Der Name - Volkstheater Wien
In diesem Haus stimmt was nicht
26. Oktober 2024. Nach dieser Spielzeit verlässt Intendant Kay Voges das Volkstheater Wien in Richtung Köln. Schon jetzt verabschiedet er sich als Regisseur von seinem Publikum. Und bringt es mit seiner Inszenierung von Jon Fosses "Der Name" gehörig auf die Palme.
Von Gabi Hift
26. Oktober 2024. Die Stücke des Nobelpreisträgers Jon Fosse sind nicht nach dramatischen Prinzipien aufgebaut, sondern wie Musikpartituren, bei denen es immer um die großen Themen Liebe, Erlösung und Erkenntnis geht. Eine "bescheidene Art von Religiosität", wie Fosse es nennt, spielt in ihnen eine große Rolle, was gut zu Volkstheater-Intendant Kay Voges passt. Seine Borderline Prozession hatte eine tiefe Verwandtschaft zum Fosse’schen Kosmos.
Da brodelt was
Sanfte Traurigkeit ist das Temperament, in dem seine Figuren für gewöhnlich agierten, als Fosse Anfang der Nullerjahre viel aufgeführt wurde. Voges schlägt in seiner Inszenierung des Stücks "Der Name" nun einen ganz anderen Ton an. Schon das Bühnenbild (Michael Sieberock-Serafimowitsch) führt auf gefinkelte Weise in zwei grundverschiedene Bezugssysteme: Es ist einerseits ganz realistisch, Couchgarnitur, Küchenzeile, Treppe nach oben zum ersten Stock. Doch als das Licht ausgeht, beginnt es schaurig zu gurgeln, röcheln und rumpeln. Was da schlürft und stöhnt, sind die Haushaltsmaschinen. All das sind deutliche Genresignale: wir befinden uns in einem Horrormovie! Die erwartete Splatterorgie bleibt jedoch aus. "Der Name" führt eine Familie vor, in der so viel Gewalt in der Luft liegt, dass man erwartet, sie werde irgendwann unweigerlich ausbrechen – und dann passiert praktisch nichts.
Beate, eine junge Frau, kehrt hochschwanger in ihr Elternhaus zurück. Mit dabei hat sie den noch sehr jungen Kindsvater, dem sie ständig Vorwürfe macht. Auch die Eltern benehmen sich extrem ablehnend, niemand fragt den jungen Mann auch nur nach seinem Namen. Die Mutter redet ständig über ihre Schmerzen in den Beinen, der Vater über seine Erschöpfung nach der Arbeit.
Nicht erwartbarerweise bekommt man aber immer wieder etwas zu lachen, weil die Figuren sich auf eine so ungeheuerliche und absurde Weise gemein verhalten. (Eine Nähe zu Beckett deutet sich hier an.) Und weil die SchauspielerInnen – wie so oft am Volkstheater – ein brillantes Ensemble bilden. Hinter jeder Figur ahnt man eine ganze Welt.
Tiefe Charaktere
In Anna Riesers schwangerer Beate brodelt eine Wut, die mindestens so groß ist wie ihr riesiger Bauch. Irem Gökçen als kleine Schwester, schwarzbezopft wie die Tochter der Addams Family, stopft Bonbons in sich hinein und praktiziert Teenagerblödigkeit als Überlebensstrategie. Bei Thomas Dannemanns Vater blitzt hinter Selbstgerechtigkeit und Kälte immer wieder der nette Kerl durch, der er früher einmal gewesen sein muss.
Birgit Unterweger als seine Frau, stakst trotz schmerzender Beine auf absurden Plateauschuhen die Treppe herunter wie ein Filmstar der dreißiger Jahre, fällt zur Sicherheit immer gleich zweimal hintereinander in Ohnmacht, schlägt dann aber auch mal einen ganz ernsten, bitteren Ton ihrem Mann gegenüber an. Nick Romeo Reimann ist der klassische halbstarke Dorfhengst, der nur sein Revier markieren will. Und Fabian Reichenbach, als von allen Seiten miserabel behandelter junger Mann, ist durch und durch erbärmlich – also genauso, wie sich Fosse seine Figuren wünscht. Denn Erbarmen, so hat er es einmal ausgedrückt, ist eine Form von Liebe, "wenn ein Stück gut gemacht ist, ist auch das Lachen 'erbärmlich'".
