Ein Wald und sehr viele Bäume

11. September 2022. Lange war dieses Projekt in der Schwebe, jetzt haben Christian Friedel und seine Band "Woods of Birnam" in Dresden doch noch ihren "Macbeth" auf die Bühne gewuchtet. Herausgekommen ist ein enormes Spektakel, bei dem das Theater sämtliche Tricks aus dem Ärmel schütteln darf. Und sonst?

Von Matthias Schmidt

"Macbeth" in der Regie von Christian Friedel am Staatsschauspiel Dresden © Sebastian Hoppe

11. September 2022. Zweieinhalb Jahre mussten Christian Friedel und sein Team, aber auch die zahlreichen Friedel-Fans und das Dresdner Theaterpublikum auf dieses Großereignis warten. Im September 2020 wurde unter dem Titel "Searching for Macbeth" immerhin eine abgespeckte Version gezeigt. Und vom Publikum bejubelt. Womit wir bei der Ausgangslage für die nun komplette Inszenierung wären. Man kann sich diesem Dresdner "Macbeth" von zwei Seiten nähern. Und zu zwei ganz verschiedenen Ergebnissen kommen. 

Ein kurzer Rückblick: Die Erfolgsgeschichte von Christian Friedel und seiner Band "Woods of Birnam" beginnt mit Roger Vontobels "Hamlet"-Inszenierung von 2012. Friedel und die Band standen im Zentrum dieser komplexen, nuancenreichen Regiearbeit. Sie waren darin Teil eines anderen Ganzen, was eine ziemlich coole Mischung aus Shakespeare und Pop ergab. Weiterentwickelt wurde diese Idee mit "Searching for William", einem szenischen Shakespeare-Konzert, das bereits einige Songs zum "Macbeth" enthielt. Und – wie der allein in Dresden mehr als 100mal und später in Düsseldorf gespielte "Hamlet" – ein Riesenerfolg wurde, mit Gastspielen von Düsseldorf bis Helsingör. Die "Woods" wurden bekannter, ihre Fanbase wuchs, und nichts schien naheliegender als ein ganzer Abend zum "Macbeth".

Erste Kritik – Die Shakespeare-Show

Herausgekommen ist keine Theaterinszenierung im herkömmlichen Sinn. Herausgekommen ist eine multimediale Shakespeare-Show, die sich in den Vordergrund und Shakespeare in den Hintergrund stellt. Dass Friedel darin einen bösewichtigen Macbeth spielt, wird angesichts der (nicht nur für ein Theater) schier unglaublichen Effekte, die diese Show versammelt, fast zur Nebensache. Eine Licht- und Nebelorgie, die sich auf bestem Gert-Hof-Niveau bewegt. Sich unaufhörliche hebende, senkende, verschiebende und drehende Bühnensegmente. Große Bilder für die Galerie. Video- und Klangcollagen. Tanzchoreografien. Im Wald von Birnam grollt ein Gewitter, Soundschnipsel fungieren als Trenner zwischen den Szenen.

Macbeth2 Sebastian Hoppe uAlle Tricks, die das Theater auf Lager hat © Sebastian Hoppe

Die "Woods of Birnam" stehen im gleichnamigen Wald, ihr live gespielter Soundtrack ist großartig und die halbe Miete. Christian Friedel ist zugleich Macbeth und Frontman der Band, und wer seinen Gesang kennt, weiß, dass der einen ganzen Abend tragen kann. So gesehen singt Friedel in diesem "Macbeth" zu wenig, aber es genügt, um aus dem Abend eine opulente Show zu machen, die mit Standing Ovations endet und im Vorverkauf ein Renner ist. Und zwar zu Recht. Es gibt nicht viele Schauspieler in Deutschland, die das können, so wie Christian Friedel es kann. Wie er das Ensemble, die Musiker, die Tanzchoreografien, die fast 40 Menschen auf der Bühne zu dieser Show vereint hat, ist herausragend. Einzelne Bilder erinnern an Robert Wilson. Anderes an Pop-Konzerte der Superlative. Noch anderes fast kitschig an den Star-Auftritt bei "Wetten, dass". Sei's drum, dieses Kunstwerk "Shakespeare-Show" wird sicher Zuschauer ins Staatsschauspiel holen. Nicht der schlechteste Effekt in Zeiten wie diesen.

