Der gute Mensch von Sezuan - Sebastian Baumgarten inszeniert einen Trash-Film und bleibt doch ganz bei Brecht
Brecht, neu verföhnt
von Matthias Schmidt
Leipzig, 14. April 2011. Den berühmten Epilog hat Regisseur Sebastian Baumgarten weggelassen: weder geht der Vorhang zu, noch sehen wir betroffen, dass alle Fragen offen sind. An Brechts letzte Sätze im Stück hält er sich dennoch: "Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß! Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!" Baumgarten hat einen guten Schluss gesucht und gefunden. Und nicht nur das.
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Die Frage, wie erfolgreich die drei Götter heute wären, kämen sie auf der Suche nach einem guten Menschen in unser Sezuan, sie scheint leicht beantwortbar. Daran muss man nicht eine ganze Inszenierung lang herumrätseln. Wir geben alle die Shen Te und haben zugleich unseren Vetter Shui Ta, so ist die Welt: gut, aber böse. Brechts guter Frau von Sezuan gewähren die Götter, einmal monatlich auf ihr böses Alter Ego zurückzugreifen. Bei Baumgarten weiß die junge Frau, dass das nicht reichen wird und steht am Ende folgerichtig als schizophrene Doppelfigur auf der Bühne. Ein Mensch wie du und ich, der gut sein will, aber erfahren hat, dass das besser geht, wenn man seine Schattenseite immer dabei hat.

Mao, Lenin, Marx und ein Friseur
Weil das heute noch weniger überraschend ist als zu Brechts Zeiten und zudem der Glaube an das Gute im Menschen seitdem die eine und die andere entscheidende Niederlage erlitten hat, ist es ein Vergnügen, dieses Parabelstück als Trashfilm inszeniert zu sehen. Die Handlung wird parodiert, von ihrem moralischen Heiligenschein befreit und dadurch eigentlich erst ertragbar. Brecht dürfte es recht gewesen sein.
Die Götter – Mao, Lenin, Marx – sie landen als trickanimierte Videoprojektion, und sowieso ist mit dem ersten Auftritt des Wasserverkäufers Wang klar, dass gelacht werden darf. Maximilian Brauer lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass Wang eine tragikomische Nummer ist, ein Loser, der das Träumen noch nicht aufgegeben hat. Und es geht munter weiter: man spielt in slow motion, spult die Handlung vor- und zurück. Geräusche in bester Cartoon-Manier sorgen für Lacher. Das Geld, das die Götter der Prostituierten Shen Te für einen Neubeginn dalassen, zum Dank dafür, dass sie ihnen Unterkunft gewährte, es wird von einem Rosinenbomber abgeworfen.
Die Hausbesitzerin ist als neureiche Russin mit kräftigem Akzent überzeichnet (wie immer mit vollem Körpereinsatz: Birgit Unterweger) und Barbier Shu Fu (Guido Lambrecht) irgendwas zwischen Udo Waltz und Harald Glööckler. Über allem liegt eine ordentliche Schicht Verfremdung aus dem Repertoire der Jetztzeit-Medien – ein bisschen "Rapunzel, neu verföhnt" und dazu der (fast) komplette Brecht-Text sowie die Paul-Dessau-Lieder, denen Peter René Lüdecke und Guido Lambrecht einen Hauch Lou Reed mitgeben. Wie gut das zusammengeht, ist erstaunlich.
Die festgenagelte Kathrin Angerer
Die sparsamen Kulissen werden mit Videoschnipseln ergänzt, was hier so kongenial wie selten gelingt, weil die Filme eben nicht nur Bilder sind, moderne Chemiefabriken und Filme aus der Zeit der Kulturrevolution, sondern regelrecht "mitspielen". Die Tür zu Shen Tes Tabakladen – ist eine gefilmte Schiebetür! Mit einem Swoosh geht sie auf und zu – wunderbar. Ein live an Klavier und Keyboard eingespielter Soundtrack verstärkt das Filmische des Abends, der allerdings mit seinen dreieinhalb Stunden ein wenig zu lang ist. Gerade weil Baumgarten ein regelrechtes Ideenfeuerwerk zündet, das in Tempo und Vielfalt über diese Zeit schlicht nicht zu halten ist.
