Suche nach dem unverwechselbaren Ich

13. Oktober 2023. In Bern bastelt der Schauspieler und Regisseur Bruno Cathomas sich einen sehr eigenen "Amphitryon" zurecht – nach, mit und trotz Molière.

Von Michael Laages

"Molières Amphitryon" in der Regie von Bruno Cathomas am Theater Bern © Florian Spring

13. Oktober 2023. Im Anfang war die Panne. Zum Beispiel ein Wackelkontakt – schon während Schauspieldirektor Roger Vontobel und Regisseur Bruno Cathomas im Gespräch für das Publikum eine kleine Einführung geben zur Premiere, flackert immer wieder die Beleuchtung. Und erst später, als alle im Saal die Plätze eingenommen haben, wird klar: der Wackelkontakt war inszeniert.

Drinnen fällt das Licht dann komplett aus. Komödie im Dunkeln? Das ist der Titel eines schönen Stücks von Peter Shaffer, und wäre auch ein gutes Material für Bruno Cathomas, den Erzkomödianten aus Graubünden. Für heute geht's erst einmal um Molière – mit dem Klassiker "Amphitryon" (und manchmal auch ein bisschen gegen ihn), mit Material aus Michail Bulgakows Roman "Das Leben des Herrn Molière", mit ziemlich viel Selbstgeschriebenem als Zugabe. Das wird ein Fest für Spaßmacherinnen und Spaßmacher.

Probe für die eigentliche Aufführung

Vor gar nicht langer Zeit war Cathomas ja selber als Molière im Einsatz: in Frank Castorfs Molière-Montage am Schauspiel Köln. Auch da stand (mit Bulgakows Roman) die komplizierte Beziehung zwischen Autor Molière und Regisseurin, Ensemblechefin und Geliebter Madeleine Béjart im Zentrum. Hier in Bern sind beide damit beschäftigt, eine "Amphitryon"-Vorstellung auf die Bühne zu bringen.

Die Inszenierung von Cathomas ist vor allem eine Probe; wenn sie halbwegs achtbar über die Runden gebracht wäre, begänne eigentlich die Aufführung. Die Grundidee trägt. Mit Dramaturgin Julia Fahle hat Cathomas munter in den Materialien herum montiert. Und in den allerbesten Momenten schafft auch das junge Ensemble den mutigen Sprung: raus aus der Rolle, rein ins wirkliche Leben.

Molieres Amphitryon 03 805 Florian Spring uKomödie und Kissenschlacht: Jonathan Loosli auf der Bühne von Simeon Meier © Florian Spring

Hin zum eigenen Ich – in der klassischen Verwechslungskomödie bringen ja die Götter, also Helferlein Merkur und Obergott Jupiter (den es so sehr nach der schönen Alkmene gelüstet, der Gattin des Feldherrn Amphitryon), das Leben all dieser lächerlichen kleinen Menschen gehörig durcheinander. Molière ließ die antike Fassung hinter sich, Kleist fügte der bewusstseinsspalterischen Farce 150 Jahre später viel deutschen Ernst und die passende Verzweiflung hinzu, und auch das schönste "Ach" des deutschsprachigen Theaters. Cathomas wird nun mit Molière zum gnadenlosen Bastler.

Liebelei hinter den Kulissen

Für die Probe, die wir sehen, werden verquere Gäste akquiriert. Der eigentliche Merkur-Darsteller hängt in einem deutschen ICE fest; als Ersatz zerrt der Autor eine Zweit-Geliebte (neben Frau Madeleine) auf die Bühne, die nur privat da war und eine ungeklärte Beziehung zum Autor pflegt. Eigentlich streiten sie nur. Der Kollege von der Haustechnik, der den kompletten Licht-Ausfall beheben soll, wäre selber sehr gerne Schauspieler, steuert im Lauf des Abends auch eine gehörige Portion Shakespeare-Zitate bei, allerdings in breitestem Bärn-Düütsch; ein Knüller, auch für Zugereiste.

Herr Molière wirft sich Szene um Szene schützend vor den eigenen Text, während Frau Madeleine inszenieren will und sich immerzu nur gestört fühlt. Regelmäßig gibt's herrlich peinliche Double-Takes, gern mit nacktem Jupiter und entsprechender Alkmene. Selten endet eine Szene dort, wo sie hinführen sollte; Frau Madeleine bricht gern ab und findet alles fürchterlich. Auch Molières Reimerei (stets das Unerfreulichste im Umgang mit dem Klassiker) finden Cathomas und Co. eher zum Fürchten – und denunzieren sie in einer ziemlich klamottigen Szene.

Lokale Kulturpolitik (beziehungsweise die Unkultur im Umgang mit ihr) wird zum Thema – da hat zum Beispiel jemand im Ensemble die Nase voll von der Hauptstadt Bern und will lieber flüchten in die "Provinz": nach Basel. Also zu einem der meist geschätzten Theater im deutschsprachigen Raum. Sehr ulkig.

