Der einsame Westen - Akademietheater Wien
Wehe, du sagst Vokuhila!
23. März 2024. In Teil eins erschlug eine Tochter ihre Mutter mit dem Schürhaken. Im Finale trifft es jetzt einen Vater, der die Frisur seines Sohnes kritisiert hatte. Mateja Koležnik inszeniert den letzten Teil von Martin McDonaghs "Leenane-Trilogie" als Komödie mit einem grandiosen Schauspieler-Duo im Zentrum.
Von Andrea Heinz
23. März 2024. Den Ort Leenane, oder wie er heute genannt wird: Leenaun, gibt es tatsächlich in Irland. Aber so wild wie in Martin McDonaghs Leenane-Trilogie geht es dort hoffentlich nicht zu: Töchter erschlagen ihre Mutter mit dem Schürhaken, wie im ersten Teil "The Beauty Queen of Leenane". Oder sie schießen ihrem Vater in den Kopf, wie es Coleman im letzten Teil der Trilogie, "Der einsame Westen", noch vor Einsetzen der Handlung tut. Der Vater hatte zuvor seine Frisur kritisiert, und das ist in etwa, was es in McDonaghs Welt braucht, um jemanden umzubringen.
Den Rest des Stückes über gehen Coleman und sein Bruder Valene einander immer wieder an die Gurgel, während ihr Saufkumpan, der gefühlige und permanent zweifelnde Pater Welsh (den alle ständig Walsh nennen) versucht, sie davon abzuhalten. Dazwischen taucht das Schulmädchen Girleen auf, die in Wahrheit freilich Maria heißt und so etwas wie die Dealerin des Ortes ist: Sie bringt Poteen, den mutmaßlich schwarz gebrannten Schnaps ihres Vaters, unter die Leute, um sich etwas dazuzuverdienen. Alle fluchen ohne Unterlass.
Mit Vokuhila-Topfschnitt und 80er-Jahre-Schnauzer
Das Stück ist so schwarzhumorig wie es tragisch ist. Mateja Koležnik setzt in ihrer Inszenierung am Wiener Akademietheater aber vor allem auf die Komödie. Ihre Figuren sind überzeichnet bis hart an die Grenze zur Groteske: Coleman (Roland Koch) und Valene (Michael Maertens) sind ausstaffiert wie Menschen aus der vorgeblichen Unterschicht im Reality-TV, mit Joggern und speckigen Anzügen, Kunstleder-Gilets, geschmacklosen Musterpullis, Vokuhila-Topfhaarschnitten und 80er-Jahre-Schnauzern. Allein die Kostüme sind ein Fest (Ana Savić-Gecan), aber ein bisschen vorgeführt werden diese Figuren schon auch.
Die Hellsten sind sie halt wirklich nicht, streiten wie narzisstische Kleinkinder darüber, welche Chipsmarke jetzt besser ist ("Die schmecken nicht genauso, und sie haben Rillen." – "Die schmecken ganz genauso, und scheiß auf die Rillen.") und halten Gewaltanwendung für angebracht, sobald es um Frisuren oder Haustiere geht. Dabei sind die beiden manchmal durchaus anrührend: Valene etwa liest gerne Frauenzeitschriften und tupft sich in einer zarten Geste etwas von der dort enthaltenen Parfumprobe auf den Hals. Needless to say, dass "Schwuchtel" ein beliebtes Schimpfwort ist.
Im Wohnungslabyrinth
Die beiden und ihre regelmäßigen Gäste, Pater Walsh-Welsh (Itay Tiran) und Girleen (im Schuldmädchen-Outfit und kesser Pose, aber wehrhaft: Lili Winderlich) bewegen sich in der von den Eltern geerbten Wohnung wie in einem Labyrinth, aus dem sie genauso wenig herausfinden wie aus dem ein Leben lang eingeübten destruktiven Sozialverhalten. Die Bühne (Raimund Orfeo Voigt, Dimitrij Muraschov) bildet das genial ab: Die Drehbühne ist durch Wände in mal Drittel, mal Hälften geteilt, und in diesen v-förmigen Wänden geradezu eingezwängt befinden sich Wohnzimmer und Küche der Wohnung, die in tristen Kacktönen (würden die Menschen in Leenane sagen) seit den 70er-Jahren nicht mehr geatmet zu haben scheint.
