Das Leben ein Traum - Burgtheater Wien
Mackertheater from hell
von Andrea Heinz
Wien, 11. September 2020. Mit der ersten Premiere am Burgtheater ist jetzt auch in Wien die Corona-Saison eröffnet. Man muss also erstmal klären: Wie sieht es aus mit den Sicherheitsvorkehrungen? Die Burg hat sich da einiges überlegt: Je nach Sitzplatz werden den Besucher*innen unterschiedliche Eingänge zugewiesen (wobei erstaunlich viele Menschen Schwierigkeiten hatten, den Buchstaben auf dem Ticket mit dem entsprechenden Buchstaben am Eingang zusammenzubringen). Bis die Vorstellung beginnt, ist Maske zu tragen, Vizekanzler Werner Kogler, der sich auch eingefunden hat (vermutlich, um zu demonstrieren, dass ein Besuch im Burgtheater eh save ist), ließ sie den ganzen Abend über auf. Nur das mit der Sitzplatzverteilung ist verbesserungswürdig, die Nebenplätze bleiben frei, dafür schnauft und räuspert einem der Hintermann ins Genick.
Mein Home-Office, mein Kerker
Und damit zur wichtigeren Frage: War es den ganzen Aufwand wert? Martin Kušej hat sich zur Eröffnung seiner zweiten Saison am Burgtheater Calderóns "Das Leben ein Traum" ausgesucht, und warum er sich ausgerechnet für dieses seltsame Stück mit seiner lachhaft-konstruierten Handlung, seinen antiquierten Ehrvorstellungen und seinem Frauenbild from hell entschieden hat, wird wohl ein Rätsel bleiben. Womöglich hat man sich bei der Spielplangestaltung gedacht, das Stück könnte uns, also dem Publikum, in Zeiten von Corona etwas erzählen – weil darin doch ständig von Freiheit die Rede ist, vom freien Willen und, Achtung!, da einer fast sein ganzes Leben in Isolation verbringt. Gut, er tut das im Kerker, und nicht im Home-Office, aber das sind Details.
Dargeboten wird einem dieses Stück nun in Form des bewährten Kušejschen Mackertheaters. Schweiß, Blut, Tränen und viel, viel Spucke. Die Bühne ist in 50 Schattierungen von grau getaucht, es gibt eine Geröll-Lawine aus Ziegelsteinen, auf der die Spieler*innen manchmal ein bisschen herumklettern müssen und die vermutlich den tiefen Sturz in den Kerker der Wirklichkeit andeuten soll. Das Verlies, in das Sigismund, Sohn des polnischen Königs (Norman Hacker), aufgrund einer unheilvollen Prophezeiung geworfen wurde, sieht und klingt wie der Folterkeller eines durchgeknallten Psychopathen in einem schlechteren "Tatort": Eine blanke OP-Liege und kreischende Musik vom Band. Bisschen wie eine Mischung aus Berghain und SM-Club. Als aufmerksame und geübte Zuschauerin merkt man es gleich: Hier ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Es ist ernst.
Mantel, Frauen, Degen
Was er nun aber mit dieser düsteren Welt, mit diesem Stück anfangen soll, in dem Frauen (schön spröde: Julia Riedler als Rosaura) ihre 'Ehre' mit der Waffe verteidigen oder gleich nur als Staffage auftauchen (unter Wert: Andrea Wenzl als Estrella), in dem Väter ihren Töchtern in allerbester Absicht zurufen: "Geh ins Kloster!" und die Hauptfigur (Franz Pätzold, der, genau wie Tim Werths als Clarin, über weite Strecken nackt spielen muss, weil – ja, warum eigentlich?) scheinbar erst alle morden und schänden will, um sich dann, ach!, komplett unmotiviert darauf zu besinnen, dass er das besser lassen sollte – was er damit also anfangen soll, weiß Kušej offenbar selber nicht. Also klatscht er es mit allerlei Bombast zu und tut so, als gäbe es dieses nervige Feminismus-Thema gar nicht.
