Presseschau vom 3. September 2011 - Der S.P.O.N-Blog von Spiegel-Online sucht nach der verlorenen Relevanz des Theaters

So etwas wie Wirklichkeit rekonstruieren

So etwas wie Wirklichkeit rekonstruieren

3. September 2011. Das waren noch Zeiten, als das Theater die Leute mit "smarter Sexyness" anzulocken verstand, trauert Georg Diez, Theaterkritiker a.D., im Spiegel-Online-Blog S.P.O.N. goldenen Zeiten nach, als das Theater als sozialer Ort noch relevant und interessant gewesen ist. "Das war es ja zum Beispiel in den neunziger Jahren bis etwa ins Jahr 2003, 2004 hinein. Das Theater hatte eine gute Energie, man musste schon hingehen, um nichts zu verpassen und um zu verstehen, was so gedacht wurde. Da gab es Pop und Verdrossenheit, Melancholie und Wahn, da wurden Intelligenz und Sinnlichkeit auf eine Art und Weise greifbar, wie es heute nur manchmal noch in der Kunstszene zu finden ist."

Diez führt als leuchtende Beispiele die "Erschöpfungsexzesse von Christoph Marthaler" als passend für eine Zeit der heißlaufenden Ökonomie, die "düsteren Dekonstruktionen von Frank Castorf" als Pendant zur neudeutschen Glückseligkeit an. René Pollesch habe seine Schauspieler allerlei linke Theorie brüllen lassen "und Christoph Schlingensief packte erst das Megaphon aus und steckte dann Ausländer in einen Container". Damals sei die Richtung klar gewesen: "Gesellschaft als Performance."

Inzwischen hat sich das Theater aus seiner Sicht "in die selbstverschuldete Unmündigkeit" zurückgezogen, und fühlt sich für ihn auf einmal wieder so alt an, wie es ist. Ein paar tausend Jahre also. "Die Mittel blieben die gleichen, die Energie war weg, es wurde munter weiter dekonstruiert, als ob es noch eine Wirklichkeit gebe, die es zu dekonstruieren gelte – wo es doch eher darum gehen sollte, so etwas wie Wirklichkeit in ihren Brüchen und Widersprüchen, in ihren Irrwegen und Fiktionen zu rekonstruieren."

(sle)

Kommentare  
Spiegel online-Blog zum Theater: enflammieren, erstarren, verlöschen
oh je o je - jetzt wird auch georg dietz sentimental und beschwört die gute alte zeit. es ist offenbar immer wieder das gleiche mit den menschen: sie lassen sich in einer kurzen phase des lebens enflammieren, sei es von einer frau oder von theater oder autosport oder sonst irgendetwas, dann erstarren sie, und dann verlöschen sie. statt über sich selbst nachzudenken, beklagen sie dann gern, daß früher alles besser war...
Kommentar schreiben