Denn wovon lebt der Mensch !?

14. Mai 2023. Der Stoff ist berühmt, die Songs der Dreigroschenoper rocken auch nach fast hundert Jahren noch. Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer sucht nun im Verbund mit Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert und Kostümbilnderin Regine Standfuss nach neuen Bildern für die alten Hits.

Von Jürgen Reuß

"Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht und Kurt Weill am Theater Freiburg © Britt Schilling

14. Mai 2023. Wenn, wie im Großen Haus des Theater Freiburg, ein Bühnenklassiker wie Brechts Dreigroschenoper auf dem Programm steht, gilt die Neugier natürlich erstmal weniger dem Was als dem Wie. Und da setzen Pia Maria Mackerts Bühnebild und Regine Standfuss’ Kostüme gleich ein Ausrufezeichen.

Gemeinsam versetzen sie das Publikum in einen 3-D-gewordenen Videospielklassiker à la Supermario. Zwischen drei Türmchen sind reichlich Treppengeländer für stetes Auf und Ab montiert, mit Drehkreuzen, Münzeinwürfen, Kassenautomat und Hamsterrad als Gimmicks beim Wechseln der Ebenen. Durch diese Treppengänge wuselt das Ensemble als wabbelige Teletubbiebirnen mit Clownsköpfen als hätte Nintendo sie persönlich choreographiert. Man sucht, jagt, flieht, purzelt, prallt über-, auf- und hintereinander.

Verfremdungseffekt mit Nebenrollenoskar

Das bietet viel Gelegenheit für Slapstick, während die konkurrierenden Gangster Peachum und Macheath ihren skrupellosen Geschäften und Liebeshändeln unter den Augen des gut geschmierten Polizeichefs nachgehen. Gleichzeitig zieht Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer zusätzlich eine Konkurrenz zwischen den Sparten ein: Ein Teil der Akteur*innen kommt wie Peechum, Celia und Tiger Brown vom Schauspiel, die übrigen wie Mackie, Polly, Spelunken-Jenny von der Oper.

Das eröffnete eine schöne Variante für den berüchtigten Verfremdungseffekt, wenn vor einem wunderbaren Solo der Polizistentochter Lucie vor den hohen Tönen der Mezzosopranistin Lila Chrisp gewarnt wird, die damit und ihrem britischen Humortalent den Nebenrollenoscar der Herzen beim Publikum abräumt.

Dreigroschenoper2 Britt Schilling uVerfremdeter Verfrendungseffekt: Auf der Bühne von Pia Maria Markert © Britt Schilling

Überhaupt hat die Opernsparte, wenn man das Konkurrieren mal ernst nehmen möchte, die Nase vorn. Auch Bariton Michael Borth als Mackie oder Lasse Weber und Lorenz Kauffer als Smith und Filch scheinen sich in der stilisierten Gamingwelt besser zurechtzufinden als die Kolleg*innen vom Schauspiel. Vielleicht hilft es für dieses strenge Setting, wenn man in den überstilisierten Opernwelt bühnensozialisiert wurde.

Verstöße gegen Race- und Gender-Sensibilitäten

Und was ist jetzt mit dem Inhalt? Ist Brecht bei aller Sympathie vür die Vergnügungssucht des Volkes nicht immer auch irgendwie sozialkritisch aufklärerisch unterwegs? Da scheint sich das Leitungsteam eher an das zu halten, was Elisabeth Hauptmann, die mit ihrer Übersetzung der Beggar’s Opera die Blaupause für die Dreigroschenoper lieferte, über das Stück sagte: "Zunächst haben wir das mal aus reinem Spaß gemacht."

Wenn den Bettelknechten ein Bein abgesägt oder allen, die Prügel beziehen, eine Splattermaske übergezogen wird, nachdem man sich mit Luis-de-Funes-Grimassen gehascht hat, soll damit sicher nicht die zombiehafte Brutalität der Klassengesellschaft angeprangert werden. Wenn die damals auch von Brecht noch ohne vorgehaltenen Hand rausgetröteten Verstöße gegen Race- und Gender-Sensibilitäten in einer über der Szene eingeblendeten Chatblase relativiert werden, ist das zwar schlüssig und raffiniert gemacht, aber nicht politisch, bestenfalls konventionsironisch.

