Julia Wissert - Die designierte Dortmunder Schauspielintendantin im Interview
"Es fehlt der Gegenentwurf"
23. Mai 2019. Die Regisseurin Julia Wissert soll neue Intendantin am Schauspiel Dortmund werden und damit 2020/21 auf Kay Voges folgen. Was ist ihr Konzept? Welche Theater sieht sie als Vorbilder? Und inwiefern knüpft sie an das stark dem Digitalen verschriebene Profil Voges' an?
Julia Wissert im Interview mit Esther Slevogt
"Es fehlt der Gegenentwurf"
Julia Wissert im Interview mit Esther Slevogt
23. Mai 2019. Anfang Mai wurde bekannt, dass die Regisseurin und Theatermacherin Julia Wissert mit der Spielzeit 2020/21 Nachfolgerin von Dortmunds Schauspielintendanten Kay Voges werden soll. Heute Abend nun hat der Rat der Stadt Dortmund die vierunddreißigjährige gebürtige Freiburgerin offiziell zur Schauspielintendantin bestellt. Julia Wissert, die Theater- und Medienproduktion an der University of Surrey in London und Regie am Salzburger Mozarteum studierte, gehört aktuell auch zum Team der neuen Hannoveraner Schauspielintendantin Sonja Anders, die ihr die Leitung einer Veranstaltungsreihe in der Spielstätte Cumberlandsche Galerie übertrug. In Hannover wird Wissert in der kommenden Spielzeit auch inszenieren.
Darüber hinaus ist Julia Wissert Teil des in Windhoek und Berlin ansässigen deutsch-namibianischen Kollektivs Kaleni. Das Kollektiv besteht aus acht eigenständigen Künstler*innen, die in den Bereichen Performance, Tanz und Installation arbeiten. Bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen brachte das Kaleni Kollektiv am 8. Mai Owela - die Zukunft unserer Arbeit heraus, eine performative Installation, die auf verschiedenen diskursiven und ästhetischen Ebenen zwischen bildender und darstellender Kunst den Spuren des Kolonialismus nachgeht – in sozialen und ökonomischen Strukturen ebenso wie in den Seelen der Nachgeborenen. Für Konzept und Produktionsleitung von "Owela" zeichnet sich die Dramaturgin Sabine Reich verantwortlich, die in Dortmund als Chefdramaturgin Wisserts Stellvertrerin wird. Das Gespräch mit Julia Wissert fand am 16. Mai 2019 am Rand eines Gastspiels von "Owela" in Berlin statt.
Mit welchem Konzept sind Sie angetreten?
Das Konzept, mit dem ich angetreten bin, ist stark an meiner Überzeugung orientiert, dass sich das Theater neu ausrichten muss, wenn es in Zukunft weiter relevant sein will. Diese Neuausrichtung muss sich aus meiner Sicht auf drei Ebenen vollziehen, und zwar auf der Ebene der Struktur, auf der Ebene des Inhalts und auf der Ebene der Form. Das heißt, die Strukturen müssen diversifiziert und die Narrative auf der Bühne weiterentwickelt werden. Fragen, die sich mir in diesem Zusammenhang stellen, sind zum Beispiel: Wieso sieht das Theaterpublikum eigentlich nicht so aus wie die Menschen in den Städten, in denen sich die Theater jeweils befinden? Das gleiche gilt für die Spieler*innen auf der Bühne und die Künstler*innen, die inszenieren. Da gibt es eine Diskrepanz zu den Realitäten der Städte. Eine andere Frage ist: Was kann Theater attraktiver machen als Netflix?
Können Sie etwas konkreter werden?
Es ist einfach so, dass mir auffällt, dass das Publikum im Theater sehr weiß ist und meines Erachtens nach aus einer bestimmten Klasse kommt, weil natürlich auch die Kartenpreise eine bestimmte Höhe haben. Vielleicht müssen sie diese Höhe haben, das wird noch herauszufinden sein. Aber damit wird natürlich eine Form von Ausschluss generiert. Das gleiche gilt für die Stoffe auf der Bühne. Und hier spreche ich wirklich als Zuschauende: Vieles von dem, was ich auf deutschen Bühnen sehe, entspricht einfach nicht meiner Lebenswirklichkeit als PoC in Deutschland. Denn meist wird nur der weiße Blick bedient oder reproduziert.
Auf Basis dieser Grundbeobachtungen haben wir für unsere Präsentation vor der Findungskommission zwei Spielzeiten entworfen. Ich höre viele Menschen darüber sprechen und klagen, was alles nicht funktioniert, wie unsere Gesellschaft auseinanderbricht, wie wir nicht mehr miteinander leben können. Doch es fehlt der Gegenentwurf. Deshalb ist die Frage der ersten Spielzeit: Wie wollen wir leben? Was ist ein gutes Leben? Wie können wir Verschiedenheiten aushalten? Und wie können wir im Theater Räume schaffen, die während der Kunstproduktion den Fokus nicht mehr ausschließlich auf das künstlerische Endprodukt richten, sondern gleichzeitig auf den Entstehungsprozess – als modellhaften Prozess auch für gesellschaftliche Prozesse. Wir haben also zwei Spielpläne gemacht, Traumspielpläne, wie wir uns das Theater vorstellen würden: mit Leuten, die uns ästhetisch und auch politisch interessieren. Leute, die auch für bestimmte kollektive oder partizipative Arbeitsweisen stehen.
