Von einem Frauenzimmer - Schauspielhaus Graz
Ein Casanova im Frauen-Netzwerk
23. September 2023. Genau 245 Jahre hat dieses Stück der Goethe-Zeitgenossin Christiane Karoline Schlegel auf seine Uraufführung warten müssen. Jetzt eröffnet es unter anspielungsreichem neuem Titel die Grazer Intendanz von Andrea Vilter: "Von einem Frauenzimmer", feingliedrig inszeniert von Anne Lenk.
Von Reinhard Kriechbaum
23. September 2023. Ein Frauenname auf dem Frontispiz eines "bürgerlichen Trauerspiels" (das doch ausschließlich im Adelsmilieu spielt) war schwer vorstellbar in der Goethezeit. Und so hat Christiane Karoline Schlegel (1739–1833) unter ihren Stücktitel "Düval und Charmille" einfach "Von einem Frauenzimmer" geschrieben. Dass man den Originaltitel in Graz nun völlig unter den Tisch fallen lässt, stattdessen "Von einem Frauenzimmer" titelt, ist natürlich mehr als Marketing. Da wurde ein Theaterstück ausgegraben, dessen Schöpferin Zeitgeist und archetypisches Verhalten zusammenbringt – und dies genau, ja brillant-analytisch beobachtend aus "Frauenzimmer"-Perspektive.
Das Wort selbst ist übrigens verräterisch: Vom Ort, von den Räumlichkeiten der Dame des Hauses und ihrer Entourage, ist "Frauenzimmer" auf die weiblichen Menschen selbst übergegangen und hat prompt abwertenden Beigeschmack bekommen. Das "Kabinett", also der Versammlungsraum jener Herren, die das Sagen haben, lebt bis heute in Regierungen fort und gebietet per se Achtung...
Der Baron als Hallodri
Wir erzählen nicht nur von einem einzigen Frauenzimmer. Derer hat Baron Heinrich Düval ja schon viele über die Bettkante gezogen. Aktuell ist's Fräulein Amalie von Charmille, zärtlich Mally genannt, die ihm auf den Leim gegangen ist. Ehefrau Marianne sieht's unter Tränen und hat sich gleichwohl bereits in ihrem Schicksal als betrogene Ehefrau einigermaßen solid eingerichtet. Ihr "Mannsbild" (das Wort gebraucht sie nicht) ist halt so...
Wir sind in einer an Spannungen reichen Zeit: 1778 hat Christiane Karoline Schlegel das Stück geschrieben, also in der Dekade zwischen "Werther" (1774) und der Beaumarchais'schen "Mariage du Figaro" (1784). Enthemmte Ich-Bezogenheit und vorrevolutionäres Aufbegehren kommen in der männlichen Hauptfigur zusammen. Baron Düval ist nur ein kleines Rädchen im höfischen Getriebe. Gegenüber Gattin und Sohn geriert er sich als jähzorniger Rabauke. Dass ihm von der Obrigkeit dreingeredet wird, weil er die außereheliche Liebschaft allzu öffentlich zur schau trägt, ergrimmt ihn und reizt seine Widerständigkeit.
Simon Kirsch überträgt die Spannungen zwischen Werther-Subjektivität und Figaro-Aufsässigkeit in wüste Körperlichkeit. Mit manierierten Gesten und oft bizarren Verrenkungen wirft er sich gegen das Establishment, dem er doch selbst zugehört. "Verfolgte Liebe macht standhaft und hartnäckig", merkt Ehefrau Marianne weise an, und tatsächlich scheint Düval in Amalie nicht nur eine Kurzzeit-Gespielin zu sehen. Echte Liebe gar? Jedenfalls ein in Werther-Manier zelebriertes, selbstzerstörerisches Sich-Hineinsteigern. Die überraschende Wandlung eines Don Giovanni...
