Diktatorengattinnen I - René Pollesch im großen Haus
Die drei Damen vom Drill
von Esther Slevogt
Berlin, 17. Oktober 2007. Die Stimmung ist gepflegt, das Ambiente gehoben. Bert Neumanns Bühne für René Polleschs neues Stück, das mal wieder am Rosa-Luxemburg-Platz und nicht im Prater Premiere hat, greift die Wandtäfelung des Berliner Volksbühnenzuschauerraums auf, der im Stil der späten vierziger Jahre gehalten ist. Damals löste eine Diktatur die nächste ab – beim Wiederaufbau der Volksbühne nach dem Krieg wurde auch Marmor von Hitlers zerstörter Reichskanzlei verbaut.
In der Mitte der Bühne steht ein langer Tisch, rechts eine lange, schauerlich gepolsterte Bank im sozialistischen Chippendale-Barock, auf dem alsbald eine rundliche Souffleuse Platz nehmen wird. Ein enormer Kronleuchter krönt die Szenerie, der sich im Verlauf des Abends immer mal wieder bedrohlich absenken wird. Unterm Teppich klebt noch ein Stalin-Bild. Zugezogenene Vorhänge behindern vorläufig den Blick durch die breite Fensterfront. Und während es draußen, im richtigen Leben, längst Kanzlerinnengatten gibt und die Welt ansonsten darüber rätselt, ob die renitente Cécilia Sarkozy ihren Präsidentengatten nun verlassen hat oder nicht, legt René Pollesch eine momentan leicht verblasste Gattinnengattung wieder auf: die Diktatorengattin nämlich.
Die Abschaffung des Selbst
Bald tritt also eine Dame auf, die sich als Elena Ceaucescu vorstellt und mit spießig-eleganter Bäffchenbluse und Bleistiftrock stilistisch nahtlos ins Ambiente fügt. Als erste Amtshandlung zieht sie die Vorhänge auf, und wir blicken auf ein berückendes Panorama mit Hagia Sofia. Natürlich ist Bukarest ebenso wenig Istanbul wie Elena Ceaucescu nun auf der Bühne der Volksbühne steht. Hier wird nicht mal ein Stück über sie gespielt. Selbst wenn sie bald mit zwei Doppelgängerinnen darüber streitet, wem das letzte Attentat gegolten hat: ihr, der Doppelgängerin oder der Doppelgängerin der Doppelgängerin.
Womit man schon mitten in Polleschs Lieblingsthema angekommen wäre, den abhanden gekommenen Hierarchien von Darstellung und Dargestelltem, den verwischten Grenzen zwischen Individuum und seiner Verwertung durch den Kapitalismus, kurz, dem vom Markt abgeschafften Selbst. Weshalb der Rückgriff auf vergangene Diktatorengattinnen einerseits der Sehnsucht nach übersichtlichen Verhältnissen geschuldet sein mag, andererseits natürlich herrlich komische Rekurse auf die Zusammenhänge von Stalinismus und der gegenwärtigen Diktatur des Billigen ermöglicht: als die Kapitalisten noch nicht vollkommen debil geworden waren, und es noch so etwas wie eine Allianz von Geist und Geld gegeben hat.
Pointen ja, aber Bedeutung?
So ganz wird man allerdings aus dem Anliegen der Veranstaltung nicht schlau. Die Pointen werden abgeschossen wie Leuchtraketen, sorgen aber kaum für tiefere Beleuchtung der angesprochenen Phänomene. Schließlich tritt dann noch ein fetter Diktator in schriller, trassenstrotzender Diktatorenuniform auf, die bei Lichte besehen auch eine Chauffeursuniform sein könnte.
Zusätzliche Verwirrung schafft, dass die drei Damen vom Drill ihn ständig für ihre Tochter halten und besonders Elena Ceaucescu unter der Tatsache leidet, dass die Mutterschaft einem der Rücksichtslosigkeit insgesamt eher hinderliche Gefühle wie die Liebe aufzwingt. Was dann auch ihre piepsige Doppelgängerin zum Fluch über die Tatsache inspiriert, in so etwas Furchtbares wie eine Seele gesperrt zu sein. Der Diktator will eine Hauptrolle, denn die, die er spielt, macht ihn nicht zufrieden. Irgendwann liegt er tot am Boden und Elena Ceaucescu alias Sophie Rois schreibt an ihre Mutter, dass die letzten Massenerschießungen ein Erfolg gewesen seien: es gäbe nun weniger Schauspieler, aber dafür bessere. Und so rasen wir auf der assoziativen Achterbahn des Polleschdiskurses munter auf und ab.
