Presseschau vom 14. Juli 2011 – Die Süddeutsche Zeitung berichtet über das 4. Napoli Teatro Festival Italia

Othello in unruhigen Gewässern

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Othello in unruhigen Gewässern

14. Juli 2011. In der Süddeutschen Zeitung (14.7.2011) berichtet Henning Klüver vom 4. Theaterfestival Neapel, das 2008 unter der Prodi-Regierung mit Geldern des römischen Kulturministeriums und der Region Kampanien gegründet wurde, um Italien eine Plattform zu geben, die auch internationale Bedeutung hat. "Sodom und Camorra" ist sein Text überschrieben.

Die Themen der Inszenierungen springen schneller in die Realität zurück, als der Vorhang falle. Man müsse mitunter zwei Mal hingucken, um zu verstehen, was Theater sei und was Leben. "So bei den Musikern und Tänzern auf der Piazzetta Pietrasanta, die mit einer Tarantella symbolisch die Camorra aus dem Stadtviertel treiben wollen. Denn die kleine Piazza an der Kirche Santa Maria Maggiore will Mafia-frei sein. Geschäftsleute haben sich zusammengeschlossen und in einer öffentlichen Feierstunde verkündet, dass sie kein 'pizzo', kein Schutzgeld mehr an die Camorra zahlen wollen."

Wie beim Pingpong würden die Themen zur Bühne zurückspringen, "etwa wenn sich in dem Stück 'Cristiana Famiglia' von Fortunato Calvino zwei Brüder beim rituellen sonntäglichen Mittagessen in der Großfamilie streiten. Eine ehrliche Haut, der ältere, der sich in der Hoffnung auf eine Arbeitsstelle verschulden muss. Machtbesessen der jüngere, der sich anschickt, ein Boss der Camorra zu werden, und vor Gewalt nicht zurückschreckt. Den Verlust menschlicher Beziehungen, Konsumdruck und die Auswirkungen prekärer Arbeitsverhältnisse handelt auch die junge Theatermacherin Sara Sole Notarbartolo in einer bitterbösen Farce am Faust-Thema ab."

Beide Regisseure kommen aus der kreativen Szene Neapels, die so viele Schriftsteller, Schauspieler und Regisseure hervorbringe wie kaum eine andere Stadt. "Man brauche jedoch, so erzählt der Buchhändler und Verleger Raimondo Di Maio, vor allem Arbeitszusammenhänge, welche die Kreativität der Stadt auffangen könnten. Die Kulturindustrie verlagere sich immer weiter in den ohnehin reicheren Norden Italiens." Ein Theaterfestival könne hier Strukturen und Arbeitsplätze schaffen, und es vermittle Selbstvertrauen, "macht einer Stadt Mut, in der Teile des Bürgertums in einer Grauzone immer mehr die Nähe zum organisierten Verbrechen suchen".

Luca De Fusco, der neue Festival-Chef, der auch das Teatro Mercandante, das wichtigste Stadttheater Neapels, übernommen habe, verwalte einen Etat von 4,5 Millionen Euro, der sich inzwischen weitgehend aus EU-Geldern speise. Er möchte die Internationalität des Festivals nicht missen, will sie aber in Zukunft stärker mit lokalen Produktionen mischen. "Aus denen ragte in diesem Jahr eine 'Othello'-Bearbeitung von Antonella Monetti heraus, die ihr Dreipersonenstück 'Othello und Jago' auf einem Boot in der Bucht vor Neapels sensationeller Kulisse für jeweils 15 Zuschauer inszenierte. Um dieses Bühnenbild zu sehen, muss man nach Neapel kommen.

(sik)

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