Namen?
... möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht nennen ... Trotzdem wird es natürlich noch einen Schwerpunkt auf Regietheater geben. Wir arbeiten auch mit Regisseur*innen, nur das Geschlechterverhältnis wird sich verändern.
Ist das ein Kompromiss mit dem Mainstream und seinen Konventionen?
Das ist auch eine Notwendigkeit und selbstgestellte Aufgabe. Ich will Kanontexte und ich will Repertoire. Das wirft für mich dann aber die Frage auf: Wer inszeniert das jeweils? Denn die Grundsatzfrage, die uns leiten wird, ist: Wie können wir Theater für eine Stadt schaffen, die so divers und so komplex ist wie Dortmund – ein Theater, das für jede*n, die oder der hier lebt, etwas zu bieten hat.
Es gibt ja auch ein Naziproblem in Dortmund, wie man hört.
Ja – ich höre es auch, aber nur aus den Medien. Ich wohne ja noch nicht in Dortmund. Es ist immer stark von einem einzelnen Stadtteil die Rede, als wären alle Bewohner*innen dieses Stadtteils Nazis. Doch das glaube ich nicht. Natürlich frage ich mich: Wie wird es sein, wenn ich als PoC da hin komme? Aber ich kann ihnen auch sagen: Viele PoC aus Dortmund haben mir gegenüber ihre Freude darüber ausgesprochen, dass ich komme. Und sie leben sehr gut und sehr glücklich in Dortmund und sind mit Leib und Seele Dortmunder*innen. Ich freue mich auf Dortmund und die Dortmunder*innen.
Die frisch gegründete Akademie für Digitalität und Theater ist jetzt als Sparte an das Theater Dortmund angegliedert. Wie definieren Sie Ihr Verhältnis zur Akademie und zu digitalen Kunstformen?
Die Akademie institutionalisiert die Themen, die das Team von Kay Voges die letzten neun Jahre hier untersucht hat. Ich freue mich auf den Austausch. Denn ich sehe die Akademie als Labor für neue Formen, die idealerweise auch uns inspirieren. Digitalisierung wird für uns auf jeden Fall ein Thema sein. Dadurch dass es dafür mit der Akademie eine eigene Sparte gibt, können wir den Fokus auch auf andere Themen und Geschichten richten. Die Akademie sehe ich als starke Austauschpartnerin.
Was wird aus ihrem Engagement in Hannover? Dort hat ihnen die neue Intendantin Sonja Anders die Leitung der Cumberlandschen Galerie übertragen.
In der nächsten Spielzeit werde ich in Hannover sein und in der Cumberlandschen Galerie die Universen kuratieren. Auf diese Workshopreihe freue ich mich wahnsinnig. Gemeinsam mit Interessierten und Künstler*innen aus Hannover, Damaskus, Berlin und Brooklyn werden in sieben Workshops, teilweise über die gesamte Spielzeit, teilweise nur wenige Wochen lang, filmisch, tänzerisch, schreibend und aktivistisch Hannovers verschiedene Universen erkunden. In die Vorbereitung ist sehr viel Arbeit und Herzblut hineingeflossen. In der Spielzeit drauf werde ich nur noch in Dortmund sein.
Wird das Berliner Gorki Theater ein Vorbild für ihre Arbeit in Dortmund sein?
Das Gorki Theater ist auf jeden Fall ein Vorbild. Genauso ist das jetzige Schauspiel Dortmund ein Vorbild. Das Theater Zuidplein in Rotterdam ist ein Vorbild. Das Young Vic Theatre in London ist ein Vorbild. Die Fragen die wir gerade an das Theater haben, und die uns auch die nächsten fünf bis zehn Jahre noch beschäftigen werden, sind Fragen, die auch im europäischen Theaterkontext zu betrachten sind. Es gibt hier schon Versuche und Ansätze, die beispielhaft sind.
Zum Beispiel?
Das Theater Zuidplein praktiziert, was wir auch gerne ausprobieren würden: einen Programmbeirat aus Bürger*innen der Stadt aufzubauen, der eine beratende Funktion hat, sich immer wieder mit uns trifft, unsere Arbeit spiegelt und auch im Austausch mit uns darüber ist, wie dieses Haus grundsätzlich aufgestellt sein soll – was da unbedingt stattfinden soll. Weil für uns eine Frage ist: wie kann man den Dialog mit der Stadt noch nachhaltiger und lebendiger gestalten.
