Zweifel - der New Yorker Autor John Patrick Shanley im Schauspielhaus Salzburg
Glaubensfragen
von Reinhard Kriechbaum
Salzburg, 24. September 2010. Ein Pfarrer, der vielleicht ein Kind missbraucht hat, fliegt auf, weil eine alte Klosterschwester die Augen zum rechten Zeitpunkt offen gehabt hat. Für sein Stück "Doubt" (Zweifel) hat der 1950 in der New Yorker Bronx geborene John Patrick Shanley 2005 prompt den Pulitzerpreis bekommen und einen Tony für das beste Theaterstück. Für seine eigene Verfilmung des Stoffes - "Glaubensfrage" - drei Jahre später gab es Nominierungen für den Golden Globe und für den Oscar. Das Stück zur Stunde, möchte man meinen. Aber dann ertappt man sich im Laufe eines Theaterabends dabei, dass man als Zuschauer plötzlich mit der vermeintlich falschen Seite sympathisiert.
Was hat Father Flynn getan?
Es wird nicht ein "Fall" verhandelt, sondern es prallen zwei unvereinbare Ideologien aufeinander. Schwester Aloysious, die Schuldirektorin: Die in ihrer Grundeinstellung verbiesterte Nonne wirkt nicht nur in ihrem Verhalten einzementiert in der hierarchischen kirchlichen Ordnung, auch im Denken dieser Frau gibt es nicht den kleinsten Freiraum. Sie ist eine, die ausgezogen ist (oder sich eingebunkert hat), um "die Güte im Namen der Tugend zu vernichten". Das wird sie sich einmal vorwerfen lassen müssen von Father Flynn. "Sind wir Menschen oder bestehen wir aus Ideen und Überzeugungen?"
Was hat Flynn, Religions- und Sportlehrer, sich zuschulden kommen lassen? Die Sache bleibt einen Theaterabend lang im Dunkel. Ein Bub, als einziger Schwarzer Außenseiter in der Ordensschule, ist beim Messwein-Trinken ertappt worden. Er war allein mit Flynn im Pfarrhaus. Nichts sonst ist greifbar. Für Schwester Aloysius reicht das aus, um einen Feldzug aus Verdächtigung und Verleumdung zu starten. Eine junge Nonne, Schwester James, denkt entschieden positiver, kann sich mit dem liberalen Stil von Father Flynn durchaus anfreunden, glaubt an seine Unschuld. Die Frau wird zerrieben.
Zufriedenheit ist ein Laster
Regisseur Robert Pienz vermeidet jede Polarisierung, er setzt in der Salzburger Aufführung auf den präzisen Dialog. Da geraten Menschen aneinander, die - jeweils aus ihrer Sicht - absolut richtig liegen. Fast schämt man sich, Father Flimm etwas anderes zu unterstellen als positives Denken und Hilfsbereitschaft. Seine Ansichten sind herrlich undogmatisch: "Die Wahrheit taugt nicht für die Predigt, sie ist verwirrend und hat keine Moral." Schwester Aloysious hingegen fühlt sich eingebunden in eine "Kette der Verantwortung". Misstrauen ist ihr Lebenselixier. "Zufriedenheit ist ein Laster", doziert sie.
Daniela Enzi ist diese Schwester Aloysius. Auch wenn sie ihren gütigsten Blick aufsetzt, spürt man etwas von der Härte, die dieser Frau eingeimpft worden ist wie ein Glaubenssatz. Wie viel (Lebens-)Kraft diese Einstellung kostet, kann man erahnen. Antony Connor legt den Father Flynn als Sanguiniker an, der zwangsläufig anecken muss im Umfeld des Reglements.
Auffallend ist, dass Regisseur Robert Pienz sehr deutlich der vom Autor angelegten Schwarz-Weiß-Zeichnung der Figuren gegensteuert. "Echt" ist keine dieser Hauptfiguren, sie sind beide Menschen, die kirchliche Rollen "spielen" und sich wohl bewusst sind, dass sie aus den jeweiligen Scripts nicht aussteigen könnten, selbst wenn sie wollten. In beiden Fällen also: Gesten, die eben felsenfest vertretene, vermeintlich "eigene" Meinung Lügen strafen, die innere Überzeugung konterkarieren.
Begrab dein vertrocknetes Herz umterm Laub
Das ist mit großer Genauigkeit gezeichnet. Constanze Passin ist die junge Nonne, eine Sympathiefigur. Bernadette Heidegger gibt die Mutter des Buben. Sie tritt Schwester Aloysius entgegen als eine, die sich ohne viel Aufhebens mit der Realität arrangiert. Ein Standpunkt, der die alte Nonne beinah aushebelt aus der selbst verordneten Gewissheit.
Tobias Kreft hat für die Studioproduktion ein Bühnenbild gemacht, das Kirche und Basketballfeld, Büro und Klausur sein kann. Ein starkes Bild: Am Ende wird Schwester Aloysius das Herbstlaub vom Schulhof kehren, das so vertrocknet ist wie ihr Herz. Sie war erfolgreich, Father Flynn hat gehen müssen. Er ist weg- und hochgelobt worden. Der Autor hat selbst eine kirchliche Schule besucht und er scheint den Betrieb, die Typen und die Mechanismen der Macht sehr genau studiert zu haben. Es hätte gar nicht der Pulitzerpreis für Theater sein müssen, "Zweifel" taugte auch für eine Auszeichnung im journalistischen Genre.
Zweifel (ÖEA)
von John Patrick Shanley. Deutsch von Daniel Call.
Regie: Robert Pienz, Ausstattung: Tobias Kreft, Dramaturgie: Birgit Lindermayr.
Mit: Daniela Enzi, Constanze Passin, Antony Connor, Bernadette Heidegger.
www.schauspielhaus-salzburg.at
Andere Inszenierungen des Schauspielhauses Salzburg, die auf nachtkritik.de besprochen wurden.
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 30. April 2024 Ehrung für Ulrich Matthes
- 29. April 2024 Theaterneubau in Rostock begonnen
- 29. April 2024 Auszeichnung für Kurzfilmtage-Leiter Lars Henrik Gass
- 29. April 2024 Publikumspreis für "Blutbuch" beim Festival radikal jung
- 27. April 2024 Theater Rudolstadt wird umbenannt
- 26. April 2024 Toshiki Okada übernimmt Leitungspositionen in Tokio
- 26. April 2024 Pro Quote Hamburg kritisiert Thalia Theater Hamburg
- 25. April 2024 Staatsoperette Dresden: Matthias Reichwald wird Leitender Regisseur
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
neueste kommentare >