Freie Spektakelei

Das Ensemble ist jung und kämpft sich durch alle Ich-Vernichtungen hindurch. Manchmal lösen sich auch alle psychologischen Hemmungen und es wird furios drauflos spektakelt. Darum ist es Cathomas ja vor allem gegangen – jeden und jede dazu zu bringen, alle repräsentativen Zwänge gelernter Schauspielerei abzuschütteln und so "frei" zu werden wie es irgend geht.

Molieres Amphitryon 01 805 Florian Spring uRaserei auf der Freitreppe: mit Linus Schütz und Lucia Kotikova © Florian Spring

Und es gibt spezielle Effekte – als umwerfend blonde Schönheit sitzt ein Rauschgoldengel am Klavier und fährt mit ihm über die Bühne; wer immer ihm begegnet, fällt sofort in Ohnmacht. Ein grandioses Zauberkunststück ist auch die Bühne von Simeon Meier – auf ihr fügen sich eine Menge zunächst ganz wild durcheinander gewürfelter Bauteile final zum Ensemble zweier sich kreuzender Freitreppen zusammen. Der musikalische Gott hatte zu Beginn ein kleines Modell dieser Treppen mitgebracht. Also war wohl alles schon wieder ein göttlicher Plan. Und immer schiebt der fingierte Licht-Techniker vom Beginn die Kulissen hin und her: als eine Art Baumeister der Welt.

Cathomas hat zum zweiten Mal in Bern inszeniert, "Der Drache" von Jewgenij Schwarz (gerade auch in Halle wieder beschworen von der neuen Schauspielchefin Mareike Mikat) war das Berner Sommertheater im vorigen Jahr. Und weil er ja immer auch Schauspieler ist, weiß er, wie er kämpfen muss mit Zwängen, die sich aus rücksichtsloser Spar- und Kürzungspolitik ergeben, am "Hauptstadttheater" der Schweiz. Der "Amphitryon" jetzt mag wieder ein wichtiger Etappensieg gewesen sein im Kampf ums Theater in Bern – aber der Kampf, das wird an diesem Abend auch klar, darf noch nicht zuende sein.

 

Moliéres Amphitryon
nach Moliére, Michail Bulgakow und anderen
Inszenierung: Bruno Cathomas, Bühne: Simeon Meier, Kostüme: Dominique Steinegger, Live-Musik: Alvise Lindenberger, Licht: Hanspeter Liechti, Dramaturgie: Julia Fahle.
Mit: Lou Haltinner, Claudius Körber, Lucia Kotikova, Jonathan Loosli, Linus Schütz, Yohanna Schwertfeger.
Premiere am 12. Oktober 2023 in der Vidmarhalle
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.buehnenbern.ch

 

 

Kritikenrundschau

Als "zärtliche Naturgewalt" habe die Bundes-Jury Bruno Cathomas anläßlich seiner Auszeichnung mit einem Preis für Darstellende Künste bezeichnet, so Charles Linsmayer im Bund / Berner Zeitung (14.10.2023) Das lasse sich auch auf die Art und Weise übertragen, wie er "Amphitryon" mit Fundstücken aus Michael Bulgakows Roman "Das Leben des Herrn Molière" zusammenbringe. "Cathomas macht nicht nur fassbar, wie anarchisch, provokant und anstössig wirklich lebendiges Theater sein kann, sondern zeigt auch auf, wie beglückend, ja vielleicht sogar heilsam es sein kann, wenn man bereit ist, alles infrage zu stellen: das Ich, die Tradition, die Konvention und das für unveränderbar gehaltene Dasein."

"Bruno Cathomas inszeniert in Bern ein geniales Molière-Massaker und einen zeitkritischen Ich-Trip", schreibt Daniele Muscionico im St. Galler Tagblatt (16.10.2023) und lobt das Ensemble: "Ein Haus, das derart uneitle, talentierte und spielverrückte Darstellerinnen und Darsteller sein Eigen nennen darf, ist zu beneiden." Die aus Molière und Bulgakow verschnittene Fassung sei effektvoll: "Wenn im Scheinwerferlicht (wenn es denn an ist) nicht mehr klar wird, wer wem welche Worte in den Mund legt – oder sie dort umdreht – ist das Theater ganz bei sich. Als Witz, der unser Leben meint. Als Witz, der ernst genommen werden will."

"Ums Theater selbst geht es in dieser Inszenierung, die Liebe zum Theater, seine Kraft, Welten zu erschaffen, eine Vorstellung zu realisieren, unter allen Umständen, auch den widrigsten", sagt Andreas Klaeui im Schweizer Rundfunk SRF 2 (13.10.2023 | 14:08 min). "Die Komödie ist grundiert von existenzieller Gefahr. Bruno Cathomas und das Berner Ensemble haben auch dafür Gehör. Anspielungsreich und mit Witz und der Kraft des Theaterspiels legen sie die Komödienebenen übereinander: eine wunderbare Liebeserklärung an das Theater selbst."

 

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