Schicksalsgemeinschaft der Frauen
Einprägsame Charaktere sind da also angelegt und wurden von Regisseurin Anne Lenk aufs Anschaulichste herausgearbeitet. Frauen verstanden sich offenbar schon im Dresden der 1770er Jahre gut aufs Netzwerken. Ehefrau Marianne (Sarah Sophia Meyer) und Liebschaft Amalie (Marielle Layher) sollten einander ja spinnefeind sein und sind doch Freundinnen in einer Schicksalsgemeinschaft. "Ein Herz wie ein klarer Bach", konzediert Marianne der Gespielin des Gatten, denn sie weiß um die Anziehungskraft dieses Rabiat-Charismatikers, aus der es schier kein Entrinnen gibt.
Amalie ist übrigens kein unbedarftes Dummerchen, sondern versteht sich durchaus aufs Argumentieren, was Marielle Layher mit einer klar fokussierten, sonoren Stimme unterstreicht. Im letzten Dialog mit Düval – anstatt Amalie abzuschwören, sieht dieser eine Lösung "im Tode vereint" – wirken die Kräfte anfangs gar ausgewogen. Zuletzt steht sie doch auf verlorenem Posten gegenüber dem leidenschaftlichen Mann. Mord und Selbstmord, so geht die Geschichte ja aus.
Fein gearbeitet
Regisseurin Anne Lenk und ihre Bühnenbildnerin Judith Oswald heben die Feingliedrigkeit der literarischen Vorlage heraus: In dem knallroten, nach hinten stark verjüngten Bühnen-Guckkasten werden die kurzen, oft nicht mal eine Minute dauernden Szenen durch scharfe Blackouts getrennt. Man denkt an Filmschnitte. Raffiniert wird die Live-Kamera eingesetzt. In den Monologen wird Düval ein- oder mehrfach auch an die Wand projiziert, ein anschauliches Bild für die inneren Spannungen einer tief gespaltenen Persönlichkeit.
Fein gearbeitet auch die ausschließlich lilafarbenen Kostüme (Sibylle Wallum): Angelehnt an Milieu und Entstehungszeit, sehen wir die Protagonisten dann "ganz privat" und heutig leger, entkleidet also von allen Standessymbolen. Damit wird nochmal betont, dass hier Räume und Gewichte zwischen den Geschlechtern differenziert und bemerkenswert zeitlos verhandelt werden. "Von einem Frauenzimmer" ist der Titel dafür. Hoffentlich bleibt die Grazer Uraufführung keine Eintagsfliege.
Anne Lenk hält sich ganz eng an die literarische Vorlage (nur den Handlungsstrang rund um eine Hofdame hat sie rausgekürzt). Das banal-pathetische Finale kann man heutzutage so natürlich nicht mehr auf die Bühne bringen. Eine gute Idee: Sohn Fränzchen (Anna Klimovitskaya) spielt das letale Ende von Amalie und Düval mit Puppen nach, und das wäre ein sehr stimmiges, unprätentiöses und doch einprägsames Ende gewesen. Aber da packt die Regisseurin der Ehrgeiz, sie verdoppelt die Szene nochmal als Maskenspiel und lässt dieses in ein Standbild münden mit mehreren Frauen-Statistinnen, alle mit Blut ums Herz. Ja, Femizid ist ein heiß diskutiertes Thema heute, aber es drängt sich in diesem heißblütig-diskursiven Theaterstück nicht auf. So werden ganz starke Eindrücke auf den letzten Metern verschenkt.
Von einem Frauenzimmer
Bürgerliches Trauerspiel "Düval und Charmille" von Christiane Karoline Schlegel
Regie: Anne Lenk, Bühne: Judith Oswald, Kostüme: Sibylle Wallum, Musik: Camill Jammal, Dramaturgie: Andrea Vilter, Licht: Thomas Bernhardt, Video: Gerald Rotter
Mit: Sarah Sophia Meyer, Marielle Layher, Simon Kirsch, Anna Klimovitskaya, Annette Holzmann, Željko Marović.