Schlüssig durchgestylt

Einzig wenn Jenny (Inga Schäfer) mit Maschinengewehr im Arm die Ankunft des Schiffs mit acht Segeln und fünfzig Kanonen ankündigt, gibt es so einen Moment, in dem die ins Nintendohafte verniedlichte Gewalt mal andeutet, jederzeit auch ins Reale durchbrechen zu können. Aber ob der Johannes (Knapp) als Leiter des gut aufgelegten Orchestergrabens mal direkt von der Bühne adressiert wird oder das Brechtmaterial bis Adorno gestreckt wird, letztlich ist die Inszenierung – da mögen die Verhältnisse so sein oder auch nicht so sein – ganz zufrieden und einverstanden damit, dass die Dreigroschenoper vor allem unterhaltsame Sozialfolklore ist.

Insgesamt bietet die Freiburger Inszenierung schlüssig durchgestylte, gute Unterhaltung, auch wenn sie über die Dauer etwas an Strahlkraft einbüßt. Das Premierenpublikum war zufrieden, applaudierte kräftig und wird bestimmt auch die folgenden Aufführungen füllen.

Die Dreigroschenoper
von Bertolt Brecht und Kurt Weill, Mitarbeit: Elisabeth Hauptmann
Musikalische Leitung: Johannes Knapp, Regie und Light-Design: Hermann Schmidt-Rahmer, Bühne: Pia Maria Mackert, Kostüme: Regine Standfuss, Licht: Michael Philipp, Ton: Pascal Allgeier, Video: Laurin Lampe.
Mit: Michael Borth, Victor Calero, Mara Widmann, Katharina Ruckgaber, Henry Meyer, Lila Chrisp, Inga Schäfer, Lasse Weber, Lorenz Kauffer, Lorenz Kauffer, Lasse Weber, Philharmonisches Orchester Freiburg
Premiere am 13. Mai 2023
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

theater.freiburg.de


Kritikenrundschau

Als hätte Robert Wilson seine schrillen Figuren in ein Super-Mario-Spiel eingeschmuggelt, stacksen tollwütige, flauschiger Teletubbies über Brücken und Treppen, landen im Hamsterrad, steigen auf, purzeln hinunter. "Schminke zu bunt, alles laut, Klamauk mit großem K. Klingt anstrengend und ist es erstmal auch", schreibt René Zipperlen in der Badischen Zeitung (15.5.2023). Dank Kurt Weills Musik sei Brechts größter Theaterhit, aber ie Regie fege hier durch, "weg die Pennälerfreude am Gaunerpathos, weg die moralhubernde Vorführung böser Verhältnisse". Fazit: "Selbst wenn man der 'Dreigroschenoper' die herrschenden Verhältnisse unter den Füßen wegzieht, kann man mit ihr ideenreich unterhalten. Auch der große Applaus nach der finalen Pointe zeigt: Sie hält das aus."

Einen dramatischen und unterhaltsamen Abend habe das Team um Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer gestaltet, so Chris Libuda im SWR (14.5.2023). "Auf der Bühne entstehen Bilder wie aus einem überdimensionalen Comic, die man sicher nicht so schnell vergisst." Habe man sich als Zuschauerin oder Zuschauer einmal in die Szenerie eingefunden, will man nicht mehr aufhören zu gucken, zu staunen und zu kichern. "So gelingt dem Team eine Inszenierung, die überraschend und zeitlos daherkommt."

Die Figuren seien Teil der durchgeknallten, überdrehten, kapitalistischen Welt, "wie aufgezogen trippeln sie zur Musik über die Stege und Treppen des blinkenden Hauses", so Georg Rudiger in der nmz Neuen Musikzeitung (14.5.2023). Das von Null auf Hundert startende Spiel brauche wenig, damit Klamauk zur brillanten Komik werde. Manchmal sei ein bisschen zu viel nebensächliches Störfeuer dabei, aber die meisten Brechungen haben hohen Unterhaltungswert, und diese temporeiche, reizüberflutete Dreigroschenoper wirke besonders, wenn sie zum Stillstand komme wie im zweiten Finale, als die Figuren in den Seilen hängen. 

Kommentare  
Dreigroschenoper, Freiburg: Sprache
"Das Premierenpublikum war zufrieden, applaudierte kräftig und wird bestimmt auch die folgenden Aufführungen füllen."
Das glaube ich kaum. Aber andere werden sich finden, denen an guter Unterhaltung liegt. Das reicht ja schon.
Kommentar schreiben