Die Anhörung - Im Gastspiel der tschechischen Erfolgsproduktion von Ivan Krejčí am Berliner Theater unterm Dach wartet Adolf Eichmann auf Gott
Auf dem Pfad der bösen Pointen
von Michael Wolf
Berlin, 23. Juni 2016. Wir warten auf Gott. Wir: Das sind das Publikum und Adolf Eichmann. Eichmann will sich endlich erklären, er hat schon seine Ansprache vorbereitet. Das Publikum wartet auf Gott, weil nur der endlich Schluss machen könnte mit dem Irrsinn. Nach Jahrtausenden wäre es wirklich an der Zeit, den Antisemitismus abzuschaffen. Es wäre uns inzwischen sogar egal, welcher Gott die Sache anpackt. Nur ein Gott müsste er sein, also jemand oder etwas, zu dem alles hinführt und der deswegen Endpunkt aller Gedanken und Taten wäre. Adolf Eichmann kennt sich mit solchen Zielen aus. Er organisierte die "Fahrten" in die Vernichtungslager. Das war jetzt zynisch. Und so funktioniert Tomáš Vůjteks Stück "Die Anhörung" auch über weite Strecken. Er stellt den Zynismus der Organisatoren des Holocaust mit großer Geste aus.
Tiroler Speck auf der Wannsee-Konferenz
Genüsslich greift Eichmann nach den Leckereien, die auf der Wannsee-Konferenz serviert werden: "Der Tiroler Speck ist ausgezeichnet." Nach Snacks wird das Schicksal von zehn Millionen Juden besiegelt. Jede Menge Arbeit für Eichmann, aber ihn plagt nur eine Sorge: Beim anschließenden Besäufnis lädt ihn Heydrich ein, im kommenden Herbst mit ihm ein Duett zu spielen und zu fechten. "Ich hatte ein halbes Jahr Zeit, Geige und Fechten zu lernen. Ich beschloss, unverzüglich zu beginnen."
Ivan Krejčís Inszenierung, die in Tschechien in dieser Saison mit Preisen überhäuft wurde und jetzt am Berliner Theater unterm Dach gastiert, folgt dem Pfad der bösen Pointen. Auch das Gastspiel-Publikum kann sich das Lachen nicht verkneifen. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Zuletzt bewies Timur Vermes mit seinem Bestseller "Er ist wieder da", dass Nazis gute Unterhaltung bieten, ohne dass man als Leser ein schlechtes Gewissen haben muss. Aber Vermes hat auch gar kein Buch über den historischen Hitler geschrieben, sondern über die Deutschen und wie sie "ihren" Hitler heute sehen könnten. Hier aber ist es nicht "unser Eichmann" und wohl auch nicht der Eichmann der Tschechen, sondern einfach Eichmann.
Hände in Unschuld gewaschen
In seiner "Anhörung" müsste es tatsächlich um Mord gehen, um millionenfachen Mord, aber einem solchen Verbrechen wird der Abend nicht gerecht. Blitzsauber und unterhaltsam dazu präsentiert der Abend den Werdegang Eichmanns. Marek Cisovský spielt ihn blasiert, steif, mit viel Gespür für kleine Gesten. Sobald er aufsteht, um Hitler zu zitieren, knöpft er sich umgehend sein Nachkriegsjackett zu. Die Kostüme sind ungebrochen historisierend. Keine originalen Uniformen, aber der Schnitt der Hosen passt, und wenn ein Partisan auftritt, trägt er eine Russenmütze, und wenn ein alter Mann auftritt, stützt er sich auf einen Stock. Die Bühne: spartanisch eingerichtet, nur ein Paar Stühle und eine Festtafel für die Wannsee-Konferenz. Wenn Eichmann zuguckt, wie Juden vergast werden, läuft die Nebelmaschine.
Was wichtig ist, wird wiederholt oder überbetont: Wann immer das Wort "Auschwitz" fällt, insistiert Albert Čuba als Generalgouverneur Polens und Eichmanns Rivale um Beförderungen, er habe damit nichts zu schaffen. Als die Rede davon ist, dass Ungarn den Nazis seine Juden "auf dem Silbertablett serviert" habe, hält der sprechende SS-Mann ein Silbertablett in der Hand. Marek Cisovský als Eichmann wäscht seine Hände wie Pontius Pilatus in einer Schale und verkündet, er wasche seine Hände wie Pontius Pilatus in Unschuld.
Der Antisemitismus der einfachen Leute
Er sei ja schließlich nur ein Büromensch. Verantwortung wollen die Figuren nicht übernehmen. Und der Abend leider auch nicht. Er überlässt sich selbst ganz der Chronologie der Biographie Eichmanns und geht auf Nummer sicher. Die Opfer der Nazis kommen zwar auch vor, haben aber nicht viel zu sagen. Sie treten nur auf, um kurz die realen Auswirkungen von Eichmanns Büro-Arbeit eher zu markieren als zu spielen.
Ein Jude, bei dem Eichmann Hebräisch-Unterricht nimmt, wird alle paar Minuten verprügelt und von steifen SS-Schergen weggeschleift. Eine Arbeiterin, die mit Eichmann auf Gott wartet, bestärkt ihn in seinen antisemitischen Parolen. Sie soll den immer währenden Antisemitismus der einfachen Leute zeigen, der auch nach Eichmann weiterlebt. Eine junge Jüdin erzählt von ihrer Deportation und sitzt danach tot und weinend auf einem Stuhl.
Alles ist sehr einfach zu verstehen. Zu einfach: Ein Theaterabend wäre wünschenswert, an dem Eichmann vielleicht doch nicht so banal ist. Aber das ist nicht dieser. Seine Verbrechen werden hier nur angetriggert. Wir kennen die Geschichte ja. Gott kommt in ihr nicht vor. Nie.
Die Anhörung
von Tomáš Vůjtek
Gastspiel im Rahmen des Festivals Ein Stück: Tschechien, veranstaltet von Drama Panorama: Forum für Übersetzung und Theater e. V. in Zusammenarbeit mit dem Tschechischen Zentrum Berlin
Regie: Ivan Krejčí, Bühne: Milan David, Kostüme: Marta Roszkopfová, Musik: Nikos Engonidis, Dramaturgie: Tomáš Vůjtek.
Mit: Marek Cisovský, Alena Sasínová-Polarczyk, Petr Panzenberger, Šimon Krupa, Vladislav Georgiev, Tereza Cisovská, Ondřej Malý, Albert Čuba, Josef Kaluža, Pavel Cisovský.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
www.theateruntermdach-berlin.de
www.divadloarena.cz
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