Im Anatomiesaal der Geschichte

17. Dezember 2023. Geschichte, ein Clownsspiel? In Clownsmasken jedenfalls lässt Regisseur Johan Simons am Burgtheater Wien "Dantons Tod" spielen. Mit Michael Maertens und Nicolas Ofcarek als Spaßmacher – und als Verlorene, die die Zerrüttung im Polit-Endspiel groß machen.

Von Sascha Westphal

Georg Büchners "Dantons Tod" in der Regie von Johan Simons am Burgtheater Wien inszeniert © Matthias Horn

17. Dezember 2023. "Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem grässlichen Fatalismus der Geschichte." Diesen berühmt gewordenen Satz hat Georg Büchner irgendwann im Januar 1834 an seine damalige Verlobte Wilhelmine Jaeglé geschrieben. Er könnte auch als Motto über "Dantons Tod" stehen, diesem Drama der französischen Revolution, das nicht allein von Blut durchtränkt ist, sondern vor allem auch von einem Gefühl der Müdigkeit, der Sinn- und Ausweglosigkeit. "Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel", heißt es weiter in diesem Brief, der fast der Schlüssel zu Johan Simons' Inszenierung von "Dantons Tod" am Wiener Burgtheater sein könnte.

In ein Puppenspiel im wörtlichen Sinn hat Simons das Revolutionsdrama nicht verwandelt. Bei ihm wird es zu einer Clowneske, aufgeführt in einem riesigen leeren Raum, dessen Rückwand ein braun vertäfeltes Halbrund ist. Es könnte ein bizarrer Anatomiesaal sein. Ein Eindruck, den die Bühnenbildnerin Nadja Sophie Eller auch durch die Klappstühle heraufbeschwört, die sie in zwei übereinander liegenden Reihen an der Rückwand befestigt hat. Auf jeden Fall gleicht das Spiel, das die wie Clowns gekleideten und geschminkten Spielerinnen und Spieler auf der leeren Fläche aufführen, die sich irgendwann auch noch im Kreis zu drehen beginnt, einer absurden Autopsie der historischen wie der menschlichen Verhältnisse an sich. Eine Vivisektion aus dem Geiste Becketts, bei der Heiner Müller das aufs Äußerste geschärfte Skalpell führt.

In Schicksalsgemeinschaft

Ein Clownsspiel also, mit Nicholas Ofczarek als Danton und Michael Maertens als Robespierre oder auch als Oliver Hardy und Stan Laurel der französischen Revolution. Zumindest tragen sie zu Beginn deren Bowlerhüte. Und wie die beiden Komiker, die in ihren Filmen nicht voneinander loskamen, sind sie in einer Art Schicksalsgemeinschaft der Missgeschicke und Katastrophen zusammengeschweißt.

Im Anatomiesaal der Geschichte, mit Masken des Todes: Michael Maertens als Robespierre und Nicolas Ofczarek als Danton in "Dantons Tod" am Wiener Burgtheater © Matthias Horn

Auf jeden Fall gehen Ofczarek und Maertens überraschend freundschaftlich miteinander um. Sie halten sich an den Händen, während sie mit Trippelschritten aus der Tiefe des Raums kommend an die Rampe treten, und umarmen sich auch mal. Wenn sie sich dann doch einmal ihre jeweiligen Standpunkte zu Tugend und Terror ins Gesicht schreien, dann sind das keine politisch-philosophischen Dispute. Sie spielen in diesen Momenten vielmehr füreinander und führen gemeinsam ein Polittheater auf, um dessen Absurdität sie wissen. Dabei brechen sie beide konsequent mit allen Vorstellungen, die das Publikum von Danton und Robespierre haben könnte.

Nochmal das Volk mitreißen

Bei Nicholas Ofczarek beginnt das schon mit der Schminke. Von Anfang an blickt er in der Maske des Todes, der eben auch nur ein Clown, ein todtrauriger Spaßmacher, ist, auf die Welt und die Menschen um sich. Eine tiefe Ermattung und ein Zustand fortwährender Langeweile sprechen aus dem Weiß und Schwarz angemalten Gesicht Ofczareks.