Am Ende, in der Gerichtsverhandlung gegen Shui Ta, sitzen alle an einem Tisch, haben die Textbücher in der Hand und lesen die Szene – wie in einer Textprobe – vor. Noch eine dieser überraschenden Verfremdungen, dieses Mal ganz ohne Effekte. Nur Eine steht auf der Bühne, in auf den Brettern festgenagelten Schuhen: Kathrin Angerer als Shen Te/Shui Ta. Ein starkes Bild. Und eine starke Kathrin Angerer. Die war so gut – am liebsten möchte man ihr eine Bahncard 100 kaufen, auf dass sie damit oft nach Leipzig komme.
Der gute Mensch von Sezuan
von Bertolt Brecht. Musik von Paul Dessau
Regie: Sebastian Baumgarten, Bühnenbild: Thilo Reuther, Kostüme: Ellen Hofmann, Musikalische Einrichtung: Max Renne, Jörg Follert, Friederike Bernhardt, Live-Musik: Friederike Bernhardt, Max Renne, Video: Marc Stephan, Dramaturgie: Anja Nioduschewski, Licht: Veit Griess, Ton: Daniel Graumüller.
Mit: Kathrin Angerer, Birgit Unterweger, Peter René Lüdecke, Linda Pöppel, Maximilian Brauer, Artemis Chalkidou, Guido Lambrecht, Matthias Hummitzsch, Barbara Trommer, Janine Kreß, Friederike Bernhardt.
www.schauspiel-leipzig.de
Nachtkritiken zu weiteren Guter Mensch von Sezuan-Inszenierungen der jüngeren Vergangenheit: Thomas Dannemann führte in Stuttgart Regie (Januar 2011), Friederike Heller an der Schaubühne Berlin (April 2010).
Die Inszenierung überzeuge weniger auf der politischen als auf der emotionalen Ebene, so Nina May in der Leipziger Volkszeitung (15.4.2011). Die Spaltung ihrer Person in Shen Te und Shui Ta erscheine eher psychotisch, "vielleicht wie die Folge eines Burnouts - und nicht bloß als stereotype Aufteilung in gute Helferin und bösen Kapitalisten." Angerer, deren betörender Stimme man endlos lauschen will, spiele die Vermischung sehr überzeugend, in jeder Shui-Ta-Szene blitzt Shen Te durch und andersrum. Brechts Mantra - Die Umstände sind grausam, also kann auch der Mensch nicht gut sein - verliere seinen Fingerzeig auch dann nicht, wenn man seine Stilmittel beinahe parodistisch übertreibt, und Baumgarten verfremde auf allen Ebenen. Fazit: "Am Ende entsteht so der Eindruck, einem merkwürdig altmodischen Brecht-Happening beigewohnt zu haben, das dem Autor wohl gefallen hätte. In seiner Fremdheit, die Dessaus Musik noch verstärkt, ist das schon wieder irgendwie interessant, wenn auch mit dreieinhalb Stunden eindeutig zu lang."
Aus einer Video-Animation treten zu Beginn die Götter heraus - Karl Marx, Wladimir Iljitsch Lenin und Mao Tse-Tung - und ziehen fortan in blauen Anzügen, blauen Mützen sowie roten Halstüchern der alten Revolutionen von damals durch die Geschichte der Prostituierten Shen-Te, berichtet Michael Laages auf Dradio Fazit Kultur vom Tage (15.4.2011). Jenseits dieser postkommunistischen Grundidee gebe sich Baumgartens Leipziger Brecht-Schau extrem verspielt. "Sie setzt grundsätzlich auf sehr komödiantische Darstellungsweisen und beschwört eine Farce, eine Art Brecht-Comic. Die Methode strotzt die erste halbe Stunde über vor Phantasie, verliert sich dann aber ein bisschen zu schnell in den Niederungen der vom Autor extrem weit und breit und detailliert ausgefächerten Fabel." Kathrin Angerer spiele mit erkennbarem Spaß an der Sache das Doppel-Profil von Böse und Gut. Baumgartens Inszenierung finde teils flotte, teils freche szenische Lösungen, verharre aber letztlich in der Nähe zur Comedy.