Der Clou ist: Mit einer Vierteldrehung sieht man die Zimmer plötzlich aus einer anderen Perspektive. Da, wo zuvor noch die vierte Wand war und man selber aus dem Publikum heraus in die Privaträume geglotzt hat, ist dann zum Beispiel eine Wand mit Fenster, durch das Pater Welsh und Valene, sturzbesoffen, hineinkrabbeln, nachdem sie die Leiche eines Selbstmörders zu seiner Familie gebracht haben.
Die Tragik und Traurigkeit, die durchaus in diesem Text stecken, werden über weite Strecken übertüncht von einer bisweilen fast klamaukigen Ausgelassenheit und slapstickartigen Momenten: Das Publikum lacht viel und laut, und man hat eher nicht den Eindruck, dass es eines von diesen Lachen ist, die im Halse stecken bleiben. Das verfremdende ihre dazu tut nicht zuletzt die lässig swingende Musik, die fast so etwas wie gute Laune verbreitet (Michael Gumpinger). Das nimmt dem Text natürlich die eine oder andere Facette.
Geschliffene und polierte Dialoge
Unterhaltsam ist es aber allemal, und dank des famosen Ensembles bleibt der Abend bis zum Schluss konzentriert (auch wenn das ständige besoffene Genuschel manchmal schon fast anfängt zu nerven). Kraftzentrum und Highlight des Abends sind am Ende natürlich Koch und Maertens als sich leidenschaftlich und manchmal auch einfach nur aus purer Gewohnheit hassendes Brüderpaar: Wie die beiden sich in den ohnehin geschliffenen und polierten McDonagh-Dialogen die Sätze zuwerfen, sollte man schon erlebt haben.
Der einsame Westen
von Martin McDonagh
Deutsch von Martin Molitor und Christian Seltmann
Regie: Mateja Koležnik, Bühne: Raimund Orfeo Voigt, Dimitrij Muraschov, Kostüme: Ana Savić-Gecan, Musik: Michael Gumpinger, Licht: Norbert Piller, Dramaturgie: Jeroen Versteele.
Mit: Roland Koch, Michael Maertens, Itay Tiran, Lili Winderlich.
Premiere am 22. März 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause
www.burgtheater.at
Kritikenrundschau
Mateja Koležniks Inszenierung treibe die "Tragödien", die MocDonaghs Stück erzähle, "schonungslos voran, hebt den Ernst aber immer wieder durch Absurdes auf", zeigt sich Norbert Mayer in der Presse (23.3.24, €) begeistert. "McDonagh hat offenbar von Shakespeare und Beckett gelernt, dass das Allertraurigste besser zu ertragen ist, wenn man es mit irren Clownerien aufhellt. Koležnik hat erkannt, dass Texttreue und Sparsamkeit das Beste für dieses Drama sind. Sie versteht es, die Spannung von Szene zu Szene zu steigern. Ein fantastischer Abend mit einem tollen Ensemble, das vom Publikum am Ende zurecht gefeiert wurde."
In der Inszenierung "geben sich zwei dauerstreitende, erwachsene Brüder den Rest", fasst Margarete Affenzeller den Plot des Abends im Standard (23.3.24) zusammen. "Dem Theaterabend wurde dank guter Schauspielkomik, anschaulicher Wohntristesse und einer konzisen Regie Mateja Koležniks, die Witze keiner billigen Komödie preisgibt, bei der Premiere am Freitag freudig applaudiert", berichtet die Kritikerin. "Koležniks Mikrostudie, die mit jedem Drehbühnendreh den Blick auf Details dieser Existenzen richtet, stellt … die unsäglichen und dabei ganz üblichen menschlichen Verhärtungen in den Raum. Ein Theater zum genauen Hinsehen."
"Das Stück ist fantastisch geschrieben, seine Dialoge sind so gnadenlos unmoralisch, dass es eine Freude ist. In einem liebevoll versifften Bühnenbild (Raimund Orfeo Voigt, Dimitrij Muraschov) inszeniert die eigentlich für kompakte Strichfassungen bekannte Koleznik auf Punkt und Komma vom Blatt, weil das Stück sonst nicht funktionieren würde", schreibt Wolfgang Kralicek von der Süddeutschen Zeitung (25.3.2024. "Ja, das ist ein großer Spaß. Aber man merkt dem Stück schon auch ein wenig an, dass es 27 Jahre auf dem Buckel hat. Seinerzeit muss das noch ganz anders, viel härter eingeschlagen haben."
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