Mein Leben bei der Millionenerbin

8. Januar 2023. Bei Anne Lepper gibt's Dialogdramatik mit popkultureller Würzung, Verse, die sich an Sinéad O'Connor, Van Halen oder am Grunge schulen. Jessica Glause bringt Leppers neues Stück "Life Can Be So Nice" in Stuttgart heraus, und ja: So schön kann es sein!

Von Thomas Rothschild

"Life Can Be So Nice" von Anne Lepper am Schauspiel Stuttgart © Björn Klein

8. Januar 2023. "Die Mehlpflüge arbeiten aber sie haben natürlich große Mühe die Küche notdürftig frei zu halten sieh her fliegt das Mehl mir ins Gesicht schüttel ich es herunter dann nehme ich einen Topf." Redet so jemand? Wohl eher nicht. Jedenfalls nicht im sogenannten wirklichen Leben. Wohl aber im Theater. Wohl im jüngsten, für das Stuttgarter Schauspiel geschriebenen und dort uraufgeführten knapp einstündigen Stück "Life Can Be So Nice" von Anne Lepper.

Pfiffige Dramatik in Zeiten der Postdramatik

Es sind jetzt immerhin schon 24 Jahre, seit der kürzlich verstorbene Hans-Thies Lehmann das "Postdramatische Theater" ausgerufen und die dialogfreie Textfläche in der Nachbarschaft zur Performance als beispielhaft zeitgemäßes Theater priorisiert hat. Dagegen hat sich freilich das naturalistische mimetische Theater trotz seinem Ruch des Altmodischen, Überholten (wann beginnt eigentlich die Gegenwart, ab wann verstaubt die Vergangenheit?), von der Kritik gescholten, bei den Zuschauern beliebt, über all die Jahre behaupten können, wenn nicht in den immer enger werdenden Feuilletons, so doch auf den Bühnen.

Dazwischen aber existieren sie nach wie vor, die Stücke, die auf dem Dialog basieren, sich jedoch einer artifiziellen, nicht dem Alltag abgelauschten Sprache bedienen, also auf der Künstlichkeit des Dramas beharren, ohne jene überlieferten Charakteristika zu verraten, die es seit Jahrtausenden von Epik und Lyrik unterscheiden. Anne Lepper ist nicht nur literarisch versiert, sondern auch ein Produkt der Popkultur, und so mischen sich verballhornte Verse von Sinéad O'Connor, von Van Halen oder aus der Grunge-Szene in den zwischen Deutsch und Englisch changierenden Text, dessen Titel sie von Prince geklaut hat.

Life Can Be 1 805 Bjoern Klein uIm Show-Palast: Jannik Mühlenweg als Nicki © Björn Klein

Artifiziell sind die Sprache und die Form, brennend aktuell, wenngleich nicht neu, sind das Thema und die Aussage. Es geht um die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Kapital und Arbeit. Und weil Theater nicht Erfahrungswirklichkeit ist, folgt Anne Lepper dem Modell von Johann Nepomuk Nestroys Schuft Nebel, der bekennt, "meine Auserwählte is nähmlich reich, und dabey nicht ohne Unliebenswürdigkeit, ich schließe also eine Vernunftheurath, eine Geldheurath und zugleich eine Heurath aus Inclination, weil ich eine unendliche Inclination zum Geld hab."

Bei Lepper kommt ein Mann über die Heirat mit einer reichen Frau in der Tat zu Geld, um es und sie wieder zu verlieren. Dass es in der patriarchalischen Gesellschaft weitaus häufiger umgekehrt ist, weil die Männer die profitablen Positionen besetzen und die traditionelle Rollenverteilung es so will, ist für Leppers Story ohne Relevanz. Faktisch hat die Geldheirat eine sehr viel längere Geschichte als die romantische Liebesheirat, und dass das Geld zugleich Freiheit gewährleistet und der Ursprung vieler gesellschaftlicher Übel ist, zählt zu den frühesten Erkenntnissen der Literatur. Anne Lepper gewinnt ihr eine neue Variante ab.

