Hier ist ja alles Untergang

9. September 2023. In Wien hat sich Claudia Bauer nach ihrem "humanistää!"-Erfolg Ingeborg Bachmanns "Malina"-Roman vorgenommen. Der handelt vordergründig von einer Frau zwischen zwei Männern, aber eigentlich geht es um die (Un-)Möglichkeit des Lebens und Schreibens. Konflikte, die Bauer zum Tanzen bringt.

Von Martin Lhotzky

Ingeborg Bachmanns "Malina" am Volkstheater Wien © Marcel Urlaub

9. September 2023. Es handelt sich um keine Dreiecksbeziehung. Also, um keine Dreiecksbeziehung im normalen Sinne, versichert uns die namenlose Ich-Erzählerin, als sie gleich zu Beginn vor den Vorhang tritt. Das glauben wir ihr sofort, geht es doch an diesem Abend um die dramatisierte Interpretation von "Malina", dem 1971 erschienenen Roman von Ingeborg Bachmann, geboren 1926 in Klagenfurt, verstorben 1973 in Rom. Viel wurde schon gerätselt, ob es darin nicht hauptsächlich um die schwierige Beziehung Bachmanns zu Max Frisch gehen könnte. Entschieden ist das bis heute nicht.

Der Ungar in der Ungargasse

Regisseurin Claudia Bauer kümmert sich in ihrer zusammen mit Matthias Seier verfassten Bühnenadaption gleich gar nicht um solche Fragen. Sie lässt einfach Bachmann selbst zu Wort kommen. Wobei, "einfach" trifft es keineswegs. Wie schon in ihrer humanistää!-Inszenierung von Ernst-Jandl-Werken, Uraufführung 2021 am Wiener Volkstheater, 2022 mit Nestroy-Preisen überschüttet und zum Theatertreffen Berlin eingeladen, verschmelzen die Worte der Schriftstellerin zur Vielstimmigkeit, zu Liedern, ja, gar zu Chorälen.

 Malina2 805 MarcelUrlaubSechs Schauspieler:innen mit Bachmann-Perücke vor 70er-Jahre-Tapeten-Projektion © Marcel Urlaub

Bis zu sieben Aktricen und Akteure in fast identer Ausstattung – beige-graue Kleider oder Hosenkleider, manchmal auch Hemden und Krawatten im Stile jener fernen Zeit, blonde Pagenkopfperücken, Lippen rot geschminkt (Kostüme: Andreas Auerbach), beinahe immer das Rauchen einer Zigarette mit gespreizten Fingern andeutend – finden sich da zusammen, tippen gemeinsam Briefe, wechseln einander beim Deklamieren ab oder sprechen, brüllen, singen vom Leben im dritten Bezirk in Wien, wo laut Bachmann-Text "ja alles Untergang ist". Um auch noch diesen Kalauer zu bemühen: Die Ich-Erzählerin berichtet von ihrer Beziehung zum Ungarn Ivan, der, genau wie sie und der titelgebende (Militär-)Historiker Malina, in der Ungargasse wohnt.

Weniger denken, mehr lachen

Samouil Stoyanov, Alfred-Kerr-Darstellerpreisträger und Schauspieler des Jahres 2022 (für sein Mitwirken, erraten, in "humanistää!") bleibt an diesem Abend der einzige, der kein einziges Mal in die Rolle der Erzählerin schlüpft. Er ist Ivan – und einmal, für eine kleine Tanzeinlage, ein Krokodil. An der Erzählerin interessiert, ohne sie wirklich zu verstehen. Anders Malina (meist Nick Romeo Reimann, behält freilich die blonde Bachmann-Perücke auf), der sie zwar zu verstehen, zu trösten scheint, aber nicht mehr als freundschaftlich mit ihr verbunden ist, verbunden sein will.

Malina4 805 MarcelUrlaubDrinnen und draußen: Sechs Autor:innen bringen Licht ins Dunkel © Marcel Urlaub

Wir bestaunen mindestens ein Drittel des Abends als Live-Videoübertragungen aus drei sich oft drehenden, unterschiedlich großen, innen herrlich nostalgisch mit typischen 1970er-Jahre Tapeten bepflasterten Würfeln (Bühnenbild: Patricia Talacko). Intime Gespräche bleiben uns da logischerweise nicht verborgen. Und als Ivan gar einmal zu einer Art Schamane wird – einen Ziegenschädel an den Kopf geschnallt, klopft er der Ich-Erzählerin auf den Kopf und leiert in endloser Wiederholung "Weniger denken, mehr lachen! Weniger denken, mehr schlafen!" herunter; sie stimmt letztendlich mit ein – hält er es da drinnen offenbar nicht mehr aus. Hüpft wild auf der Bühne herum. Großer Spaß!

Detailverliebte 70er

Begleitet wird das alles musikalisch, bisweilen beinahe in Zwölftontechnik, von Peer Baierlein, Igor Gross und Alexander Znamenskiy. Selbst ihr Orchesterraum ist im 70er-Jahre-Stil tapeziert. Man zeigt sich auch diesmal wieder detailverliebt. Das wird vom Publikum mit langem Applaus belohnt.

 

Malina
von Ingeborg Bachmann
Bühnenfassung von Claudia Bauer und Matthias Seier
Regie: Claudia Bauer, Bühne: Patricia Talacko, Kostüm: Andreas Auerbach, Gesangs-Kompositionen, Soundscapes & Musikalische Leitung: Peer Baierlein, Soundscapes: Igor Gross, Musikalische Einstudierung & Dirigat: Alexander Znamensky, Video Art: Marvin Kanas, Sounddesign; Sebastian Hartl, Lichtdesign: Voxi Bärenklau, Dramaturgie: Matthias Seier.
Mit: Evi Kehrstephan, Bettina Lieder, Nick Romeo Reimann, Uwe Rohbeck, Christoph Schüchner, Samouil Stoyanov, Friederike Tiefenbacher, Johanna Zachhuber.
Premiere am 8. September 2023
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.volkstheater.at


Kritikenrundschau

"Mit der Dramatisierung von Malina, Ingeborg Bachmanns viel zitiertem, aber wenig gelesenem einzigen Roman, hat sich Regisseurin Claudia Bauer an eines der schwierigsten – und von Rauchschwaden vernebeltesten – Werke der österreichischen Nachkriegsliteratur gewagt. Statt in Ehrfurcht zu erstarren, wirft sie einen frech-forschen und beinahe heiteren Blick darauf", schreibt Stephan Hilpold in Der Standard (10.9.2023). "Ihr gelingt ein bei aller Verkürzung vielschichtiger Abend, der zwar nicht an Bauers Jandl-Erfolg herankommt und Exegeten verschnupft zurücklassen wird, der das Klischee von der Leidensfrau Bachmann aber auffächert und weniger grau erscheinen lässt.”

"Die spärliche Handlung ist nur das Trägermaterial für Bachmanns Sprache und Teile davon gehen leider unter”, schreibt Juliane Fischer in den Salzburger Nachrichten (11.9.2023). "Weil es zu laut ist (Livemusik). Weil es zu schnell ist (Augapfelslalom). Weil mit Videosequenzen übertrieben wird.”

Kommentare  
Malina, Wien: immer das Gleiche
"...und weil es immer das Gleiche ist bei Claudia Bauer" möchte ich den Salzburger Nachrichten hinzufügen.
Malina, Wien: Urteilsbasis
Liebe(r) Meik, darf ich nachfragen, was Sie in den vergangenen 23 Jahren von Claudia Bauer gesehen haben? "humanistää!" reicht nicht aus für so ein Urteil.
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