Zombiebisse ins Bananenbrot

4. Februar 2024. Wie lässt sich der Osten erklären? Versuche gab es in den letzten Jahren viele. Die Idee von Autor und Regisseur Alexander Eisenach, dem Territorium jetzt mit Jacques Derrida zuleibe zu rücken, nimmt sich als eine der originelleren aus. Aber wie verhält sich die Bühnen-Basis zu diesem Überbau?

Von Simon Gottwald

Alexander Eisenachs "Zonenrandgebiet" am Staatstheater Kassel © Katrin Ribbe

4. Februar 2024. Wer den Weg zum Staatstheater Kassel mit offenen Augen und nicht im Privatjet bestreitet, begegnet dem einen oder anderen Ost-Ampelmännchen, Symbol der fehlgeleiteten "Ostalgie" der Nullerjahre und stete Erinnerung daran, dass es einst zwei Deutschland gab. Erinnerung vielleicht auch daran, dass Kassel der deutsch-deutschen Grenze ziemlich nahe war. Die Voraussetzungen für einen interessanten Theaterabend über die inzwischen nicht mehr ganz so junge deutsche Vergangenheit könnten also schlechter sein. Dass das Programmheft mit einer Definition der Schauerromantik eröffnet und die Schauspieler fast alle schwarz tragen, lässt Gruseliges hoffen.

Handfest mit Derrida 

Zunächst aber wird in der Produktion "Zonenrandgebiet" von Alexander Eisenach, der wie häufig als Autor und Regisseur in Personalunion fungiert, über die politischen Verhältnisse räsoniert – kennt man schon, ist aber nett anzusehen und -hören, einem grandiosen Monolog von Emma Bahlmann sei Dank. Danach wird es spannend: "Hauntologische Ereignisse" seien beobachtet worden, wird später der "Aktenzeichen XY … ungelöst"-Sprecher von der Leinwand herab erklären. Das ist nicht gut, das ist sogar ganz entschieden schlecht, denn die Hauntologie ist hier nicht nur derridaeanisch zu verstehen ("Marx' Gespenster" heißt Derridas Buch), sondern auch ganz handfest: Der Osten kommt in Gestalt von Zombies und beißt sich durch Innereien und Bananenbrot.

Zwischen verkitschter Ostalgie und Perspektivlosigkeit: Das Kasseler Ensemble auf Daniel Wollenzins Bühne © Nicolas Wefers

Das ist ein zwar nicht unbedingt umwerfend kreativer, aber doch unterhaltsamer Ansatz, der von Film-Einspielern im Stile bundesdeutschen Low-Budget-Fernsehens der 80er eindeutig profitiert. Ein zombifizierter NVA-Soldat wird mit Schaufelschlägen zu einer blutigen Pfütze verarbeitet, eine abgehackte Hand fliegt durch die Gegend, Eingeweide werden zur Wurst - das ist alles eklig und zugleich herrlich überdreht inszeniert, teils auf flimmerndem Film, teils auf der Bühne.

Auch die Kostüme (Gummikleider und Kittelschürzen) treffen die richtige Note zwischen Spaß und Ernst, zwischen verkitschter Ostalgie und Perspektivlosigkeit. Die vermutlich eindrucksvollste Szene des Abends dürfte sein, als Emma Bahlmann und Emilia Reichenbach in schwarzen Kleidern zu düsterem Brummen, das auf einem Konzert der Band Sunn O))) nicht deplatziert wäre, die persönlichen Auswirkungen deutscher Zäsuren schildern.

Predigt ans Publikum

Leider passiert es aber auch immer wieder, dass die Figuren anfangen, einander und dem Publikum zu predigen. Betrachtungen darüber, dass der Osten da sei, wo die Nazis sind (oder doch nicht?) gehören längst zum Standardrepertoire von Werken über die innerdeutsche Grenze und ihre Nachwirkungen, und dass einige Wurzeln der jungen Bundesrepublik stinkend braun waren, sollte zwar immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden, aber vielleicht nicht unbedingt im Rahmen einer an Grand Guignol und Trash-Horror geschulten Inszenierung. Mit der Zeit wird das Predigen ganz schön mühsam, und man wünscht sich mehr von den hauntologischen Zombie-Eskapaden.

