TKKG – Das Musical

von Falk Schreiber

Chur / online, 18. Februar 2021. "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", verspricht Artikel 8 der Schweizerischen Bundesverfassung. Schöne Worte sind das, die aber zugleich vereinbar zu sein scheinen mit obszönem Wohlstand Weniger, beunruhigender Diskretion und teils zweifelhaftem Geschäftssinn.

Action-Trash als Spiel mit verschiedenen Ebenen

Das Stück "Submarie 8" des Berner Theaters Club 111 überführt diesen Widerspruch in eine Groteske: Die vom Gerechtigkeitsethos beseelte Bundesrätin Ruth Schaffer (Catriona Guggenbühl) stellt eine Task Force zusammen, die von einem U-Boot im Genfer See aus internationale Bösewichte auf den Nobelgrundstücken am Ufer bekämpft. Leutnant Ticino (Grazia Pergoletti), Agentin Uri (Vivien Bullert), Psychologin Genève (Rula Badeen) und Gefreite Wallis (Rahel Jankowski) schippern durch die Fluten, beobachten den Bayer-CEO Werner Baumann in seiner Villa in Vevey, die angolanische Oligarchin Isabel dos Santos, die in Genf Geschäfte mit dem Juwelier De Grisogono macht, und eine saudische Prinzessin, die versucht, sich aus dem Goldenen Käfig ihrer Herkunft zu befreien (die Premiere des Stücks fand im Dezember im Schlachthaus Bern statt, dass das Schicksal der arabischen Prinzessin Latifa aktuell durch die Medien geht, konnte man damals nicht ahnen). Und scheitern weitgehend: Der Versuch, Baumanns Pool mit Chemikalien zu vergiften, sorgt für drastischen Bodyhorror, die Rettung der Prinzessin bringt zwar ein paar hübsche Actionszenen mit sich, dennoch landet die Flüchtige gleich wieder in den Armen ihrer Bewacher.

Submarie 8 3 560 c yoshiko kusano uDie Besatzung der Submarie 8: Grazia Pergoletti, Rula Badeen, Vivien Bullert und Rahel Jankowski © Yoshiko Kusano

Klingt nach Trash, ist aber in der Regie Meret Matters ein hübsches Spiel mit den Ebenen. Eigentlich war "Submarie 8" als traditionelle Performance im U-Boot-Bauch geplant, zu der Filmszenen der subversiven Aktionen über einen Screen eingeblendet werden; der pandemiebedingte Zwang zum Streaming allerdings sorgt dafür, dass die Filme gleichberechtigt neben den Szenen auf der Theaterbühne stehen. Das nutzt dem Stück, weil die Absurdität der Thriller-Handlung so eine adäquate Umsetzung im Bild findet. Außerdem schafft es Matter so, diskursiv Haken zu schlagen: Wenn die Prinzessin mit einem Schnellboot über den See flieht, verfolgt von arabisch radebrechenden Bodyguards, dann droht in den Bildern das islamophobe Klischee. Aber auf der Bühne kann dieses Klischee bequem angesprochen werden, ohne dass das Stück seine Spannungsdramaturgie ganz aufgeben müsste – man befindet sich in einem U-Boot, der titelgebenden "Submarie 8", und was durch das Periskop zu sehen ist, sollte bedacht durch den Diskurswolf gedreht werden.

Schrecken, der ins Harmlose tendiert

Weil "Submarie 8" immer wieder neben sich tritt und die (im Übrigen sehr genau auf ihre inhaltliche Korrektheit hin recherchierten) Abenteuer mittels Race-, Gender- und Class-Debatten reflektiert, weil sich dazu auch ein durchaus scharfer Wortwitz gesellt, hat man ziemlich schnell frühe Arbeiten René Polleschs vor Augen. Aber im direkten Vergleich schneidet "Submarie 8" nicht ganz so gut ab. "Ich habe Tauchangst", klagt Badeens Genève einmal, "das ist wie Flugangst, nur beim Tauchen. Oder wie nennt man das, wenn man Angst hat, tief auf den Grund des Sees zu sinken?" Und Jankowskis Wallis darauf: "Gesunden Menschenverstand." Das ist schlagfertig, es ist lustig, doch es fehlt die politische Aggressivität, die der Stoff eigentlich verlangt. Es geht um Massenmord und Ökozid, die Vorlage aber weiß darauf nur einen (wenn auch gelungenen) Witz zu antworten. "Ich komme mir vor wie bei 'TKKG – Das Musical'!", wird das Stück an einer Stelle gedisst, und womöglich trifft Matter den Abend damit härter als beabsichtigt.

Submarie 8 1 560 c yoshiko kusano uUnter-See-Mission mit (harmlosem) Witz © Yoshiko Kusano

Fehlende Liveness

Eigentlich war der Plan, "Submarie 8" live zu streamen, ästhetisch würde sich solch eine Durchmischung aus Echtzeit und vorproduzierten Filmszenen anbieten. Weil aber das Ensemble aktuell in der deutschsprachigen Theaterwelt verstreut ist und eine physische Zusammenkunft unter Pandemiebedingungen unmöglich ist, wird für die Gastspielserie im Bespieltheater Chur eine Aufzeichnung der Berner Premiere gezeigt. Ist das ein Problem? Nicht wirklich, der Witz, der szenische Einfallsreichtum, die ästhetische Eigenständigkeit des Stücks vermitteln sich. Und doch: Die politische Schärfe des Stoffs schreit eigentlich nach einem Live-Erlebnis. So wie es hier zu sehen ist, tendiert der Schrecken ins Harmlose. "Die Schweiz war immer schon gut darin, sich zu arrangieren", wird das Scheitern der Gerechtigkeitsmission schulterzuckend hingenommen. Ein böser, ein abgründiger Satz. Und irgendwie hat man den Eindruck, auch "Submarie 8" habe sich dann doch zu schnell mit den Gegebenheiten arrangiert, zum Preis von Action, Witz und einer gelungenen Theater-Film-Verbindung.

 

Submarie 8
Von Meret Matter, Grazia Pergoletti, Gabriel Vetter
Regie: Meret Matter, Produktion: Roland Amrein, Lichtdesign: Demian Jakob, Video: Kai Wido Meyer, Kostüm: Judith Steinmann, Szenografie: Jérôme Stünzi, Film: Ntando Cele, Luka Dimic, Catriona Guggenbühl, Dominik Gysin, Ferhat Keskin, Mathis Künzler, Pilu Lydlow, Philippe Nauer, Marie Popall, Anne Welenc, Musik: Shirley Hofmann, Julien Israelian
Mit: Grazia Pergoletti, Vivien Bullert, Rula Badeen, Rahel Jankowski
Uraufführung am 18. Dezember 2020, Schlachthaus Theater Bern
Dauer: 1 Stunde 55 Minuten, eine Pause

www.theaterchur.ch

 

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