Eine Stunde gute Laune
Wobei an dieser Stelle dann doch mal gesagt werden muss, dass der Sozialismus in Rumänien wahrscheinlich einen günstigeren Verlauf genommen hätte, wenn ihm Sophie Rois gleich Stimme und Gesicht geliehen hätte. Denn Rois' kratzbürstig somnambule Inbrunst, die noch im tiefsten Unsinn den Sinn aufspürt, rettet souverän diesen ansonsten nicht gerade inhaltsschweren Abend, der in siebzig Minuten zwar mit einiger Rasanz und komödiantischem Tempo abspult, aber über das Anekdotische nie recht hinaus kommt. Nie die Geduld hat, mal einen Gedanken wirklich zu denken, statt ihn dem Publikum als Aphorismus zum schnellen Gelächter vorzuwerfen.
Neben Sophie Rois mit von der Partie sind noch die bewährte Pollesch-Heroine Christine Groß und Mira Partecke, die den rabiat-entseelten Pollesch-Ton allerdings noch etwas üben muss. Volker Spengler macht als diktatorisches Riesenbaby die vom Regisseur dringend gewünschte schlechte Figur.
Diktatorengattinnen I
von René Pollesch
Regie: René Pollesch, Bühne und Kostüme: Bert Neumann. Mit: Sophie Rois, Christine Groß, Mira Partecke, Volker Spengler.
www.volksbuehne-berlin.de
Kritikenrundschau
"Zuallererst Selbstdarstellerinnen mit begrenzter Bodenhaftung" hat Peter Laudenbach von der Süddeutschen Zeitung (19.10.2007) in Polleschs "Diktatorengattinnen" gesehen, über die man erwartungsgemäß nichts erfahre, "außer dass sie, schon aus Gründen der Eitelkeit, erst mal davon ausgehen, dass jeder Mordanschlag ihnen gilt." Immerhin koste Sophie Rois "die Lizenz zum Durchdrehen und Quatschmachen bestens gelaunt aus". Volker Spengler sei "die einzige Diva …, die es in puncto Grandezza, Wahnsinn und einer Art stoischen Hysterie" mit Sophie Rois aufnehmen könne. Doch über schöne Nummern komme "das neue Produkt der Pollesch-Factory" leider nicht hinaus.
Zwar sei die Produktion "amüsant anzuschauen", urteilt Christine Wahl im Tagesspiegel (19.10.2007), aber die Textgrundlage sei dünn. Die "Diktatorengattinnen" schafften es nicht, "einem zu vermitteln, wo sie eigentlich hinwollen", stattdessen vertändelten sie sich "in beliebiger wirkenden Erheiterungsstatements". Aber Sophie Rois: Die sei "tatsächlich imstande, noch die schmalste Textstelle zu adeln, indem sie ihr mindestens einen fünffachen Boden unterschiebt."
Es gehe, wie Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (19.10.2007) beobachtet, "um gute alte Pollesch-Themen": "Aber spielt das überhaupt eine Rolle?", da doch der Zeigefinger von Sophie Rois "alles in Scherz, Satire, Ironie ohne tiefere Bedeutung" verwandle – und einem aus ihrer Stimme "eine ganze Welt" entgegenschnurre. Weil man es darüber hinaus mit "Slapstick at its best" zu tun habe, verlässt Herr Pilz das Theater "überaus heiter, fast beschwingt", um dann doch zu stutzen: "Wollte Pollesch nicht mal mehr als dralle Unterhaltung bieten?"
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Mich interessiert mehr so etwas wie die Schlacht von Saint Quentin, sinnlos stürmen Soldaten einen Hügel, kleine Ameisen, die blind in den Tod rennen. Ist das Theater nicht megaout? Wie beschreibt man, dass Bush wohl der verlängerte Arm von Exon ist, oder Coca Cola? Warum schafft er es nicht, sich den Heiligenschein aufzusetzen wie Al Gore? Werden deswegen so viel Filme und Romanvorlagen aufbereitet, weil die Dramatiker gänzlich überflüssig sind? Ersetzt einer wie Hartmann den Dramatiker? Stirbt der moderne Dramatiker aus, weil die Hartmanns und Polleschs das Kommando übernommen haben? Geht es hier um Trends? Werden diese Inszenierungen nicht überbewertet? Den bildenden Künstlern der Düsseldorfer oder Schule merkt man an, wenn du diese Bilder betrachtest, wer ihr Professor war. Hartmann und Pollesch gingen durch die Castorf Schule. Ich bevorzuge gar keine Schule, denn ich möchte ein Huhn sein. Ein Hund. Ich führe ein Hundeleben. Ich erfahre im Leben meine Philosophie und nicht auf der Uni oder Schule. Warum sollte ich immer Auswendiglernen? Schönschrift üben, das ABC? Aber nichts gegen die Uni, Bildung kann auch belastend sein, aber ich möchte ein Indianer sein, ein Nashorn. Ein Täter und Opfer, geht das?
Reservoir Dogs – Wilde Hunde ist Quentin Tarantinos Film , wo sich alle gegenseitig umlegen am Ende. Das ist auch Shakespeare, wird ja an den Amiunis gelehrt. Im English Department. Im Film von Tarantino erschiesst Harvey Keitel Sean Penn, oder Tim Roth, oder umgekehrt. Die persilweißen Hemden sind voller Ketchupblut. Ist es nicht so, jeder lebt im Widerspruch der Meinungen?