Achtung, Zonengrenze: Lisa Natalie Arnold und Emma Bahlmann in Alexander Eisenachs Inszenierung © Nicolas Wefers

Nicht gestellt wird die Frage, ob die Metapher Ostdeutsche = Zombies überhaupt aufgeht. Wo ist das Ansteckende, das im Text explizit thematisiert wird? "Jeder Ort kann jederzeit Osten werden / Das ist wie so ne Art Ausschlag, so ne Art ansteckender Virus" wird dem Zuschauer mitgeteilt, aber worauf diese Feststellung fußt, bleibt leider offen. Damit schwebt das ganze schöne Grauen über einem Abgrund und kann, leider, keinen Fuß fassen. Das heißt nicht, dass jeder Zombiebiss philosophisch unterfüttert sein muss, aber wenn man schon Derrida in den Diskurs einbringt, wäre ein wenig mehr Substanz wünschenswert gewesen.

Enttäuschte Hoffnungen

Am Ende spielt "Boulevard of Broken Dreams" von Green Day auf einer leeren Bühne – es hätte so viel sein können, aber irgendwie gab es viele enttäuschte Hoffnungen: nach der Wiedervereinigung und nach dem Vorhang. Am durchweg stark spielenden Ensemble lag das nicht, aber wer sich mit Marx‘ Gespenstern auseinandersetzen möchte, sollte lieber zum Original greifen.

Zonenrandgebiet. Deutsch-deutsche Grenzerfahrung
von Alexander Eisenach
Uraufführung
Regie: Alexander Eisenach, Bühne: Daniel Wollenzin, Kostüme: Lena Schmid, Musik: Sven Michelson, Video: Oliver Rossol, Dramaturgie: Patricia Nickel-Dönicke, Dramaturgische Mitarbeit: Elias Lepper.
Mit: Lisa Natalie Arnold, Emma Bahlmann, Clemens Dönicke, Günther Harder, Annett Kruschke, Hagen Oechel, Emilia Reichenbach.
Premiere am 3. Februar 2023
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.staatstheater-kassel.de

 
Kritikenrundschau

"Die Flicknaht der Weltgeschichte befindet sich in unserem Vorgarten. Das ist der Ausgangsgedanke des Abends", so Bettina Fraschke in der HNA Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (5.2.2024). Für Eisenach sei es folgerichtig, dass  Zombies auftreten. "Dieser Handlungsstrang ist aber nur einer von mehreren in diesem überbordenden Theaterabend, der mit zahlreichen Szenen und Kostümwechseln aufwartet." In dem Thesenfeuerwerk rund um die Aufarbeitung der deutschen Geschicht seien die Texte immer dann gut, wenn sie einen multiperspektivischen Blick eröffnen. "Sobald sich aber das Gefühl einstellt, hier sollen Thesen in die Besucherköpfe gebimst werden, und das ist dann doch an manchen Stellen der Fall, verpufft die Wirkung sofort."

Kommentare  
Zonenrandgebiet, Kassel: Volle Zustimmung!
Ich stimme der Kritik vollkommen zu und bleibe dann doch etwas ratlos zurück. Leider nicht das erste Mal nach einem Eisenach-Abend, dass dann doch allzu plakativ der verquaste Predigtton angeschlagen wird, während die Inszenierungsidee verpufft. Schade um und für das sehr starke Ensemble.
Zonenrandgebiet, Kassel: Der Blick von oben
Was man den Ostdeutschen wirklich vorwerfen muss: Sie haben es absolut verpasst, Repräsentationskritik zu üben. Kamen einst als Witz am Rand zur Sprache bei Harald Schmidt in schlecht performtem Sächsisch. Jetzt intellektuell überzuckert. Aber immer fremd-(und für fremd)erklärt.
Zonenrandgebiet, Kassel: Beeindruckende Bilder
Ich habe Derrida zwar nicht gelesen, aber für mich war die Zombiemetapher sehr stimmig. Ich habe es auch überhaupt nicht so verstanden, dass lediglich die Ostdeutschen Zombies sind, sondern die unaufgearbeitete Geschichte allgemein. Ich habe die Zombieepidemie vielmehr mit dem Rechtsruck in Deutschland in Verbindung gebracht. Diese Verbindung kam auch gar nicht belehrend rüber, sondern wie der Kritiker beschreibt, sehr sinnlich, unheimlich witzig, spielerisch und mit beeindruckenden Bildern. Gerade die Filmsequenzen sind absolute Highlights.
Zonenrandgebiet, Kassel: Repräsenatrionskritik?
@Eisprinzessin. Was für ein absurder Post. „Die Ostdeutschen“ sollen also kollektiv Repräsentationskritik üben, wenn Harald Schmidt Witze macht. Weil „die Ostdeutschen“ sich so wahnsinnig einig sind in Bezug auf die DDR-Vergangenheit und das Leben darin. Lustig auch, dass Sie in Ihrem Post aufs Neue „die Ostdeutschen“ fremderklären und für fremd erklären.
Kommentar schreiben