Wie es euch gefällt - Sebastian Nübling lässt sein Ensemble in Zürich über Ardenner Baumwurzeln stolpern
Liebe ist ein Slapstick
von Christoph Fellmann
Zürich, 27. Oktober 2012. Auch der Baum der Erkenntnis ist nur ein Phallus. In der Mitte der Bühne ragt er auf, umschlängelt von seinen eigenen Wurzeln. Die Menschen klettern an ihm hoch und essen seine Früchte. "Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist", steht da nämlich in Latein auf einer Banderole, die um den Stamm gebunden ist. Nun ist es immer gut zu wissen, was gut ist und was böse, bloß hilft es in diesem Fall nicht weiter, denn die Frage ist doch vielmehr, wer welchen Geschlechts ist. Und wer folglich an wessen Gemächt. Der Wald von Arden, in dem William Shakespeare seine Komödie um die Liebe spielen lässt, gleicht hier, in der neuen Zürcher Inszenierung von Sebastian Nübling, weniger einem paradiesischen Ort, aus dem zum Schluss heterosexuelle Pärchen hervorgehen. Um das Zentrum des Apfelstamms blüht vielmehr ein Irrgarten der Liebe und der Lüste, aus dem kein zweisames Entkommen ist.
"Wie es euch gefällt", oder: Wie hätten Sie's denn gern? Indem Sebastian Nübling homoerotische, autosexuelle und sado-masochistische Spielarten der Liebe zeigt, holt er an die Oberfläche, was bei Shakespeare anspielungsreich angelegt ist. Er tut es dezent und mit präzisem Witz, und er hat ein Ensemble, das mitgeht – sei es in die selbstverliebte Rockstarlarmoyanz, mit der Jan Bluthardt seinen Jacques die Liebe in die Hölle wünschen lässt, sei es die Hochleistungsgymnastik, mit der Katharina Schüttler als Celia und Milian Zerzawy als Oliver eine brüllend komische Sexszene geben.
Schöne Derbheit, heitere Obszönität
Doch so richtig knackt der Abend die Schwierigkeiten nicht, die dieses Stück nun mal stellt. Da ist zunächst die Tatsache, dass diese Komödie einen schönen Teil ihres Witzes daraus bezieht, dass 1599, als Shakespeare sie auf die Bühne brachte, es Männer waren, die die Frauenrollen spielten – was umso brisanter war, als Homosexualität in England verboten war. Das ist heute auf keine Art und Weise mehr erlebbar zu machen, und man könnte mit gewissem Recht argumentieren, das Stück habe damit seine Raison d'être verloren. Kommt hinzu eine Dramaturgie, die nicht nur völlig unglaubwürdig ist – das wäre zu verschmerzen –, sondern auch noch langfädig: Auch Sebastian Nübling braucht in Zürich dreieinhalb Stunden, um die verschiedenen Pärchen zu etablieren, zu zerpflücken und dann wieder zu sortieren. Das ist, mit Verlaub, mässig spannend.
So sind an diesem Abend die Frauen also mit Männern zugange, und die Männer mit Frauen, die Männer spielen. Männer küssen Männer und saugen an Zigarren, und Frauen küssen Frauen und greifen Männern an die gar nicht mal so flachen Brüste. So gehts reihum in schöner Derbheit und heiterer Obszönität. Die Liebe wird einem an diesem Abend zum "Spaß und Zeitvertreib", als die sie Rosalinde früh im Stück ja auch ankündigt, als sie sagt, sie werde sich schon was Kurzweiliges ausdenken: "Wie wärs mit sich verlieben?"
Mehr als eine Genderstudie macht Sebastian Nübling aus dem Abend einen langen und immer wieder auch sehr komischen Slapstick über das, was man Geschlechteridentität nennt. Denn die gibt es hier von Anfang an nur in hochkomischen Imitationen. So ist bereits der erste Auftritt von Celia und Rosalinde hinreißend, als die beiden mädchenhaften Freundinnen in Faltenröckchen dastehen, Verführungsposen üben und damit ja auch schon die aparte Darstellung des eigenen Geschlechts. Wie Franziska Machens aus ihrer Rosalinde dann sofort alles Mädchenhafte austreibt, sobald sie als Ganymed durch den Wald geht, als Mann nun mehr Frau als je zuvor, das ist großartig auf den Punkt gespielt.
Fortunas begrenzte Möglichkeiten
Die Regie nimmt sich aber nicht nur jede erdenkliche Freiheit, wenn es darum geht, das Liebeskarrussell am Quietschen zu halten. Sie vertraut handkehrum voll und ganz der vielleicht größten Unglaubwürdigkeit, die dieses Stück zu bieten hat. Der Tatsache nämlich, dass hier alle geistreich, schnell, ja vollkommen brillant über die Liebe zu reden in der Lage sind. Nübling stellt sie alle aus, die schlagfertigen Streitgespräche, die misanthropischen Monologe wie auch die hingeschnippten Merksätze. Hier ist der Abend ganz bei Shakespeare – und beim bestechend aufspielenden Ensemble, dem kein beiläufiger Sarkasmus des 400-jährigen Textes zu entgehen scheint, kein persiflierender Unterton und keine liebevolle Ironie für den Pathos der Liebenden.
