stemann in Zürich, 2013 Stefan Bachmann in Köln.
Über jeden Vorwurf der Unaufrichtigkeit erhaben
Niklas Ritter, der die Fassung für die Uraufführung selbst erstellt hat, lässt eine ambivalente Haltung zum Roman erkennen. Er langweilt dabei nicht mit theoretischen Einschüben, sondern konzentriert sich auf den Plot mit kurzen Dialogen, einem Spannung erzeugenden, gut mit Musik von Oliver Rath unterlegten, ineinander verzahnten Szenenwechsel und wagt sich dabei bis an die Grenze zu Karikatur und Überhöhung.
Schon die unrealistisch rasche Entschlossenheit, mit der die auf ihren Verstand vertrauende Eisenbahn-Erbin Dagny Taggart Entscheidungen fällt, die die Prosperität ihres Unternehmens fördern, verweist auf die utopische Definition von Freiheit durch Ayn Rand. Rand geht davon aus, dass es in uneingeschränkter Freiheit ausschließlich lautere Beweggründe sind, die die Menschen zum Handeln verleiten. So wie Vivienne Causemann die Figur Dagny spielt, ist sie über jeden Vorwurf der Unaufrichtigkeit erhaben und im Übrigen auch über den Vorwurf der Überheblichkeit. Eine Gratwanderung, die gelingt.
Feministische Impulse
Der Blick auf die emotionale Struktur des zweiten Verstandesmenschen macht Hank Rearden – verheiratet, aber der Geliebte von Dagny – laut Textvorlage fast zu sympathisch. Raphael Rubino tut viel, dass man ihm den Stahlmagnaten abnimmt, der in der Lage ist, das Gericht zu düpieren. Vor dem er steht, weil er die auf Korruption basierenden Regulierungsgesetze nicht einhielt.
Unter den schablonenhaften Figuren, zu denen auch Mrs. Rearden zählt, die sich aus verletzter Eitelkeit auf die Seite der Regulierer und Intriganten schlägt, nimmt Dagnys Bruder James Taggart eine besondere Stellung ein. Nico Raschner besteht die Herausforderung, seine Auftritte als Looser nicht zur Farce verkommen zu lassen. Das wäre auch zu dumm, denn dann wäre der feministische Impuls versickert, der durch die starke Vizepräsidentin Dagny zum Tragen kommt, die nur deshalb nicht offiziell Unternehmenschefin sein konnte, weil dies die Zeitumstände des Romans nicht zulassen. Mit einer Francisca d'Anconia (im Roman ein Multimillionär), mit der Nanette Waidmann viel Zynismus einbringt, betont Ritter diesen Aspekt noch.
Es braucht somit wirksame Rezepte zur Umsetzung des Plots, um sich aus heutiger Perspektive noch an Ayn Rand zu reiben. Dazu zählt, dass Chauvinismus mitschwingt, wenn sich die streikenden Unternehmer als denkende Elite bezeichnen. Auch das Bühnenbild von Annegret Riediger gehört dazu, das Produktionsstätten andeutet, sich aber zurücknimmt und Projektionsflächen für Videos bietet, auf denen bejubelte Eisenbahntrassen dann auch einmal Achterbahnen sein dürfen. Gesellschaftsgestaltendes Unternehmertum und unternehmerische Hybris überlappen sich hier gut zum exemplarischen Bild dieses Stücks und dieser Inszenierung.
Atlas streikt
von Niklas Ritter nach dem Roman "Atlas Shrugged" von Ayn Rand
Regie: Niklas Ritter, Bühne und Kostüme: Annegret Riediger, Video: Niklas Ritter und Stefan Hartmann, Musik: Oliver Rath.
Mit: Vivienne Causemann, Raphael Rubino, Nico Raschner, Luzian Hirzel, Maria Lisa Huber, Nanette Waidmann, Rebecca Hammermüller, Ingolf Müller-Beck, Stefan Hartmann, Oliver Rath.
Premiere am 23. September 2023
Dauer: 3 Stunden 20 Minuten, eine Pause
www.landestheater.org
Kritikenrundschau
"In manchen Momenten fühlt man sich wie in einer Koproduktion von David Lynch und den Coen Brothers, besonders was die Dialoge und die popkulturellen Zitate angeht", schreibt VN-HF in den Vorarlberger Nachrichten (25.9.2023). "Diese sind einerseits clever, wenn beispielsweise beim Biss in einen Cheeseburger auf Pulp Fiction angespielt wird, andererseits plump, wenn der physische Akt der Liebe auf der Videowand durch einen in den Tunnel einfahrenden Zug angedeutet wird." Die Inszenierung sei insgesamt von einer galoppierenden Dynamik getrieben, "in deren Verlauf sich dann doch die Frage stellt, ob da im Sinne der Handlung schon die richtigen Kürzungen am Material vorgenommen wurden, ob eine Reduktion diverser Nebenstränge nicht noch sinnvoll gewesen wäre." Die Szenenwechsel seien jedoch logisch, "die neun hochmotivierten Darsteller (...) stellen sich mit Verve, Humor und Ernsthaftigkeit - je nachdem, was gerade verlangt wird - in den Dienst des Stücks."
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