Das Young Vic Theatre ist ein Vorbild, weil sie es dort schaffen, Nachwuchsförderung im klassischen Regietheater mit dekolonialer Ausrichtung zu machen, ohne ihr angestammtes Publikum zu verschrecken. Sie zeigen interessant erzählte Theatertexte, toll gespielt und toll auf die Bühne gebracht. Die Ensemblestruktur und die Künstler*innen, die die Stoffe einrichten, entsprechen den gesellschaftlichen Realitäten Londons. Sie schaffen es damit, dass sich ihr Publikum auch auf struktureller Ebene repräsentiert fühlt und mehr Menschen kommen.
Das Gorki Theater ist natürlich spannend als Ort, der es schafft sowohl die Stadtgesellschaft in ihrer Diversität auf und hinter der Bühne zu repräsentieren und gleichzeitig Geschichten erzählt und Fragen verhandelt, die für einen Großteil der Gesellschaft relevant sind. Das Schauspiel Dortmund ist ein Vorbild dafür, wie ein Ensemble großzügig, künstlerisch gemeinsam und miteinander ist. All diese Inspirationsquellen aufgreifend frage ich mich: wie können wir im Theater Arbeitsräume schaffen, wo sich alle Menschen eigenverantwortlich und verantwortungsvoll einbringen können, Spaß haben und tolle künstlerische Arbeiten entstehen.
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Zwar ist die Diskussion, die den Rassismus durch Kulturalismus ersetzt, sicherlich auch nicht zielführender, das sei noch angemerkt, aber so geht es meiner Meinung nach nicht.
"Weiß" und "Weißsein“ bezeichnen ebenso wie "Schwarzsein“ keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weißsein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weiße Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist, was z.B. den Zugang zu Ressourcen betrifft. Eine kritische Reflexion von Weißsein besteht in der Umkehrung der Blickrichtung auf diejenigen Strukturen und Subjekte, die Rassismus verursachen und davon profitieren, und etablierte sich in den 1980er Jahren als Paradigmenwechsel in der englischsprachigen Rassismusforschung. Anstoß hierfür waren die politischen Kämpfe und die Kritik von People of Color.
Siehe auch https://www.amnesty.de/2017/3/1/glossar-fuer-diskriminierungssensible-sprache
auch wenn ich scheinbar "keine Ahnung" habe, finde ich, dass Sprache nicht einfach so umdeutbar ist, wie es irgendjemandem gefällt. Nur weil Es beliebige Definition preisgegeben wird, heißt das nicht, dass es so richtig ist. Es geht im Sprachgebrauch, auch wenn "weiß" nicht die Rasse, sondern "gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten" ausdrücken soll (das habe ich schon verstanden!), um eine biologische Zuschreibung, die mit einer Bewertung verbunden ist. Warum muss dieser Begriff Verwendung finden? Es geht ja gerade darum, Gräben zu überwinden und nicht Zuschreibungen zu machen, die nur neue Fronten schaffen. Die angeblich nur "politische und soziale Konstruktion" halte ich für eine Behauptung, die im Diskurs problematisch ist. Transkultur ist eben ein Überwinden von Zuschreibungen - und das ist doch das, was eine Antwort auf die genannten Probleme sein sollte. Der Abbau von Distinktionen geschieht ganz sicher nicht durch umgekehrte Zuschreibungen, die als "umgekehrte Diskriminierung" (was es per se nicht gibt) erscheinen und eine Opferperspektive ermöglichen, die wieder mal die Diskussion erschwert.
Das Problem an der Sprach- und Denkweise des "Weißseins" ist doch, dass wiederum nur die Gegensätze manifestiert werden, denn das "Weiß" braucht dann eben auch das "Schwarz" um klarzumachen, was denn das Weißsein nun sein soll.
Wenn ich "Weißsein" so verstehen darf wie Sie das hier erörtern, dann müssten ebenso PoC sich angesprochen fühlen von den ihnen zugeschriebenen Selbst- und Identitätskonzepten, die sie in ihrer Selbstsicht und in ihrem Verhalten rassistisch geprägt haben könnten. Dass ausschließlich "weiße Menschen" dominant und privilegiert geprägt sein sollen - natürlich ihnen selbst ganz unbewusst! - spricht gegen Ihre eigene, vollkommen rassismusfreie Behauptung, dass "Weißsein" nicht die reelle Hautfarbe oder biologische Eigenschaft, sondern lediglich eine politische und soziale Konstruktion meint...
