Presseschau vom 9. April 2011 – die FAZ bringt eine anthropologisch fundierte Polittheaterkritik

Merkel, das moderne Käthchen

Merkel, das moderne Käthchen

Frankfurt, 9. April 2011. "Theatralität der Politik" ist seit Langem ein bestens beackerter Forschungsschwerpunkt in universitären Zentren. Jetzt tragen die Anstrengungen auch außerhalb der theaterwissenschaftlichen Hauswirtschaft fruchtbare Ergebnisse ein. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (9.4.2011) untersucht Uwe Ebbinghaus den Schauspielstil unserer aktuellen Politriege aus dem Blickwinkel von Helmut Plessners "Anthropologie des Schauspielers" (1948).

Für den Politiker reiche es nicht, "einfach nur Menschendarsteller zu sein", er müsse vielmehr wie "ein Mime" eine Doppelrolle spielen und 'eine natürliche und künstliche' Existenz verbinden". Das mag bei Angela Merkel nicht auf den ersten Blick auffallen. Doch agierte sie bereits während ihres Aufstiegs in der Kohl-Ära gegen die Zuweisung der "Mädchen"-Rolle, "entwand sich geschickt, darstellerisch ohne großen Aufwand und mit einem kess-schüchternen Lächeln, das sie noch heute aufsetzt, wenn sie eine Diskussion beenden will."

Mit der Kanzlerinnenwahl 2005 wurde endgültig deutlich, dass Merkel "in einer zweiten, der Metarolle eines sich selbst beobachtenden Mimen" agiere. "Im Kontrast zu Schröder wirkte sie zwar zaghaft, dafür lieferte sie keinerlei Angriffsfläche und verprellte den Zuschauer nicht durch Egoismen. Während Schröder in diesem Moment die Machtcharge gab, den distanzlosen Auftrumpfer, wirkte Merkel in ihrer reduzierten Selbstdarstellung wie ein somnambules Käthchen von Heilbronn auf dem Weg zur Macht."

Wer aber taugte für die Rolle des Grafen Wetter vom Strahl? Ebbinghaus führt diese Parallele nicht weiter aus, aber er hat zumindest einen Heldendarsteller auf dem Besetzungszettel: Karl-Theodor zu Guttenberg, den "Vertreter des Filmstar-Typus". Dieser "erkannte das körperliche Darstellungsvakuum, die Repräsentationslücke des Ensembles, und füllte beide souverän. Innerhalb kürzester Zeit etablierte er sich mit seinem lipizzanerhaften Gang, seiner einnehmenden Stimme und dem variantenreichen Mienenspiel als darstellerisches Gegengewicht zur Kanzlerin." In der Plagiatsaffäre aber, so Ebbinghaus, fehlte Guttenberg der "geeignete Regisseur".

Im Sturz dieses Helden vernimmt der Polittheaterkritiker dann einen Anflug von Shakespeare'scher Tragweite: "Erst überließ Merkel die Heldenrolle Guttenberg, der die Unbefangenheit gepachtet zu haben schien und sich daher für die überrumpelungsartige Durchsetzung der Bundeswehrreform eignete, dann schaute sie trotz gegenteiliger Beteuerungen wie ein weiblicher Jago kühl beim Vollzug seiner inneren Tragik zu – bis er zu beschädigt war, um das Amt weiter auszufüllen. Nach diesem dramaturgischen Muster zumindest müsste man die Plagiatsaffäre deuten, wenn man Merkels Machtinstinkt verteidigen wollte."

Allerdings, relativiert Ebbinghaus, war die Affäre für Merkel auch kaum "vorteilhaft zu meistern. Da eine Kanzlerin nicht nur erster Spieler, sondern auch textgebender Dramatiker und Regisseur in einem ist, geriet Merkels Politikstil nach dem Verlust ihres Vorzeigehelden endgültig in die Krise."

So trete, nachdem Merkels "Rollenprofil 2005 in der Berliner Runde und unmittelbar danach noch positiv hervorgestochen" habe, inzwischen "immer stärker seine Dialektik hervor. Und wieder zeigt sich eine Analogie zum Theater, in dem der Darsteller, so Helmut Plessner, zusammen mit dem richtigen Gefühl für die Distanz auch die Zuschauer verliert: 'Der Abstand zum Zuschauer verpflichtet. Ihm wird etwas gezeigt, das seine Anwesenheit fordert, weil es seine Sache ist, um die es geht.' Eine schöne Beschreibung auch der parlamentarischen Demokratie."

(chr)

 

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