Unter geliehenem Himmel

15. Dezember 2022. Die österreichische Schriftstellerin Daniela Egger lenkt den Blick auf das Werk des aus der Türkei stammenden Lyrikers, Übersetzers und Rundfunkredakteurs Kundeyt Şurdum. Suat Ünaldi inszeniert am Vorarlberger Landestheater eine Uraufführung, die auch Verabsäumtes bewusst macht.

Von Christa Dietrich

"Zwei Frauen, ein Leben" von Daniela Egger am Vorarlberger Landestheater Bregenz © Anja Köhler

15. Dezember 2022. Im Großen und Ganzen findet die Arbeit deutschsprachiger Autorinnen und Autoren nicht-deutscher Muttersprache bei Verlagen, Intendantinnen und Intendanten selbstverständliche Beachtung und Berücksichtigung. Die Stadt Hohenems etwa vergibt seit einigen Jahren – angeregt vom österreichischen Schriftsteller Michael Köhlmeier – einen dahingehend ausgerichteten Literaturpreis. Saša Stanišić, Karosh Taha und Agnieszka Piwowarska zählen zu den Preisträgerinnen und Preisträgern. Es ist eine bemerkenswerte Initiative, die über die Region hinauswirkt und die durch die neue Produktion des Vorarlberger Landestheaters nun eine besondere Ergänzung findet.

Schmerzerfahrungen in zwei Welten

Nicht nur das, denn "Zwei Frauen, ein Leben" verdeutlicht auch, dass der Raum für Autorinnen und Autoren nicht-deutscher Muttersprache etwa in einem Medium wie dem Österreichischen Rundfunk schon einmal größer war und dass es Brückenbauer wie Kundeyt Şurdum weiterhin bräuchte. Im Detail sind die Themen, etwa das Unterwegssein in zwei Welten, die Vielseitigkeit und die Fülle an bereichernden Erfahrungen, auch Schmerzerfahrungen, gesellschaftspolitisch auch darüber hinaus relevant.

Kundeyt Şurdum, 1937 in Konya geboren, kam mit seiner Frau Ayşe im Jahr 1971 nach Vorarlberg. Grund der Ausreise des Akademikers, der sich unter anderem den Werken deutscher Schriftstellerinnen und Schriftstellern des 20. Jahrhunderts widmete, waren politische Unruhen in der Türkei, die Intellektuelle in Bedrängnis brachten. "Alle die geschrien haben / sitzen im Gefängnis. / Ich bin hier und sehe, / wie schlecht es war, zu schweigen", heißt es in einem seiner lyrischen Texte, mit dem Daniela Egger ihr Stück über Şurdum beginnt.

Die Perspektive der Ehefrau

Ayşe Şurdum, gespielt von Hürdem Riethmüller, liest ihn aus einer Werkausgabe, die vor wenigen Monaten im Verlag Sonderzahl erschienen ist. Sie bereitet sich auf ein Interview vor, für das ein TV-Team seinen Besuch angekündigt hat. Bald wird klar, dass die Tatsache, dass Kundeyt Şurdum im Jahr 2016 gestorben ist, nicht in erster Linie ausschlaggebend dafür war, dass Daniela Egger die Perspektive der Ehefrau für ihr Stück wählte. Auch deren Bestrebungen, die Verbreitung der literarischen Arbeiten des Ehemannes zu unterstützen, wäre ein zu einfaches Motiv. Ayşe Şurdum hat die handschriftlichen Aufzeichnungen des Autors stets abgetippt und die Gedichte geordnet, in denen er auch ihr eigenes Heimweh verarbeitet hat. 

Zwei Frauen ein Leben 01 805 Anja Koehler uHürdem Riethmüller ist Ayşe Şurdum © Anja Köhler

"Jetzt sind die Ereignisse verdichtet, wie Juwelen", sagt sie nun und spricht auch als Frau, deren Leben anders verlaufen ist als sie es sich vorgestellt hat. Ayşe Yildam hatte vor ihrer Verehelichung ein Kunststudium begonnen und trachtete danach, es in Österreich fortzusetzen. Womit sie nicht rechnete, war die Tatsache, dass es in Vorarlberg keine derartige Ausbildungsstätte gab. Am ersten Wohnort waren die Straßen mehr oder weniger leer, Begegnungsstätten nicht vorhanden und die Menschen sowieso zurückhaltend. Zumindest die meisten.