Ein gemischter Frauenchor wird ausgetrickst

Zu den originellen Einfällen gehört die unkonventionelle Verwendung des Chors. Der "gemischte Frauenchor", der in einem einzigen Bett schläft, posiert nicht im Hintergrund und liefert keine Kommentare, sondern ist Teil der Aktion und greift in die Handlung ein. Er ist der Gegenspieler zu Marys Mann Nicki, der zur Küchenbrigade in den Keller verbannt wurde. Der Chor erringt von Mary, was sie Nicki entzogen hat: Liebe und Geld. Ein Hauch von absurdem Theater weht herüber.

Wofür steht der Chor? Soll er suggerieren, dass es besser sei, Liebe und Geld einem (weiblichen) Kollektiv, der Allgemeinheit als einem Individuum zu schenken? Darüber gibt Anne Lepper keine Auskunft, sie verrät nur, dass es anders gekommen wäre, wenn Nicki "ein bisschen aufregender" und "nicht so demanding" wäre. Gleich im ersten Satz mahnt Nicki seine Frau: "Wir hatten uns doch unter Zeugen auf eine exklusive heterosexuelle Ehe geeinigt." Ein Akt der Emanzipation also? Oder des Coming-out? Auf allen Ebenen?

Am Schluss wird der gemischte Frauenchor ausgetrickst. Nicki hat mithilfe der Küchenbrigade gesiegt. War nix mit der Emanzipation.

Knalliger Pop-Auftritt

Die Regisseurin Jessica Glause, die schon vor fast 13 Jahren das erste Stück von Anne Lepper inszeniert hat, debütiert mit "Life Can Be So Nice" am Schauspiel Stuttgart, im für riskante Spielplanentscheidungen vorbehaltenen, aber auch intimeren Kammertheater. Aus München hat sie die Bühnenbildnerin Mai Gogishvili, den Kostümbildner Florian Buder und den Musiker Joe Masi mitgebracht. Man kann also von einem eingespielten Team sprechen.

Ein gemischter Frauenchor und auch eine Küchenbrigade setzen der Kleidungswahl keine Grenzen. So erscheinen die Darsteller*innen (mit den Solisten Christiane Roßbach als Mary und Jannik Mühlenweg als Nicki zwischen den Kollektiven) in ziemlich beliebigen, aber knalligen Kostümen. Was den Autor*innen und Regisseur*innen die Popmusik, ist den Kostümbildnern immer häufiger die Revue. Marys erotisch besetzte Moneten gehen an den Friedrichstadt-Palast. Das Bühnenbild ist demgegenüber spartanisch, aber auch mit Attributen der Revue ausgestattet: Neonröhren, Karussellreminiszenzen (laut Text ein Warenaufzug), Symmetrie.

Life Can Be 3 805 Bjoern Klein u Gut durchchoreographiert: Fabian Raabe, Valentin Richter, Jannik Mühlenweg und Sebastian Röhrle tanzen in Kostümen von Florian Buder © Björn Klein

Passend dazu choreografiert Jessica Glause mehr als dass sie inszeniert. Die Verrenkungen, die man mit sehr viel gutem Willen auch Tanz nennen könnte, sind, wie die obligatorischen Musikeinlagen, mäßig originell. Zwischendurch gibt es einzelne hübsche Momente. Etwa wenn Nicki erklärt, "es handelt sich bei meiner Frau ja um eine Millionenerbin", der gemischte Frauenchor in himmlische Gesänge ausbricht und Sebastian Röhrle (als Dirk), seit vielen Jahren ein Garant für das Understatement-Groteske im Ensemble, in Verzückung gerät. Die Komik des Spiels ist eher verhalten als aufdringlich. Das gilt auch für den Text.

