Biedermann und die Brandstifter - Am Zürcher Theater Neumarkt lässt Regisseurin Heike M. Goetze wie in einer Kochshow entertainen
Alles landet in einer Pfanne
von Maximilian Pahl
26. November 2017. Sehr verehrter Herr Frisch, gestatten Sie eine Frage von Max zu Max?
(Zündet die Pfeife) "Schiessen Sie los."
Also, eines Ihrer Werke als Anlass für sechs Schauspieler, die Sau rauszulassen – finden Sie in Ordnung? "Höchstens in Deutschland. Welches Stück?"
Am Zürcher Neumarkt haben sie "Biedermann und die Brandstifter" mit Schlagermusik und Handpuppen gespielt.
"Mit oder ohne meinem höllischen Nachspiel?“
Ohne, so wie ich es ehrlich gesagt auch besser finde. Stattdessen aber folgte auf den Premierenapplaus diskoide Mitklatsch-Nötigung.
"Was soll ich dazu sagen, ich hielt das Stück nie für mein liebstes, aber für handwerklich gelungen."
Das ist die Inszenierung auch. Aber Ihre Chorpassagen wirken so bescheuert zwischen einem Querflöten-Playback-Solo, Frauentausch und Teleshopping-Grimassen. Heißen Sie das gut, soviel Spaß, Schnittchen und Bier dabei zu servieren?
"Ich bin für Kanapees und Spass. Ausserdem ist das schließlich das Theater. Warum sind Sie denn nicht dortgeblieben?"
Ich sollte darüber schreiben.
"Dann halte ich Biertrinken für vernünftiger, als sich Dialoge mit toten Schriftstellern auszudenken und damit wertvolles Papier zu vergeuden. Gehen Sie doch an die Arbeit." (Legt auf.)
Drei Männer, drei Frauen, drei Stühle
Na gut. Drei ist die magische Zahl von Heike M. Goetzes Inszenierung, welche eigentlich "Drei Biedermänner und die Mhhmhhmh" heißen müsste, denn statt das Übel beim Namen zu nennen, wiehern die Spieler immerzu wie Shetlandponys. Drei Frauen und drei Männer in drei Häusern mit drei Stühlen in dreierlei Farben. Es ist kaum zu ahnen, wer als nächstes wen verkörpert. Oder wer das nächste Lied des Entertainers Christian Steiffen schmettern darf.
Eigentlich wäre Frischs frühes Drama sehr stringent und dramaturgisch rund. Es schildert die niederrangige Sünde des Gottlieb Biedermanns, der wegen seines Anstandes, wegen moralischer Paralyse und wegen seines Bürgertums im Allgemeinen das Verbrechen vor den eigenen Augen begünstigt. Er duldet die Feuerteufel im Dachboden, weil sie die Wahrheit erzählen: "Die beste Tarnung. Die glaubt einem keiner." Und diese Handlung vollzieht sich auch irgendwie am Theater Neumarkt, aber ob Frisch auf eine kommunistische oder, wie das später hinzugefügte Nachspiel nahelegt, auf die nationalsozialistische Machtergreifung anspielt, ist diesem Abend egal.
Haushalt aus dem Ruder laufend
2010 inszenierte Goetze am Zürcher Schauspielhaus Stiller, ebenfalls von Frisch, noch behutsam. Die Adaption des Romans war schwierig genug. Im Schul- und Theater-Dauerbrenner "Biedermann und die Brandstifter" gibt sie jetzt ihren Spielern den Freibrief. Die befinden sich anfangs paarweise in ihrem je eigenen neonfarbenen Hausrahmen, Biederfrau am Herd, Biedermann liest Zeitung. Zwei der drei Vogelkäfige sind leer (der Rest aller Vögel scheint auf den Hemden der Biedermänner zu überwintern). Und ehe man beginnt, die zehn Unterschiede in den Bildern zu suchen, verschmilzt alles zu einer einzigen süffisanten Schauspiel-Kür.
Durch Augenkontakt bewahren die drei Babettes Nähe zum Publikum. Hanna Eichel strahlt überlegen hausfraulich, während Marie Bonnet dem nächstbesten Biedermann ins Ohr flüstert und Melanie Lüninghöner zwischen den anderen beiden sich am Boden Prügelnden schlichtet und schließlich auf sie eintritt. Die Frauen singen in sonorem Alt, erschrecken vor dem Bügeleisen in der eigenen Hand und kommentieren das Geschehen: "Koch, koch, koch, ess, ess, ess."