Die junge Ayşe trifft auf ihr älteres Alter Ego

Daniela Egger lässt ihre Protagonistin nicht lamentieren, "unsere Ehe war eine tiefe solide Freundschaft", lässt sie Ayşe konstatieren, und sie schleust eine junge Frau in den Zeitraum zwischen der Ankunft der Kamerafrau und des sich verspätenden Redakteurs ein. Dieser Auftritt funktioniert als Effekt auf der mit Bilderrahmen ausgestatteten Bühne von Mandy Hanke gut. Denn schon zuvor ließ Regisseur Suat Ünaldi zu Erinnerungsmomenten Aufnahmen einblenden, die während der Zusammenarbeit von Kundeyt Şurdum mit dem Fotokünstler Nikolaus Walter entstanden sind.

Das Gespräch zwischen der jungen Ayşe und der älteren entwickeln die Schauspielerinnen Ümran Algün und Hürdem Riethmüller als ein Geben und Nehmen, hier wird keine Unerfahrene belehrt oder ein Lebensentwurf abgewertet. Man hört einander zu. Und zwar in einer Intensität, für deren Erreichen die Regie den beiden viel Zeit gibt. Das ist gut so und es stört auch nicht, dass die Autorin wie der Regisseur dabei das Klischeebild vom Hantieren an einem Backwerk zulassen.

Zwei Frauen ein Leben 02 805 Anja Koehler uAm Küchentisch: Ümran Algün und Hürdem Riethmüller © Anja Köhler

Der jungen Ayşe mutet Daniela Egger zu, die eigenen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Die ältere webt in ihre Erzählung die Mitverantwortung für ein Gefühl von Fremdsein ein, das entstehe, wenn man möchte, dass alles so bleibt, wie man es gewohnt ist. Das Leben unter einem geliehenen Himmel hat Kundeyt Şurdum als Aufgabe empfunden. "Seine Sprache war für mich die wahre Heimat", sagt auf der Bühne jetzt seine Frau. 

 

Zwei Frauen, ein Leben
von Daniela Egger
Uraufführung
Regie: Suat Ünaldi, Ausstattung: Mandy Hanke.
Mit: Ümran Algün und Hürdem Riethmüller.
Premiere am 14. Dezember 2022
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause 

landestheater.org

Kritikenrundschau

Daniela Egger verstehe es "außerordentlich gut, das Leben eines Menschen aus zwei unterschiedlichen Lebensphasen ineinander zu verweben", findet Andreas Marte in den Vorarlberger Nachrichten (17.12.2022). Ihr Text entwickle "eine Sogwirkung, die Gespräche sind in Prosa, aber einzelne Sätze wie Poesie". Suat Ünaldi lasse "den Schauspielerinnen die notwendige Zeit, um den wunderbarenText auf der von Mandy Hanke mit Bilderrahmen ausgestatteten Bühne zur Entfaltung zu bringen". Eine "sehenswerte Produktion", so der Kritiker.

Die Autorin werfe "einen kritischen und sehr reflektierten Blick auf das Leben von Gastarbeitern, fokussiert dabei auf die Frauen und thematisiert anhand der persönlichen Familiengeschichte die Schwierigkeiten und Erfahrungen, die Migration mit sich bringt", so Sieglinde Wöhrer in der Neuen Vorarlberger Tageszeitung (16.12.2022). Es sei, so die Kritikerin, trotzdem eine "glückliche Geschichte vom schwierigen Leben mit gutem Ende, auch wenn der eine oder andere Zuschauer bei der Uraufführung weinen muss, weil der im Stück thematisierte Verlust der Heimat so nahegeht".

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