Baumgarten lasse den Text "weitgehend vom Blatt spielen", mache aber trotzdem "kurzen Prozess mit dem Stück, in dem er es zur poppigen Farce auftakelt", schreibt Ralph Gambihler in der Chemnitzer Freien Presse (18.4.2011) Dabei mache der Regisseur allerdings "eigentlich nichts anderes, als das epische Theater Brechts mit seinen eigenen Mitteln zu modernisieren, also die Parabel um die Ex-Prostituierte und Tabakladenbesitzerin Shin Te noch einmal zu verfremden". Natürlich greife der "Pathos-Verweigerer" Baumgarten "zu anderen, nämlich den popkulturellen und massenmedialen Mitteln unserer Zeit". Das sei "stellenweise recht lustig", der Preis dafür aber hoch: "Vieles wirkt einfach verhampelt und verstrampelt und überfrachtet mit Einfällen, denen man anmerkt, dass sie jemandem eingefallen sind". Und dass es im "Guten Menschen" um einen "zeitlosen existenziellen Konflikt geht", nämlich "um den permanenten Selbstwiderspruch des zwischen Markt und Moral eingeklemmten Individuums - davon lässt der Abend wenig spüren". Da könne das "inspiriert aufspielende Ensemble" wenig ausrichten. Auch Kathrin Angerer nicht – "dabei spielt sie bewundernswert in der doppelten Hauptrolle, mit einem Anflug von Dämlichkeit die hilflos altruistische Shen Te, resolut - und brüchig den hartherzigen Vetter Shui Ta".
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Bin gespannt, ob Baumgarten das in Bayreuth toppen kann und wünsche viel Glück!
Trash, Müll, Abfall.
Lehnwort der Postmoderne. Bezeichnet ein kulturelles Produkt mit geringem geistigen Anspruch, an dem gerade der Aspekt der Geistlosigkeit genossen wird.
Ich bin selbst kein Brecht-Anhänger, oder Brecht- Begeisterter. Finden Sie aber Brecht wirklich so geistlos? Kann man den Aspekt der Geistlosigkeit, an ihm wirklich genießen?
Warum wird denn hier der Vorhang weggelassen? Ist dieser doch zusammen mit den Göttern und anderen Figuren ein kleiner Hinweis an den Zuschauer, dass sich das Theater jetzt mal mit sich selbst beschäftigt und zwar auf dem Schlachtfeld der politischen Theorie. Heutzutage kommt dabei wohl nur noch Murks heraus.
Es muss sich halt nicht immer nur die Gesellschaft verändern, sondern auch das Theater. Eigentlich cool von Brecht, das so zu verpacken...
Ein totaler Downer wärs gewesen, wenn sich hier Fukushima oder Nikkei-Index eingeschlichen hätten. Aber diese Plattheit hatte die Inszenierung den drei Göttern sei Dank gar nicht nötig.