Zweite Kritik – Die Shakespeare-Inszenierung

Schaut man als Theaterkritiker auf diesen "Macbeth", steckt man in einem Dilemma, denn als Interpretation eines Shakespeare-Stückes, eines so reichen Textes, bleibt der Abend dürftig. Wie kann es sein, dass Christian Friedel, der so komisch, so schelmisch, so melancholisch sein kann, fast durchgehend dieselbe Ansprechhaltung und kaum Nuancen zeigt? Fast alles, was sein Macbeth sagt, wird laut gesagt. Mit Tendenz zu hysterisch. Das wirkt, so toll er es auch machen mag, auf die Dauer monoton. Sehr viel Pathos! Große Gesten, ständig Drama in den Augen. Kann das Böse nicht mal leise sein? Banal? Vielleicht gar komisch?

Macbeth3 Sebastian Hoppe uGruselmusical "Macbeth" © Sebastian Hoppe

Die gleiche ernste Aufgeregtheit legen fast alle an den Tag, einzig Hannelore Koch als Gruoch spielt zurückhaltender, differenzierter. Ein großer Teil der Shakespeare-Texte wird altbacken proklamiert, wie man es vor Jahrzehnten hörte. Nur lauter, um gegen die Musik anzukommen. Phasenweise wird ein Gruselmusical aus einem Stoff, der doch eigentlich voller Psychologie steckt. Was für eine schöne Idee auch, zwei Übersetzungen in einer eigenen Fassung zu vermischen. Zu bemerken war der Unterschied dann kaum. Heiner Müllers trockener, pointierter Sprachduktus geht unter in einem Einheits-Shakespeare-Schwulst.

Aus dieser, der zweiten Perspektive, ist es bedauerlich, dass Christian Friedel und die "Woods" und das ganze Team den "Macbeth" ihrem fulminanten Showkonzept untergeordnet haben und eben nicht umgekehrt. Mag sein, sie hätten sich besser inszenieren lassen als sich selbst zu inszenieren. Mag sein, dass die Inszenierung vor einem schottischen Königsschloß perfekt zur Wirkung käme. Mag auch sein, dass diese zweite Kritik ganz überflüssig ist, weil die erste alles Wichtige nennt. Ein Dilemma, wie gesagt.

Macbeth
von William Shakespeare, Übersetzungen von Dorothea Tieck und Heiner Müller, Spielfassung von Christian Friedel Regie: Christian Friedel, Bühne: Alexander Wolf, Kostüme: Ellen Hofmann, Musik: Wood of Birnam, Choreografie: Valenti Rocamora i Tora, Videodesign: Clemens Walter, Jonas Dahl, Lichtdesign: Johannes Zink, Musikalische Einstudierung: Thomas Mahn, Dramaturgie: Julia Weinreich.
Mit: Christian Friedel, Nadja Stübiger, Hannelore Koch, Eva Hüster, Ursula Hobmair, Gina Calinoiu, Ahmad Mesgarha, Benedikt Kauff, Jannik Hinsch, Konrad Neidhardt/Moritz Rogner, Oliver Simon, Christine Hoppe, Jonas Böckenhauer. Jakob Jugel. Julius Passek. João Pedro Alves de Paula. Sékou Bamago. Odbayar Batsuuri. Petr Buchenkov, Chiara Detscher, Seraphina Detscher, Alina Lucifero, Brian Scalini, Michael Tucker, Rika Yotsumoto, Robin Baumgärtel, Ireen Bernhard, Lissy Jacobs, Marc Kammerer, Axel Kutschbach, Kasimir Pretzschner, Lina Margarete Schuster, Simon Vetter, Maria Walker, Ulrike Zeuner, Musiker: Onno Dreier, Christian Grochau, Philipp Makolies, Uwe Pasora.
Premiere am 10. September 2022
Dauer: 3 Stunden, eine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de


