Prinzessinnendramen I-III - Theater Bonn
Jungfrauen, Jäger und das getroffene Herz
von Gabi Hift
Bonn, 16. April 2021. Was macht ein Jäger, von dessen Händen Blut tropft, in einem luxuriösen Celebrity Badezimmer? –Was interessiert Charlotte Sprenger, eine 1990 geborene Regisseurin, an zwanzig Jahre alten Minidramen von Elfriede Jelinek? – Warum besetzt eine feministische Regisseurin ihre drei Märchenprinzessinnen mit Männern? Mit diesen drei Rätseln beginnt der Abend – wie es sich für ein Märchen gehört.
Schneewittchen vor der Flinte
"Schneewittchen" steht auf dem Internetvorhang. Als er sich hebt, sehen wir das ideale Boudoir einer Prinzessin: alles ist rosa, der Teppichboden, die rosa Biedermeiertapeten, die Schränke und die Dosen mit Prosecco rosé. (Bühne: Aleksandra Pavlovic). Über drei Waschbecken hängen goldgerahmte Spiegeln, an der Wand ein rosa Telefon. Schneewittchen ist nirgends zu sehen, stattdessen versucht sich ein Jäger mit Hahnenfeder am Hut (Markus J. Bachmann) Blut von den Händen zu waschen. Gleich darauf ist der Jäger verschwunden und Bachmann hockt nun in der Gestalt von Schneewittchen in fleischfarbener Miederunterwäsche zitternd auf der Marmorplatte. Das ist möglich, weil wir keinen Livestream sehen, sondern einen Film, der seine Mittel – Schnitte und Perspektivverzerrungen – erzählerisch geschickt einsetzt.
Bei Jelinek ist die Geschichte vom Schneewittchen ziemlich lapidar: Sie wandelt in halbvergiftetem Zustand in den Wald, sucht vergeblich nach den Zwergen, trifft auf den Jäger, der sieht sie, wie alle jungen Frauen, als Beute und knallt sie ab. Das ist eine eher merkwürdige Theorie, ähnlich wie, und angelehnt an, die Todesarten von Ingeborg Bachmann. Eine Spezies, in der die männlichen Artgenossen junge Weibchen noch vor der Zeugungsreife niedermetzeln würden, wäre schon längst ausgestorben.
Nicht stringent, aber mit Gothic-Chic
Noch gewagter die psychoanalytische Variante die Charlotte Sprenger inszeniert: Schneewittchen und ihr Mörder sind ein und dieselbe Person. Jelinek wollte zwar die "endlose Unschuldigkeit" der Frauenfiguren beenden und sie "der Schuld zuführen", aber dass die Prinzessinnen sich im Patriarchat ganz ohne Hilfe von männlichen Agenten selbst erledigen, geht doch ein bisschen weit.
Warum dieser Jäger also Schneewittchen erschießen sollte, oder gar jedes Schneewittchen Beute einer mörderischen Instanz im eigenen Inneren sein sollte, bleibt im Dunklen. Als Mischwesen in Jägerhemd ohne Hut erschrickt Schneewittchen, als es sich im Spiegel sieht und ruft: "Das bin ja ich!" Dann ist es wieder der Jäger, der zu seinem eigenen Hut spricht, den er auf den Boden hat fallen lassen und der nun – ein schöner, märchenhafter Moment – von Geisterhand gezogen über den rosa Teppich wandert. Das erste Märchen ist also inhaltlich nicht besonders stringent, aber schön unheimlich – eine Gothic-Miniatur.
Vergnügen mit Dornröschen
Bei Dornröschen zeigt sich, was die Besetzung mit einem Mann bringt: enormes Vergnügen. Christian Czeremnych genießt es sichtlich, eine Drag Princess zu sein und seine Freude überträgt sich. Er ist hinreißend, prunkt mit allem Drum und Dran: einem Luxusfähnchen aus Tüll, einem Perlenkettchen, Ohrringen, die das Teenie Girl beim Telefonieren ganz beiläufig abstreift, als sei es eine große Dame. Und er spielt mit einer hohen Kleinmädchenstimme. Er ist bezaubernd, man muss dieses Girlie einfach lieben, das sich bemüht elegant zu sein, und dann plötzlich keckernd loslacht und unmotiviert im Ziegengalopp quer durchs Bad hüpft, mit gerunzelter Stirn tiefsinnige Überlegungen anstellt ("Sie müssen ein Prinz sein, denn ich bin scheint's in diesem Moment erwacht, was nur durch Sie möglich ist.")