Ich bin da auch eher bei "zecke". Für eine etwas jüngere Generation ist dieses Thema breitgelatscht ohne Ende. Ich bin in den neuen Bundesländern aufgewachsen, war 6 als die Mauer fiel. Für mich sind diese ganzen Horrordokumentationen und Gauckreden mitlerweile ein Ausdruck bundespolitischer Hilflosigkeit. Man muss täglich an die DDR in ihrer Grausamkeit erinnern um heutige Probleme zu relativieren. Dass Millionen Menschen hier Deutschland einer unfassbar großen ökonomischen Gewalt ausgesetzt sind, und hier setzt das Stück ein, kann Niemand mehr bezweifeln. Nun wissen wir tatsächlich auch von all den auftauchenden ökonomischen Grausamkeiten im 21.Jh. aber wir winken nur immer wieder müde ab, werden wir darauf hingewiesen. Dazu nun Brecht, wer sonst, heute so treffend wie damals:
"Worauf wartet ihr? Dass die Tauben mit sich reden lassen? Dass die Unersättlichen euch etwas abgeben? Die Wölfe werden euch nähren, statt zu verschlingen. Aus Freundlichkeit werden die Tiger euch einladen ihnen die Zähne zu ziehen. Darauf wartet ihr?" B.Brecht
Am schönsten, leider auch auch langweiligsten, sind so belehrende Kommentare wie ihrer. Keine Meinung haben, den Abend wahrscheinlich noch nicht mal gesehen, aber in jedem Fall mal Beleidigungen posten, damit die eigene Fönfrisur auch schon vor dem Kämmen einwandfrei liegt. Auf Kommentatoren wie sie kann jedes Theater mit Leichtigkeit verzichten. Schlaumeier!
@Sommer
Ihr Weichspüler gehört ins Vorwort des LINKEN Programms. Leider kommt nach dem Vorwort nicht mehr viel, außer dass sich Täter als Opfer gerieren und uns heute von der Opposiotnsbank herab erklären, was Demokratie, Moral und Solidargemeinschaft ist! trash as trash can. Im Osten nichts Neues.
(Liebe User,
bitte kommen Sie zum Thema, also zur Inszenierung, zurück. Gegenseitige Kommentatoren-Beschimpfungen / -Unterstellungen sind für Außenstehende nur bedingt von Interesse.
Vielen Dank und schöne Grüße,
die Redaktion)
Weiß nicht ob das ein Weichspüler ist. Es ist meine Sicht, aber auch meine Wut auf die Dinge. Das müssen Sie mir schon lassen. Und es nervt mich wenn mir in einer ungerechten Gesellschaft erklärt wird, dass das nun irgendwie das Ende der Geschichte ist. Sie haben Ihre Biographie und ich meine.
So sehe ich die Inszenierung
auch anders als Sie. Die Moralität irgendwelcher SED-Bonzen habe ich nie erlebt. Ich erlebe aber eine Welt, die der Brechts ähnlich gewesen sein könnte; "Die Ungerechtigkeit nimmt zu, der Widerstand dagegen gilt als veraltet."
In dieser Welt leben wir doch oder irre ich mich? Was ist an einer Gegenwelt, wie sie Brecht vorschwebte, so falsch? Es stimmt, dass die SED-Bonzen fürchterlich moralisch waren. Aber ist eine Alternative nur in diesen Bonzen zu finden?
Nee! Ich glaub ja wir sollten uns politisch gesehen mal daran machen die ökonomische Realität zur Kenntnis zu nehmen und haben wir sie erkannt können wir sie nur ablehnen. Das wäre doch schon mal ein Anfang. Der Fingerzeig auf etwas Neues wäre für mich als Zuschauer etwas wunderbares, auch wenn es naiv, plump und uncool ist. Ich habe Lust auf einen revolutionären Gestus im Theater.
ich lasse ihnen ihre Wut. Nochmal so gerne nach dem, was sie schreiben. Denn genau deshalb ist Bechts Moralprinzip heute Trash, weil die Dinge komplizierter liegen, weil es kein Gut und Böse gibt, weil Bechts Entwurf ein sauberer Reißbrettentwurf für die Bühne ist - und die hatte, zumindest zu seinen Zeiten, nurine behauptete Anbindung an die Realitäten. "Revolutionärer Gestus im Theater", ja gerne, aber was bitte soll das sein. In revolutionäre Parolen war Brecht auch gut, um dann nach Probenende in seinem sonderangefertigtn Ford nach Bukow zu düsen. Genau deshalb hat Baumgarten Inszenierung jedes Recht, Brechts Moral zu trivialisieren. Sie ist manchmal einach nur noch zum Lachen, zum Staunen, zum Genießen. All das bietet dieser Sezuan.