Kritikenrundschau

"Die Musik rumst sich schlimm und krawallig in den Vordergrund. Und manchmal verklebt sie die dramatischen Szenen mit zuckersüßen Geräuschgirlanden", schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (13.9.2022). Die Musik gebe kategorisch den Ton an. "Der ist leider wenig differenziert. Das trifft auch auf die gesamte Produktion zu." Christian Friedel habe neben der Regie auch die Rolle des Macbeth übernommen. "Ganz schön viel für eine Aufführung. Vor allem, weil er als Regisseur mehr an Effekten als an Tiefgang interessiert ist, mehr an Choreographie als an Psychologie." Im Lauf des Abends flaut auch die Attraktivität des multimedialen Dauerbombardements samt den Echos und Stimmverzerrungen, dem Geflacker und Gelichter merklich ab. "Ein großes Werk wird hier mit unglaublichen Mengen an Technik niedergewalzt."

Knapp drei Stunden fahren Christian Friedel und sein Team alles auf, was das Theater hergibt und liefern eine opulente Shakespeare-Show, so Matthias Schmidt auf MDR Kultur (12.9.2022). Mit Musik von Pop bis Industrial, mit Licht und Nebel, mit sich unaufhörlich drehenden und hebenden und verschiebenden Bühnensegmenten, mit Videoprojektionen, Tanzchoreografien "und – im Zentrum des Abends – einem wie eigentlich immer souveränen Christian Friedel als Macbeth und Frontman der Band". 

Christian Friedel wolle nicht interpretieren, er wolle illustrieren. "Und das gelingt ihm einzigartig", jubelt Andreas Berger von MDR Sachsen (12.9.2022). "Ihn reizt nicht die intellektuelle Tiefe des Stücks auszuloten, er will durch das absolut perfekt inszenierte Zusammenspiel von Sprache, Choreographie, Video, Musik und Geräusch die tiefsten Tiefen des gedanklichen und emotionalen Abgrunds des Tyrannen sichtbar machen." So glücke ihm etwas "absolut Fesselndes". Einziger Makel: Das Charakterspiel komme gelegentlich zu kurz.

Für Friedel sei der Blick eines Regisseurs, der nicht er selbst ist, hilfreich gewesen, schreibt Marcel Pochanke in der Sächsischen Zeitung (11.9.2022 | €). Man hätte ihn so zu mehr Abwechslung anstiften können, denn "seine Position ist oft statisch im Zentrum deklamierend, und die Facetten seiner Schauspielkunst kommen nur phasenweise in Gänze zum Klingen." 

"Das dröhnende Pathos ließ der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Müller’schen Text oder nuanciertem Schauspiel nur wenig Platz“, notiert eine eher enttäuscht klingende Lara Wenzel von nd.DerTag (20.9.2022). Fixiert auf die aristokratischen Akteure, versuche sich die Aufführung zwischen Schall und Wahn an einer überwältigenden Psychologisierung. "Neben dem ganzen Tam-Tam will sich der Abend als Reflexion auf autoritäre Kräfte unserer Tage verstanden wissen."

Als "ein Grusical mit Wumms" bezeichnet Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung (21.9.2022) den Abend. Optisch-atmosphärisch werde richtig viel geboten. "Video-, licht- und soundtechnisch ist das so eindrucksvoll, dass es mit den Bühnenshows großer Popstars locker mithalten kann.“ Nur das Schauspiel komme halt leider zu kurz und damit der tiefere Blick in die Seele des Stücks. "Das ist ein Verlust."