Zu sagen, dass das Publikum "weiss" sei, ist für mich persönlich eine festschreibende Kategorisierung. Im Sinne von: Ich kenne das Publikum, ich kenne jedes einzelne Individuum, das da sitzt. Und "Ich kenne dich!" heisst im Grunde: Ich billige dir von vornherein keinerlei Veränderungsbereitschaft zu. Ich beschuldige dich vielleicht sogar (unbewusst) dafür, dass du so bist. Ich sehe dich und die Welt soundso. Ich würde es dagegen als interessanter empfinden, wenn Frau Wissert gesagt hätte, sie wolle ein Theater machen, welches ein heteogeneres Publikum ansprechen wolle als das, welches bisher ins Schauspiel Dortmund gekommen ist. Lassen wir es werden! Und nicht: Ich weiss, dass es mit weiss nichts wird!
da regen sich, aber einige ganz schön auf, dass die post-colonial studies dazu beigetragen haben, dass man mal genauer über bezeichnungen wie "schwarz(e)" nachdenkt und nicht nur vermeintlich pigmentbeschreibungen betreibt. sie würden doch alle einen menschen mit dunklerer hautfarbe in einer mehrheitlich weißen Menschenmenge als "der schwarze, da." bezeichnen, oder? würden sie das umgekehrt auch machen? mit einem weißen menschen in einer mehrheitlichen schwarzen Menschenmenge? Sie zögern, oder? Warum nur? Ist doch dasselbe?
Ist es nicht und das hat historisch zu strukturen verfestigte gründe. informieren sie sich doch einfach ein bißchen über Rassismus, bevor sie andere darüber belehren. rassismus ist übrigens auch im wesentlichen eine Struktur. und nicht ein bedauerlicher Einzelfall. wie werden weiße - also normale/unmarkierte/nicht-weiter-phänotypische-benannte menschen bei einer Passkontrolle behandelt und wie solche, die nicht-weiß sind. Sie wissen selbst die Antwort. Und ja das gilt nicht in 100% der Fällen. Ein POC-Mann im Anzug wird vielleicht genau so behandelt wie 90% aller Weißen, aber dieser POC-Mann im Trainingsanzug... Sie verstehen es ja sicher. Diese Unterscheidung zu unterschlagen, heißt sie enthistorisieren und sie damit sehr viel schlechter veränderlich zu machen. Anti-Rassismus sollte erst mal da beginnen, dass man anerkennt, dass Rassismus besteht und dass Weiße qua Geburt in dieser historischen Situation auf der Gewinnerseite starten.
Geht’s noch?
Theater ist eine große Erfindung der Menschheit, weil es scheissegal ist, wer im Publikum sitzt. Hauptsache der Saal ist voll! Wo sind die Theater voll, wo sind die Menschen ergriffen, berührt, wo lachen, wo weinen sie? In soziologischen Exkursen, die nur verlogen und ideologisch kontiert sind, sicher nicht. Das alles ist das Ende des Theaters.
Es zeigt die völlige Unfähigkeit der (Kultur)Politik.
Es zeigt, dass Nachtkritik als Forum nur noch ideologisch funktioniert und sich weit von dem entfernt hat, was Theater als Ort des Seins, der Liebe, des Lebens, der Wahrheit und der Zukunft sein könnte.
Dieses Buch hat mir sehr geholfen, überhaupt zu verstehen, worum es eigentlich geht. Dass und weshalb es z.B. keinen Rassismus gegen "Weiße" gibt. Dass und weshalb ich nicht "nicht rassistisch" sein sondern lediglich immer wieder und weiter lernen und an mir arbeiten kann, sofern ich als "Weiße*r" in Deutschland aufgewachsen bin.
@Inga: Es geht hier eben nicht nur um Begriffe. Es geht – analog zu den Quoten-Debatten nebenan – darum, dass wir auch und gerade im Theater strukturelle Probleme von Diskriminierung, Ausgrenzung, Unsichtbarmachung und Chancenungleichheit bzw. selektiver Privilegierung haben. Die Begriffe, an denen sich nun wieder alle derart stoßen, dienen wiederum der Sichtbarmachung dieser Probleme.
"Hauptsache, wir behandeln uns gleichwürdig" – das ist – verzeihen Sie – ein Mythos. Das funktioniert nicht. Das ist, wie zu sagen: "Ich kann gar nicht rassistisch sein. Ich sehe keine Farben. Ich sehe nur den Menschen." Das ist (leider) grober Unfug. Es ignoriert die Realität. Und es ist die – in diesem Fall – weiße Selbstbestätigung, nicht aktiv werden oder über sich selbst und das eigene Verhalten nachdenken zu müssen. Das ist, wie wenn nebenan Männer (und Frauen) schreien, die Quote würde Geschlechterungerechtigkeiten nur zementieren statt auflösen.
Ich finde es faszinierend an der Grenze zu grotesk, wie sich Theaterleute auf der Bühne beispielsweise immer wieder lustvoll am Kapitalismus abarbeiten können und auf der anderen Seite propagieren, eine "unsichtbare Hand" des "Wir müssen uns nur alle als Menschen wahrnehmen!" werde die strukturellen Rassismus- und Sexismus-Probleme am Theater schon lösen, ohne dass jemand auf Privilegien verzichten muss.
