Windhündin verduftet

19. Januar 2024. Eine Hundeleben ist das. Für die Hunde wie für die Menschen. Ariane Koch hat mit "Kranke Hunde" eine thrillerhafte Fabel geschaffen, die Sebastian Nübling rasant auf die Basler Bühne und in die Basler Straßen bringt.

Von Jürgen Reuß

Ariane Kochs "Kranke Hunde" in der Regie von Sebastian Nübling in Basel © Lucia Hunziker

19. Januar 2024. In der Basler Uraufführung von Ariane Kochs "Kranke Hunde" beginnt alles mit einem apokalyptischen Geräusch, mit dem die Bühne des Schauspielhauses auf einen Vorhangkreis schrumpft. Ein Videoblogger projiziert sich auf die Vorhangaußenseite, erläutert im Stil atemloser Fernsehmoderation zu besonderen Festspielinszenierungen, was uns hinter diesen Vorhängen gleich erwarten wird, und nimmt uns samt Kamera mit hinter die sich vorne öffnenden Vorhänge, die den Blick auf einen Operationssaal freigeben und die Projektion auf die rückwärtige Vorhanginnenseite verlagern.

In den Fängen der Krankheitsindustrie

Die Operation ist in vollem Gange, die Bauchdecke aufgeschnitten, die Kamera erbarmungslos auf die Organe und das Tupfergestochere der Operateure gerichtet. Das Geschehen ist natürlich, wie bei jedem Ereignis, über das Influencer berichten, einzigartig und großartig. Aber dann kippt in einem raffinierten Move die Kameraperspektive in die Perspektive der sich von ihrem aufgeschnittenen Körper lösenden Patientin, während ihre Doppelgängerin unterm Messer liegen bleibt. Als fleischgewordene außerkörperliche Wahrnehmung hetzt Marie Löcker durch den Alptraum eines Wesens, dass in die Fänge der Krankheitsindustrie geraten ist.

Das Gehetzte hängt zum einen damit zusammen, dass Ariane Koch den Text als Fabel angelegt hat. Die Patientin ist eine Windhündin, und als solche besteht ihr zivilisatorisch hochgezüchtetes Leben nun mal aus geldgenerierendem Im-Kreis-um-die-Wette-Rennen. Klar, dass zum anderen wir alle gemeint sind, wenn die Krankheit einen aus dem alltäglichen Hamsterrad oder eben aus der Hundehatz eines funktionierenden Lebens knockt.

Kranke Hunde1 Lucia Hunziker uOperationssaal des Grauens: Bühnenbild von Evi Bauer © Lucia Hunziker

Sebastian Nüblings Inszenierung macht auch gar nicht viel Kokolores mit Hundekostümen. Das Fabelhafte wird nicht überstrapaziert, sondern es wird klar dem Menschlichen auf die Pelle gerückt, bisweilen bis in die Publikumsreihen, wenn die Out-of-Body-Patientin Solidarität bei Leidensgenossinnen im Publikum sucht, alle Aktionen immer selbst dokumentiert und auf das mal geschlossene, mal geöffnete Vorhangrund projiziert, während der Operationssaal auf der Drehbühne seine Kreise zieht.

Die Kamera tanzt

Das ist auch der imponierendste Teil der Inszenierung, dieser Tanz des meist direkt aufs Gesicht gerichteten Kamerabildes auf den Vorhängen mit der Operationskulisse (Video: Robin Nidecker). In alptraumhaften Bildern hetzt Marie Löcker durch die funktionale Betonkälte der Treppenhäuser des Großunternehmens Theater, ohne dass die Krankenhausmetapher verloren geht.

Auch die Kunst steckt offenbar in einem ähnlichen Apparat wie die Krankenversorgung. Immer wieder beeindruckend, wie die Kamerabewegungen mit der Drehbewegung des Operationssaals synchronisiert werden. Mal stürzt uns eine Fahrstuhlfahrt, mal das intensive Kreisen von über den Operationstisch gebeugten Gesichtern in schwindelndes Kopfkino. Eine gelungene Adaption des Psychothrillers für die Bühne.

Katze aus dem Sack

Seit Corona ist diese Alptraumhaftigkeit nicht nur Menschen präsent, die lange Krankenhausaufenthalte hinter sich haben. Dieses Rausgerissensein aus dem normalen Berufs- und Privatleben, dieses Ausgeliefertsein an eine Mischung aus Gesundheitsindustrie und persönlichen Leerlauf, der nicht mal mehr die normalen Routinen des Alltags betreiben kann.

Dass in der Inszenierung der Teufel, mit dem man in solchen Verhältnissen um sein Seelenheil verhandelt, eine Katze trägt, hat über die Fabelkonstruktion hinaus etwas Einleuchtendes: Was bleibt vereinsamten Langzeitkranken anderes als die Kommunikation mit dem Haustier oder die Zerstreuung von Katzenvideos.

Kranke Hunde4 Lucia Hunziker uGefährlicher Cat Content: Gala Othero Winter als Höllenkatze in den Straßen von Basel © Lucia Hunziker

So eindringlich die Inszenierung auch ist und so gut man am Ende das Freiheitsgefühl der von ihrem mit Hirnsägen malträtierten Körper befreiten menschlichen Windhündin auf den Basler Straßen genießt, bleibt über den Abend gesehen doch ein Gefühl der Länge zurück. Soll über das allgemeine Gefühl der Hilflosigkeit hinaus noch etwas anderes verhandelt werden? Eine Kritik am unterbesetzten, unterfinanzierten, gewinnorientierten Gesundheitswesen? Eine Generalabrechnung mit der kapitalistischen Ausbeutung von Arbeitsverhältnissen? Warum wird das an-, aber nicht ausgespielt? Wenn am Ende Fragen bleiben, ist das nach einem Theaterabend aber nicht das Schlechteste, wie auch der große Schlussapplaus belegt.

Kranke Hunde
von Ariane Koch
Regie: Sebastian Nübling, Bühne: Evi Bauer, Kostüme: Amit Epstein, Sound: Jackie Poloni, Videodesign & Live Kamera: Robin Nidecker, Lichtdesign: Mario Bubic, Dramaturgie: Inga Schonlau.
Mit: Marie Löcker, Gala Othero Winter, Dominic Hartmann, Timur Özkan.
Premiere am 18. Januar 2024
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theater-basel.ch

 Kritikenrundschau

"Das Textmaterial bewegt sich unentwegt auf Messers Schneide, wirkt oftmals surreal, driftet aber auch oft in Richtung Kitsch", befindet Simon Baur in der Basler Zeitung (22.1.2024). Das Lachen bleibe einem aber oftmals "im Halse stecken", was auch mit der "fantasielosen Regie" zu tun habe. Der erneute Griff zur Live-Kamera wirke "etwas abgedroschen und angestaubt" und der Rezensent fragt sich, ob Sebastian Nübling wohl die Ideen ausgingen.

"Das Theaterhaus als Doppelmetapher sowohl für den Spitaldschungel als auch für den labyrinthisch anmutenden menschlichen Körper" ergebe "großartig surreale Bilder", so Alfred Schlienger in der Neuen Zürcher Zeitung (24.1.2024, €). Streckenweise entwickle die Inszenierung einen unwiderstehlichen Albtraum-Charme. "Video wird hier nicht eingesetzt als modernistische Spielerei, sondern als sinnige Steigerung traumatisierender Empfindungen."

 

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