Man hat die Mantel-und-Degen-Kostüme aus dem Fundus gekramt, eine Augenklappe (?!) für Roland Koch als Clotald und außerdem sämtliche Waffen, die man auftreiben konnte: Bajonette und Schwerter, Schusswaffen und Degen. Damit wird dann ausgiebig herumgekämpft und -gefochten und geblutet wird natürlich auch. Und falls jetzt der Anschein von Dynamik oder Tempo aufgekommen sein sollte: Nein. Der Abend versinkt in einer ausgewachsenen Elegie, in einer behäbigen Schwerfälligkeit, die ihm gar nicht gut tut. Die Spieler*innen wurden offenbar dazu angehalten, die Verse möglichst lang-sam zu deklamieren und überdeutlich zu artikulieren. Ihre Figuren bekommen so kaum Tiefe, Facetten, so etwas wie Angreifbarkeit. Sie gehen einem deshalb auch nicht nahe, man wüsste nicht, was man mit diesen eindimensionalen Gestalten gemein hätte. Dem Text hätten abgesehen davon ein paar Kürzungen ganz gut getan. In Summe dauert der Abend schließlich über drei Stunden und vor allem am Schluss hat man das Gefühl, dass er gerade extra noch in die Länge gezogen wird. Was in Zeiten einer Pandemie vielleicht auch nicht unbedingt nötig gewesen wäre.
Business as usual? Wirklich?
Überhaupt scheint der Abend inmitten eben dieser Pandemie völlig aus der Zeit gefallen in seinem selbstbezogenen, abgehobenen Kunstverständnis. Er wirkt schrecklich alt. Die Welt hat sich verändert in diesem halben Jahr, in dem die Theater geschlossen waren. Diese Inszenierung kommt einem vor, als wäre das Theater im Dornröschenschlaf gewesen, hätte von alledem gar nichts mitgekriegt und würde jetzt, wachgeküsst von Vizekanzler Kogler und seinen Mannen, einfach dort weitermachen, wo es aufgehört hat. Nur: Das wird nicht reichen. Viel war in den letzten Monaten davon die Rede, wie wichtig das Theater nicht sei, dass man ohne nachgerade nicht leben könnte. Quasi: Brot für die Welt. Jetzt, wo die Theater wieder offen sind, muss man diesen selbstgesetzten Anspruch aber auch erfüllen.
Das Leben ein Traum
von Pedro Calderón de la Barca
Regie: Martin Kušej, Bühne: Annette Murschetz, Kostüm: Heide Kastler, Licht: Friedrich Rom, Musik: Bert Wrede, Video: Sophie Lux, Dramaturgie: Sebastian Huber.
Mit: Julia Riedler, Tim Werths, Wolfram Rupperti, Gunther Eckes, Norman Hacker, Franz Pätzold, Johannes Zirner, Andrea Wenzl, Roland Koch.
Premiere am 11. September 2020 im Burgtheater Wien
Dauer: 3 Stunden 20 Minuten, eine Pause
www.burgtheater.at
Kritikenrundschau
"Auch bei Calderón verbeißt sich der Regisseur im dämonischen Selbstbild des Mannes", so Margarete Affenzeller im Standard (12.9.2020). "Man sieht über drei Stunden lang Könige und Fürsten in semifantastischen Herrschaftsgewändern mit blinkenden Waffen grimmig hantieren." Dennoch gelinge es Kušej und dem "tollen Ensemble aber auch, deren Konflikte scharf auf den Punkt zu bringen." Daneben gäbe es noch einen Lichtblick: Kušej habe die "Figur der Rosaura, die auf Rachemission am Hof Basilius‘ gelandet ist, aufgewertet und sie komplementär zu Sigismund zur zweiten Hauptfigur erhoben". Julia Riedler spiele sie "als großen Widerpart in einer Männerwelt, die ganz selbstverständlich die Gesetze vorgibt."
"Ein dunkles Machtspiel mit großartigen Momenten, aber auch Strecken voller Fadesse", schreibt Norbert Mayer in der Presse (14.9.2020). Die Inszenierung sei auf zwei Protagonisten und einen Spaßmacher fokussiert, der Rest wird zur Staffage. Kušejs Interpretation entlarve Machtmechanismen mittels Dystopie. "Der Stimmung nach könnte diese Aufführung als Zombiethriller durchgehen. Vom gegenreformatorischen Lehrstück, das diese Comedia ebenfalls ist, von den Elementen, die Bedrohliches aufhellen, bleibt wenig übrig". Es sei eine gediegene, spukhafte, durchwachsene Arbeit.