Das geht mal rasend schnell wie beim Streitgespräch über die begrenzten Möglichkeiten der Fortuna; mal in aller gelassenen Langsamkeit, mit der sich der wunderbare Markus Scheumann als Touchstone immer mal wieder die rote Narrennase richten muss, bevor er sich in der Lage sieht, einen melancholischen Gedanken an die Liebe zu verschwenden. Die Szene, in der er als "unbehauster Clown" allein im Wald über die plötzliche Landlust der Städter sinniert, bevor er notgeil den Baumstamm vögelt: Sie gehört zu den Höhepunkten eines dann doch recht kurzweiligen Abends mit viel theatralischem Spaß und Zeitvertreib.
Wie es euch gefällt
von William Shakespeare, übersetzt von Jürgen Gosch und Angela Schanelec
Regie: Sebastian Nübling; Bühne und Kostüme: Muriel Gerstner; Musik: Lars Wittershagen; Dramaturgie: Katja Hagedorn.
Mit: Ludwig Boettger, Christian Baumbach, Milian Zarzawy, Patrick Güldenberg, Katharina Schüttler, Franziska Machens, Markus Scheumann, Lukas Holzhausen, Jan Bluthardt, Isabelle Menke, Susanne-Marie Wrage.
Dauer: 3 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.schauspielhaus.ch
Die Unterzeile von Andreas Klaeuis Kritik in der Neuen Zürcher Zeitung (29.10.2012) fasst es wie folgt zusammen: "Mit viel Witz und Tempo präsentiert sich Sebastian Nüblings Zürcher Inszenierung. Was man etwas vermisst, sind die Schattierungen und leiseren Töne." Geboten werden drei Stunden Spass, tolle Komödiantik, Rhythmus, Spiellust, physische Verve. Was fehlt seien die zarteren Beziehungsfäden, "das Flimmern zwischen den Figuren, das auch vorstellbar wäre, zum Beispiel zwischen Jaques und Ganymed: Das ist eingestrichen, oder die Inszenierung brettert drüber weg." Am Ende siege die Liebesskepsis über das Herumtollen. "Die Paare, kaum haben sie sich gefunden, verlieren sich schon wieder im unerlösbaren Begehren. Und finden nur an einem Ort wirklich zusammen: in der Melancholie der Musik."
"Die Fallhöhe zwischen derbem Klamauk und Liebesschmerz ist mitunter beträchtlich. Doch ins Bodenlose springt hier niemand", so Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (29.10.2012). Sebastian Nübling bekomme das tatsächlich hin: "den überbordenden Aktionismus seiner Figuren – Markus Scheuermann nimmt es am Ende zwecks phallischer Selbstüberhöhung sogar mit dem ganzen Baum auf – mit den hintersinnigen, gelegentlich philosophisch abgründigen Versen Shakespeares in eine tragfähige Balance zu bringen."
Eine "von komödiantischen Einfällen nur so sprühende Inszenierung" hat Klara Obermüller für die Welt (31.10.2012) gesehen. Die fest gefügte Ordnung kippe hier andauernd ins Chaos um. "Nichts ist, was es scheint. Nichts hat Bestand: die Standeszugehörigkeit nicht, nicht die Geschlechterzuschreibung und schon gar nicht die Liebe, nach der alle suchen." Dem Regisseur stehe für dieses Spiel der Tabubrüche, Regelverstöße und Grenzüberschreitungen ein hervorragendes Ensemble zur Verfügung, das den permanenten Rollenwechsel sichtlich genieße.
Nübling setze in seiner Inszenierung "auf einen sehr heutigen, sexualisierten Humor, und kommt damit vermutlich der Wirkung recht nahe, die Shakespeares verklausulierter Wortwitz im frühen 17. Jahrhundert entfaltete", schreibt Cornelia Fiedler in der Süddeutschen Zeitung (22.11.2012). Im "starken Ensemble" finde jeder Akteur "zu den für Nüblings Inszenierungen typischen körperlich intensiven Ausdrucksformen". Trotz der Rasanz wird für die Kritikerin aber auch "spürbar, dass die ganzen Geschlechterrollen-Komik auf heute zumindest teilweise überholten Strukturen basiert".
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Nichts von dem, was der Autor lobend anmerkt, habe ich gesehen. Jede Gelegenheit, sich in aktuelle Diskurse einzuklinken, ging ungenutzt vorüber. Die Bühne war schlecht beleuchtet, und es wurde zu viel gesungen.
Ich hatte den Eindruck, einer Copy- and Paste-Inszenierung zuzusehen.
Aber Ärger kam nicht auf, nur Langweile.