Brecht einfach nur in die Pfanne hauen kann jeder. Die Leere dann wieder aufzufüllen, dürfte etwas schwieriger sein.
Die Dinge liegen heute komplizierter als damals? Warum? Wer sagt das eigentlich?
Die Auflösung von "Gut" und "Böse" finden wir ja nun auch im Stück. Die These: "Man kann hier nicht gut sein ohne böse zu sein" wird ja ausgearbeitet. Shen Te muss ja auch ihren Vetter holen, nicht weil sie gierig ist, sondern weil die Umstände so sind wie sie sind. Also geht es darum die Umstände zu ändern. Es geht doch letztlich darum Umstände herbeizuführen in denen der Mensch dem Mensch ein Freund sein kann und ihm nicht als Konkurrent am Markt begegnen muss. Das war Brechts bemühen. Was er privat tat interessiert mich hier nicht, dafür gibts seine Gedichte.
"Revolutionärer Gestus im Theater"... damit meine ich, dass es auf der Bühne darum gehen sollte bestehende Verhältnisse zu überwinden. Ablehnung des Bestehenden und aktive Motivation über neue Dinge nachzudenken ( Das ist vielleicht ein eigenartiger Anspruch, nur wenn ich mir einen Tatort anschauen will, wo das nicht passiert, schaue ich einen Tatort). Nichts ist allerdings heute nun so schwer wie fast unmöglich als etwas neues zu machen oder Menschen für eine Revolution zu begeistern. An einen ernsthaften Versuch dahingehend kann ich mich allerdings auch nicht erinnern.
Ich habe bei der Premiere gar nicht gekichert, u.a. nicht, weil es gar nicht um meine Moralprinzipien geht. Es geht ganz einfach darum, dass die Brechtschen Moralvorstellungen vor globalem Hintergund und nach dem Zusammenbruch u.a. "seines" Systems (das Sytem des Sozialismus-Kommunismus) auf dem Theater heute nur noch für einen rein eskapistischen Abend genügen. Klar, ich will auch den Weltfrieden und Vollbeschäftigung, ich will auch Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und dass keine Mehrheit zum Vorteil einer Minderheiten-Elite Nachteile erleiden muss, dass keiner Hunger leidet, dass es keine Kinder-Soldaten gibt, dass Politik aufrichtig und nicht korrupt ist, dass Guttenberg seine nächste Doktorarbeit selbst schreibt, dass alle Autos mit Öl aus Thunfischdosen laufen, die selbst in Netzen gefangen werden, die keine Delfine töten und und und ... Aber nützt das Wünschen was? Anders gefragt: Nützt es uns oder dem Ansehen von Theater, wenn es solche Blümchensexphantasien auf der Bühne proklamiert. Brecht funktioniert nur noch als Projektionsfläche eines Menschheitstraums, der ausgeträumt ist. Aus diesem Traum, an der Schnittstelle zur multimedialen Trivialisierung, hat Baumgarten mich zumindest mit seiner vieleitigen Inszenierung wohltuend herausgerissen.
Die hinderlichsten Moralisten sind übrigens immer diejenigen, die anderen anraten, mal ihre Moralprinzipien zu überdenken. Das reicht nicht mal mehr für Kuba!
Sie wollen also Weltfrieden, Vollbeschäftigung, Guttenberg und Globalisierung in einem Stück sehen...meine Güte...kommen Sie bitte mal in die Wirklichkeit. Ich glaube, es nützt dem Theater gar nichts, wenn immer gleich mit den abenteuerlichsten Begriffen um sich geschmissen wird. Das erinnert einen immer eher an ein Schlachtefest. Jemandem die Frage nach der eigenen Moral zu stellen, ist erst einmal eine Frage...