Und – Inga – Ihr "Von der einen oder der anderen Seite." klingt in meinen Ohren unangenehm deutlich nach D. Trumps "On many sides." bezüglich Charlottesville. Es gibt hier nicht zwei "gleiche" Seiten, die – huch! – irgendwie in einen symmetrischen Konflikt geraten sind, wo beide jetzt gleichermaßen etwas zur Bewältigung beisteuern müssen. Es gibt den aus Jahrhunderten der Sklaverei und des Kolonialismus gewachsenen Rassismus von Weißen gegen Schwarze und PoC. Und es gibt den aus Jahrtausenden der Unterdrückung und Benachteiligung gewachsenen Sexismus von Männern gegenüber Frauen*. Und die jeweils eine Seite, muss jetzt auf Privilegien verzichten, wenn das mit der Chancengleichheit langfristig etwas werden soll.
Sonst können wir uns nämlich diesen ganzen "Die Vielen"-Kram schenken, weil es dann wirklich nur eine glitzernde Hülle bleibt.
"Theater ist eine große Erfindung der Menschheit, weil es scheissegal ist, wer im Publikum sitzt." – Falsch. Falsch. Falsch. Es war – und ich bitte die wahrhaft Studierten im Auditorium, mir zu widersprechen – noch nie egal, wer da saß. Schon im attischen Theater durften z.B. Frauen (wenn überhaupt) nur ganz hinten sitzen und Sklaven (das waren, Sie mutmaßen richtig, hauptsächlich Nicht-Weiße) überhaupt nicht anwesend sein. Das zieht sich dann in gleicher oder ähnlicher Form durch die Jahrtausende bis zum Hochkultur-Klassismus, den wir heute haben. Wir hier oben – die da unten. Tun Sie bitte nicht so, als ob das heute anders wäre.
Reden Sie mit den Menschen, die Theater machen wollen und es trotz Deutschland 2019 tun – z.B. mit alleinerziehenden Frauen*, mit PoC, mit Transmenschen, mit Be_hinderten. Und keine Sorge – diese ganzen "neuen" Begriffe und Sonderzeichen sind bestimmt nicht das Ende der deutschen Sprache.
Apropos Sprache! Wissen Sie, was Sprache aus meiner Sicht aushöhlt? Substanzfreies Geblubber in pathetischer Larvierung. Das Folgende zum Beispiel:
"Theater als Ort des Seins, der Liebe, des Lebens, der Wahrheit und der Zukunft" – aber ohne die sozialen und sonstigen Kontexte, in denen es stattfindet, ja? DAS ist Deutsche IgnoRamantik in Rheinform (yes, pun intended). Das ist wie "Die Stonewashed Jeans für 9,99 € aus Bangladesh als Ausdruck des Ichs, der Anziehung, der Bewegung, der Ästhetik und der Arbeit."
"Früher hat's an Weihnachten ja noch geschneit!"
"Und warum sind jetzt an Weihnachten bloß die Erdbeeren wieder so teuer?!"
Ja, wann wird es endlich wieder so wie es nie war?
Bitte, retten wir das Theater vor seinen Advokaten!
(Jetzt hab ich mich um 23:15 doch auch in Rage getippt. Aber es ist ja auch ein Elend: "soziologische[...] Exkurse, die nur verlogen und ideologisch kontiert sind" … meine Güte.)
Es macht keinen Sinn Ihnen zu widersprechen, weil Sie keinen Irrtum kennen, geschweige denn anerkennen würden. Schon allein, dass Sie nur mit Stdierten debattierten wollen, macht Sie für das Theater zu einer fragwürdigen Person. Da fehlt jegliche Chance auf andere Einsichten bei Ihnen. Wenn einer Ihnen versuchte zu erklären, dass Theater kein akademischer Ort ist, sondern von einer ganz besonderen Weise des Spiels bestimmt wird, in der eigentlich fast alles auf den Prüfstand kommt und subjektiv widerlegt werden kann, Sie würden dieses Spiel trotzdem objektiv Tatüfisieren wollen. Wenn es einer gar wagte Ihnen nahezulegen, dass Schauspieler und Schausielerinnen gar nicht zwingend in der Tradition des Kolonialismus und des Patriarchats stehen, sondern viele Truppen, bei Moliere angefangen schon sehr Jahrhunderten Gegenteiliges vermuten lassen, der Mann oder die Frau wäre so gut wie sozial tot. Wenn man aber gar behauptete, dass man heutige Generation nicht in Generalhaftung für Verbrechen der Vergangenheit machen kann und speziell nicht am Theater, dann würden Sie auf das Äußerste gehen. Es war und ist ein Privileg des Theaters solche Haltungen, wie Sie sie vertreten in Figuren und Diskurse auf der Bühne einfließen zu lassen, um sie in ihrem Anspruch auf Allgemeingültigkeit bloß zu stellen und lächerlich zu machen. Das war immer ein Aspekt der Befreiung auf der Bühne und dem sollte man weiter folgen, denn dann würden Spezialisten wie Ihnen von der Begriff aus das