Martin Kušejs Inszenierung hebe überaus effektvoll an, schreibt Petra Paterno in der Wiener Zeitung (14.9.2020). Doch das bildmächtige Vorspiel bleibe leider unverbunden mit der folgenden Aufführung. Das Ensemble steckt in apart-historisierenden Kostümen und tummelt sich in einem eleganten, gänzlich in schwarz-weiß-grau getauchtem Bühnenbild, "Drei Stunden lang wird der Klassiker tapfer als festlich zelebrierte Entgleisung geboten." Zwar sitzen inszenierten Bilder, die Tableaus sind stimmungsvoll, alles laufe handwerklich wie geschmiert, lasse einen aber seltsam unberührt. "Warum Kušej ausgerechnet dieses Stück auf die Bühne hob, bleibt trotz der szenischen Bemühungen ein Rätsel."
Die neue Übersetzung passe nicht immer zu der tristen Grundstimmung dieser Inszenierung, bemerkt Martin Lhotzky von der FAZ (16.9.2020). Was uns Martin Kušej mit der Auswahl dieses schwierigen Stückes aus dem siebzehnten Jahrhundert genau vor Augen führen wolle, werde leider nicht klar. Auch die nervenden, von Krach begleiteten Schwarzblenden zwischen den Szenen hülfen nicht viel weiter. "Ein Kušej-Spleen, der sich mittlerweile überlebt haben sollte." Und die Spieler? Franz Pätzold verausgabe sich gebührend und bewundernswert, Roland Koch lege den Clotald fast schon barock an, Norman Hacker spiele als Basilius eher salopp auf.
"'Das Leben ein Traum' ist ein barock-katholisches Läuterungsdrama, in dem ein Polit-Psychothriller steckt. Kein ganz leichter Stoff, aber schon spannend. Es braucht halt eine ziemlich klare Vorstellung davon, was man mit dem Stück erzählen und wie man es szenisch umsetzen will", schreibt Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (online am 15.9.2020). An der Burg werde das Stück aber Szene für Szene "runterinszeniert" und "humorlos ausbuchstabiert". Von einem großen dramaturgischen Bogen sei kaum eine Spur, "von einer szenischen Vision auch nicht". Auch das Ensemble kommt bei Kralicek nicht gut weg, mit Ausnahme Franz Pätzolds, der die Gebrochenheit seiner Figur "klar und präzise" offenlege.
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nachtkritikvorschau
Es war sicherlich angenehm irgendwo am Land zu sitzen und mit der Realität der Krise , sich nicht auseinandersetzten zu müssen.
Wie Wirtschaftskrise? Wie soziale Spannungen in der Gesellschaft? Wie ein Werteumbruch? Wie Arbeitlosigkeit?
Ach ne, in der Welt des Burgtheater ist das nicht Thema.
Theater ist doch so schön
Und den Aspekt des diskussionswürdigen Frauenbilds sehe ich mit der Kritik von Frau Affenzeller im "Standard" in der Inszenierung anders behandelt: www.derstandard.at/story/2000119960383/das-leben-ein-traum-daemonischer-auftakt-im-burgtheater
Als nächstes warte ich auf die Erkenntnis, dass im Kapitalismus die oberen 10% immer reicher werden.
Sein Gegenpol ist Rosaura, androgyne Rächerin auf der Suche nach ihrer Identität, die von Julia Riedler gespielt wird: die junge Österreicherin war einer der Shootingstars der Münchner Kammerspiele zu Matthias Lilienthals Zeit, gleich schräg gegenüber von Kušejs Residenztheater, und arbeitet mittlerweile frei.
Um die beiden Kristallisationspunkte Pätzold und Riedler herum baut der Regisseur seine Szenen. Eine düstere Elegie ist dieser Abend, der mit mehr als drei Stunden deutlich zu lang geraten ist und manche Straffung und Verdichtu3g gut vertragen hätte. Aber doch gibt es über immer wieder eindrucksvolle Momente der beiden Antagonisten, die uns in ihre fremde Welt hineinziehen.
Komplette Kritik:http://www.daskulturblog.com/2021/10/13/das-leben-ein-traum-burgtheater-wien-kritik