Vom pubertären Girl geht's im Jumpcut zur aufgetakelten Dame und im nächsten Jumpcut zum wimmernden Angstbündel. Der Prinz scheint schon da zu sein, im Nebenzimmer, der Vorhang weht in der Tür, Dornröschen steht vor dem ersten Mal. Unschlüssig fummelt es mit einer Pistole herum, unterbricht sich plötzlich: "Zeit für ein Gedicht – das muss sein". Dann ernst, mit tiefer Stimme: "am liebsten würd' ich zu mir selber hingehen um mich zu trösten, aber da ist niemand". Da schmilzt einem das Herz, auch wenn es vielleicht kein gutes Lebenskonzept ist, alles darauf zu setzen, dass einen ein Prinz zum Leben erweckt, fühlt man doch mit ihr.
Finale mit Melodrama
Im dritten Teil geschieht dann Unerhörtes: Das Licht geht an und Sören Wunderlich sitzt da und weint. Echte Tränen, das sieht man in der Großaufnahme, die Wimperntusche ist verschmiert. Die da weint, ist Rosamunde, eine Schriftstellerin, deren Leben gerade zusammenbricht, das Alter Ego von Elfriede Jelinek. Der Monolog über das nackte Entsetzen, das eine Frau erfasst, sobald sie begreift, dass es in Liebesdingen keine Subjektposition für sie gibt, und folglich auch keine Subjektposition in der Sprache, also überhaupt keine Sprache, ist sehr hart.
Dieser Text taucht in ähnlicher Form immer wieder in Jelinek Stücken auf, am besten wahrscheinlich in "Über Tiere". Und es ist immer wieder erschreckend, wie gnadenlos sie sich selbst gegenüber ist. Aber immer im Tonfall eines beißenden Sarkasmus. Voller Stolz auf die eigene Kaltschnäuzigkeit, immer scheint sie mit erhobenem Haupt im Pfuhl der eigenen Ohnmacht zu stecken. Ein Elfriede Jelinek-Alter Ego ist voll Hass und Wut, aber es weint nicht. Das glaubt man zu wissen.
Und doch passiert hier genau das. Und es ist gut gespielt. Großes Melodrama einer verzweifelten, alternden Frau, die nicht mehr begehrt wird. Cocteaus "Geliebte Stimme" fällt einem ein, Tennessee Williams, Almodovar. Pathos, vollkommen authentisch. Nie hätte man gedacht, dass jemand das mit der großen Klage über die verweigerte Subjektwerdung der Frau machen könnte. Aber es funktioniert, denn natürlich steckt es im Text drinnen. Aber der Text scheint auch irgendetwas zu enthalten, das es verbietet, ihn im Tonfall privaten Leids zu sprechen, sowas wie einen Notenschlüssel. Ob Charlotte Sprenger das in voller Absicht tut, ist schwer zu sagen.
"Meine Stimme. Sagt nichts."
Dass Sören Wunderlich, der es als Mann gar nicht anders kennt als immer das Subjekt jedes philosophischen Diskurses zu sein, wirklich nachvollziehen kann, wie das für die andere Hälfte der Menschheit ist, kann ich mir allerdings nicht vorstellen. Die letzten Sätze von Rosamunde lauten: "Meine Stimme. Meine Stimme. Meine Stimme. Sagt nichts." Bei Wunderlich klingt das, als würde sie vor lauter Verzweiflung nichts mehr sagen, weil ihr Mann sie verlassen hat. Das kalte kosmische Entsetzen, das dieser Satz (auch) enthält, fehlt. Dennoch ist das Ergebnis dieser ganz aufs private Melodram gerichteten Interpretation beeindruckende, verblüffende Theaterszene, die allerdings auf die Würde von Elfriede Jelinek pfeift.
Das Rätsel, was genau Charlotte Sprenger an den Texten von Jelinek interessiert, erschließt sich nicht. Aber sie hat es zu einem höchst unterhaltsamen Theaterabend mit vielen unerwarteten Facetten entfaltet. Mehr für Bauch und Herz als fürs Hirn – und das ist bei einem Jelinek-Text ein beachtliches Kunststück.
Prinzessinnendramen I-III
von Elfriede Jelinek
Inszenierung : Charlotte Sprenger, Musik: Julian Stetter, Bühne: Aleksandra Pavlovic, Kostüme: Claudia Irro, Video: Lars Figge, Licht: Ewa Górecki, Dramaturgie: Carmen Wolfram.
Mit: Markus J. Bachmann, Christian Czeremnych, Sören Wunderlich.
Premiere am 16. April 2021
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten
www.theater-bonn.de
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Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2021/04/17/prinzessinnendramen-elfriede-jelinek-charlotte-sprenger-theater-bonn-kritik/