Seine Figuren hat er mit einer schlichten Sprache ausgestattet, wenn die Situation zu heftig wird, kommen sie mit ihr nicht weiter. "Bricht ab" ist die häufigste Regieanweisung. Diese Pausen, Stockungen, Auslassungen und Wiederholungen sind genau, womit Fosse arbeitet. Er wünscht, dass in seinen Stücken in den Momenten der Stille ein Engel durch den Raum geht, ein Engel, der den Menschen eine Erkenntnis bringt, die sie mit ihrem Wesen fühlen, aber nicht rational erklären können.
Man will sie schütteln
Mit diesem Engel tut sich die Inszenierung von Voges allerdings schwer. Dass der Grundtenor so offensiv und lebendig ist, bewahrt sie davor langweilig zu werden, keine der Figuren ist oder wird einem auch nur für einen Augenblick gleichgültig. Das Stück treibt einen auf die Palme und hält einen oben. Aber auf die Dauer kriecht einem die Aggression ins eigene Gebein, man möchte die Figuren anschreien, auf die Bühne springen, sie packen und solange schütteln, bis sie aus ihrer schrecklichen Borniertheit herauskommen, bis sie… was? … bis sie aufhören so zu sein, wie sie sind.
In einer solchen Stimmung erscheinen einem aber keine Engel, höchstens die Geister verwesender Elefanten trampeln über die Bühne. Der Applaus, jubelnd, mit hochverdienten Bravos für alle Beteiligten, bricht nach wenigen Vorhängen abrupt ab. Ganz wie die Sätze der sprachlosen Figuren.
Der Name
von Jon Fosse , aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Regie: Kay Voges; Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch; Kostüm: Mona Ulrich; Musik und Geräusch: Tommy Finke; Lightdesign: Voxi Bärenklau; Dramaturgie: Ulf Frötzschner.
Mit: Anna Rieser, Fabian Reichenbach, Irem Gökçen, Birgit Unterweger, Thomas Dannemann, Nick Romeo Reimann.
Premiere am 25. Oktober 2024
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.volkstheater.at
Kritikenrundschau
Das Stück in Wien aufzuführen, sei "eine exzellente Idee", schreibt Norbert Mayer in der Wiener Tageszeitung Die Presse (27.10.2024) und spricht grundsätzlich von einem gelungenen Abend. Der norwegische Nobelpreisträger schreibe "nicht nur irre intensive Prosa, sondern auch Dramen mit ganz eigenem Sound". Weniger gut findet der Kritiker dabei den Einfall des Regisseurs, "dieses verdichtete Sprechtheater symbolisch zu überfrachten." All das Beiwerk wäre aus Mayers Sicht aber gar nicht nötig gewesen. "Man höre doch einfach nur zu, was Fosses Antihelden zu sagen haben. Und wenn sie zu schweigen beginnen, wird das Spiel erst richtig interessant."
"Der Abend findet für das Dilemma der zwischenmenschlichen Kälte, für das Unvermögen, sich für etwas anderes als sich selbst zu interessieren, keine stimmige Erzählform," schreibt Margarete Affenzeller in der Zeitung Der Standard (27.10.2024). "Die Überzeichnung – einmal exponiert mit einer Sitcom- sowie einer Horror-Szenenvariante – führt zu keinem Ziel. Fosses Text verlangt nach deutlich feineren Nuancen."
Es gebe an diesem Abend sehr viel "Herumgeschimpfe, Herumgebrülle und in der von Michael Sieberock-Serafimowitsch üppig entworfenen Bühne laute, irritierende Geräusche aus Küchengeräten und aus einer in die Wand eingelassenen Waschmaschine", schreibt Michael Lhotzky in der FAZ (28.10.2024). Um wirklich "unterhaltsam" zu sein, sei die Inszenierung aber doch "ein bisschen zu skurril" geraten, so der Kritiker.
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