Handwerk zerlegt. Um dies zu vermeiden, wollen Sie ganze Betriebe von der Leitungsebene her so besetzen und manipulieren, so dass solche Widersprüche erst gar nicht mehr auftauchen können. Es gab immer wieder auch bürgerliche Bühnen, die dieser Leidenschaft des vollkommen unakademischen Volkstheaters nachgingen. Sie aber scheuen keine Mühen dem Theater diese Lust auszutreiben und erheben dabei zugleich den Anspruch einzig und alleine zu wissen, wie sich Bevölkerung diverse auf der Bühne abbilden lässt. Nur Diversität, wie Sie sie verstehen, ist kein Garant dafür Theatertalente zu fördern und zu zulassen. Das Theater lebt zu großen Teilen von Ausnahmetalenten und die richten sich nun einmal gar nicht nach ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion und ihrem Geschlecht. Und weil sie solche außergewöhnlichen Talente sind können sie auf der Bühne auch ihre eigenen gesellschaftlichen Konditionen übersteigen und nahezu alles abbilden. Diese Fähigkeit anzuerkennen gilt es. Und das könnte Sie nicht. Deshalb widersprechen Sie einer der Grundregeln des Theaters, dass dort der Bettler einen Edelmann spielen kann und vieles mehr. Niemand kann sich durch eine Qote oder welche Theorie auch immer in diese Kunst hineinblasen, da irrt Ihre Theorie, die ja leider keinen Irrtum kennt, geschweige denn anerkennt. Da liegt das ganze Problem und Ich hoffe lediglich auf die Theaterfachmenschen, dass sie diesem wiederholten ideologischen und auch bigotten Ansturm, denn es ja fast jedes Jahrhundert mehrfach gab, konstruktiv standhalten.
Man kann doch wirklich nicht daran vorbei das die Menschen in deutschen Zuschauersäälen sehr,sehr mehrheitlich weiß und meist auch recht alt sind.
Das ist doch für jeden Menschen der Theater spielen möchte ein Problem für die baldige Zukunft.
Da ist es doch schön, wenn sich jemand dieses Problems annimmt.
Es ist wirklich skurril wie sich hier einige Weiße rassistisch verfolgt fühlen wollen ( das sage ich als kalkweißer ).
Wie auch schon während unseres letzten Disputs beim Thema Machtmissbrauch am Theater, sehe ich keinen Sinn darin, auf Ihre altväterlichen Provokationen und Ihre seltsam persönlichen Attacken gegen meine Person in diesem Kontext einzugehen. Es geht hier am allerwenigsten darum, wie sich zwei weiße Männer darum streiten, wer von ihnen im Irrtum ist. Sobald sich das nachtkritik-Forum auf ein TV-Format ("Menschen bei Merck", "Dialektik mit Diesselhorst", "Haltung aber prekär" o.ä) erweitert, setze ich mich gerne neben Sie auf das Stühlchen und wir können unsere Vorstellungen von Theater und dessen Schaffung im direkten Dialog aufeinanderprallen lassen.
Einzig: Einen Satz von mir bewusst missverstehen und mich damit in eine klassistische Ecke drängen zu wollen, ist exakt der Grund, warum ich Sie an anderer Stelle den Ulf Poschardt dieses Forums nannte.
Der Einschub "und ich bitte die wahrhaft Studierten im Auditorium, mir zu widersprechen" war selbstverständlich eine Offenlegung dessen, dass ich selbst eben nicht (etwa Theatergeschichte) studiert habe und mich deshalb mit meinem Halbwissen bewusst auf dünnes Eis begebe. Mein Studium – Schauspielregie – hat (zumindest an meinem Institut) mit "Akademikertum" so viel zu tun wie das Studium des Amateur-Wrestlings mit einem Proseminar über die literarische Moderne. Und bevor Sie gleich wieder mit dem Finger zeigen – ich meine das in beide Richtungen völlig wertfrei.
Ebenso wenig hat Ihre Suada mit meinen Standpunkten zu tun. Ich spreche von Produktionsbedingungen und Repräsentation – Sie kommen mit "Talenten" und werfen mir vor, "Spiel" "tartüffisieren" zu wollen. Sie können sich noch so sehr einbilden, dass ich der Todfeind des von Ihnen geliebten Theaters bin – das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass Produktionsbedingungen und Inhalte an deutschen Stadttheatern im Jahr 2019 größtenteils weder den diversen gesellschaftlichen Realitäten entsprechen, noch stellenweise den Mindeststandards an menschlichem Miteinander. Und das möchte ich ändern. Mehr nicht. Weil Theater ja was Tolles ist. Und um das zu finden, muss ich – Dionysos sei Dank – auch keiner der "Theaterfachmenschen" sein, auf die Sie so sehr hoffen.
