Habemus Plemplem

28. Juli 2023. Himmel, gleich zwei Päpste? Eigentlich dreht sich "The Two Pop(e)s" nur um einen, Innozenz X., beziehungsweise um zwei Gemälde. Inspiriert von ihnen destilliert das Kollektiv "toxic dreams" aus ihrem Tage überdauernden Projekt eine Pontifex-Körper-Show über das Weitermachen – auch mit Beulen und Beißschienen.

Von Martin Thomas Pesl

"The Two Pop(e)s" von toxic dreams beim Festival ImPulsTanz Wien © Marietta Dang

28. Juli 2023. Um das Missverständnis gleich auszuräumen: In "The Two Pop(e)s" geht es nicht um Benedikt XVI. und Franziskus I. Auch nicht um das Schisma der katholischen Kirche, als in Avignon ein Gegenpapst wirkte. Eigentlich geht es gar nicht um zwei Päpste, sondern nur um einen: Innozenz X. Und in Wirklichkeit nicht einmal um den. Sondern um Kunst.

Zwei Päpste, eine Augenweide

Besagter Innozenz ließ sich während seiner Amtszeit (1644–1655) von niemand geringerem als Diego Velázquez malen. Das Ergebnis empfand er als "zu wahr". Ohne es je live gesehen zu haben, fertigte Francis Bacon 1953 eine "Studie nach Velázquez' Porträt von Papst Innozenz X." an. Ähnlichkeiten: quasi keine.

Das ältere Bild hängt in Rom, das jüngere in Iowa. Bei der Aufführung im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals ist das Publikum also auf Bildschirme angewiesen, um zu erkennen, was die Maskenbildnerin Marietta Dang aus den Performern gemacht hat: Yosi Wanunu, Auteur des Kollektivs toxic dreams und dieses Abends, ist der Bacon-Papst, sein Kollege Roland Rauschmeier gibt jenen von Velázquez. Beide Herren sind eine Augenweide in ihren weiten Röcken, ihren weißen Schlupfschuhen mit Absatz und Goldverzierung und den pelzigen Oberteilen, die Assoziationen mit dem Bild des aktuellen Papstes wecken, das erstmals den Fortschritt der KI demonstrierte.

Schon seit Dienstag hielten die beiden sich im Rahmen der durativen Version stundenlang im zumindest akustisch sakral anmutenden Foyer des Wiener Leopold Museums auf. Sie wurden geschminkt und angekleidet, in kämpferischen und erotischen Umarmungen fotografiert, sie tanzten, balancierten auf Seilen, präsentierten sich wie Ausstellungsstücke auf selbst rotierenden Hockern.

Körper wie Ausstellungsstücke: Yosi Wanunu und Roland Rauschmeier © Marietta Dang

Die Uraufführung der auf 70 Minuten destillierten Variante bildet also zugleich den Abschluss des pontifikalen Projekts. Sonst könnte der bereits glatzköpfige Wanunu dem Lockenkopf Rauschmeier darin wohl kaum zum finalen Höhepunkt die Haare abrasieren. Lustig sieht das aus, wenn sie ihre Krinolinen nicht mehr um die Hüfte, sondern um den Hals tragen, der eine riesenbabyhaft auf einem überdimensionalen Stuhl, der andere bei der Schur einen ironischen Text über Päpste und Ratten in ein Mikro predigend.

Behutsame Hüftschwünge

Zuvor gibt es einige Elemente aus der Langfassung zu erleben. Als Kirchenmusik die Vorstellung einläutet, ist die Schminkaktion auf der Zielgeraden. Die Performer bewegen sich unter behutsamen Hüftschwüngen aufeinander zu wie in der ersten Stunde im Tanzkurs. Später stellen sie berühmte Schreie nach – für Francis Bacon war der aufgerissene Mund etwa aus dem Film "Panzerkreuzer Potemkin" ein wichtiges Motiv – bevor sie sich der ihre Gesichter entstellenden Strümpfe und Beißschienen entledigen. Wanunu entfernt auch die Beulen, die der Angleichung an das verstörende Bacon-Gemälde dienten. Dann posieren sie weiter. Es begleiten sie Videobilder und elektronische Soundscapes von Michael Strohmann, die dieser in Soutane live orchestriert, und Texte wie ein Zitat über Velázquez aus Jean-Luc Godards "Pierrot le Fou". Eine Messe ist das auch: Hostien gehen durchs Publikum.

TheTwoPopes4 c MariettaDangIn päpstlicher Rage: Roland Rauschmeier © Marietta Dang

Einmal halten sie Schrifttafeln hoch, mit Sprüchen wie "Pope = Papa" oder (auf Englisch) "Ich bete nicht, weil ich Gott nicht langweilen will". Hier klingt ein wenig Wanunus Humor an. Für ihn, den Liebhaber von Musicals und New Yorker Intellektuellen-Humor ist "The Two Pop(e)s" eine höchst untypische Arbeit. Selbst, als er sich 2021 schon einmal für ImPulsTanz mit Rauschmeier zusammentat, waren sie "The Deadpan Dynamites", ein Slapstick-Comedy-Duo, und toxic-dreams-Spieler Markus Zett kommentierte deren Übungen mit geschliffener Ironie.

Das Werk ensteht durch Betrachtung

Hier fehlt der wortreich erklärte Unterbau. Einen Hinweis darauf, was los ist, könnte Marcel Duchamp geben, dessen Vortrag über den "Kunst-Koeffizienten" eingangs zu hören und zu lesen ist. Der Künstler, heißt es da, könne unmöglich seine Absicht exakt verwirklichen, das Werk entstehe erst durch die Betrachtung anderer. Der Kunst-Koeffizient sei die arithmetische Relation zwischen dem Unausgedrückten, aber Intendierten, und dem nicht intentional Ausgedrückten.

Vielleicht wollte Wanunu, statt selbst viel zu intendieren, diese Relation zugunsten dessen verschieben, was das nicht übermäßig verkopfte Sommertanzfestivalpublikum aus Päpsten und Schreien, Bäuchen und Glatzen, Kunst und Tanz an Bedeutung generiert. Es hat jedenfalls unvergesslich bizarre Bilder gesehen. Und daraufhin einen Applaus gespendet, der an den Wänden des Leopold Museums so mächtig widerhallte wie das "Urbi et Orbi" in der Peterskirche. Amen.

 

The Two Pop(e)s
von Toxic Dreams
Konzept: Yosi Wanunu, Video und Musik: Michael Strohmann, Ausstattung: Toxic Dreams, Maske: Marietta Dang, Produktion: Kornelia Kilga.
Mit: Marietta Dang, Roland Rauschmeier, Michael Strohmann, Yosi Wanunu
Premiere der Performance-Version am 27. Juli 2023
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.impulstanz.com

www.toxicdreams.at

 

Kritikenrundschau

"O Herr (oder Dame), hab' Mitleid mit diesen Papst-Performern, die Gespenster aus Gemälden von Diego Velazquez
und Francis Bacon verkörpern!", stößt Helmut Ploebst im Rahmen einer Sammelrezension zum ImPulsTanz im Standard (27.7.2023) aus. "Wenn das keine Archäologie des Papstschreis ist, was dann?"


 

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