Denn sie verstehen nicht, was sie tun

6. Mai 2023. Wie zersetzend Rassismus wirkt, wenn er nicht aufgearbeitet wird, führt der Pulitzer Preis nominierte US-Autor Branden Jacobs-Jenkins in "Appropriate" vor. Eine Familie zerfleischt sich selbst. In Bamberg besorgt Intendantin Sibylle Broll-Pape nun die deutschsprachige Erstaufführung des kraftstrotzend komischen, abgründigen Stücks.

Von Christian Muggenthaler

Branden Jacobs-Jenkins' "Appropriate (Was sich gehört)" in der Bamberger Inszenierung von Sibylle Broll-Pape © Martin Kaufhold

6. Mai 2023. Es ist der Schatten schauderhaftesten Rassismus, der sich über die aus den amerikanischen Südstaaten stammende Familie Lafayette gelegt hat. Die in ihm wurzelnde Gewalt, nie reflektiert, nie auch nur angesprochen, eigentlich nicht einmal erkannt, wütet als bösartiger Brennstoff des innerfamiliären Verletzungsbetriebs. Rassismus ist die Klinge, die in diese Familie hineinritzt, alle verletzt, blutig macht. Und keiner will sich dem stellen. Diese Unfähigkeit gebiert Monster. Drei Kinder hat der alte Ray Lafayette hinterlassen, dieser einstige Brandbeschleuniger der White Supremacy, und in allen dreien, die sich selbst und untereinander spinnefeind sind, wühlt dieser Ungeist, ohne dass sie es merken – und ihre Familien büßen's mit.

Im Geiste einer Waffenkammer

Das ist der Kern des bockstarken, muskelbepackten Stücks "Appropriate (Was sich gehört)" von Branden Jacobs-Jenkins, das jetzt am ETA Hoffmann-Theater in Bamberg seine deutschsprachige Erstaufführung erlebt hat, mit Jacobs-Jenkins' Sprachsound und allen inhaltlichen Wendungen, aber immer begleitet von dem Grundgefühl: Da ginge noch was. Da steckt noch mehr drin. Die Umsetzung kommt weniger vom Fleck als der Text.

Jacobs-Jenkins hat bis heute wirkende Ursünden der US-amerikanischen Geschichte und Gesellschaft für die Bühne gefasst, erklärt die bis heute wühlende Wirkung eines historischen Gewaltsystem, das, bleibt es unreflektiert, immer weiter wirkt: wie Gespenster und Geister des Sklavenfriedhofs, der gleich hinter dem alten Landhaus liegt, in dem das Stück spielt.

Appropriate2 Martin Kaufhold uIm Landhaus des unaufgearbeiteten Horros: Jonas Gruber, Alina Rank (bei der Premiere aufgrund von Erkrankung ersetzt durch Martina Dähne), Jeanne Le Moign, Daniel Seniuk, Wiebke Jakubicka-Yervis, Barbara Wurster, Leon Tölle (v.l.) © Martin Kaufhold

Auslöser allen Tuns und Trubels in diesem Familiendebakel ist ein Fotoalbum, das die Sprösslinge finden, als sie das Haus ihres Vaters nach dessen Tod zum Verkauf räumen wollen. In ihm Bilder toter Schwarzer. Das heizt eine Krise an, die auf züngelnden Flammen alter gegenseitiger Verwundungen kocht, aber immer schön unterm Deckel gehalten wird, bis es unterm Hassventil so richtig brodelt.

Das Stück ist eine erstaunliche Mischung aus Boulevard-Komik und Südstaaten-Drama, ist komisch, wenn die Leute durch die lächerlichen Bilder brechen, die sie sich von sich selbst gemacht haben, zündet beständig in bestens gebauten Pointen und wird zugleich kontinuierlich unterfangen vom dahinter lauernden Horror und der psychischen Grundausstattung der Lafayettes, die sehr einer Waffenkammer gleicht.

Bamberger Spezialität: Familiengeschichten

Eine der Spezialitäten des Bamberger Theaters sind Familiengeschichten. Immer gewesen in der Intendanz von Sibylle Broll-Pape, die jetzt auch diese Neuentdeckung serviert, aber diesem muskulösen Text in diesem Fall nicht so richtig kräftig Bühnenmuskeln entgegensetzen kann. Ständig fehlt Punch. Ausstatter Rainer Sinell hat ihr ein sehr realistisches, lichtdurchflutetes, weiträumiges Südstaaten-Gutshaus hingestellt, in dem die schlussendlich doch sehr kammerspielartige Anlage des Textes oft nach allen Seiten wegkippt, im Raum verpufft.