Dieser Danton hat tatsächlich schon lange mit sich und der Welt abgeschlossen. Nur in seiner Stimme, die von einer endlosen Resignation und zugleich von einer beinahe fröhlichen Todesergebenheit erfüllt ist, regt sich gelegentlich noch Widerstand gegen das Unausweichliche. Dann flackert eine Leidenschaft in Ofczareks Danton auf, die sich dessen Todessehnsucht für Momente entgegenstellt. In diesen kurzen, heftig auflodernden und sofort wieder verlöschenden Augenblicken wird Ofczarek noch einmal zu dem Mann, der das Volk mitreißen und die Geschicke der Revolution lenken konnte.

Das Ensemble, sich an den Händen haltend in Johan Simons' "Dantons Tod" © Matthias Horn

Nichts unterstreicht Büchners Sentenz von der Größe, die bloßer Zufall sei, mehr als Dantons Anflüge von Erregung. Er war der Schaum auf einer Welle, die längst gebrochen ist. Und auch Robespierres Welle wird bald brechen. Dessen ist sich Michael Maertens Anwalt der Tugend und des Terrors sichtlich bewusst. Noch hält er die Herrschaft in seinen Händen. Aber er weiß genau, dass sie nicht mehr ist, als, um noch einmal Büchners sogenannten Fatalismusbrief zu zitieren, "ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich."

Zwei Verlorene

Michael Maertens Robespierre hat dieses Gesetz erkannt und ahnt zumindest, dass er es nie wirklich beherrschen wird. Entsprechend sanft tritt er auf. Als ihn Jan Bülows St. Just, der einzige Verblendete in dieser Inszenierung, ein Schreckensclown mit schiefem rotem Mund, auf Camilles 'Verrat' aufmerksam macht, treffen ihn dessen Worte vom "Blutmessias" bis ins tiefste Innere. In diesem Moment bekommt die Leere der Bühne eine existentialistische Dimension. So wie Maertens die Ausrufe "Mein Camille! – Sie gehen alle von mir – es ist alles wüst und leer – ich bin allein" ausspricht, hat man sie vielleicht noch nie gehört, so leise, so von einer zutiefst anrührenden Trauer und Verzweiflung erfüllt. Dieser Robespierre ist eben kein "Blutmessias", er ist wie Danton ein Verlorener.

In Anlehnung an Beckett könnte Büchners Drama in Simons‘ Inszenierung auch den Titel „Danton und Robespierre warten auf den Tod“ tragen. In dem Wissen um die Vergeblichkeit ihres Handelns und Streben sind sie Verwandte Wladimirs und Estragons, die einfach nicht aufhören können, ihr Spiel weiter aufzuführen. Und dass sie eben nicht aufhören können, dass die absurde Clowneske immer weitergehen muss, dafür sorgt eine Figur, die zwar auch bei Büchner im Personenverzeichnis steht, die so aber Johan Simons ersonnen hat: der Souffleur.

Büchner, Beckett, Müller im Souffleurkasten

Ganz vorne an der Rampe hat Nadja Sophie Eller einen Souffleurkasten positioniert. Aus ihm taucht immer wieder der von Ole Lagerpusch gespielte Souffleur auf, eine spillerige, überaus wankelmütige Verkörperung des Volkes. Mal schlottert er vor Angst vor den Mächtigen, mal treibt er sie regelrecht vor sich her. Er ist es auch, der plötzlich Heiner Müllers "Nachtstück", dieses dialoglose kleine Zwischenspiel aus "Germania. Tod in Berlin", wie ein trauriges Märchen erzählt. Dabei spielt er mit Teilen mehrerer auseinandergebauter Fahrräder, die sich niemals mehr zusammensetzen lassen. Eine Szene, in der Büchner, Beckett und Müller auf eine schmerzenstraurige und lebensheitere Weise zusammenkommen. Zerrüttet vom grässlichen Fatalismus der Geschichte, und doch nicht bereit vor ihm zu kapitulieren.