Es ist unmöglich alle Räume zu erfassen und alle Schichten, in Birthday Party von Pintern lallen einige Figuren und gackern wie Hühner.
Das hilft Trash, die Zerstörung, das ist Hartmann und Pollesch klar, es bleibt nur das Lachen über Affirmation und Dekonstruktion, das ist wie mit Sartre, alle haben ihn im Schrank, aber keiner hat ihn gelesen, klar das ist ein gefundenes Fressen für Pollesch, eine Fundgrube? Was soll ich tun, Opfer oder Täter werden? Bin ich jetzt Opfer oder Täter? Bin ich nicht schon Täter, wenn ich meine Meinung absondere? Wird Pollesch von mir abschreiben? Schreibe ich von Pollesch ab?
Wesen Meinug absorbiere ich? Soll ich froh darüber sein, dass der Spiegel wenigstens mal ein Leserbrief abdruckte? Wird das wahrgenommen? Geht es um mangelnde Aufmerksamkeit? Wer entscheidet über die Meinung, wo führt diese hin? Wer bin ich, in diesem Spiel? Soll ich den Bundestag in Brand stecken? Welcher Politiker oder so gar Partei spricht für mich.
Ich erkenne mich nur im Huhn wieder. In den wilden Hunden und im Nashorn. Ich möchte dumm bleiben. Wenn nicht dumm, dann wild. Ich erkenne mich in keiner der Partei,oh ich Mensch, ich Normalo, Otto Normalverbraucher? Vielleicht bin ich der kommende Faschist und reaktionär. Ja, klar, am liebsten möchte man die ganze Welt anzünden. Überlebte man, finge man von vorne an. Ich würde es dann wie Joschka Fischer tun, reden und reden. Gut,
ich gebe es zu, ich bin auch nur ein Rhetoriker. Auf dem Rücksitz meines Mietwagens liegen Bücher über Bücher, Steinbeck, Keroac, Sam Sheppard. Ich bin ein Huhn und ein Nashorn. Ich plappere nach. Kickerikie.
Ich bin für Shakespeare, aber bitte dann absurd.Gut, in den USA kannst du wenigsten im Drive Inn Bourbon und Tequila kaufen, bequem vom Fahrersitz, aus dem der Schaumgummi herausquillt, ein paar Greenbacks rübergeschoben. Thats it. Ich sage Kickerikie. Wauwauwau. Wo führt das hin? Ich vernichte mich,meine Leber ist sinnlos. Kickerikie.
Charles Robert Darwin (1809-1882) - Biologie. Ein Mathematiker ist ein Blinder, der in einem dunklen Zimmer nach einer Katze sucht, die gar nicht da ist. Ich denke, dass viele Theaterleute sich in dem Zitat von Darwin wiederfinden. Aber ich weiß nicht, ob ich nicht lieber der Mathematiker wäre, oder die Katze?
Auch das Publikum hat sie ganz in ihrer Macht. Ohnmächtig, ihr zu widerstehen, fügt es sich willig unter das Rois'sche Diktat. Es kann nicht anders: glucksend und prustend liegt es dieser Großschauspielerin zu Füßen. Und wird verführt mit den alten Machtmitteln des Theaters. Als Schauspielerin diktiert Rois dem Publikum das Lachen über die von ihr dargestellte Figur: die Diktatorengattin, mit der Lizenz zur Paranoia. Wer am höchsten steht, kann am tiefsten gestürzt werden.
Als Mittelpunkt allen potentiellen Hasses hat die Diktatorengattin ein Recht auf Angst. Der Ruf nach Mutter liegt ihr beständig auf der Zunge oder im Federkiel. Gegen ihr Kind plant sie ein Mordkomplott, Schutz kann sie nur nehmen, nicht geben. Schließlich will man sie – und nur sie! – immerzu erschießen. Die Diktatorengattin ist verwöhnt, sie muss nichts und darf alles. Sie darf den Titel bestimmen und die Hauptrolle spielen. Die Rolle der ewig Verfolgten.
Die Vorstellung des Schlimmstmöglichen ist ihre Lust. Sie darf sogar ihrem eigenen Spiegelbild misstrauen und, im gespiegelten Zuschauerraum auf der Bühne umherstolzierend, uns den Spiegel vorhalten. Denn sie fungiert nicht zuletzt als das Paradigma einer Gesellschaft, die auf ihre Todesangst angesichts beschworener Kulturkämpfe und terroristischer Nebelschwaden besteht. Die Gatten könnten Schäuble Schily Bush heißen.
Vor dem Fenster dräut die Moschee. Aus dem Kronleuchter glimmern die Aliens. Im Garten lecken sich Vampire die Lippen und Werwölfe kopulieren mit beherrschungverlorenen Frauenzimmern. Stalins Konterfei droht unterm Teppich hervorzukriechen und sich wieder in die Bilderrahmen der Amtsstubeb zurückzustehlen. Die Szenarien der Paranoia – totlachen sollte man sie.