Autorin, Regisseurin und Ensemble haben dem nicht eben verwöhnten Stuttgarter Publikum einen anregenden Abend beschert, der Theatralität und sprachliche Virtuosität nicht der Botschaft und der ehrenwerten Gesinnung opfert (und nicht vice versa). Es bedankte sich mit anhaltendem gemischtem Frauen-und-Männer-Applaus. Theatre can be so nice. Auf gut Deutsch: So schön kann Theater sein.

 

Life Can Be So Nice
von Anne Lepper
Regie: Jessica Glause, Bühne: Mai Gogishvili, Kostüm: Florian Buder, Komposition und Live-Musik: Joe Masi, Licht: Stefan Maria Schmidt, Dramaturgie: Gwendolyne Melchinger.
Mit: Sebastian Röhrle, Jannik Mühlenweg, Christiane Roßbach, Fabian Raabe, Celina Rongen, Valentin Richter, Cosima Aichele, Nikola Denkinger, Antonia Hoffmann, Olena Shvab, Jenny Sprenger-Müller, David von Szilagyi, Deborah Yates, Kate Zhao.
Premiere am 7. Januar 2023
Dauer: 55 Minuten, keine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de

 

Kritikenrundschau

Diese Uraufführung "ist mehr als nur nett. Sie bietet beste Unterhaltung mit grellem Scharfsinn", schreibt Roland Müller in den Stuttgarter Nachrichten und in der Stuttgarter Zeitung (9.1.2023). "Der Plot – wie steigt man auf, warum stürzt man ab, wie bleibt man oben – ist überschaubar, seine Umsetzung vielfältig." In der Uraufführung von Jessica Glause werde Anne Leppers Stück "zur bösen, schnellen Groteske aus Wortgefechten und Popmusical, Gospelmesse und Loveparade".

Eine "poppige Farce über Geld und Liebe, eine Revue irgendwo zwischen bitter und amüsant" hat Otto Paul Burkhardt für die Südwest Presse (9.1.2023) im Schauspiel Stuttgart gesehen. Lepper erweise sich als "Sampler" und Regisseurin Jessica Glause schaffe es, "das mutwillige Wirrwarr aus Pop und Sozialökonomie, aus Chören und Diskursen zur Kapitalakkumulation zu ordnen und zu choreografieren. Sie inszeniert das Ganze als eine Art Revue, als Tanz um den Mammon, sprich: um einen verheißungsvoll leuchtenden Neon-Turm."

Kommentare  
Life Can Be So Nice, Stuttgart: Obiges
Das Gute an den Stück: es dauert nur 55 Minuten Das Schlechte, dass es keine Pause gibt. Inhaltlich darf ich konzedieren, dass der letzte Satz im Stück der beste ist. Irgendwas mit Richard Wagner, der ja irgendwie der erste Popmusiker war.
Life can be nice, Stuttgart: … Da ist nichts ...
Life can be nice - muss aber nicht. Auch Theater can be nice und muss es ebenso wenig. Nur - irgend eine Substanz sollte bei einer Theateraufführung schon erkennbar sein.

Laut Programmheft geht substanziell um soziale Ungleichheit und Klassengesellschaft. Als da wären: Die da Oben in der Beletage, die es sich gut gehen lassen und die da Unten, die sich in der Küche abschuften. Die da Oben sind falsch egoistisch und oberflächlich und die da Unten sind auch nicht besser. Das ist dann schon auch alles. Ausgewalzt auf eine Stunde mit meist sinnfreiem Text, der ins Leere geht. Gesungen wird auch, hauptsächlich auf englisch - warum auch immer. Alles bombonbunt, schrill und ohne Inhalt, Aussage und Witz. Vielleicht soll damit der aktuelle Zustand des Neokapitalismus beschreiben werden. Ein paar eingestreute altbackene Marxismusthesen freuen immerhin die Alt-68-er im Publikum.

Wie im Märchen »Des Kaisers neue Kleider« möchte man am Ende rufen: „Da war doch nichts - überhaupt nichts!“
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