Ich würde Sie trotzdem gern fragen, warum es nicht geht, im Hier und Jetzt zu bleiben. Das Problem des Anti-Rassismus ist in meinen Augen paradoxerweise, dass er etwas zunächst als unterschiedlich kategorisieren muss, um es dann rassismuskritisch aufzuheben bzw. bewusst zu machen. Und dieses etwas bezieht sich immer auf einen Menschen. Deswegen sehe ich auch keine Farben, sondern den Menschen. Und einen Menschen kann man anhand vieler unterschiedlicher Merkmale beschreiben: Manche wählen die Hautfarbe, manche die Haarstruktur, die Haarfarbe, die körperliche Statur, körperliche Besonderheiten, manche das Alter, manche das Geschlecht, manche die Herkunft/das Milieu, manche die Kleidung oder besondere Accessoires usw. Die Hautfarbe ist dabei ein Merkmal unter vielen. Und für mich kommt es darauf an, ob ich nun über eines oder mehrere dieser Merkmale einem Menschen bestimmte Vorurteile (und jeder Mensch hat solche, auch unbewusst) zuschreibe oder nicht. Für mich muss das aber auch dann noch nicht ein Zeichen dafür sein, dass ich diesen Menschen darüber abwerte. Oder diesen Menschen nur über bestimmte Diskurse wie Kolonialismus oder Sklaverei wahrnehme. Vor allem im Theater, wo Theatermenschen doch sowieso nie direkt und face to face mit jedem einzelnen(!) aus dem Publikum kommunizieren. Ich kann in einem solchen Fall nur projizieren. Und natürlich hat eine Projektion vor allem etwas mit den eigenen Vorurteilen - positive wie negative - oder dem Menschen selbst zu tun, welcher projiziert. Es entsteht das sogenannte "Fremdbild". Ja, fremd, und fremd heisst hier von aussen betrachtet. Ich kenne jemanden nie von innen, das heisst über dessen Selbstbild. Und das Selbstgefühl eines Menschen kommt auch erst zustande, indem er mit anderen kommuniziert. So werden Fremd- und Selbstbild über den dialogischen Prozess entweder annähernd angeglichen oder bleiben getrennt voneinander so stehen. Und zwar, wenn die Kommunikation nicht funktioniert. Ich sehe das alles sehr stark im Zusammenhang mit der Sprache stehend. Insofern muss ich mich korrigieren, natürlich geht es auch um Begriffe. Sprache bildet allerdings nie nur die eine/einzige Wahrheit ab, sondern eröffnet immer unterschiedliche subjektive Perspektiven auf Welt und Selbst. Diese unterschiedlichen Perspektiven müssen immer wieder neu zwischen Menschen vermittelt werden. Manchmal finde ich nicht die richtigen Worte, weil ich jemanden allein über sein Äußeres nicht abwerten will. Manchmal will ich jemanden bewusst beleidigen. Auch, wenn das natürlich nicht schön ist. Aber es sage mir keiner, dass Menschen immer nur gut, wahr und schön seien. Viele kämpfen dafür. Viele wollen es sein. Ja, das stimmt.
Und der Herr Baucks soll sich schämen, aus „die Studierten sollen mir widersprechen“, ein ich spreche nur mit Studierten zu machen. Mensch Baucks, das können Sie als Studierter doch deutlich besser.
Und: Diskurse verändern sich - man muss nicht immer auf der Höhe sein. Sie aber in ihrer Veränderung zu desavouieren, nur weil man gerade nicht mitkommt, ist ein bisschen wie der 12jährige, der Mathe scheiße findet, nur weil sich‘s ihm gerade nicht erschließt.
In diesem Sinne : Bleibt, wach, neugierig und dikussionslustig.
Diskurse sind keine Diskussionen, sondern von den notwendigen Diskussionen um die gerade virulentesten existenziellen Probleme ablenkende emotionalisierte - modisch: geframte - Quasselfelder. (Es tut mir leid, wenn diese Behauptung JournalistInnen undoder RegiseurInnen beleidigt, die eines ihrer Haupttätigkeitsfelder darin sehen, Diskurse zu entwerfen, zu etablieren undoder zu bedienen...: Bitte sehen Sie es mir in meiner durch Unterforderung anerzogenen, typisch weiblichen, sonders weißen und daher unabänderlich angeborenen rassistischen, Dummheit nach...).
Den Tonndorf-Vorschlag für nk-TV "Menschen bei Merck", "Dialektik mit Diesselhorst" oder ähnlich finde ich aber echt gut! - Er könnte das ja in eine seiner Inszenierungen integrieren, wenn nk da real nicht aus den Puschen käme. Da kann er sich dann selbst neben Baucks sitzend und mit ihm diskutierend inszenieren und das Publikum wird nicht zu halten sein und seiner Truppe die Bude stürmen, wenn er als Nicht-Akademiker den mit den angesagten Diskursen - schon aus Altersgründen! - nicht mitkommenden studierten Baucks zum 12jährigen Mathescheißefinder zurechtstutzt! Sowieso viel zu viel Alte hier-
Es ist so ätzend, dass es nunmehr schon seit Jahren hauptsächlich um die eigenen Arbeitsbedingungen geht und kaum noch um das, was außerhalb des eigenen Betriebes und Leben geschieht.