Entschuldigung, aber wollen Sie nun falsch lesen, was ich geschrieben habe, oder können Sie es nicht lesen? Wo bitte schreibe ich, was Sie in meinen Kommentar rein interpretieren möchten? Ich zweifele langsam doch ein wenig an Ihrem Rezeptionsvermögen. Die Frage nach der Moral lasse ich mir vom Theater gerne stellen, so es sich die Frage auf dem Theater selbst stellt. Das ist im Baumgarten geschehen und deshalb zwei Daumen nach oben für die Inszenierung. Die Frage nach der Moral, so wie Sie stellen, ist ok, wenn Sie sie sich selbst stellen. Was maßen Sie sich an, anderen Ihre Moralvorstellungen in Form einer (rhetorischen?) Frage aufzuhalsen? Ich will eben keine Naivitäten à la Weltfrieden, Vollbeschäftigung usw. in einem Stück sehen, weil es sie nicht gibt und nicht geben wird, insofern rein eskapistisches Gutmenschentheater wären. Haben Sies jetzt?
Na Sie teilen aber jetzt ziemlich deftig aus. Tschuldigung, dass ich mich jetzt bei "Blümchensexphantasien" angesprochen fühlte. Vielleicht sollten Sie ein paar Ihrer Wünsche mal etwas ernster nehmen um mich zumindest ernster nehmen zu können. Was ist denn daran so verwerflich in diesem Land noch Utopien zu haben, oder den Wunsch danach zu besitzen?
Naiv zu sein ist für mich die vielleicht wichtigste Tugend eines Künstlers.
es ist nicht meine Absicht, auszuteilen oder zu beleidigen. Und ich habe auch nichts gegen Utopien. Aber man kann einer Inszenierung, die der Utopie nicht traut oder sie demaskiert dies nicht zum Vorwurf machen. Auch das gebietet die Freiheit des Künstlers, ob die jetzt naiv oder utopisch oder kontra-utopisch oder realistisch ist. Nichts für ungut.
der sarkasmus, die bitterkeit und die ziemlich brutale lebenserfahrung von brecht haben ziemlich wenig mit blümchenkommunismus, hippienaivität oder kleinbürgergleichmacherei zu tun.
mit freundlichen grüßen
einar s.
sorry einar aber die frage ist etwas befremdlich.ich find das jedenfalls recht brutal und bin etwas dankbar das mir das erspart geblieben ist.
ihr die ihr nach uns gekommen seid gedenket unsrer mit nachsicht.
was mag er wohl damit gemeint haben?
@der kommende aufstand: wer sich so großspurig betitelt, endet als furz im weltall oder bei dsds. von der erde aus gesehen ist beides provinz.
und das der aus irgendetwas nix glernt hätt,tschuldige aber das ist doch bissel blöde.meinst es war leicht nach dem krieg das berühmteste theater der welt aus dem dreck zu basteln?wo hast du eigentlich gelernt so gross rumzuposaunen?hast des a von ner diktatur belastung?
wenn du den brecht mal lesen solltest würdest merken das der immer recht bescheiden war.im unterschied zu denen die später meinten ihn genau verstanden zu haben.ich kenn keinen der aus belastungen so schöne gedichte machen kann.
ihr die ihr auftauchen werdet aus der flut in der wir untergegangen sind....nachsicht...feundlichkeit...öfter als die schuhe die länder wechselnd
@ heiner: nichts gegen ihr makelloses brecht-fantum. es wäre aber doch angemessen, geschichte jetzt nicht total zu klittern und den aufbau eines (ganz gewiß ruhmreichen) theaters zum top of nachkriegs-belastung zu verklären. nach den wagnerianern kommen die brechtianer, die für sich und gegen jede abweichende meinung postulieren, den brecht verstanden zu haben. sei es so, ist gut fürs intellektuelle ego. sei ihnen gegönnt.
ich bitte um ein wenig verständnis für ihn,aber wenn ihnen das zu viel ist kümmer ich mich auch gern um mein ego. :-)
Ich gehe jetzt Reis essen, unter den Orangenblüten, in Norwegen, male Kreise und suche mein Ego unter einem feurigen Siegel...