Dantons Tod
von Georg Büchner
Regie: Johan Simons, Bühne & Video: Nadja Sophie Eller, Kostüme: Greta Goiris, Musik: Mieko Suzuki, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Sebastian Huber.
Mit: Nicholas Ofczarek, Felix Rech, Johannes Zirner, Maximilian Pulst, Michael Maertens, Jan Bülow, Ole Lagerpusch, Annamária Láng, Marie-Louise Stockinger, Andrea Wenzl.
Premiere am 16. Dezember 2023
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.burgtheater.at

 

Kritikenrundschau

"Der Star des Abends ist Ofczarek. Er beherrscht die Kunst, die Lust am Leben blitzartig in seinen Überdruss zu verwandeln“, so Norbert Mayer von der Presse (17.12.2023). "Radikal konzentriert sich Simons auf die Sprache. Musik und anderes schmückendes Beiwerk sind wohltuend zurückgenommen. Man kann sich darauf konzentrieren, wie das Power-Duo kunstvoll mit dem Text spielt.“ Doch der Mangel an Dramatik nehme zu. "Da ermüdet es dann sogar, wenn Maertens und Ofczarek ihr Bestes geben, die Slogans der Revolution drehen und wenden, bis sie nichts mehr bedeuten."

Johan Simons habe das Revolutionsstück als Requiem inszeniert. "Ein peinigender Befund, jedoch mit höchster Überzeugungskraft argumentiert", so ein glücklicher Ronald Pohl vom Standard (17.12.2023). "Es gehört zu den vielen Vorzügen von Simons‘ szenischer Denkübung, die Marginalisierung der Frauen in Bilder zu übersetzen: in das Dehnen und Gliederstrecken eines mechanischen Balletts."

"Spätestens wenn Danton und seine Getreuen verhaftet sind und ihrer Hinrichtung harren, greift das Zirkuskonzept nicht mehr. Besonders leiden darunter die Frauenfiguren", so Martin Thomas Pesl im Deutschlandfunk (17.12.2023). Pesl resümiert: "Mit seinem Star-Ensemble bietet Johan Simons einen interessanten Ansatz, der dann vor lauter verordneter Müdigkeit selbst einschläft."

"Dass Maertens‘ Tugendbold im larmoyanten Daueranklageton heutiger Populisten dahersäuselt, sorgt für einiges Frösteln in dieser allzu temperierten Inszenierung." Das liege auch an der Rahmensetzung, am Zirkus. Die Kollision revolutionärer Ideen sei hier zur Politgroteske verzerrt und "alles Fortschrittsbemühen lächerlich angesichts einer Menschheit, die nicht lernt", so Ute Baumhackl von der Kleinen Zeitung (17.12.2023). "Die Masken, in der Antike dazu da, um Gefühlszustände besser zum Ausdruck zu bringen, sie halten hier auf Distanz und verdecken unter Clownsweiß und roten Nasen die Leidenschaft und Verzweiflung, mit der erst um die Revolution, dann ums nackte Leben gerungen wird."

"Ein clowneskes Totentanztheater im Geiste Becketts", schreibt Hubert Spiegel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.12.2023): "Danton und Robespierre warten auf die Guillotine. Sie ist zuverlässiger als Godot." Simons habe Büchner gründlich durcheinandergwirbelt. Menschen ohne aufgefrischte Textkenntnisse "dürfte an diesem Abend ohnehin leicht schwindlig geworden sein". "Dantons Tod“ sei kein leichtes Stück, und Simons mache es noch schwerer. "Gegen Ende des zweistündigen Abends könnte man fast meinen, die weiße Schminke auf allen Gesichtern zerre wie Blei an den Schauspielern."

 

Kommentare  
Dantons Tod, Wien: Bleiern
Wieder so ein bleierner Abend von Herrn Simons , der (...) mal wieder so machen lässt . Wer an Schlafstörungen leidet , ist hier bestens aufgehoben .
Dantons Tod, Wien: Wie man sich irren kann
"Für diese Conclusio einer famosen Produktion waren nicht alle Wienerinnen und Wiener in der nämlichen Weise aufnahmebereit.", schrieb der "Standard", bezogen auf die Quintessenz des Abends.
Ich bin kein Wiener, war aber zu Beginn dieses Abends durchaus aufnahmebereit. Das änderte sich im Verlaufe desselben rapide. Eine solche maulende, unintelligente und vor allem gänzlich unpolitische Aufführung gerade dieses Stückes ist mir noch nicht untergekommen. Nun konnte man, zum Beispiel, auch Baumgartens Münchner Inszenierung nicht eben als Höhepunkt der Büchner- Rezeption bezeichnen, aber es gab immerhin eine Art künstlerischer Haltung zum ganzen. Hinzu kommt in Wien, dass ich bis anhin vermutete,wenn Maertens und Ofzcarek besetzt sind, könne man nichts ganz falsch gemacht haben. Leider auch das ein Irrtum...
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