Sehr stark kommen die Zikaden-Videos von Manuela Hartel daher, die die Pausen zwischen den Szenen setzen, die aber so bildhaft-kräftig als animalischer Urgrund wirken, dass dahinter Menschenwerk regelrecht an Kraft verliert. Auf der Bühne gibt's so starke Bilder erstaunlicher Weise als Gegengewicht nicht.

Appropriate3 Martin Kaufhold uIn innigem Hass vereint: Jeanne Le Moign, Alina Rank (bei der Premiere, wie erwähnt, aufgrund von Erkrankung ersetzt durch Martina Dähne), Daniel Seniuk und Barbara Wurster © Martin Kaufhold

Alle 13 Jahre schlüpfen diese Zikaden; sie dienen hier als Metapher und Klangkulisse für Schicksal, für Unabwendbarkeit. Draußen zirpt’s, drinnen zirpt’s auch: Dieses Schicksal, diese Unabwendbarkeit, diese ganzen prügelharten Hinter-, Seelen- und Abgründe der Figuren im Text tun sich auf der Bühne nur sehr selten auf.

Monstrosität ohne Motive

Barbara Wurster als Antoinette, Jonas Gruber als Beauregarde, Daniel Seniuk als Francois Lafayette: Alle drei haben so viel damit zu tun, die Monstrosität ihrer Figuren zu zeigen, dass kaum Raum bleibt, um die Motive dafür erkennbar zu machen; man hört, was sie sich sagen, man sieht, wie sie sich fetzen, aber man ahnt kaum, wo das herkommt. Das liegt auch an einem dauerrerregten Rhythmus der Inszenierung, die so viel mitnehmen will von der Vielschichtigkeit der Bühnenerzählung, dass die emotionale Dimension dahinter eigentlich nie so richtig zum Vorschein kommt.

Die Spannung des knapp dreistündigen, sich nie ziehenden Abends kommt also deutlich mehr aus der Handlung als aus der Darstellung. Ein wenig einfacher haben es die unproblematischeren Charaktere im Stück, die Jüngeren wie Leon Tölle als Antoinettes Sohn Rhys, Jeanne Le Moign als Cassidy Lafayette-Kramer und Wiebke Jakubicka-Yervis als Francois’ Verlobte River, weil sie ihre eigenen, noch nicht so schicksalsangefressenen Kreise ziehen können, schon verstört, aber noch nicht zerstört. Sie bekommen noch am ehesten einen eigenen Ton hin in einer Spiel-Partitur, die immer mehr auf schrill als auf still gestellt ist. Weshalb so viel an Subtilität, Textradikalität und Figurenpotenzial in diesem Flutwerk untergeht.

 

Appropriate (Was sich gehört)
von Branden Jacobs-Jenkins
Deutsch von Christine Richter-Nilsson und Bo Magnus Nilsson
Regie: Sibylle Broll-Pape, Bühne und Kostüme: Rainer Sinell, Video: Manuela Hartel, Lichtdesign: Benjamin Schmidt, Dramaturgie: Armin Breidenbach.
Mit Barbara Wurster, Leon Tölle, Jonas Gruber, Alina Rank (bei der Premiere aufgrund von Erkrankung ersetzt durch Martina Dähne), Jeanne Le Moign, Daniel Seniuk, Wiebke Jakubicka-Yervis.
Premiere am 5. Mai 2023
Dauer: 2 Stunden 50 Minuten, eine Pause

www.theater.bamberg.de

 

Kritikenrundschau

Von einem "gelungenen Zugriff durch das brillante Ensemble und die Regie" berichtet Roland H. Dippel für die Deutsche Bühne online (6.5.2023). "Broll-Papes Methode ist ganz einfach, weil sie ein Prinzip des objektivierenden Erzählens auf die Bühne überträgt. Recht – und damit den moralischen Bonus – hat bei ihr immer die Figur, welche gerade spricht. Damit sind Pro und Contra gleichmäßig verteilt – und es ergeben sich Gedankenfreiheiten zum Hauptthema White Fragility." Der Autor hingegen stehe sich etwas im Wege: "Denn seine Dialoge greifen so geschliffen ineinander, dass die Intention hinter dem bizarren Situationswitz manchmal verschwindet. Das ist aber weitaus besser als ein Theaterabend, dessen moralische Tendenz schon in den ersten Minuten feststeht. Insofern liefert diese Premiere auch ein tolles Plädoyer für ein vitales Theater gegen Meinungsbeton und Gesinnungsdiktate."

Kommentar schreiben