Schlager-Auftritte
Es wimmelt von Verlegenheitskomik und improvisierten Einlagen. Vor allem der verstohlene Miro Maurer (wahlweise auch Miauro genannt) und Simon Kopfstimmen-Bajazzo Brusis brennen darauf, "noch einmal zu brillieren". Blöd, wenn ihnen eine Biederfrau den Witz vorwegnimmt. "Spiel du mal telefonieren", sagt Brusis, "ich spiele beide Rollen."
Zurückhaltend agiert André Benndorff umso großartiger. Bei seinem Schlager-Auftritt vermischen sich Scham und enthemmte Freude, wie sonst nur beim ersten Bühnenauftritt eines Kindes. Nicht nur den Moonwalk in den weißen Badelatschen, sondern auch die wenigen ernsten Momente bringt er auf den Punkt. Es ist schließlich Maurers Gesicht, in dem die Leere sichtbar wird, die dieser Zirkus in den Pausen hinterlässt.
Spiegelei trifft Sprachspleen
Diverse Eierspeisen werden simultan zubereitet, das Stück sowie das ganze Theater landen in derselben Pfanne. Wobei Maurer sich mit den Frauen um die korrekte Aussprache dieses Kochutensils streitet. Überhaupt durchziehen Sprach-Spleens den ganzen Abend: Die Pronomen mein, dein, sein und unser reihen sich munter aneinander und kurz ist die Rede von bösen "Hausyrern". Doch dieser etwaige Aktualitätsbezug hat eine ähnliche Garzeit wie die Eier und wird ebenso schnell verschlungen.
Brusis bestreitet die letzte Szene alleine mit einem Streichholz, kalter Schweiss statt notorischem Jux im Gesicht. Ist der Spaßmacher, der noch mit den Totengräbern scherzt, der Biedermann unserer Tage? Mag sein. Trotzdem dürfen zwischen Applaus und Premierenparty gerne fünf Minuten vergehen.
"Nichts ist schwieriger als Loben", meldet sich plötzlich Frisch am anderen Ende. Das ist ihm nicht einmal in den Mund gelegt. Und er hat Recht, was diesen Abend als Ganzes angeht.
Biedermann und die Brandstifer
von Max Frisch
Regie, Bühne und Kostüme: Heike M. Goetze, Raum: Team Jo Schramm, Musik: Fabian Kalker, Dramaturgie: Inga Schonlau.
Mit: André Benndorff, Marie Bonnet, Simon Brusis, Hanna Eichel, Miro Maurer, Melanie Lüninghöner.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.theaterneumarkt.ch
"Wie viel Frisch in dieser Interpretation steckt, mag man Exegeten überlassen", doch was die Form betreffe, nehme Goetze ihn beim Wickel und beim Wort, so in der Neuen Zürcher Zeitung (27.11.2017). "Dieser Frisch ist eine Studie über Humor als Fluchtbewegung der herrschenden Klasse aus der Verantwortung. Wo einmal politisches Handeln war, ist nun pure Selbstbespassung." Und Frisch "für eine Spassgesellschaft ist sogar eine Screwball-Comedy", rasend gespielt, räudig getextet, raffiniert konstruiert. "Alles, was Frisch an Situationskomik und dramaturgischem Raffinement bereithält, wird hier nochmals durch den Wolf gedreht", und bis zur Bedeutungslosigkeit angespielt, ausgespielt und leer gedroschen. "Goetze erklärt der Beschränkung auf jedwede formale, moralische Konventionen – der Opfer-Täter-Perspektive – den Krieg." Fazit: "Dieser Frisch ist ein Musical, ein Kasperlispiel, ein Metatheater, ein Rollenspiel – und das Ensemble hat sichtlich Spass an der Party."
Während des gesamten Abends wird das Wort "Brandstifter" beziehungsweise "Brandstiftung" stets durch hysterisches Wiehern ersetzt, schreibt Alexandra Kedves im Tagesanzeiger (27.11.2017). Überhaupt drücke die Regisseurin uns ein Supergeblödel aufs Auge, "das erst ganz schlimm wehtut, bevors ganz arg guttut". Wie da ein fantastischer Brusis mit Pumuckl-Stimme die Dauerbedrohung durch die zwei Brhhhhms ins Kenntliche verzerre: "Da verlangts den Theatergänger nach Ohrenschützern ob der quieksefalschen Töne." Goetze jage Biedermanns böse Geister brachial durch ihre Budenlandschaft, lasse ihr tolles Ensemble dazu live fiese Schlagerpersiflagen schmettern, und "man ist geschockt wie Biedermann, als das Scherzspektakel kippt in blutigen Ernst. Was also solls? Genau dies."
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https://www.swissinfo.ch/ger/alle-news-in-kuerze/-biedermann-und-die-brandstifter--am-theater-neumarkt-in-zuerich/43705538