Premiere am 22. September 2023
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus-graz.at
Kritikenrundschau
Einen "vielversprechenden Auftakt" der neuen Intendanz hat Heidemarie Klabacher gesehen und schreibt in Der Standard (25.9.2023): "Die Autorin brachte die Handlung als Echtzeitdrama von zwölf Stunden in idealtypischer Einheit von Ort, Zeit und Handlung zu Papier. Regisseurin Lenk lässt das Geschehen in konsequenter Unerbittlichkeit ablaufen." Die Beschränkung auf das Femizid-Motiv beraube das Stück einer wichtigen Facette. "Auch der Egomane unterliegt gesellschaftlichen Zwängen", so Klabacher. "In Summe ist es dennoch eine packende Produktion."
Anne Lenk destilliere aus Schlegels "stellenweise recht sprödem Text" eine "Erzählung weit jenseits der Genre-Konventionen", lobt Ute Baumhackl in der Kleinen Zeitung (24.9.2023). "In diesem bürgerlichen Trauerspiel geht es nicht um Tugend und Läuterung. Hier zeigt sich die Klassik als toxischer Boden." Lenks Deutung sei einerseits relevant "angesichts von bereits 17 Frauen, die in Österreich heuer aufgrund patriarchaler Rollenbilder ermordet wurden", so Baumhackl. Sinnträchtig scheine ihre Lesart aber auch, weil Karoline Schlegel selbst "Opfer einer Auslöschung" geworden sei, in dem sie von sexistischen Kritikern lange Zeit aus der Literaturgeschichte ausgeschlossen worden sei.
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ich saß gestern in der Premiere und habe durch meine Augen (weibliche übrigens) anderes gesehen. Problematisch finde ich, dass Sie das Ende (also den Mord eines Mannes an einer Frau) banal-pathetisch finden. In der Einführung wurde erläutert, dass der Femizid im bürgerlichen Trauerspiel vorkommt. Wie kommen Sie dazu, in einem zudem patriarchal anmutenden Gestus (genau darum übrigens geht es in dem Abend!) zu sagen, Femizid sei nur woke und dränge sich in dem Stück nicht auf?
Grüße aus Graz
Die Szene, in der Duval seine Geliebte in den Tod hineinredet gehört mit zu den besten Theaterszenen, die ich kenne und steht beispielsweise Schiller und Kleist in nichts nach.
So eine Szene habe ich in der ganzen Theaterliteratur noch nicht entdecken können und bin nachdenklich geworden… vielleicht gibt es so eine Szene so sonst nicht, weil sie immer aus Männerperspektive erzählt wurde und endlich eine Frau ganz anders drauf schaut.
Nicht alles hat mir an diesem Abend getaugt.
Den Duval rein als diabolischen Bösewicht und Kraftmeier zu erzählen, scheint mir doch arg schwarz und weiß.
So blieb diese Figur mehr ein Abziehbild als ein dreidimensionaler Charakter, aber gerade der Schlussteil mit besagter Szene hat mich sehr überzeugt.
Dieses Stück muss auch auf andere Spielpläne!
Vielen Dank der Regisseurin Anne Lenk und der Intendantin Andrea Vilter und dem Schauspielhaus Graz für diese alte, aktuelle Entdeckung!
Ich frage mich, warum sich Herr Kriechbaum befugt sieht zu beurteilen, was man heutzutage wie auf die Bühne bringen darf.
Er kann gerne beschreiben, was er gesehen und dabei gedacht hat.
Alles andere liegt nicht in seinem Beurteilungsspielraum.
Und ist auch nicht von Interesse.
https://www.nachtkritik.de/recherche-debatte/ich-sehe-dich-mich-sehen-ueber-femizide-auf-den-buehnen-und-die-ueberfaellige-abkehr-vom-maennlichen-blick
Die Inszenierung von Anne Lenk und Team ist (u.a. wegen des Schlussbilds) eine intelligente und künstlerisch überzeugende Antwort auf das Dilemma. Der Blick des Kritikers ist leider wieder ein male gaze (und damit ist nicht sein biologisches Geschlecht gemeint). So kommen wir in der Sache nicht weiter.