Mögliche ganz unterschiedliche Antworten zu Frage 1:
Ressourcen, die von der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden, sollten nicht nur von einer kleinen Gruppe für eine kleine Gruppe verwendet werden
Wer den Anspruch an sich als „Erfahrungsräume der Demokratie“, „Die Vielen“ oder „Kultur für alle“ etc. pp. Erhebt, sollte den auch erfüllen
Kunst, die im eigenen Milieus verhaftet bleibt, beraubt sich um Perspektiven, Impulse und Innovation
Strukturen, die Marginalisierte ausschließen, sind rassistisch, klassistisch, sexistisch usw. Wer kann das wollen?
Frage 2:
Spätestens seit Mark Terkessidis‘ Dreiklang von „Personal, Programm und Publikum“ ist beschrieben, dass es keine reine Frage von Werbung u.Ä. ist, sondern dass sich das Theater auf unterschiedlichsten Ebenen verändern muss, sollte es einzelnen oben genannten Gründen zustimmen. Maßnahmen, Methoden und Ansätze gibt es zahlreiche, Frau Wissert hat ja einige auch angesprochen. Leider hat das deutsche Stadttheatersystem, was das betrifft, wider besseren Wissens bisher versagt.
Toll, dass nun eine neue Leitung explizit mit dem Anspruch antritt, einen „Gegenentwurf“ zu schaffen. Daran werden sie und ihr Team sich messen lassen müssen. Ich hoffe, dass sie die richtigen Leute um sich versammelt und ausreichend Mut, Vision und Durchhaltevermögen mitbringt, um künstlerischen Erfolg und regionale Identifikation und Verankerung zu verbinden. Sollte sie das in einer so vielfältigen, herausfordernden Stadt wie Dortmund einigermaßen schaffen, wäre es ein toller Erfolg, nicht nur für sie, sondern für das Stadttheatersystem insgesamt. ToiToiToi!
Das ist erstens schlichtweg eine auf Sand gebaute Behauptung.
Theaterschaffende und Theaterinstitutionen setzen sich auch seit Jahren innerhalb UND außerhalb des Betriebes mit der Frage auseinander, wer und was man als Gesellschaft (vor-) leben möchte. Im öffentlichen Diskurs, auf den Bühnen, in der Kantine, in den Besetzungs- und Konzeptionsgesprächem, in den Städten, in den Zeitunfen, im Netz.
Zweitens beginnen strukturelle Veränderungen und sozialer Fortschritt immer bei einem selbst und in den eigenen Gruppen bzw. Institutionen. Und da uns Theaterschaffenden immer mehr bewusst wird, dass wir mit unserer Gesellschaftskritik auf relativ fruchtlosen Boden stoßen, solange wir die eigenen, dazu im Widersprich stehenden Strukturen nicht anpacken, geraten ebendiese Strukturen selbstverständlicherweise tatsächlich mehr und mehr in den Fokus. Selbstkritik vor Fremdkritik, Herr Baucks, das würde Ihnen hin und wieder sicher auch gut tun.
Nur weil die von Ihnen präferierten Themen gerade nicht im Fokus stehen, diffamiert das noch lange nicht automatisch alle anderen.
Die Häuser sind doch noch voll mit den Khuons, Kušejs, Maldeghems, Schulzes, Bachmanns, Becks, etc pp you name it.
Woher diese grassierende Angst vor dem Versuch eines Gegenentwurfs, wie Frau Wissert es selbst bezeichnet?
inwieweit hat sich das Publikum oben genannten Kriterien nach durch das Regietheater verändert?
Selbstverständlich sind die beiden nicht aufgrund irgendeiner Forschung "entstanden".. Sie sind "entstanden" weil ein riesiges Herr an weißen, in der Hauptsache mittelmäßigen, Männern die entsprechendenden Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen haben, woraus sich die beiden, und ein dutzend andere als herausragend herrauskristallisiert haben. Merken Sie was?
Zweitens: Gibt es sprachlich ein männliches Pendant zum Begriff „Kunstblasenmädels“? Frage für einen Freund.
Drittens: Den Werdegang von Frau Wissert (und Frau Recke) kann man vielerorts nachlesen, z.B. am Anfang des Artikels. Aber lieber Pöbeln, ne.
Viertens: Vermutlich ist es das Problem von Menschen wie ejb dass es um Inhalte geht statt breitbeinigem Afterparty-Smalltalk (‚wie haben die gelebt?‘). Zusatzfrage: was qualifiziert „Hans-Peter“, der so sympathisch ist weil er auch den kleinen Plattenladen im Hinterhofkeller in Neuseeland kennt, oder sich neben einem Schriftsteller fotografieren lässt dazu inhaltlich hochwertige Arbeit zu liefern?