Bohrende Biestigkeit

18. Dezember 2023. Die große, leere Freiheit des Individualismus trieb Fassbinders Figuren in die Einsamkeit. Regisseur Ralf Hocke übertrifft die Tristesse in seiner Inszenierung noch. Hier kann man nicht einmal mehr sicher sein, es noch mit Menschen zu tun zu haben.

Von Christian Muggenthaler

"Die bitteren Tränen der Petra von Kant" am Theater Hof © H. Dietz

18. Dezember 2023. Sie heißt Marlene und ist eine Dienstbotin mit auffällig roboterhafter Anmutung. Ist sie ein Mensch oder eine Maschine? Marlene oder irgend so eine Alexa? Falls sie keine künstliche Intelligenz ist, nutzt sie ihre emotionale Intelligenz, um sich abzuschirmen gegen die abscheuliche, egoistische Dreistigkeit ihrer Arbeitgeberin Petra von Kant. Die nämlich möchte sich boshaft in sie hineinbohren wie ein Korkenzieher, ihr den Nerv ziehen, will unter ihre Rinde wie ein böser Borkenkäfer, prallt aber komplett an ihr ab und muss sich ein anderes Opfer suchen. Dieses stoisch Automatenhafte der Bediensteten Marlene, von Cornelia Wöß konsequent durchgezogen, steht erst einmal sehr auffällig im Zentrum der Neuinszenierung von Rainer Werner Fassbinders modernem Klassiker "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" am Theater Hof.

Freiheit, die einsam macht

Dieses Stück kann man ja immer mal wieder wie einen Messingkrug aus dem Regal holen und daran herumpolieren: Ob’s noch glänzt? Tut es, weil die Geschichte funktioniert wie ein moderner Tschechow. Nur dass hier nicht die lähmende Unfreiheit der russischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts den Leuten ihren Ennui, ihren Überdruss und ihre Verzweiflung einpflanzt. Sondern dass es die große individuelle Freiheit der Bundesrepublik der 1970er ist, die die Individuen in die Einsamkeit treibt.

Petra von Kant hat ihren ersten Mann durch einen Autounfall verloren. Von ihrem zweiten ließ sie sich scheiden, und schön wird die Frage durchgespielt, ob das jetzt mehr deshalb war, weil er dumm oder weil er ekelhaft ist. Jetzt aber ist die sehr erfolgreiche Modedesignerin einsam und braucht einen Menschen, den sie lieben kann.

Unfähigkeit zu lieben

Da läuft ihr die junge, schöne Karin Thimm über den Weg, die sie zum Mannequin ausbilden will und zur Geliebten machen. Die junge Frau aber entdeckt statt ihrer Liebe zur Älteren eher einen guten, bequemen Weg zum Erfolg. Es folgen Verletzungen, Verwundungen, rhetorische Beißduelle, Eifersucht, Anfälle von Hass und Verzweiflung. All das brodelt in den inneren Magma-Kammern der Titelfigur, gut angeglüht von Gin-Tonic und durchgesotten von der Reibung zwischen massivem Egoismus und der Unfähigkeit, wirklich zu lieben; sich selbst und andere.

Petra 2 H DietzBefindlichkeits-Ballett ums Bett: das Ensemble von "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" © H. Dietz

Die Frage ist nur, wie viel man von diesem Magma, von dessen quälerischer Hitze in den Figuren im Bühnenspiel entdecken mag, mit wie viel Schmerz man das Publikum traktieren will. Regie bedeutet hier also immer auch die Dosis des Eindringens in emotionale Düsternis, jene Spezialität Fassbinders.

Und da wäre der ostentative Automatismus von Marlene tatsächlich eine gute Lösung: Weil er vor allem am Anfang auch auf die anderen Figuren abstrahlt. Auch sie scheinen erst einmal wie Automaten getrieben von ihren Leidenschaften und Lebenslügen, sind abgeschnitten von der eigenen emotionalen Ursuppe.

Schaut auf diesen Schmerz

Das scheint erst einmal ein gut funktionierendes Regiekonzept von Ralf Hocke zu sein. Julia Leinweber als Petra von Kant und Corinne Steudler als Karin Thimm sind Gefangene ihrer Rollen im Leben und zugleich Gefangene der Rollen, die sie sich gegenseitig zuweisen. So kann man diese beiden Frauen zeigen: in der Unfreiheit und Getriebenheit ihres Tuns. Das gelingt bis ins Sprechen hinein. Und ist eher kühl und analytisch. Dann aber, nach einer in diesem Kammerspiel eigentlich eher störenden Pause, soll doch noch echte, verzweifelte emotionale Tiefe her. Die gelingt aber dann nicht mehr so richtig, weil durch die besagte eher kühle Einführung der Figuren die nötige Fallhöhe fehlt.

Diese Inszenierung prägt eher ein Schauen auf den Schmerz als ein Zeigen des Schmerzes, den Liebe in Kombination mit knallharter Selbstsucht anzurichten vermag. Das Schauen aber geschieht und gelingt auf der Hofer Studiobühne. Ausstatterin Annette Mahlendorff hat ein großes Bett ins Zentrum gestellt, als Schauplatz des Machtkampfs Sex. Die Kostüme signalisieren gehobenes Bürgertum. Carolin Waltsgott ist ein erfreulich lebensnahes Töchterlein Gabriele von Kant, Antje Hochholder deren gestrenge Großmutter Valerie, Kerstin Maus eine ebenso kluge wie biedere Freundin Sidonie von Grasenabb, die alle drei von Petra ebenfalls massiv verletzt werden. Am Ende packt Marlene ihre Sachen. Sie will kein Liebes-Opfer sein. Und ist also: doch kein Roboter.

Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Von Rainer Werner Fassbinder
Inszenierung: Ralf Hocke, Bühne und Kostüme: Annette Mahlendorff, Dramaturgie: Philipp Brammer.
Mit: Julia Leinweber, Antje Hochholdinger, Carolin Waltsgott, Kerstin Maus, Corinne Steudler, Cornelia Wöß.
Premiere am 17. Dezember 2023
Dauer: 1 Stunde, 40 Minuten, eine Pause

www.theater-hof.de

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