 

Kommentare  
Macbeth, Dresden: Kompliment an den Kritiker
Diese Schreibhaltung würde man vielen Kolleginnen auch wünschen. Präzise beschreibend, kritisch ohne unfair zu werden, um Empathie sich bemühend, selbstkritisch in der Bewertung und Einordnung. Jetzt bin ich wirklich neugierig auf den Abend!
Macbeth, Dresden: Noch ein Kompliment
Ich kann Banquo nur zustimmen, genau das habe ich beim Lesen auch gedacht. Großartig, so klar zu argumentieren und sich dabei selbst in Frage zu stellen.
Macbeth, Dresden: Verschenkt
@Banquo: ersparen sie es sich!

Was für ein hilfloser Abend! „Wenn der Regisseur nix mehr weiß, nimm Nebel oder Trockeneis!“ Dem Musiker Friedel fehlt jedes Gefühl für szenisches Timing. Und jede szenische Phantasie. Da stehen die Schauspielerinnen und Schauspieler nur an der Rampe und deklamieren Text. (Fast schmerzhaft verschenkt ist das große Talent von Nadja Stübiger! Einzige beglückende Ausnahme: Hannelore Koch!) Und das überaus Ärgerliche an diesem Abend: spannender Ansatz, Idee, Team (grandiose Kostüme von Ellen Hofmann!, spektakuläres Licht von Johannes Zink) täuschen nicht darüber hinweg, dass Christian Friedel als Regisseur gnadenlos untergeht und auch als Schauspieler leider weit hinter seinem Potential bleibt!
Macbeth, Dresden: Leerstelle
Es ist eine Überforderung und Überschätzung, wenn man Regie, Hauptrolle und Komposition/Fassung in eine Hand legt. Das kann ja gar nicht gehen und es ging auch am Samstag nicht. Ich finde es sehr passend, dass der Nachtkritiker die Rezension spaltet. Als Konzert war es interessant, als Theaterabend ein flacher, unterkomplexer und manchmal etwas peinlicher Abend, zugegeben gewandet in einen spektakulären Effektmantel. Der Kaiser war nicht nackt, der Kaiser war overdressed.
Macbeth, Dresden: Überwältigung
Ich war am Sonntag in der Vorstellung und war begeistert. Ich kann die Kritiken überhaupt nicht verstehen, denn ich sah einen hochkomplexen, dichten Abend, der sicherlich das Publikum spaltet. Man sollte einmal hinter die Effektmaschinerie schauen und sich fragen was den Regisseur dazu veranlasst hat den Abend so zu erzählen. Mir fiel die spannende Textfassung auf, die ein solch abgegriffenes und überinterpretiertes Stück ins Heute holt, ohne sich dabei alter Traditionen zu schämen. Wer sich dem nicht aussetzen mag, sollte in der Pause gehen, aber dann verpasst man einen spektakulären Schluss.
Macbeth, Dresden: Großartig und beachtlich
@Banquo: Schauen Sie sich die Aufführung an.

Auch wenn die Kritiker:innen sich empören und die Arbeit niederschreiben, sie wird in ein paar Jahren Kultstatus haben und sich wohltuend von dem Kopfbrei der "modernen" Theater abgrenzen. Man muss dem Regisseur durchaus Mut zollen, sich einigen Erwartungshaltungen zu widersetzen. Auch wenn nicht alles aufzugehen scheint und ich anfangs erschlagen war von der gewaltigen Maschinerie, letztendlich wirkte die Aufführung und das intensive Spiel der Darstellenden nach. Mich würden auch einige lokalen Kritiken interessieren. Die Nachtkritik von Herrn Schmidt finde ich ausgezeichnet, doch die pikierte Dürftigkeit von Frau Bazinger ärgerlich. Eine Inszenierung die streitbar ist, das ist doch beachtlich.
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